LG Arnsberg, Urteil vom 18.10.2019 - 2 O 493/18
Fundstelle
openJur 2021, 21295
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Zusammenhang mit der Abgasthematik.

Der Kläger erwarb im Jahr 2015 einen B als Gebrauchtwagen mit Baujahr 2013 zu einem Kaufpreis von 24.300,00 €. Im vom Kläger gekauften Fahrzeug befindet sich ein Dieselmotor des Typs F.

Der Kläger finanzierte das Fahrzeug über ein Darlehen der B Bank (vgl. Anlage K3), die Nettodarlehenssumme betrug 23.300,00 € bei einer Anzahlung von 1.000,00 € und einem Gesamtdarlehensbetrag von 25.974,04€.

Der Kläger beauftragte zur vorgerichtlichen Geltendmachung seiner Rechte seine hiesigen Prozessvertreter. Mit anwaltlichem Schreiben vom 23.07.2018 forderte der Kläger die Beklagte mit Fristsetzung bis zum 06.08.2018 zur Zahlung von insgesamt 8.102,29 € sowie Freistellung von den noch ausstehenden Darlehensraten auf, Zug um Zug gegen Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs und Abtretung des Anwartschaftsrechts auf Übereignung des Fahrzeugs.

Das Fahrzeug ist bisher von keinem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (nachfolgend: KBA) betroffen.

Der Kläger behauptet, auch die von der Beklagten in den Verkehr gebrachten Motoren des Typs F enthalten unzulässige Abschalteinrichtungen. Die Motoren der Modellreihe F seien mit einer Steuerungssoftware ausgestaltet, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte oder im üblichen Straßenverkehr befindet, sodass die eingebaute Software auf dem Prüfstand ein anderes Motorenprogramm abspielt als im Normalbetrieb. Das von der Beklagten in der Motorsteuerungssoftware hinterlegte sog. Thermofenster sei eine unzulässige Abschalteinrichtung. Er ist der Ansicht, darauf käme es aber nicht an, da das Fahrzeug bereits aufgrund der deutlich erhöhten Stickoxidwerte im Realbetrieb erheblich mangelbehaftet sei.

Ursprünglich beantragte der Kläger, die Beklagte zur Zahlung von 8.455,70 € und Freistellung von weiteren Verbindlichkeiten in Höhe von 14.804,02 € zu verurteilen. Hinsichtlich der Differenz zu den ursprünglichen Anträgen erklärte der Kläger den Rechtsstreit für erledigt und beantragte, die Kosten insoweit der Beklagten aufzuerlegen. Nach Aktualisierung der Kilometerlaufleistung und der getilgten Darlehensraten beantragt der Kläger nunmehr,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.810,25 € sowie Zinsen in Höhe von 1.341,80 €, nebst weiterer Zinsen aus 16.112,38 € in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 01.09.2019 zu zahlen und ihn von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der B Bank aus dem Darlehensvertrag zur Darlehensvertragsnummer 0000000 in Höhe von derzeit noch 10.861,66 € freizustellen, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges B mit der Fahrzeugidentifikationsnummer XXXXXX und Übertragung des ihm gegenüber der B Bank zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeugs.

2.

Festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten Fahrzeugs seit dem 07.08.2018 in Annahmeverzug befindet.

3.

Die Beklagte zu verurteilen, an die C Rechtsschutzversicherung AG zur Schadennummer 000000 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 942,84 € und an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 300,00 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten sowie den Kläger von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten Höhe von 468,86 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet den Kauf und dessen Modalitäten mit Nichtwissen. Weiter behauptet sie, im Fahrzeug des Klägers komme keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz. Die Motoren des Typs G und F seien nicht baugleich.

Die Klage ist der Beklagten am 08.10.2018 zugestellt worden.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Das Landgericht Arnsberg ist jedenfalls gem. § 39 ZPO örtlich zuständig.

Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB noch aus §§ 823 Abs. 2 i. V. m. § 263 StGB, § 16 UWG oder Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. §§ 826, 31 BGB.

a)

Objektiv sittenwidrig ist nach der Rechtsprechung ein Verhalten, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (BGH, Urteil vom 19.11.2013 - VI ZR 336/12, NJW 2014, 383, Rn. 9; Teilversäumnis- und Endurteil vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, Rn. 16). Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht. Insbesondere die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten ist im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist (BGH, Urteil vom 19.10.1987 ‒ II ZR 9/87, NJW 1988, 700). Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 13.12.2011 − XI ZR 51/10, NJW 2012, 1800, Rn. 28; Urteil vom 03.12.2013 - XI ZR 295/12, NJW 2014, 1098; Urteil vom 15.10.2013 - VI ZR 124/12, NJW 2014, 1380; vgl. insgesamt Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 826, Rn. 4 m.w.N.).

b)

Subjektiv ist ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Der Schädiger muss aber grundsätzlich die Tatumstände kennen, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 13.09.2004 ‒ II ZR 276/02, NJW 2004, 3706, 3710; Teilversäumnis- und Endurteil vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, Rn. 23; vgl. insgesamt Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 826, Rn. 5).

c)

Dabei kann es dahinstehen, ob es sich bei dem in der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs vorhandenen sog. Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 (VO) EG Nr. 715/2007 handelt. Jedenfalls lässt sich aus Sicht der Kammer nicht feststellen, dass die Beklagte durch die Verwendung eines solchen sog. Thermofensters gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen hat.

Die Kammer erkennt in der Verwendung von sog. Thermofenstern keine besondere Verwerflichkeit.

(1)

Die Verwendung von sog. Thermofenstern ist bei Dieselfahrzeugen aller Hersteller weit verbreitet. Im Bericht der Untersuchungskommission "W" stellte das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (nachfolgend: BMVI) bei allen Herstellern Abschalteinrichtungen gem. der Definition in Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 fest.

(2)

Die Verwendung von sog. Thermofenstern ist den Zulassungsbehörden bekannt. Außerdem lässt sich dem Bericht der Untersuchungskommission "W" entnehmen, dass das BMVI gegen die grundsätzliche Verwendung von sog. Thermofenstern keine Bedenken hat, soweit diese zum Motorschutz erforderlich sind. Vor diesem Hintergrund kann allein aus der Verwendung von sog. Thermofenstern nicht auf eine besondere Verwerflichkeit geschlossen werden.

(3)

Darüber hinaus ist die Kammer nicht der Auffassung, dass durch die Verwendung von sog. Thermofenstern durch die Beklagte eine besondere Verwerflichkeit gerade im Verhältnis zum Kläger gegeben ist. Die Beschränkung der Abgasreinigung auf bestimmte Temperaturbereiche dient gerade dem Schutz und der Dauerhaltbarkeit von Motorbauteilen. Die Dauerhaltbarkeit der Motorbauteile dürfte unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung im vorrangigen Interesse der Fahrzeughalter sein. Vor diesem Hintergrund ist eine besondere Verwerflichkeit des Handels der Beklagten gegenüber dem Kläger zu verneinen.

d)

Zu weiteren im streitgegenständlichen Fahrzeug verwendeten Abschalteinrichtungen trägt der Kläger nicht hinreichend substantiiert vor. Allein der Umstand, dass die Beklagte - nach Ansicht des KBA - unzulässige Abschalteinrichtungen in Motoren des Typs G verwendet hat, begründet keinen Generalverdacht gegen die Beklagte. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens entspräche insoweit einer Ausforschung des Sachverhalts. Ausweislich des Berichts der Untersuchungskommission "W" konnte in keinem der untersuchten Fahrzeuge (darunter auch Fahrzeuge mit Motoren des Typs F) eine unzulässige Abschalteinrichtung vergleichbar den vom Rückruf betroffenen Fahrzeugen mit Motoren des Typs G festgestellt werden.

e)

Es kann dahinstehen, ob das klägerische Fahrzeug im Realbetrieb einen höheren Stickoxidausstoß aufweist als im Rahmen der für die Zulassung erforderlichen Laboruntersuchung. Unterschiede in Bezug auf den Schadstoffausstoß ergeben sich durch Fahrprofil, Fahrweise und weitere äußere Einflüsse. Es ist nicht erkennbar, inwiefern darin eine vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte liegen soll.

2.

Der Kläger hat gegen die Beklagte ebenfalls keinen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 823 Abs. 2 i. V. m. § 263 StGB.

Eine rechtswidrige Täuschung des Klägers durch die Beklagte ist aus den oben genannten Gründen nicht ersichtlich. Konkrete Hinweise darauf, dass dem klägerischen Fahrzeug ein Entzug der Fahrerlaubnis droht, sind vom Kläger nicht vorgetragen worden. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist bislang von keinem Rückruf des KBA betroffen.

