SG Münster, Urteil vom 01.03.2006 - S 3 KG 37/05
Fundstelle
openJur 2021, 25776
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid vom 22.09.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2005 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für August 2005 Kinderzuschlag in Höhe von 140,- € zu zahlen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

Gründe

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Kinderzuschlag für August 2005.

Die Klägerin ist allein erziehende Mutter von zwei minderjährigen Kindern. Seit Juli 2005 erhält sie nur noch für U. einen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 170,-- € monatlich. Die Klägerin hat im August 2005 ein Arbeitsentgelt von brutto 1.072,49 € und netto 833,83 € erhalten. Sie hat eine Miete von 406,60 € monatlich einschließlich Nebenkosten von 35,-- € für Heizung, 60,-- € für Wasser und 58,-- € für sonstige Betriebskosten zu bezahlen

Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 22.09.2005 ab, da das Einkommen der Klägerin die Mindesteinkommensgrenze nach § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) nicht erreiche. Es bestehe möglicherweise ein Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II).

Der Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vom 18.04.2005 hat die Arbeitsgemeinschaft SGB II im Kreis X. durch Bescheid vom 11.08.2005 abgelehnt, da die Klägerin nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB II sei.

Gegen den Bescheid vom 22.09.2005 legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie führte zur Begründung aus, dass sie nicht nachvollziehen könne, wie die Beklagte zu der Ablehnung komme. Sie erkläre nur, dass ihr Einkommen nicht die Mindesteinkommensgrenze erreiche und empfehle ihr, Arbeitslosengeld zu beantragen. Dieses sei aber abgelehnt worden.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 24.10.2005 zurück. Sie führte zur Begründung aus, dass den Kinderzuschlag alle Eltern erhalten sollen, die zwar den elterlichen Bedarf, nicht aber den Bedarf der gesamten Familie durch eigene Einkünfte oder eigenes Vermögen sicherstellen können. Der Kinderzuschlag decke zusammen mit dem Kindergeld und dem auf Kinder entfallenden Wohngeldanteil den durchschnittlichen Bedarf von Kindern an Arbeitslosengeld II ab. Damit könne bei nach § 6a BKGG anspruchsberechtigten Familien durch die Zahlung des Kinderzuschlags regelmäßig Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden werden. Ein Kinderzuschlag werde aber dann nicht gezahlt, wenn die Eltern auch mit Kinderzuschlag die Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II nicht beseitigen könnten. Ein solcher Fall sei hier gegeben. Die Regelleistung nach § 20 SGB II betrage 345,- €. Ferner sei ein Mehrbedarf für Alleinerziehung in Höhe von 124,- € monatlich zu berücksichtigen. Zuzüglich des Elternanteils an den Kosten der Unterkunft in Höhe von 253,88 € (= 62,44 % von 406,60 €) ergebe sich ein Gesamtbedarf von 722,88 €. Dem stehe ein zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 615,09 € gegenüber. Das Kindergeld sei als Einkommen der Kinder hierbei nicht zu berücksichtigen. Ein Vergleich des Bedarfs mit dem Anrechnungsbetrag zeige, dass die Widerspruchsführerin mit ihrem Einkommen den Eigenbedarf nicht decken könne. Deshalb bestehe kein Anspruch auf Kinderzuschlag.

Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, dass Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II nicht gegeben sei, denn sonst wäre der Antrag auf Arbeitslosengeld II positiv beschieden worden. Wenn ihr dann noch gesagt werde, dass sie mehr verdienen müsse, damit ihr Kinderzuschlag zustehe, sei dies nun nicht mehr nachvollziehbar. Der Kinderzuschuss solle die sozial schwachen Familien unterstützen. Sie müsse annehmen, dass ein Leerraum zwischen ALG II und einem bestimmten Verdienst bestehe, wo kein Kinderzuschuss gezahlt werde. Dies könne aber vom Gesetzgeber nicht gewollt sein, wenn der Kinderzuschuss gerade sozial schwache Familien unterstützen solle.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 22.09.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für August 2005 Kinderzuschlag zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.

