VG Sigmaringen, Urteil vom 14.07.2021 - 4 K 5610/19
Fundstelle
openJur 2021, 23016
  • Rkr:

Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO findet bei Gebäuden ohne Aufenthaltsräume nur dann Anwendung, wenn alle Wände des Gebäudes eine Wandhöhe von 3 m nicht überschreiten.

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 2019 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums T. vom 10. Oktober 2019 werden aufgehoben, soweit dem Beigeladenen damit ein grenzständiger Abstellraum genehmigt wurde.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt 8/10, die Beklagte und der Beigeladene jeweils 1/10 der Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Die Zuziehung des Bevollmächtigten des Klägers im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Änderung und zum Ausbau des Dachgeschosses und zum Einbau weiterer Wohnungen in das auf dem Nachbargrundstück bereits vorhandene Gebäude.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Flst.nr. .../7 in der A.-E.-Straße ... in ... R.. Das Vorhabengrundstück des Beigeladenen (Flst.nr. .../3, A.-B.-Straße ...) liegt südlich des klägerischen Grundstücks. Sowohl das Vorhabengrundstück als auch das klägerische Grundstück liegen im Geltungsbereich des Ortsbauplans "G." aus dem Jahr 1958. Der Ortsbauplan setzt auf der Westseite des Vorhabengrundstücks zur A.-E.-Straße und auf der Südseite zur A.-B.-Straße eine Baulinie fest; auf der nördlichen Seite, zum Grundstück des Klägers hin, ist eine solche Festsetzung nicht erfolgt. Des Weiteren ist eine Bauverbotszone - beginnend im nordöstlichen Teil des Vorhabengrundstücks und sich weiter nach Norden und Osten ausdehnend - festgesetzt.

...Abbildung aus Bauantrag vom 27. Oktober 2017

Am 2. Februar 2015 beantragte der Beigeladene die Befreiung für eine Überschreitung der geplanten Grenzgarage an der nordöstlichen Ecke seines Grundstücks in die Bauverbotszone um 95 cm.

Mit Schreiben vom 19. Februar 2015 erhob der Kläger hiergegen Einwendungen. Der Abstand vom Gebäude bis zur Grundstücksgrenze betrage lediglich 2,45 m, so dass der Bau einer Garage nicht möglich sei. Außerdem befinde sich bereits eine Garage auf dem Grundstück. Des Weiteren bekäme seine Terrasse kein Licht mehr und sei es ihm aufgrund des geringen Abstands zwischen der Garage und seinem Gebäude nicht mehr möglich, Reparaturen an seinem eigenen Haus auf dieser Seite vorzunehmen.

Mit Bescheid der Beklagten vom 28. April 2015 wurde dem Beigeladenen die beantragte Befreiung unter Zurückweisung der Einwendung gewährt.

Mit Antrag vom 27. Oktober 2017 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zur Änderung und zum Ausbau des Dachgeschosses und zum Einbau weiterer Wohnungen in das auf dem Nachbargrundstück bereits vorhandene Gebäude. Nach den eingereichten Antragsunterlagen soll die an dieser Stelle befindliche Grenzgarage erweitert und als Abstellraum genutzt werden.

