VG Hamburg, Urteil vom 10.08.2021 - 16 A 4918/19
Fundstelle
openJur 2021, 25889
  • Rkr:

Allein eine Militärdienstentziehung in Syrien durch Flucht ins Ausland begründet unter Zugrundelegung der aktuellen Erkenntnislage und unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19.11.2020 (C-238/19) keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrechtlich erheblichen Verfolgung.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Kläger begehren - über den von der Beklagten gewährten subsidiären Schutz hinaus - die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Der [...] 1987 in Homs geborene Kläger zu 1. und der [...] 2010 in Libyen geborene Kläger zu 2., der Sohn des Klägers zu 1., sind syrische Staatsangehörige alawitischer Glaubens- und arabischer Volkszugehörigkeit. Die Kläger hielten sich, nachdem sie ihr Heimatland verlassen hatten, nach eigenen Angaben unter anderem längere Zeit in Libyen auf und reisten am 31. Dezember 2017 in das Bundesgebiet ein.

Am 4. Januar 2018 stellten die Kläger bei der Beklagten förmliche Asylanträge, zu welchen die Beklagte den Kläger zu 1. am 8. Januar 2018 persönlich anhörte. Ausweislich der hierüber aufgenommenen Niederschrift gab der Kläger zu 1. an, in Syrien zuletzt in Homs gelebt zu haben. Er sei bereits im Jahr 2009 mit der gesamten Familie nach Libyen gezogen, um dort Arbeit zu suchen. Nachdem er keine Beschäftigung gefunden habe, sei er im Jahr 2010 mit der Familie nach Syrien zurückgekehrt, noch im selben Jahr aber wieder nach Libyen ausgereist. Im Jahr 2014 sei er mit seinem Sohn, dem Kläger zu 2., erneut nach Syrien zurückgereist und im selben Jahr wieder ausgereist. Als er und sein Sohn, der Kläger zu 2., nach Deutschland weitergereist seien, seien seine Ehefrau und sein dreijähriger Sohn in Libyen geblieben. In Syrien habe er noch drei Brüder. Er habe als Sanitäranlageninstallateur gearbeitet. Wehrdienst habe er nicht geleistet. Mitglied einer politischen Organisation sei er nicht. Syrien habe er zuletzt wegen des Krieges verlassen. Es habe ständig Schusswechsel und Luftangriffe gegeben. Zwischenzeitlich zurückgereist sei er, weil er in Libyen "finanziell nicht mehr weitergekommen" sei. Er habe sich deswegen mit eigenen Augen von der Lage in seinem Heimatland überzeugen wollen. Hierbei sei ihm bewusst geworden, dass er dort mit seiner Familie nicht leben könne. Bei einer Rückkehr bestünde die Gefahr, dass man von einer der Parteien zwangsrekrutiert würde oder als Zivilist verletzt oder getötet würde. Es gebe mehrere Gruppierungen in Syrien, die ihn hassten, weil er Alawit sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anhörungsniederschrift Bezug genommen (Bl. 95 ff. der Asylakte).

Mit Bescheid vom 18. September 2019 - ausweislich eines Aktenvermerks der Beklagten am 2. Oktober 2019 als Einschreiben zur Post gegeben - erkannte die Beklagte den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu (Nr. 1) und lehnte ihre Asylanträge im Übrigen ab (Nr. 2). Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft seien nicht gegeben. Soweit der Kläger zu 1. vorgetragen habe, bei einer Rückkehr nach Syrien Schwierigkeiten durch nicht weiter benannte, die Alawiten hassende Gruppierungen zu befürchten, stelle dies keine individuelle, flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung dar. Der Kläger zu 1. sei nach eigenen Angaben alleine aufgrund der allgemeinen Gefährdung durch den Krieg aus seinem Heimatland ausgereist. Da der Kläger zu 2. in Libyen geboren worden sei, komme für ihn eine Verfolgung in Syrien nicht in Betracht. Die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte seien ebenfalls nicht gegeben. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Bescheid verwiesen (Bl. 4 ff. d.A.).

Am 21. Oktober 2019 haben die Kläger gegen die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Klage erhoben, mit welcher sie ihr Schutzbegehren weiterverfolgen.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. September 2019 - soweit er entgegensteht - zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angegriffene Entscheidung.

Die bei der Beklagten geführte Asylakte der Kläger und die in der Verfügung vom 23. Juni 2021 bezeichneten Erkenntnisquellen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht den Kläger zu 1. zu den Gründen des Asylbegehrens angehört. Wegen der Angaben des Klägers zu 1. wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Gründe

I.

Die zulässige, insbesondere gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthafte und fristgemäß erhobene Verpflichtungsklage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Bescheid vom 18. September 2019 ist in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) rechtmäßig und kann die Kläger daher nicht in ihren Rechten verletzen, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

1. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, vorbehaltlich § 60 Abs. 8 Satz 1 und 3 AufenthG die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560 - Genfer Flüchtlingskonvention, GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).

Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2), oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten (Nr. 3).

§ 3b Abs. 1 AsylG konkretisiert die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe. Dabei ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob dieser tatsächlich die flüchtlingsrelevanten Merkmale aufweist, sofern ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob die Verfolgung "wegen" eines Verfolgungsgrundes erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein. Für die "Verknüpfung" reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus (zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 22.5.2019, 1 C 10.18, juris, Rn. 16 m.w.N.).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ("real risk"), drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urt. v. 22.5.2019, 1 C 10.18, juris, Rn. 17 m.w.N.; s. ferner OVG Hamburg, Urt. v. 11.1.2018, 1 Bf 81/17.A, juris, Rn. 38). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht sein wird, vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie).

Dabei muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit - des vom Kläger behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangen (stRspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 4.7.2019, 1 C 33.18, juris, Rn. 19 ff.; Beschl. v. 21.7.1989, 9 B 239.89, juris, Rn. 3 m.w.N.; OVG Hamburg, Urt. v. 11.1.2018, 1 Bf 81/17.A, juris, Rn. 42). Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996, 2 BvR 1516/93, juris, Rn. 121). Hinsichtlich der Anforderungen an den Klägervortrag muss unterschieden werden zwischen den in die eigene Sphäre des Schutzsuchenden fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, und den in den allgemeinen Verhältnissen seines Herkunftslandes liegenden Umständen, die seine Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen. Lediglich in Bezug auf erstere muss der Schutzsuchende eine Schilderung geben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen. Hinsichtlich der allgemeinen politischen Verhältnisse im Herkunftsland reicht es hingegen wegen der zumeist auf einen engeren Lebenskreis beschränkten Erfahrungen und Kenntnisse des Schutzsuchenden aus, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen sich - ihre Wahrheit unterstellt - hinreichende Anhaltspunkte für eine nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung für den Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland ergeben (s. zum Ganzen m.w.N. OVG Hamburg, Urt. v. 11.1.2018, 1 Bf 81/17.A, juris, Rn. 41 ff.).