Ergänzend führt sie aus, dass nach § 6a Abs. 1 BKGG ein Anspruch auf Kinderzuschlag nur dann bestehe, wenn das zu berücksichtigende elterliche Einkommen oder Vermögen zwischen zwei Einkommensgrenzen liege. Für die Eröffnung des Anspruchs müssten Eltern einerseits mindestens über Einkommen oder Vermögen verfügen, das es ihnen ermögliche, ihren eigenen, nach den Vorschriften des SGB II zu errechnenden Mindestbedarf sicherzustellen (Mindesteinkommensgrenze). Der Anspruch entfalle andererseits, wenn das Einkommen die Höchsteinkommensgrenze übersteige.

Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf den Inhalt der Streitakte, der Unterlagen der Beklagten (Kindergeld-Nr.: 000/000 000) und der Unterlagen der Arbeitsgemeinschaft SGB II im Kreis X.f (Az.: 00 000 BG 000000), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidunqsqründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert, da diese rechtswidrig sind.

Die Klägerin hat im August 2005 einen Anspruch auf Gewährung von Kinderzuschlag. Gemäß § 6a Abs. 1 BKGG erhalten Personen für in ihrem Haushalt lebende Kinder, die noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, einen Kinderzuschlag, wenn sie für diese Kinder nach diesem Gesetz oder nach dem 10. Abschnitt des Einkommenssteuergesetzes Anspruch auf Kindergeld oder Anspruch auf andere Leistungen im Sinne von § 4 haben, sie mit Ausnahme des Wohngeldes über Einkommen oder Vermögen im Sinne der §§11, 12 des 2. Buches Sozialgesetzbuch mindestens in Höhe des nach Abs. 4 Satz 1 für sie maßgebenden Betrages und höchstens in Höhe der Summe aus diesem Betrag und dem Gesamtkinderzuschlag nach Abs. 2 verfügen und 3. durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden wird. Nach § 6a Abs. 4 Satz 1 BKGG wird der Kinderzuschlag in voller Höhe gezahlt, wenn das nach den §§ 11 und 12 SGB II mit Ausnahme des Wohngeldes zu berücksichtigende elterliche Einkommen oder Vermögen einem Betrag in Höhe des ohne Berücksichtigung von Kindern jeweils maßgebenden Arbeitslosengeldes II nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II oder des Sozialgeldes nach § 28 Abs. 1 SGB II entspricht. Nach Satz 2 sind dazu die Kosten für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus dem im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Kosten für alleinstehende Ehepaare und Kinder ergibt.

Wird diese Vorschrift wortgetreu ausgelegt, ist die Berechnung der Beklagten nicht zu beanstanden. Diese Auslegung führt jedoch dazu, dass im vorliegenden Fall wie in etlichen anderen Fällen auch der Kinderzuschlag nicht gezahlt werden kann, weil das Einkommen der Klägerin ihren Bedarf für den Lebensunterhalt und ihren Anteil an den Kosten für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 6a Abs. 4 BKGG nicht decken kann, obwohl sie ihren Bedarf nach den Vorschriften des SGB II decken kann. Dies resultiert daraus, dass bei der Berechnung des Bedarfes nach dem SGB II die Kosten für Unterkunft und Heizung anteilig auf die in der Wohnung lebenden Personen aufgeteilt werden. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass als Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II für die Klägerin lediglich 133,43 € zu berücksichtigen sind. Nach § 6a Abs. 4 Satz 2 BKGG sind die Kosten für Unterkunft und Heizung jedoch in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus dem im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Kosten für alleinstehende Ehepaare und Kinder ergibt. Danach beträgt der Anteil der Klägerin an den Kosten der Unterkunft 62,44 %, also 253,88 €. Nach dieser Berechnung resultiert für die Klägerin ein Gesamtbedarf von 722,88 €, während nach der Berechnung nach SGB II ein Bedarf der Klägerin in Höhe von 602,43 € besteht. Dem steht ein zu berücksichtigendes Einkommen der Klägerin von 615,09 € gegenüber, die Klägerin ihren.