Mit Schreiben vom 22. Oktober 2018, am selben Tag per Einschreiben zur Post gegeben, wurde der Kläger über das Vorhaben benachrichtigt. Mit am 20. November 2018 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 15. November 2018 erhob er Einwendungen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Einwendungen ausschließlich auf die an seiner Grundstücksgrenze befindliche Nebenanlage bezögen. Die zulässige Gesamtlänge nach § 6 Abs. 1 Satz 3 LBO werde überschritten. Es befänden sich bereits eine Garage mit 6,55 m sowie ein Anbau mit 5 m Länge an den Grenzen. Mit dem geplanten Abstellraum von 5,90 m werde die zulässige Gesamtlänge von 15 m daher deutlich überschritten. Die im Jahr 2015 erteilte Befreiung habe sich nur auf die damals beantragten Ausmaße der Garage bezogen und dennoch habe der Beigeladene die Garage eigenmächtig um 50 cm breiter errichtet. Die Höhe sei ebenfalls verändert worden. Anstelle der genehmigten 3 m liege die Ausführung bei rund 4,50 m. Es werde nunmehr versucht, diese Überschreitungen nachträglich genehmigen zu lassen. Allerdings seien hierdurch nachbarschützende Rechte verletzt. Einerseits werde in die Bauverbotsfläche des Ortsbauplans gebaut, welche insoweit nachbarschützende Wirkung habe, als hierdurch ausreichend Belichtung und Belüftung gewährt werden solle. Die Terrasse und das Küchenfenster würden nicht ausreichend belüftet und belichtet. Eine Instandhaltung des eigenen Gebäudes sei bei einem dann noch vorhandenen Abstand von 80 cm nicht mehr möglich. Außerdem bestünden brandschutzrechtliche Bedenken und sei die Nebenanlage nicht an eine Garage oder ein Gebäude angebaut. Eine Notwendigkeit für die Garage bestehe nicht, zumal sich das Vorhaben hinsichtlich der überbauten Fläche nicht einfüge.

Am 27. Dezember 2018 übernahmen die Eigentümer des östlich gelegenen Grundstücks Flst.nr .../1 eine Baulast in der nordwestlichen Ecke ihres Grundstücks mit einer Breite (West-Ost) von 2,50 m und einer Länge (Nord-Süd) von 3 m zugunsten des Grundstücks des Beigeladenen.

Mit Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 2019 wurde dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung erteilt. Zur Zurückweisung der Einwendungen des Klägers wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Nebenanlage nicht in Richtung des Klägers, sondern in Richtung des Beigeladenen erweitert worden sei. Durch die Übernahme der Abstandsflächenbaulast seien die Maße nach § 6 Abs. 1 Satz 3 LBO eingehalten. Die Wandhöhe betrage 3 m und sei zulässig, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO. Eine Belichtung erfolge vorrangig von Osten; außerdem könne der Bauherr nichts dafür, dass die Terrasse so nah an der Grundstücksgrenze liege. Das Bauverbot sei bereits mehrfach in der näheren Umgebung nicht eingehalten worden; zudem würden dadurch keine nachbarschützenden Rechte verletzt. Eine Verletzung brandschutztechnischer Vorschriften sei nicht ersichtlich. Die überbaubare Grundstücksfläche werde nur geringfügig überschritten und sei für den Kläger ohne Auswirkung.

Am 20. Februar 2019 legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die Erweiterung des Vorhabens in seine Richtung erfolgt sei. Auf die übernommene Baulast könne es nicht ankommen. Falsch sei, dass die Höhe nur 3 m betrage; tatsächlich sei die Garage deutlich höher. Außerdem handle es sich nicht um eine Nebenanlage, sondern einen Anbau. Die Dachneigung von 35° werde bezweifelt. Die Überschreitung der Gesamtlänge der Grenzbebauung von 15 m werde im Bescheid außen vorgelassen. Die Begründung, dass die Bauverbotsfläche nur geringfügig bebaut werde, beseitige die Rechtswidrigkeit nicht. Außerdem sei das Grundstück bereits jetzt massiv bebaut, so dass ein Einfügen der Art nach nicht gegeben sei. Mit Schriftsatz vom 1. April 2019 brachte der Kläger weiter vor, dass im Obergeschoss der bisher vorhandene Balkon integriert werde und dadurch eine weitergehende Verschattung entstehe.

Der am 18. März 2019 gestellte Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 4 VwGO wurde mit Schreiben vom 1. April 2019 abgelehnt.

Mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 10. Oktober 2019, zugestellt am 15. Oktober 2019, wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Wandhöhe des Abstellraumes inklusive der Entwässerung 3 m betrage und damit die Privilegierungsmaße eingehalten würden. Es handle sich auch nicht deshalb um einen Gebäudeteil, weil eine gemeinsame Trennwand vorhanden sei. Brandschutzvorschriften seien nicht verletzt. Mit dem Vorbringen hinsichtlich des Obergeschosses sei der Kläger präkludiert. Zudem sei ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften nicht gegeben. Das Rücksichtnahmegebot sei ebenfalls nicht verletzt. Die Anlage sei in den Abstandsflächen zulässig und die Terrasse des Klägers sei nicht schutzwürdig, da diese die Abstandsfläche nicht einhalte. Jedenfalls sei keine unzumutbare Beeinträchtigung gegeben.

Der Kläger hat am 14. November 2019 Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. Zur Begründung gibt er an, dass er sich gegen die erteilte Baugenehmigung insoweit wende, als ein "Abstellraum/Nebengebäude" genehmigt werde. Er wiederholt im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus, dass der Beigeladene in der nordöstlichen Ecke seines Grundstücks eine entlang der gesamten Grundstücksfläche verlaufende, 2,65 m hohe Ziegelwand errichtet habe, die aufgrund ihrer Höhe gebäudeähnliche Wirkung entfalte und daher eine Abstandsfläche einhalten müsse. Die Mauer sei der Gesamtlänge hinzuzurechnen, womit die Voraussetzungen nach § 6 Abs. 1 Satz 3 LBO nicht erfüllt seien. Außerdem sei die Wand der Nebenanlage zwar an der Grenzseite 3 m hoch, jedoch erreiche sie an der Westseite eine Höhe von 4,50 m, weswegen § 6 LBO zusätzlich nicht einschlägig sei. Außerdem sei eine Baulinie überschritten worden, die auch dem Nachbarschutz diene. Der Gebietscharakter (lockere Bebauung mit Einfamilienhäusern) werde wegen der Überschreitung der Baugrenzen nicht eingehalten. Außerdem sei die Baugenehmigung rechtswidrig, da Grundzüge der Planung berührt seien. Auch überschreite das Vorhaben die in diesem Bereich nachbarschützende Grundflächen- sowie Geschossflächenzahl. Überdies habe der Beigeladene mit der Errichtung einer nicht genehmigten Terrasse begonnen und einen nicht genehmigten Stellplatz errichtet. Insgesamt entspreche die bereits erfolgte Bauausführung nicht der Genehmigung.

Der Kläger beantragt,

die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 22. Januar 2019 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums T. vom 10. Oktober 2019 aufzuheben sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt die Beklagte unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide und teilweiser Wiederholung der darin enthaltenen Ausführungen ergänzend im Wesentlichen aus, dass der Anbau als Nebenanlage und nicht als Wohnraum genehmigt worden sei. Die Anlage sei in Richtung des Beigeladenen erweitert worden. Die Mauer sei mittlerweile genehmigt und benötige keine Abstandsfläche, § 6 Abs. 1 Nr. 3 LBO. Da es sich bei der Mauer um kein Gebäude handle, falle sie nicht unter § 6 Abs. 1 Satz 3 LBO. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot sei nicht ersichtlich, insbesondere bleibe die Grundfläche durch den Umbau unverändert und entspreche die geplante Höhe der des Gebäudes des Klägers.

Der Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat sich nicht zum Verfahren geäußert.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Inaugenscheinnahme des Vorhabengrundstücks und seiner näheren Umgebung. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung nebst Anlagen verwiesen.

Dem Gericht liegen die Behördenakten und der Ortsbauplan "G." vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird hierauf sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.

Gründe

Die Klage hat nur teilweise Erfolg. Die Baugenehmigung vom 22. Januar 2019 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 10. Oktober 2019 sind insoweit rechtswidrig und der Kläger hierdurch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), als die Nebenanlage mit Abstellraum die erforderliche Abstandsfläche nicht einhält (II.). Im Übrigen ist die Klage bereits unzulässig (I.).

I.