2. Ausgehend hiervon bleibt dem Begehren der Kläger, ihnen zusätzlich zum bereits gewährten subsidiären Schutzstatus die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG zuzuerkennen, der Erfolg versagt. Die Kammer ist nicht zu der Überzeugung gelangt, dass den Klägern im Falle einer Rückkehr nach Syrien, die aufgrund der Gewährung subsidiären Schutzes nur hypothetisch zu unterstellen ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG drohen würde.

a) Den Klägern kommt nicht die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zugute. Sie sind nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist, denn sie sind in ihrem Heimatland nicht verfolgt worden und waren auch nicht unmittelbar von flüchtlingsrechtlich erheblicher Verfolgung bedroht.

Im Hinblick darauf, dass der Kläger zu 1. keinen Wehrdienst geleistet hat, ist er in Syrien nach eigenen Angaben keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen. Eine hierauf bezogene Verfolgung stand zudem nicht unmittelbar bevor. Der Kläger zu 1. hatte nach seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung mit der Hilfe seiner Eltern eine Befreiung von der Wehrpflicht erwirkt, von der er angenommen hat, sie sei dauerhaft (S. 3 f. des Sitzungsprotokolls). Auch wenn die Verlässlichkeit eines solchen Freikaufs vom Wehrdienst angesichts der in Syrien herrschenden Willkür jedenfalls nach Ausbruch der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zweifelhaft gewesen sein mag (vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Syrien, 18.6.2021 [im Folgenden: BFA, Länderinformation 2021], G 15/21, S. 49; European Asylum Support Office, EASO, Syria, Military Service, April 2021 [im Folgenden: EASO, Military Service, 2021], G 5/21, S. 31), sprechen die Reisebewegungen des Klägers zu 1. maßgeblich gegen ein auf ihn persönlich gerichtetes Verfolgungsinteresse des Regimes: Der Kläger zu 1. konnte bereits in den Jahren 2009 und 2010 und selbst im Jahr 2014, also nach Ausbruch des Krieges, die syrische Grenze mit seinem Reisepass an offiziellen Grenzübergängen passieren und sich zwischenzeitlich erneut in Syrien aufhalten, ohne dass es zu Problemen mit den syrischen Sicherheitskräften gekommen wäre. Soweit er angab, er habe an den Grenzübergängen "Schmiergelder" gezahlt, stellte er zugleich klar, dass er dies rein vorsorglich getan habe und nicht konkret bedroht worden sei (S. 4-6 des Sitzungsprotokolls). Bis zu seiner letzten Ausreise aus Syrien im Jahr 2014 hatte der Kläger zu 1. zudem nach eigenen Angaben keinen weiteren Kontakt mit den Militärbehörden (S. 4 des Sitzungsprotokolls). Er gab vielmehr an, dass sich erst kurz nach seiner Ausreise Personen bei seinen Eltern nach seinem Verbleib erkundigt hätten, was er von seinen Eltern erfahren habe (S. 4, 7 und 9 des Sitzungsprotokolls). Der Grund hierfür ist offen geblieben, der Kläger zu 1. vermutete aber, das Regime habe ihn rekrutieren wollen (vgl. S. 10 des Sitzungsprotokolls). Eine akute Bedrohungslage kann die Kammer vor diesem Hintergrund nicht erkennen.

Allenfalls drohte dem Kläger zu 1. - insbesondere nach Ausbruch des Krieges wegen des hierdurch begründeten erheblichen Bedarfs des Regimes an Kämpfern und der zweifelhaften Verlässlichkeit des geschilderten Freikaufs - eine Einberufung zum Wehrdienst. Selbst wenn man dies bejahte, was vorliegend keiner Vertiefung bedarf, hätte es sich hierbei indes nicht um eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gehandelt, da es jedenfalls an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung mit einem flüchtlingsrechtlich beachtlichen Verfolgungsgrund gefehlt hätte (stRspr der Kammer, geklärt durch OVG Hamburg, Urt. v. 11.1.2018, 1 Bf 8/17.A, juris, Rn. 142; bereits eine Verfolgungshandlung verneinend: OVG Münster, Urt. v. 22.3.2021, 14 A 3439/18.A, juris, Rn. 37; vgl. zudem OVG Lüneburg, Urt. v. 22.4.2021, 2 LB 147/18, juris, Rn. 35).

Die Kläger können sich auch nicht deswegen auf die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU berufen, weil sie nach eigenen Angaben Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Alawiten sind. Im Hinblick hierauf sind sie ebenfalls keinen Verfolgungshandlungen in Syrien ausgesetzt gewesen, weder seitens des syrischen Staates noch seitens extremistischer Gruppierungen (vgl. S. 8 des Sitzungsprotokolls). Es spricht zudem nichts dafür, dass eine flüchtlingsrechtlich beachtliche Verfolgung durch das syrische Regime in Anknüpfung an die Glaubenszugehörigkeit der Kläger unmittelbar bevorgestanden hätte. Das Regime war und ist im Gegenteil selbst erheblich alawitisch geprägt. Alawiten bekleiden dort einflussreiche Positionen und der syrische Präsident al-Assad ist selbst Alawit. Er geriert sich zudem als Beschützer der wiederum als regimetreu geltenden Alawiten (vgl. BFA, Länderinformation 2021, G 15/21, S. 63 f.; UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update VI, März 2021 [im Folgenden: UNHCR, Update VI, 2021], G 11/21, S. 149 f. und Fn. 705 f.; U.S. Dept. of State, Syria 2020 Human Rights Report, G 12/21, S. 52, 63; U.S. Dept. of State, Syria 2020 International Religious Freedom Report, G 13/21, S. 1, 8, 9 f.). Inwieweit Alawiten Verfolgung seitens extremistischer Gruppierungen - auf die sich auch der Kläger zu 1. ausschließlich bezogen haben dürfte (vgl. S. 3 und 12 des Sitzungsprotokolls) - ausgesetzt waren, bedarf hier keiner Vertiefung. Eine solche Verfolgung, die den Klägern allenfalls bei ihrem Aufenthalt in Syrien im Jahr 2014 gedroht haben könnte, war schon deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich, weil sich die Kläger nach eigenen Angaben im Jahr 2014 in vom Regime kontrollierten Gebieten aufhielten. Eine konkrete Bedrohungssituation wegen seines alawitischen Glaubens hat der Kläger zu 1. ebenfalls nicht geschildert. Davon abgesehen können sich die Kläger aber auch deshalb nicht auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU berufen, weil jedenfalls stichhaltige Gründe gegen eine heute noch drohende Verfolgung sprechen (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU a.E.). Die tatsächliche Lage hat sich durch die Konsolidierung des Einflusses des syrischen Regimes grundlegend geändert. Homs befindet sich - wie weite Teile des Landes - wieder vollständig unter der Kontrolle des Regimes.