Nach Auffassung der Kammer entspricht dieses Ergebnis nicht der Intention des Gesetzgebers. Diese Auslegung führt immer wieder dazu, dass die Gewährung von ALG II abgelehnt wird, weil das Einkommen der Eltern ihren Bedarf nach dem SGB 2 deckt, und sie auf den Kinderzuschlag verwiesen werden, dieser aber abgelehnt wird, weil das Einkommen der Eltern zu niedrig ist.

Gemäß § 6a Abs. 1 Nr. 3 BKGG soll aber Kinderzuschlag gewährt werden, wenn die Eltern ihren eigenen Bedarf, aber nicht den ihrer Kinder decken können und durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden wird. Berücksichtigt man den Gesamtbedarf der Familie der Klägerin nach dem SGB II in Höhe von 1.159,30 € und das Einkommen der Familie inklusive des Kindergeldes und des Unterhaltsvorschusses, wird der Bedarf bei Zahlung des Kinderzuschlages für ein Kind voll gedeckt. ( Für U. besteht kein Anspruch, da der Unterhaltsvorschuss den Höchstbetrag als Kinderzuschuss übersteigt - § 6 a Abs. 3 BKGG) Durch die Zahlung des Kinderzuschlages würde also Hilfebedürftigkeit vermieden.

Nach § 6 a Abs 4 S 1 BKGG wird der Kinderzuschlag in voller Höhe gezahlt, wenn das

nach den §§ 11 und 12 SGB 2 mit Ausnahme des Wohngeldes zu berücksichtigende elterliche Einkommen oder Vermögen einem Betrag in Höhe des ohne Berücksichtigung von Kindern jeweils maßgebenden Arbeitslosengeldes II nach § 19 S. 1 Nr. 1 SGB 2 entspricht. Danach wollte der Gesetzgeber den Eltern mit einem Einkommen, das ihren nach den Vorschriften des SGB 2 errechneten Bedarf deckt, den vollen Kinderzuschlag zubilligen.

Das Gericht geht davon aus, dass der Gesetzgeber mit der Berechnung des Bedarfes für die Unterkunft nach § 6a Abs. 4 BKGG eine Begünstigung der Eltern erreichen wollte, gering verdienenden Eltern also den Zugang zum Kinderzuschlag erleichtern wollte. Wie sich aus § 6a Abs. 1 Nr. 3 BKGG ergibt, wollte er gerade durch die Gewährung von Kinderzuschlag bei möglichst vielen Eltern die Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermeiden. Dies kann aber nur bedeuten, dass für die Frage, ob überhaupt ein Anspruch auf Kinderzuschlag besteht, bei der Berechnung des Bedarfes für die Eltern zunächst allein auf die Vorschriften des SGB II zurückgegriffen werden muss. Wenn das Einkommen der Eltern ihren Bedarf nach der Berechnung der Vorschriften des SGB II deckt und der Gesamtbedarf von Eltern und Kindern durch das Einkommen, welches nach SGB II zu berechnen ist zuzüglich des vollen Anspruchs auf Kinderzuschlag den Gesamtbedarf decken kann, ist Kinderzuschlag zu zahlen. Die Bedarfsberechnung nach §

6a Abs. 4 BKGG kann nach der Überzeugung des Gerichts erst dann eingreifen, wenn die Höhe des zu zahlenden Kinderzuschlages berechnet wird. Dies bedeutet, dass bei Vorliegen der oben aufgeführten Voraussetzungen der Kinderzuschlag in vollem Umfange zu zahlen ist, solange das Einkommen die Mindesteinkommensgrenze nach § 6a Abs. 4 BKGG nicht erreicht. Wird diese Mindesteinkommensgrenze überschritten, erfolgt die Minderung des zu zahlenden Kinderzuschlages im Rahmen des § 6a Abs. 4 Satz 3 bis 8 BKGG. Allein diese Auslegung wird nach der Überzeugung des Gerichts der Intention des § 6a BKGG gerecht.

Bei einer anderen Auslegung könnte auch nur in ganz seltenen Fällen der Kinderzuschlag in voller Höhe in Betracht kommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits die Berufung und die Sprungrevision zugelassen.

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