Die Klage ist nur zum Teil zulässig.

1. Die Klage ist, soweit sie sich auch auf über die Nebenanlage hinausgehende Teile der Baugenehmigung wie beispielsweise den weiteren Einbau von Wohnungen bezieht, bereits unzulässig. Denn der Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 2019 ist insoweit bereits bestandskräftig.

Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat.

Diese Frist hat der Kläger, soweit es sich um die über das Nebengebäude hinausgehende Bestandteile der Baugenehmigung handelt, nicht eingehalten. Ausweislich seiner Widerspruchsbegründung bezieht er sich darauf, dass seinen Einwendungen zu Unrecht widersprochen worden sei. Aus den Einwendungen ergibt sich, dass diese sich ausschließlich auf die an seiner Grundstücksgrenze befindliche Nebenanlage beziehen, so dass die Baugenehmigung nur insoweit mittels Widerspruch angegriffen worden und im Übrigen bestandskräftig geworden ist.

Selbst wenn man dem nicht folgen sollte, ist die Baugenehmigung jedenfalls nach Erlass des zurückweisenden Widerspruchs in diesen Teilen bestandskräftig geworden, da der Kläger mit seiner Klage ebenfalls die Baugenehmigung nur insoweit angegriffen hat, als sie die Nebenanlage betrifft (siehe hierzu die innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingegangene Klageschrift). Dem steht nicht entgegen, dass der in der Klageschrift angekündigte Klageantrag die Baugenehmigung insgesamt angegriffen hatte, denn sowohl in der nachfolgenden Begründung als auch in den nachfolgenden Schriftsätzen wird auf die Rechtswidrigkeit der Nebenanlage abgehoben. Soweit die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung auf die überbaubare Grundstücksfläche gestützt wird, so wird auch in diesem Zusammenhang immer auf die Nebenanlage verwiesen und ausgeführt, dass durch deren Verwirklichung eine Verletzung erfolge. Der ausgehend hiervon erstmalige Angriff der Baugenehmigung im Klageverfahren während der mündlichen Verhandlung erfolgt damit verspätet.

2. Im Hinblick auf die Nebenanlage ist die Klage zulässig, insbesondere ist insoweit sowohl die Widerspruchs- als auch die Klagefrist gewahrt.

II.

Die erteilte Baugenehmigung ist, soweit sie die Nebenanlage als Abstellraum genehmigt, rechtswidrig, weil die erforderliche, nachbarschützende Abstandsfläche nicht eingehalten wird, §§ 5 ff. LBO. Die Nebenanlage unterfällt nicht der Privilegierungsvorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO. Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO findet bei Gebäuden ohne Aufenthaltsräume nur dann Anwendung, wenn alle Wände des Gebäudes eine Wandhöhe von 3 m nicht überschreiten. Diese Anforderung ist vorliegend nicht erfüllt. Die Baugenehmigung verletzt den Kläger damit insoweit in ihn schützenden Rechten (1.). Weitere Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften liegen hingegen nicht vor (2.).

1. Die Nebenanlage mit Abstellraum ist nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO privilegiert, so dass sie nach § 5 LBO Abstandsflächen auf ihrem Grundstück von mindestens 2,50 m einhalten muss, § 5 Abs. 1, 2, 4, 7 LBO. Diese Anforderungen werden im Hinblick auf die nördliche, dem klägerischen Grundstück zugewandte Wand, nicht erfüllt, da die Wand sich dort auf der Grenze befindet.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO sind in den Abstandsflächen baulicher Anlagen sowie ohne eigene Abstandsflächen Garagen, Gewächshäuser und Gebäude ohne Aufenthaltsräume mit einer Wandhöhe bis 3 m und einer Wandfläche bis 25 m² zulässig. Die Nebenanlage mit Abstellraum hält jedenfalls die hierin vorgegebenen Maße nicht ein.

a. Offen bleiben kann vorliegend, ob die Nebenanlage als Gebäude i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO anzusehen ist, da der hierin befindliche Abstellraum auf seiner Südseite keine eigene Wand aufweist, sondern nur über einen geringen Bereich durch die nordöstliche Hauswand begrenzt wird. Zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten weist das Gericht daraufhin, dass eine hier nicht zu prüfende Genehmigungsfähigkeit bei Nutzung des Raums als erweiterte Terrasse oder Loggia - die bei der derzeitigen Ausgestaltung naheliegt - wegen Verstoßes gegen die einzuhaltende Abstandsfläche nicht gegeben wäre.