Soweit der Kläger zu 1. schließlich von kriegerischen Auseinandersetzungen und deren Folgen, insbesondere von Raketenangriffen, berichtet hat, die er bei seiner Rückkehr nach Syrien im Jahr 2014 erlebt habe, ist den hierdurch begründeten Gefahren durch die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG Rechnung getragen worden.

b) Die Kammer hat ferner nicht die Überzeugung gewinnen können, dass den Klägern bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien nunmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine die Flüchtlingseigenschaft begründende Verfolgung durch das Assad-Regime drohen würde.

aa) Eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Gefährdung der Kläger kann insbesondere nicht bereits pauschal im Hinblick darauf bejaht werden, dass unterschiedslos allen Syrern im Falle einer Rückkehr nach Syrien allein wegen ihrer (illegalen) Ausreise, ihrer Asylantragstellung und ihres längeren Aufenthalts im westlichen Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch den syrischen Staat drohen würde (stRspr der Kammer und gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung, s. im Einzelnen insb. OVG Hamburg, Urt. v. 11.1.2018, 1 Bf 81/17.A, juris, Rn. 52 ff., 63 ff.; Urt. v. 29.5.2019, 1 Bf 284/17.A, juris, Rn. 100 ff., jeweils m. zahlr. Nachw.; vgl. aus jüngerer Zeit etwa: OVG Magdeburg, Urt. v. 1.7.2021, 3 L 154/18, juris, Rn. 55 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.5.2021, OVG 3 B 42.18, juris, Rn. 34; OVG Greifswald, Urt. v. 26.5.2021, 4 L 238/13, juris, Rn. 40; OVG Lüneburg, Urt. v. 22.4.2021, 2 LB 147/18, juris, Rn. 42 ff.; OVG Bremen, Urt. v. 24.3.2021, 2 LB 123/18, juris, Rn. 30; VGH München, Urt. v. 21.9.2020, 21 B 19.32725, juris, Rn. 23 ff.; OVG Münster, Urt. v. 13.3.2020, 14 A 2778/17.A, juris, Rn. 33 ff., erneut bestätigt durch Urt. v. 22.3.2021, 14 A 3439/18.A, juris, Rn. 41 ff.; s.a. VGH Mannheim, Urt. v. 4.5.2021, A 4 S 468/21, juris, Rn. 28). Es ist unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage nach wie vor nicht davon auszugehen, dass syrische Sicherheitskräfte jedem zurückkehrenden Asylantragsteller ohne Weiteres unterstellen, ein Regimegegner zu sein. Im aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts heißt es (wie bereits in älteren Lageberichten), immer wieder seien Rückkehrende, insbesondere - aber nicht nur - solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt seien oder auch nur als solche erachtet würden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen bis hin zu unmittelbarer Gefährdung für Leib oder Leben ausgesetzt. Es seien Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft "verschwunden" seien. Dies könne in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder einem nicht abgeleisteten Wehrdienst stehen (Auswärtiges Amt, AA, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 4.12.2020 [im Folgenden: AA, Lagebericht v. 4.12.2020], 2020/6, S. 25, 30). Diese Ausführungen sind zu allgemein gehalten, um daraus die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrechtlich erheblichen Verfolgung jedweden Rückkehrers ableiten zu können (VGH München, Urt. v. 21.9.2020, 21 B 19.32725, juris, Rn. 24; vgl. bereits OVG Münster, Urt. v. 13.3.2020, 14 A 2778/17.A, juris, Rn. 37). Dass den beschriebenen Übergriffen die erforderliche Gerichtetheit im Sinne von § 3a Abs. 3 AsylG zukommt, können diese Ausführungen ebenfalls nicht in einem beachtlichen Maße belegen (OVG Bremen, Urt. v. 24.3.2021, 2 LB 123/18, juris, Rn. 30). Soweit in den aktuellen Stellungnahmen des UNHCR sowie des European Asylum Support Office von einer Gefährdung von Rückkehrern (UNHCR, Update VI, 2021, G 11/21, S. 112 ff.) bzw. von Übergriffen auf (illegal) ausgereiste Personen sowie Personen, die im Ausland einen Asylantrag gestellt haben, berichtet wird (vgl. EASO, Syria, Situation of returnees from abroad, Juni 2021, G 14/21, S. 18 f., 27 f.), ergeben sich aus diesen abermals zu allgemein gehaltenen Auskünften ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte für die erforderliche Gerichtetheit etwaiger Verfolgungshandlungen. Darüber hinaus gehen weitere Quellen ausdrücklich davon aus, dass allein die (illegale) Ausreise (UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Syria, 7.5.2020 [im Folgenden: UNHCR, CoI Information, 2020], G 35/20, S. 21) oder die Asylantragstellung im Ausland (Danish Immigration Service, DIS, Syria, Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, G 2/19, S. 20) keine politische Verfolgung nach sich ziehen.