Nach § 2 Abs. 2 LBO sind Gebäude selbstständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und geeignet sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen. Dieser Begrifflichkeit liegt allerdings des Weiteren zugrunde, dass eine irgendwie geartete seitliche Begrenzung vorhanden ist, da sich aus der Systematik des Gesetzes ergibt, dass Gebäude einen umbauten Raum aufweisen (vgl. v.a. Nr. 1 Buchst. a) des Anhangs zu § 50 Abs. 1, wo auf Rauminhalte Bezug genommen wird). Von einem umbauten Raum kann man aber nur bei raumartigen Gebilden sprechen, also bei baulichen Anlagen, die eine Raumwirkung haben. Deshalb gehört zum Gebäudebegriff das Vorliegen einer solchen Raumwirkung. Ein Dach allein erzeugt noch keine solche Raumwirkung. Deshalb liegt kein Gebäude vor, wenn es sich um eine Überdeckung handelt, die nur auf einer oder mehreren Mittelstützen ruht oder einseitig auskragt, z.B. Überdachungen von Tankstellen, Bahnsteigen oder Haltestellen. Das Erfordernis einer Raumwirkung ergibt sich aus dem gesetzlichen Erfordernis der Betretbarkeit. Nach allgemeinem Sprachgebrauch kann nur ein Raum betreten werden. Andererseits ist für ein Gebäude nicht begriffsnotwendig, dass allseits geschlossene Wände vorhanden sind. Maßgebend ist allein, ob der Eindruck eines abgegrenzten Raumes entsteht und damit auch ein umbauter Raum ermittelt werden kann. Deshalb genügt für die Annahme eines Gebäudes, wenn die Abgrenzung gegen das Freie hinreichend deutlich durch Pfeiler, Stützen, Brüstungen und dergleichen erfolgt (Sauter, LBO, Stand Januar 2019, § 2 Rn. 42).

b. Zwar handelt es sich bei der Nebenanlage mit Abstellraum um ein privilegiertes Gebäude nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO, jedoch wird die in dieser Vorschrift enthaltene Wandhöhe nicht von allen Wänden eingehalten, so dass die Privilegierung insgesamt entfällt.

aa. Der Kläger ist mit seinen Einwendungen hinsichtlich des Abstandsflächenrechts nicht nach § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO präkludiert, weil er sie rechtzeitig innerhalb der 4-Wochen-Frist geltend gemacht hat. Im Übrigen dürfte die Präklusionsvorschrift vorliegend auch nicht greifen, da es dem Gericht nicht möglich ist, den wirksamen Ausschluss zu prüfen. Denn das Anhörungsschreiben, in dem möglicherweise auch auf die Präklusionsvorschrift hingewiesen wurde, ist in den vorgelegten Akten nicht zu finden, § 55 Abs. 2 Satz 3 LBO (vgl. zu den Voraussetzungen Gassner, in: BeckOK BauordnungsR BW, 17. Ed. - Stand 1. April 2021, BWLBO § 55 Rn. 47 f.).

bb. Die Nebenanlage mit Abstellraum ist der Baugenehmigung nach ein Gebäude ohne Aufenthaltsraum. Gemäß § 2 Abs. 7 LBO sind Aufenthaltsräume Räume, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind. Bei dem hier genehmigten Abstellraum handelt es sich um keinen dem nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmten oder geeigneten Raum. Unschädlich ist dabei auch, dass ein geringer Teil der nordöstlichen Hauswand als Teil der Nebenanlage fungiert, denn es ist nicht Voraussetzung, dass ein Gebäude eine Wand ausschließlich für sich alleine verwendet; die Nebenanlage wird dadurch nicht zum Gebäudeteil des Hauptgebäudes.