bb) Ebenso wenig folgt die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG pauschal aus der regionalen Herkunft aus einem (zeitweilig) von der Opposition beherrschten Gebiet, hier Homs (stRspr der Kammer sowie ebenfalls gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. m.w.N.: OVG Hamburg, Urt. v. 29.5.2019, 1 Bf 284/17.A, juris, Rn. 127 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.5.2021, OVG 3 B 42.18, juris, Rn. 35; OVG Greifswald, Urt. v. 26.5.2021, 4 L 238/13, juris, Rn. 44; OVG Lüneburg, Urt. v. 22.4.2021, 2 LB 147/18, juris, Rn. 87 ff.; VGH München, Urt. v. 21.9.2020, 21 B 19.32725, juris, Rn. 68 ff.; OVG Münster, Urt. v. 13.3.2020, 14 A 2778/17.A, juris, Rn. 38 f.; s.a. VGH Mannheim, Urt. v. 4.5.2021, A 4 S 468/21, juris, Rn. 28). Maßgeblich bleiben, wie nicht zuletzt der UNHCR nach wie vor betont (UNHCR, Update VI, 2021, G 11/21, S. 115; so bereits UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. aktualisierte Fassung, November 2017, G 35/17, S. 43), die Umstände des Einzelfalls. Die Herkunft von Schutzsuchenden stellt zwar einen berücksichtigungsfähigen Umstand dar, es bedarf jedoch weiterer gefahrerhöhender Umstände, um eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen (OVG Greifswald, Urt. v. 26.5.2021, 4 L 238/13, juris, Rn. 44; OVG Lüneburg, Urt. v. 22.4.2021, 2 LB 147/18, juris, Rn. 87).

cc) Aus den unter a) genannten Gründen würde den Klägern darüber hinaus auch bei einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien keine flüchtlingsrechtlich beachtliche Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zum alawitischen Glauben drohen.

dd) Dem Kläger zu 1. würde ferner nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung wegen einer möglichen Entziehung vom Wehrdienst durch seine Ausreise aus Syrien und den Aufenthalt im Ausland drohen.

Angesichts der Tatsache, dass der Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung geschildert hat, sich vom Wehrdienst freigekauft zu haben, ist zweifelhaft, ob das syrische Regime ihn bei einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien aufgrund seiner Ausreise und seines längeren Aufenthalts in Deutschland als Wehrdienstentzieher ansehen würde. Andererseits bestehen wegen des Bedarfs des Regimes an Kämpfern nach Ausbruch des Krieges und der in Syrien herrschenden Willkür und Korruption Zweifel an der Verlässlichkeit eines solchen Freikaufs (s. bereits oben unter a); generell an der Verlässlichkeit der Freikaufmöglichkeiten zweifelnd VGH Mannheim, Urt. v. 4.5.2021, A 4 S 468/21, juris, Rn. 35). Es ist nicht auszuschließen, dass dem Kläger zu 1. als gesundem Mann im wehrpflichtigen Alter dennoch vorgehalten werden würde, keinen Wehrdienst geleistet zu haben. Verschiedene Erkenntnisquellen fassen unter das Risikoprofil der Wehrdienstentzieher auch Personen, die bisher nicht mit einer Rekrutierung konfrontiert waren (UNHCR, Update VI, 2021, G 11/21, S. 120 Fn. 573; EASO, Country Guidance: Syria, September 2020 [im Folgenden: EASO, Country Guidance 2020], G 29/20, S. 65; vgl. auch DIS, Syria, Military Service, Mai 2020 [im Folgenden: DIS, Military Service, 2020], G 37/20, S. 7; EASO, Military Service, 2021, G 5/21, S. 8). Dieser Gesichtspunkt bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung.

Es entsprach bereits bisher der ständigen Rechtsprechung der Kammer sowie der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts, dass allein ein Auslandsaufenthalt im wehrpflichtigen Alter keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nach sich zieht, selbst wenn das Assad-Regime den Betroffenen bei einer hypothetischen Rückkehr wie einen Militärdienstentzieher behandeln würde (ausführlich hierzu OVG Hamburg, Urt. v. 11.1.2018, 1 Bf 81/17.A, juris, Rn. 90 ff.). Hieran hält die Kammer unter Zugrundelegung der aktuellen Erkenntnislage und unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. November 2020 in der Sache "EZ" (Rs. C-238/19) fest. Männern, die sich durch ihre Ausreise aus Syrien und ihren Aufenthalt im Ausland dem Militärdienst (Wehr- oder Reservedienst) entzogen haben, kann vielmehr erst dann eine flüchtlingsrechtlich beachtliche Verfolgung drohen, wenn weitere risikoerhöhende Faktoren in der jeweiligen Person vorliegen (so mit zum Teil unterschiedlicher Begründung auch die weit überwiegende aktuelle obergerichtliche Rechtsprechung: OVG Münster, Urt. v. 22.3.2021, 14 A 3439/18.A, juris, Rn. 46 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 22.4.2021, 2 LB 147/18, juris, Rn. 48 ff. [sowie eine Parallelentscheidung: 2 LB 408/20]; VGH Mannheim, Urt. v. 4.5.2021, A 4 S 468/21, juris, Rn. 25 ff. [sowie zwei Parallelentscheidungen: A 4 S 469/21 und A 4 S 470/21]; OVG Greifswald, Urt. v. 26.5.2021, 4 L 238/13, juris, Rn. 27 ff.; OVG Magdeburg, Urt. v. 1.7.2021, 3 L 154/18, juris, Rn. 58 ff.; s.a. VGH München, Urt. v. 21.9.2020, 21 B 19.32725, juris, Rn. 26 ff.; mit Blick auf eine Entziehung vom Reservedienst ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.5.2021, OVG 3 B 42.18, juris, Rn. 23 ff.; a.A. mit Blick auf Wehrpflichtige, die noch keinen Wehrdienst geleistet haben: OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 29.1.2021, OVG 3 B 109.18, juris, Rn. 78 ff. [sowie zwei Parallelentscheidungen: OVG 3 B 68.18 und OVG 3 B 108.18]; bestätigt durch Urt. v. 28.5.2021, OVG 3 B 42.18, juris, Rn. 15 ff.). Geboten bleibt demnach eine sorgfältige Einzelfallprüfung. Dies entspricht im Übrigen der Einschätzung des UNHCR, der eine flüchtlingsrechtlich beachtliche Gefährdung von Militärdienstentziehern nicht pauschal, sondern nur abhängig von den Umständen des Einzelfalls annimmt (UNHCR, Update VI, 2021, G 11/21, S. 130).

Die Kammer kann nicht die Überzeugung gewinnen, dass Männern im wehrpflichtigen Alter, die sich durch ihre Ausreise aus Syrien und ihren Aufenthalt im Ausland dem Militärdienst entzogen haben, deswegen bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Strafverfolgung oder eine sonstige Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG, insbesondere eine Inhaftierung mit der damit verbundenen Gefahr der Folter oder Misshandlung, drohen würde (hierzu unter (1)). Eine andere Betrachtung ist nicht aufgrund der Vorschrift des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG und des genannten Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. November 2020 geboten (hierzu unter (2)).

Keiner vertieften Erörterung bedarf vorliegend, ob dem mittlerweile 34 Jahre alten Kläger zu 1. bei einer Rückkehr nach Syrien heute noch beachtlich wahrscheinlich eine Rekrutierung drohen würde. Wie bereits oben unter a) ausgeführt, würde es sich hierbei nicht um eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung handeln, weil es an der Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG fehlte (vgl. nochmals OVG Hamburg, Urt. v. 11.1.2018, 1 Bf 81/17.A, juris, Rn. 142).

(1) Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass Männern im wehrpflichtigen Alter (18 bis 42 Jahre) im Fall einer Rückkehr nach Syrien Strafverfolgung oder eine sonstige Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 AsylG, insbesondere eine Inhaftierung mit der damit verbundenen Gefahr der Folter oder Misshandlung, drohen würde, weil sie sich durch ihre Ausreise aus Syrien und ihren Aufenthalt im Ausland dem Militärdienst entzogen haben (ebenso: OVG Münster, Urt. v. 22.3.2021, 14 A 3439/18.A, juris, Rn. 48 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 4.5.2021, A 4 S 468/21, juris, Rn. 29 ff.; OVG Greifswald, Urt. v. 26.5.2021, 4 L 238/13, juris, Rn. 27 ff.; OVG Magdeburg, Urt. v. 1.7.2021, 3 L 154/18, juris, Rn. 73 ff.; a.A.: OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 29.1.2021, OVG 3 B 109.18, juris, Rn. 92 ff.; offen lassend: OVG Lüneburg, Urt. v. 22.4.2021, 2 LB 147/18, juris, Rn. 58).

Die Entziehung von der Wehrpflicht ist in Syrien weiterhin strafbewehrt. Nach dem syrischen Militärstrafgesetzbuch ("Military Penal Code") wird, wer sich der Einberufung entzieht, mit einer Haftstrafe zwischen einem und sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft (AA, Lagebericht v. 4.12.2020, 2020/6, S. 14; BFA, Länderinformation 2021, G 15/21, S. 50; EASO, Military Service, 2021, G 5/21, S. 33). Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird nach einer älteren Auskunft des Auswärtigen Amts mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft oder einer Geldbuße bestraft. Laut dieser Auskunft kann Berichten zufolge zudem ein Wehrdienstentzug durch "illegale" Ausreise von nicht gemusterten bzw. nicht einberufenen Wehrpflichtigen mit Geldbuße oder Gefängnis bestraft werden (AA, Auskunft an VG Düsseldorf v. 2.1.2017, 2017/1, S. 4 f.; s. hierzu bereits OVG Hamburg, Urt. v. 11.1.2018, 1 Bf 81/17.A, juris, Rn. 99).

Die bloße Existenz einer Strafvorschrift genügt indes zur Annahme einer Verfolgungshandlung nicht. Vielmehr ist entscheidend, wie sich schon aus Art. 4 Abs. 3 lit. a) RL 2011/95/EU ergibt, ob und inwieweit gesetzliche Vorschriften in der Praxis angewendet werden, im vorliegenden Fall also die tatsächliche Strafverfolgungspraxis (vgl. im Kontext der strafrechtlichen Ahndung homosexueller Handlungen EuGH, Urt. v. 7.11.2013, C-199/12 u.a., juris, Rn. 50 ff.; vgl. ferner BVerwG, Urt. v. 20.3.2013, 10 C 23.12 = BVerwGE 146, 67, juris, Rn. 28). Darüber hinaus müssen die strafrechtlichen Sanktionen die Kriterien des § 3a Abs. 1 und 2 AsylG erfüllen, also beispielsweise unverhältnismäßig sein oder diskriminierend angewendet werden (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG) oder in bestimmten Konflikten verhängt werden (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, s. hierzu noch unter (2)). So liegt der Fall hier jedoch nicht. In der Gesamtschau der in das Verfahren einbezogenen Erkenntnisquellen ist bereits nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die im syrischen Recht vorgesehenen Strafen tatsächlich verhängt werden. Ebenso wenig droht den Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine anderweitige Ahndung der Militärdienstentziehung. Im Einzelnen:

Auch wenn die Quellenlage mit Blick auf die Konsequenzen einer Militärdienstentziehung nicht eindeutig ist, ergibt sich aus der Mehrzahl der aktuellen Erkenntnisquellen, dass einfache Militärdienstentzieher in der Regel nicht strafrechtlich verfolgt, sondern unmittelbar zum Militärdienst herangezogen werden und damit rechnen müssen, nach gegebenenfalls nur minimaler Ausbildung unverzüglich zum Einsatz, auch an vorderster Front, zu gelangen (vgl. AA, Lagebericht v. 4.12.2020, 2020/6, S. 30; UNHCR, Update VI, 2021, G 11/21, S. 122-124; UNHCR, CoI Information, 2020, G 35/20, S. 9, 22; DIS, Military Service, 2020, G 37/20, S. 31 f.; EASO, Military Service, 2021, G 5/21, S. 33 f.; EASO, Country Guidance 2020, G 29/20, S. 66; EASO, Syria, Targeting of individuals, März 2020, G 7/20, S. 36 f.; Landinfo, Report: Syria, Return from abroad, 10.2.2020 [im Folgenden: Landinfo, Report 2020], G 52/20, S. 8).

Insbesondere die zahlreichen vom Danish Immigration Service im Rahmen einer "fact-finding mission" in Istanbul und Beirut vom 17. bis 25. Februar 2020 befragten Quellen gehen weit überwiegend davon aus, dass Militärdienstentziehern üblicherweise statt eines Strafverfahrens die Einziehung zum Militärdienst droht, sofern sie nicht aus anderen Gründen in das Visier des syrischen Regimes geraten sind (DIS, Military Service, 2020, G 37/20, S. 31 f., 48, 50, 55, 62, 67, 73, 76, 83; jedenfalls für Militärdienstentzieher aus regimetreuen Gebieten auch S. 80).