Allerdings kann dies nur dann gelten, wenn darüber hinaus auch kein untrennbarer Funktionszusammenhang mit Nutzungseinheiten im angrenzenden Gebäudeteil besteht, wie z.B. bei Wohnungsfluren und Sanitärräumen mit der zugehörigen Wohnung. Es muss sich vielmehr um Räume handeln, die nach ihrer Nutzung auch in Nebengebäuden üblich sind, z.B. Garagen, Abstellräume, Heizräume und Lagerräume. Darüber hinaus sind auch Räume zulässig, die von ihrer Funktion her unbedeutend sind und deshalb einen Funktionszusammenhang mit Nutzungseinheiten im angrenzenden Gebäudeteil nicht herzustellen vermögen (Sauter, LBO, Stand Januar 2019, § 6 Rn. 7). Ein solcher untrennbarer Funktionszusammenhang liegt hier nicht vor, da das Gebäude ausweislich der der Baugenehmigung zugrundeliegenden Planunterlagen keine direkte Verbindung zum Hauptgebäude hat. Der Zutritt erfolgt vorliegend entweder über die Westseite, an der eine Doppeltür verwirklicht werden soll, oder über die Südseite vom Terrassenbereich aus, an der keine Wand vorhanden ist. Ein untrennbarer Funktionszusammenhang kann auch nicht deswegen angenommen werden, weil es naheliegt, die Nebenanlage als erweiterte Terrasse oder Loggia zu nutzen und dadurch einen funktionellen Zusammenhang zur Wohnnutzung im Hauptgebäude herzustellen, denn durch die Baugenehmigung ist ein Abstellraum genehmigt worden, bei dem ein solcher untrennbarer funktionaler Zusammenhang vorliegend nicht gegeben ist.

cc. Die Nebenanlage hält die maximal zulässige Wandhöhe von 3 m nicht an allen Wänden ein. Denn an den nicht dem klägerischen Grundstück zugewandten Seiten wird jeweils diese Wandhöhe überschritten. Die südliche Wand des Vorhabens weist sogar eine Wandhöhe, aufgrund der auf der Betondecke des Abstellgebäudes angebrachten Wandscheibe, - trotz der fehlenden Wand unterhalb des Daches (teilweise fiktive Außenwand) - von 4,50 m auf.

Die privilegierten Vorhaben in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO teilen nach der Systematik der Landesbauordnung nicht dasselbe Schicksal und sind daher auch im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO unterschiedlich zu bewerten. Während Garagen nach § 2 Abs. 8 Satz 2 LBO auch Gebäudeteile sein können, sind Gewächshäuser - nach dem Wortsinn - nur selbstständige Gebäude. Auch bei den Gebäuden ohne Aufenthaltsräume ist der Anwendungsbereich der Vorschrift auf selbstständige Gebäude beschrankt; Gebäudeteile müssen hingegen Abstandsflächen einhalten, auch wenn sie keine Aufenthaltsräume enthalten. Die Beschränkung auf Gebäude ist erforderlich, da andernfalls Wohngebäude mit Gebäudeteilen ohne Aufenthaltsräume im Widerspruch zu den planungsrechtlichen Vorschriften über die Bauweise an Grundstücksgrenzen zulässig wären. Aus dieser Unterscheidung zwischen selbstständigen Gebäuden ergibt sich folglich auch, dass bei Gewächshäusern und Gebäuden ohne Aufenthaltsräume alle Wände die in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO normierten Höchstmaße einhalten müssen. Bei Garagen gilt die Privilegierung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO nach der Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 8 LBO - siehe bereits oben - auch für Gebäudeteile mit der Folge, dass die Vorschrift für Wände mit einer Wandhöhe bis 3 m und einer Wandfläche bis 25 m² Anwendung findet, während vor den höheren oder größeren Wänden des Gebäudes Abstandsflächen einzuhalten sind (siehe hierzu Sauter, LBO, Stand Januar 2019, § 6 Rn. 13 f.).

Für diese Auslegung streiten sowohl der Wortlaut der Norm als auch die Gesetzessystematik. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO nimmt hinsichtlich des Wortlauts keine Einschränkung der Wandhöhe auf die "Grenzwand" o.Ä. vor, sondern formuliert, dass "Gebäude ohne Aufenthaltsräume mit einer Wandhöhe bis 3 m" zulässig sind. Dies spricht dafür, dass damit nicht nur einzelne Wände die normierte Wandhöhe einhalten müssen, sondern alle Wände des Gebäudes, also ebenso die vom Nachbarn abgewandten. Auch die Systematik des Abstandsflächenrechts spricht für diese Auslegung. § 5 LBO regelt den Grundsatz, dass vor den Außenwänden baulicher Anlagen auf dem Grundstück selbst Abstandsflächen liegen müssen. § 6 LBO normiert sodann Ausnahmen von diesem Grundsatz, woraus folgt, dass aufgrund dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses die Norm des § 6 LBO eng auszulegen ist und unter Berücksichtigung des Wortlauts alle Wände die Wandhöhe von 3 m nicht überschreiten dürfen. Systemgerecht lässt sich vor diesem Hintergrund auch die oben bereits dargelegte differenzierte Behandlung von Garagen erklären, da Garagen nicht immer selbstständige Gebäude sind bzw. sein müssen, und sich daher bei den Garagen das Erfordernis der Wandhöhe auch nur auf den Gebäudeteil beziehen kann, der an der Grenze verwirklicht ist.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Nachbar vorwiegend nur durch die ihm gegenüberliegende, grenzständige Wand belastet ist und die Belastung aufgrund der Kubatur der baulichen Anlage unabhängig von der Nutzung als Garage oder als Gebäude ohne Aufenthaltsräume wirkt. Denn der in § 5 LBO enthaltene Grundsatz des Einhaltens von Abstandsflächen, die einer ausreichenden Belüftung und Beleuchtung der baulichen Anlagen und der nicht bebauten Grundstucksteile dienen und damit auch gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sicherstellen sollen (Sauter, LBO, Stand Januar 2019, § 5 Rn. 3), schützt den Nachbarn insgesamt und die Verwirklichung eines Vorhabens in den Abstandsflächen und ohne eigene Abstandsflächen schränkt die Wirkweise der Abstandsflächen hinsichtlich der Belüftung und Beleuchtung grundsätzlich ein. Entsprechend dem oben dargestellten Regel-Ausnahme-Verhältnis, der systemimmanenten differenzierten Betrachtungsweise von Garagen und dem Wortlaut der Norm ist dementsprechend eine allein auf den Nachbarn bezogene Auslegung der Norm nicht angezeigt. Hierfür spricht auch, dass eine Verletzung des Abstandsflächenrechts auch dann grundsätzlich nachbarschützende Wirkung hat, wenn deren Verletzung nicht zu einer konkreten Beeinträchtigung des Nachbarn führt (Sauter, LBO, Stand Januar 2019, § 5 Rn. 10; vgl. zu den Voraussetzungen des Drittschutzes einer Norm BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 8.84 -, juris Rn. 12).

Die vom Kläger zudem geltende gemachte Überschreitung der nach § 6 Abs. 1 Satz 3 LBO zulässigen Bebauung entlang der gesamten Nachbargrenzen von 15 m ist - unabhängig von deren Vorliegen - nicht nachbarschützend (Sauter, LBO, Stand Januar 2019, § 6 Rn. 24).