Nach den Erkenntnissen von Landinfo erhält ein Militärdienstentzieher, während früher Haftstrafen verhängt wurden, nunmehr eine Aufforderung, sich binnen 15 Tagen beim Rekrutierungsbüro zu melden (Landinfo, Report 2020, G 52/20, S. 8). Dies entspricht den Erkenntnissen des Danish Immigration Service, wonach Männer, die nach Syrien zurückkehren, laut einem Rundschreiben aus dem Jahr 2019 15 Tage Zeit erhalten, ihre Angelegenheiten zu regeln und sich in einem Rekrutierungsbüro zum Einsatz zu melden (DIS, Military Service, 2020, G 37/20, S. 12).

Der UNHCR bestätigt in seinen aktuellen Stellungnahmen ebenfalls, dass Militärdienstentzieher in der Praxis in der Regel keine strafrechtlichen Sanktionen zu befürchten hätten, sondern zum Militärdienst herangezogen würden (UNHCR, Update VI, 2021, G 11/21, S. 122-124; UNHCR, CoI Information, 2020, G 35/20, S. 9).

Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 4. Dezember 2020 aus, dass männliche Rückkehrer im wehrpflichtigen Alter nach ihrer Rückkehr mit einer Zwangsrekrutierung rechnen müssten und in der Regel zum Militärdienst eingezogen würden (AA, Lagebericht v. 4.12.2020, 2020/6, S. 14, 30). Soweit es in dem Bericht weiter heißt, die Einziehung erfolge "teilweise im Anschluss an eine mehrmonatige Haftstrafe wegen Desertion" (AA, Lagebericht v. 4.12.2020, 2020/6, S. 30), kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass auch Personen, die sich lediglich durch ihre Ausreise und den Aufenthalt im Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelhaft für längere Zeit inhaftiert werden. Das syrische Strafrecht unterscheidet zwischen einfacher Wehrdienstentziehung und Desertion, worauf der Lagebericht des Auswärtigen Amts an anderer Stelle ausdrücklich hinweist (AA, Lagebericht v. 4.12.2020, 2020/6, S. 14). Selbst wenn der Begriff "Desertion" in der genannten Passage jedoch auch eine Wehrdienstentziehung umfassen sollte, heißt es in dem Lagebericht weiter, dass die "teilweise" drohenden Haftstrafen für "Wehrdienstverweigerer" seit 2018 wiederum zumindest stellenweise erlassen würden (AA, Lagebericht v. 4.12.2020, 2020/6, S. 30). Diese Ausführungen sind zu allgemein gehalten, um einen belastbaren Rückschluss auf eine Bestrafung jedweden Wehrdienstentziehers zu erlauben (vgl. zum Ganzen auch OVG Magdeburg, Urt. v. 1.7.2021, 3 L 154/18, juris, Rn. 76; OVG Münster, Urt. v. 22.3.2021, 14 A 3439/18.A, juris, Rn. 70, 99). Zu vage sind ferner die weiteren Ausführungen, es seien Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft "verschwunden" seien, was unter anderem in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Wehrdienst stehen könne (AA, Lagebericht v. 4.12.2020, 2020/6, S. 30).

Soweit weitere Quellen über nicht näher bezifferte Inhaftierungen von Militärdienstentziehern (DIS, Military Service, 2020, G 37/20, S. 31 f., 51, 70, 87, 90; EASO, Military Service, 2021, G 5/21, S. 33 f.) sowie über das Risiko von Folter und anderen Misshandlungen während der Haft (UNHCR, Update VI, 2021, G 11/21, S. 124; UNHCR, CoI Information, 2020, G 35/20, S. 9 f.) berichten, genügen diese Einschätzungen weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass Militärdienstentziehern bei einer Rückkehr nach Syrien wegen der Militärdienstentziehung Inhaftierung, Folter oder sonstige Misshandlungen drohen würden. Sie enthalten keine Erkenntnisse, die gegenüber den anderslautenden Einschätzungen ins Gewicht fallen. Insbesondere lässt sich ihnen nicht entnehmen, dass Militärdienstentzieher flächendeckend und systematisch oder auch nur regelhaft Verfolgungshandlungen ausgesetzt sind. Die Berichte deuten eher darauf hin, dass Inhaftierung, Misshandlung oder Folter primär dann drohen, wenn weitere Gründe hinzutreten, aufgrund derer das syrische Regime dem Betroffenen eine oppositionelle Haltung unterstellt (UNHCR, Update VI, 2021, G 11/21, S. 124; UNHCR, CoI Information, 2020, G 35/20, S. 9 f., EASO, Military Service, 2021, G 5/21, S. 33; vgl. auch DIS, Military Service, 2020, G 37/20, S. 90).

Eine sonstige Ahndung der Militärdienstentziehung, welche die Qualität einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 AsylG hätte, ist ebenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich. Soweit teilweise angenommen wird, Militärdienstentzieher, insbesondere Personen aus rückeroberten Gebieten und Oppositionelle, würden als (extralegale) Bestrafung für unterstellte Illoyalität ohne eine hinreichende Ausbildung an der Front eingesetzt (UNHCR, CoI Information, 2020, G 35/20, S. 9; restriktiver demgegenüber UNHCR, Update VI, 2021, G 11/21, S. 119 f.; EASO, Military Service, 2021, G 5/21, S. 23 f.), ist die Faktengrundlage dieser Einschätzungen erneut nicht hinreichend tragfähig, um hierauf die Annahme einer regelhaften Verfolgung zu stützen. Hiergegen spricht vielmehr die übrige Erkenntnislage:

Nach der Einschätzung der weit überwiegenden Zahl der vom Danish Immigration Service im Rahmen der oben genannten "fact-finding mission" befragten Quellen müssen vielmehr alle Militärangehörigen, auch Unerfahrene, gleichermaßen damit rechnen, an der Front eingesetzt zu werden. Dies betreffe sowohl Wehrpflichtige als auch Reservisten, wobei Letztere deutlich seltener an der Front eingesetzt würden. Dazu zählten auch Militärdienstentzieher. Ebenso würden Männer aus ehemaligen oppositionellen Gebieten sowie Männer aus regimetreuen Gebieten an der Front eingesetzt. Nach der Einschätzung befragter Quellen stammen die meisten Frontopfer aus regimetreuen Gebieten wie Latakia, Tartous, West-Hama, West-Homs und Damaskus. Auch neu einberufene Rekruten müssten mit sehr geringer Ausbildung mit einem Fronteinsatz rechnen. Die Armee rotiere ihre Einheiten außerdem. Militärische Einheiten würden dabei nicht nur aus Männern, die aus rückeroberten Gebieten stammen, zusammengesetzt (zum Ganzen DIS, Military Service, 2020, G 37/20, S. 13 ff., 46 f., 49 f., 53, 60, 63, 74 f., 78, 82, 88).