2. Darüber hinausgehende Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften sind nicht ersichtlich.

a. Die erteilte Befreiung vom Bauverbot ist auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen (§ 31 Abs. 2 BauGB) hinzunehmen.

Ein Verstoß aufgrund der Befreiung von drittschützenden Normen ist nicht ersichtlich, § 31 Abs. 2 BauGB. § 31 Abs. 2 BauGB ist jedenfalls insoweit nachbarschützend, als von einer nachbarschützenden Norm Befreiung erteilt wird. Wird von einer solchen nachbarschützenden Norm befreit, so stellt jedwede Befreiung, die von § 31 Abs. 2 BauGB nicht gedeckt ist, eine Verletzung nachbarlicher Rechte dar, ohne dass es auf das Gebot der Rücksichtnahme ankommt. Wird von einer nicht nachbarschützenden Norm ohne Vorliegen der Voraussetzungen hierfür befreit, so kommt ein nachbarlicher Abwehranspruch nur bei einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme in Betracht (Dürr/Leven/Speckmaier, Baurecht Baden-Württemberg, 15. Aufl., Rn. 303 m.w.N.).

Dass die Festsetzung des Bauverbots (vgl. Art. 11 Abs. 4, Art. 1a Abs. 1 der Württembergischen Bauordnung vom 28. Juli 1910 i.d.F. vom 15. Dezember 1933) nachbarlichen Interessen dienen sollte, ist nicht ersichtlich. Diese Festsetzung dürfte vielmehr unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit erfolgt sein, dass dieser Bereich unter städtebaulichen Gesichtspunkten von Bebauung freizuhalten ist (siehe hierzu auch § 8 Abs. 2 Buchst. e) des Aufbaugesetzes vom 18. August 1948). Gleiches gilt für die vordere, straßenseitige Baulinie, die vorliegend jedoch nicht ansatzweise überschritten wurde. Dieser kommt regelmäßig keine nachbarschützende Wirkung zu (Hornmann, in: BeckOK BauNVO 21. Ed. 15.3.2020, BauNVO § 23 Rn. 83). Soweit der Kläger auf seitliche oder hintere Baulinien abstellt, sind diese im Ortsbauplan nicht festgesetzt.

Hinzu kommt, dass der Kläger selbst massiv in das Bauverbot hineingebaut hat und aufgrund dessen seine Schutzwürdigkeit im Zuge des nachbarlichen Austauschverhältnisses reduziert ist (vgl. die Anforderungen an einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juni 1989 - 8 S 2033/88 -, juris Rn. 23).

b. Ein Verstoß gegen Brandschutzvorschriften ist ebenfalls nicht ersichtlich und auch nicht substantiiert geltend gemacht worden.

c. Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass sich der Beigeladene nicht an die ihm erteilte Genehmigung hält, wirkt sich dies nicht auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung aus. Einem etwaigen Verstoß ist mit den bauaufsichtsrechtlichen Mitteln zu begegnen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3, § 159 Satz 1 VwGO. Vorliegend entspricht es billigem Ermessen, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen in Höhe dessen Obsiegens aufzuerlegen, da sich der Beigeladene durch die Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, so dass er zum Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Die Zuziehung des klägerischen Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren war aufgrund der Komplexität der rechtlichen und tatsächlichen Fragestellungen notwendig, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.

Das Gericht macht vom Ermessen über die Entscheidung, das Urteil gemäß § 167 Abs. 2 VwGO für vorläufig vollstreckbar zu erklären, keinen Gebrauch.

IV.

Die Berufung ist aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob sich die zulässige Wandhöhe von 3 m bei Gebäuden ohne Aufenthaltsräume in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO auf alle Wände des Gebäudes bezieht, zuzulassen, § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

Beschluss vom 15. Juni 2021

Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs, wobei für eine Baunachbarklage in der vorliegenden Situation nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg regelmäßig ein Streitwert von 10.000 € festzusetzen ist (Beschluss vom 13. August 2014 - 8 S 979/14, juris Rn. 6).

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