Der aktuelle Bericht des European Asylum Support Office zum syrischen Militärdienst bestätigt im Wesentlichen, dass sowohl gewöhnliche Wehrpflichtige und Reservisten als auch Militärdienstentzieher mit einem Fronteinsatz rechnen müssen, teilweise nach minimalem Training. Ebenfalls bestätigt wird die Einschätzung, dass Reservisten deutlich seltener an der Front eingesetzt werden und ihr Einsatz vor allem von dem Bedarf des Regimes an Kämpfern, von Spezialkenntnissen und von ihrer Loyalität abhängt. Außerdem heißt es, eine große Zahl der im Kampf Gefallenen stamme aus regimetreuen Gebieten (EASO, Military Service, 2021, G 5/21, S. 23 ff.).

Auch in der aktuellen Stellungnahme des UNHCR heißt es, die Entscheidung über den Einsatz von Wehrpflichtigen hänge von einer Vielzahl von Faktoren wie dem militärischen Bedarf oder der Expertise des Betroffenen ab, wobei die Entscheidungen durch einen gewissen Grad an Willkür gekennzeichnet seien. Potentiell seien alle Wehrpflichtigen dem Risiko ausgesetzt, an der Front kämpfen zu müssen (UNHCR, Update VI, 2021, G 11/21, S. 119).

Angesichts dieser Auskünfte kann ein erkennbares System der Bestrafung von Militärdienstentziehern durch "Frontbewährung" im Sinne eines Politmalus nicht festgestellt werden (so überzeugend OVG Münster, Urt. v. 22.3.2021, 14 A 3439/18.A, juris, Rn. 85 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 4.5.2021, A 4 S 468/21, juris, Rn. 29; OVG Greifswald, Urt. v. 26.5.2021, 4 L 238/13, juris, Rn. 37; OVG Magdeburg, Urt. v. 1.7.2021, 3 L 154/18, juris, Rn. 95). Ein Einsatz an der Front ohne hinreichende Ausbildung ist an sich noch keine Bestrafung, da ihm nicht per se ein sanktionierender Gehalt zukommt; ein Fronteinsatz bestimmt sich regelmäßig nach militärischen Erfordernissen.

Flächendeckende oder auch nur regelhafte Verfolgungshandlungen sind ausgehend von dieser Erkenntnislage nicht hinreichend dokumentiert. Angesichts der nach wie vor bestehenden Härte des Regimes gegenüber (auch nur vermeintlichen) Oppositionellen (vgl. statt aller AA, Lagebericht v. 4.12.2020, 2020/6, S. 12 f., 18 ff., 24 ff.) wären solche Berichte aber zu erwarten, nachdem nach den Zahlen des UNHCR bis zum 31.5.2021 über 282.000 Geflüchtete selbstorganisiert nach Syrien zurückgekehrt sind (UNHCR, Operational Data Portal, Refugee Situations, Syria, abrufbar unter https://data2.unhcr.org/en/situations/syria_durable_solutions, zuletzt abgerufen am 10.8.2021; vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 4.5.2021, A 4 S 468/21, juris, Rn. 29), selbst wenn ein umfassendes Monitoring der Lage in Syrien nicht möglich ist (sich auf dieses Defizit stützend OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.5.2021, OVG 3 B 42.18, juris, Rn. 18).

Gegen eine flächendeckende Verfolgung von Militärdienstentziehern spricht außerdem, dass der Personalbedarf der syrischen Armee ausweislich der aktuellen Erkenntnisquellen weiterhin hoch ist und nach wie vor regelmäßig rekrutiert wird (AA, Lagebericht v. 4.12.2020, 2020/6, S. 14; BFA, Länderinformation 2021, G 15/21, S. 45, DIS, Military Service, 2020, G 37/20, S. 9 f.; EASO, Military Service, 2021, G 5/21, S. 15; vgl. auch VGH Mannheim, Urt. v. 4.5.2021, A 4 S 468/21, juris, Rn. 31; OVG Greifswald, Urt. v. 26.5.2021, 4 L 238/13, juris, Rn. 35). Dies gilt mit Blick auf eine mögliche Strafverfolgung umso mehr, als es sich bei der Militärdienstentziehung durch Ausreise um ein Massenphänomen handelt und die syrischen Gefängnisse ohnehin überfüllt sind, so dass das syrische Regime nicht die Kapazitäten für eine umfassende Ahndung der Militärdienstentziehung hätte (vgl. hierzu DIS, Military Service, 2020, G 37/20, S. 31 f., 59, 83).

Der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, es bestehe die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung von zurückkehrenden Wehrdienstentziehern (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 29.1.2021, OVG 3 B 109.18, juris, Rn. 92 ff.; bestätigt durch Urt. v. 28.5.2021, OVG 3 B 42.18, juris, Rn. 17 f.), schließt sich die Kammer vor dem Hintergrund der dargestellten Auskunftslage nicht an. Eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme einer regelhaften Ahndung der Wehrdienstentziehung besteht zur Überzeugung der Kammer nicht. Das Argument des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, auch die Tatsachengrundlage der Einschätzungen, die gegen eine Ahnung der Wehrdienstentziehung sprechen, werde nicht durchgehend offengelegt (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 29.1.2021, OVG 3 B 109.18, juris, Rn. 94), verfängt nicht. Bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben die Gerichte vielmehr die volle Überzeugung im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO davon zu gewinnen, dass einem Schutzsuchenden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung droht. Die Annahme einer pauschalen Verfolgungsgefahr für Wehrdienstentzieher - nicht deren Ausschluss - bedarf einer hinreichend fundierten Tatsachengrundlage (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.7.2019, 1 C 33.19, juris, Rn. 27). Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg stützt sich im Übrigen im Wesentlichen auf den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 4. Dezember 2020, dem die Kammer, ebenso wie den weiteren vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg herangezogenen Quellen, keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Ahndung der Wehrdienstentziehung entnehmen kann.

(2) Eine begründete Furcht des Klägers zu 1. vor Verfolgung kann ferner nicht im Hinblick auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bejaht werden.

Danach kann (schon eine bloße) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt als Verfolgungshandlung gelten, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. So liegt der Fall hier jedoch nicht.

Insbesondere folgt aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. November 2020 in der Sache "EZ" (C-238/19) nicht, dass unterschiedslos jedem Syrer im wehrpflichtigen Alter gleichsam "automatisch" die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (vgl. hierzu auch VG Hamburg, Urt. v. 15.6.2021, 16 A 1757/21, zur Veröffentlichung bei juris vorgesehen; VGH Mannheim, Beschl. v. 22.12.2020, A 4 S 4001/20, juris, Rn. 7; Urt. v. 4.5.2021, A 4 S 468/21, juris, Rn. 26; vgl. ferner OVG Münster, Urt. v. 12.4.2021, 14 A 818/19.A, juris, Rn. 68). Anlässlich eines Vorabentscheidungsersuchens des Verwaltungsgerichts Hannover zu Rechtsfragen, die sich im Kontext der Wehrdienstentziehung syrischer Staatsangehöriger ergeben, hat der Gerichtshof lediglich Auslegungsfragen betreffend Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2011/95/EU, den § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG in nationales Recht umsetzt, beantwortet. Ob die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2011/95/EU erfüllt sind, ist jedoch von einer Vielzahl von Tatfragen abhängig, zum einen von den allgemeinen Verhältnissen in Syrien und zum anderen von den konkreten Umständen des zu entscheidenden Einzelfalls. Tatfragen hat der Gerichtshof indes nicht entschieden. Vielmehr obliegen die Würdigung eines Falles in tatsächlicher Hinsicht und die Subsumtion unter die rechtlichen Voraussetzungen, wie der Gerichtshof selbst mehrfach betont (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 19.11.2020, C-238/19, juris, Rn. 31, 34, 37 a.E. ["was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist"]), den nationalen Behörden und den Tatsachengerichten (vgl. auch VGH Mannheim, Beschl. v. 22.12.2020, A 4 S 4001/20, juris, Rn. 8).

Hiervon ausgehend kann sich der Kläger zu 1. schon deshalb nicht auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen, weil einfachen Militärdienstentziehern, wie dargelegt, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Strafverfolgung oder Bestrafung drohen, was § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG jedoch voraussetzt.

Ob die weiteren Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG erfüllt sind, bedarf daher im vorliegenden Fall keiner vertieften Erörterung. Offen bleiben kann insbesondere, ob der Kläger zu 1. sich auch deshalb nicht auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen kann, weil er weder vor seiner Flucht Militärangehöriger war noch heute Militärangehöriger ist (so - gestützt auf EuGH, Urt. v. 26.2.2015, C-472/13, Shepherd, juris - die bisherige stRspr der Kammer sowie die Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts, s. OVG Hamburg, Urt. v. 11.1.2018, 1 Bf 8/17.A, juris, Rn. 158; Urt. v. 29.5.2019, 1 Bf 284/17.A, juris, 142; so auch OVG Hamburg, Urt. v. 1.12.2020, 4 Bf 205/18.A, juris, Rn. 72). Die Kammer hegt Zweifel, ob an dieser Interpretation des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG in Anbetracht des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. November 2020 festgehalten werden kann. Das Verwaltungsgericht Hannover hatte dem Gerichtshof unter anderem die Frage vorgelegt, ob Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2011/95/EU auch Personen schütze, die sich nach Ablauf der Zurückstellung vom Militärdienst der Militärverwaltung nicht zur Verfügung stellten und sich der zwangsweisen Heranziehung durch Flucht entzögen (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2020, C-238/19, juris, Rn. 18). Der Gerichtshof hat hierauf geantwortet, dass Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2011/95/EU dahin auszulegen sei, dass er es nicht verwehre, eine Verweigerung des Militärdienstes in dem Fall festzustellen, in dem der Betroffene seine Verweigerung nicht in einem bestimmten Verfahren formalisiert habe und aus seinem Herkunftsland geflohen sei, ohne sich der Militärverwaltung zur Verfügung zu stellen (EuGH, Urt. v. 19.11.2020, C-238/19, juris, Rn. 32). Dies dürfte aber wohl voraussetzen, dass sich auch Schutzsuchende auf die Norm berufen können, die noch keine Militärangehörigen sind. Hierfür spricht ferner, dass der Gerichtshof in dem genannten Urteil an anderer Stelle auf den "künftigen" militärischen Einsatzbereich des Betroffenen abstellt (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2020, C-238/19, juris, Rn. 38).

Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 19. November 2020 ausgeführt hat, auch zwischen der Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2011/95/EU und den in Art. 10 RL 2011/95/EU genannten Verfolgungsgründen müsse eine Verknüpfung bestehen und es spreche eine "starke Vermutung" dafür, dass eine Militärdienstverweigerung unter den in Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2011/95/EU genannten Voraussetzungen mit einem der Gründe des Art. 10 RL 2011/95/EU in Zusammenhang stehe (EuGH, Urt. v. 19.11.2020, C-238/19, juris, Rn. 44, 57), bedürfen die sich hieraus ergebenden Rechtsfragen ebenfalls keiner näheren Erörterung. Insbesondere kann offen bleiben, welche Anforderungen an die Annahme einer solchen Vermutung und deren Widerlegung zu stellen sind und welche Bedeutung einer solchen Vermutung im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung zukommt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.7.2021, 1 B 26.21). Vorliegend greift die vom Gerichtshof angeführte Vermutung schon deshalb nicht, weil die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2011/95/EU (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG), wie dargelegt, nicht erfüllt sind.

ee) Gefahrerhöhende Umstände im Einzelfall, welche die Kläger aus Sicht des Regimes als verdächtig erscheinen lassen und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Die Kläger gehören vielmehr zu der Vielzahl von syrischen Staatsangehörigen, die wegen der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen ausgereist sind. Zudem sind sie gegenüber dem syrischen Regime nicht oppositionell in Erscheinung getreten. Soweit der Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung angab, er lehne ab, was in Syrien passiert sei, und sei mit der dortigen Politik und Regierungsführung nicht einverstanden (vgl. S. 3 und 8 f. des Sitzungsprotokolls), hat die Kammer angesichts der fehlenden Tiefe des dahingehenden Vorbringens nicht den Eindruck gewonnen, dass der Kläger seine innere Haltung bei einer Rückkehr nach Syrien nach außen kundtun (wollen) würde.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.

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