Wenn der Kläger weiter darauf abstellt, darüber getäuscht worden zu sein, dass der Stickoxidausstoß im Realbetrieb höher ausfällt als im Laborbetrieb, ist von Klägerseite bereits nicht vorgetragen worden, dass die Beklagte behauptet hat, dass die Emissionen im Realbetrieb denen im Laborbetrieb entsprechen. Soweit der Kläger lediglich davon ausgegangen ist, dass dies der Fall ist, liegt jedenfalls keine Täuschung durch die Beklagte vor.

3.

Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 16 UWG.

a)

Keine Angaben im Sinne des § 16 UWG sind Bezeichnungen ohne inhaltlich nachprüfbaren Tatsachenkern wie plakative allgemeinsprachliche Anpreisungen, einfache Kaufappelle, reine Meinungsäußerungen, subjektive Werturteile oder reklamehafte Übertreibungen (vgl. MüKoUWG/Brammsen UWG § 16 Rn. 50)

b)

Es ist bereits nicht ersichtlich, welche unwahren Angaben die Beklagte konkret verbreitet haben soll. Allein der Umstand, dass sich die Beklagte, wie der Kläger behauptet, in der öffentlichen Wahrnehmung als besonders umweltfreundlich präsentiert, reicht als allgemeine Anpreisung nicht aus.

4.

Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte gem. §§ 823 Abs. 2 i. V. m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 scheiden ebenfalls aus.

Es fehlt bereits an der Schutzgesetzeigenschaft des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007.

a)

Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist jede Rechtsnorm, die zumindest auch dazu dienen soll, einen Einzelnen oder einen bestimmten Personenkreis gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011, Az. XI ZR 51/10). Der Schutz eines Einzelnen ist dabei nicht bereits dann bezweckt, wenn er als Reflex einer Befolgung der Norm objektiv erreicht wird, sondern nur dann, wenn der Gesetzgeber dem Einzelnen selbst die Rechtsmacht in die Hand geben wollte, mit Mitteln des Privatrechts gegen denjenigen vorzugehen, der das Verbot übertritt und sein Rechtsinteresse beeinträchtigt (vgl. BGH, aaO).

b)

Die Kammer schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des OLG Braunschweig (Urteil vom 19.02.2019, Az. 7 U 134/17) vollständig an:

"Ziel der VO (EG) 715/2007 ist nach deren einleitenden Bemerkungen (1) bis (4) sowie zusammengefasst nochmals in (27) die Harmonisierung des Binnenmarktes / die Vollendung des Binnenmarktes durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung von Fahrzeugemissionen. Zwar werden neben der Vereinheitlichung der Rechtsregelungen ein hohes Umweltschutzniveau (1) als Ziel und die Reinhaltung der Luft als Vorgabe für Regelungen zur Senkung der Emissionen von Fahrzeugen (4) beschrieben, doch folgt aus den Ausführungen unter (7), die die Verbesserung der Luftqualität in einem Zuge mit der Senkung der Gesundheitskosten (und dem Gewinn an Lebensjahren) nennen, dass es auch insoweit nicht um individuelle Interessen, sondern letztlich um umwelt- und gesundheitspolitische Ziele geht. Dass der europäische Gesetzgeber i.S.d. Definition des Schutzgesetzes dem einzelnen Verbraucher die Rechtsmacht in die Hand geben wollte, mit Mitteln des Privatrechts gegen denjenigen vorzugehen, der in dieser Verordnung zur Umsetzung dieser Ziele geregelte Verbote übertritt und sein Rechtsinteresse beeinträchtigt, geht damit aus den Vorbemerkungen nicht hervor. Vielmehr spricht stattdessen sogar der Umstand, dass die Ziele in (7) in Beziehung gesetzt werden zu den Auswirkungen der Emissionsgrenzwerte auf die Märkte und die Wettbewerbsfähigkeit von Herstellern, gegen einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers. Dies gilt umso mehr, als auch die Regelungen der VO (EG) 715/2007 selbst keinen Bezug zu Individualinteressen des einzelnen Bürgers aufweisen (so i.E. auch Riehm, DAR 2016, DAR Jahr 2016 Seite 12, DAR Jahr 2016 13). Gerade einen derartigen Bezug zu Individualinteressen sieht der Europäische Gerichtshof aber in seiner Vorabentscheidung vom 16.02.2017, EUGH Aktenzeichen C21915 C - 219/15, zitiert nach juris, Rzn. 55, 56, als Erfordernis für eine Schutzgesetzeigenschaft an."

5.

Mangels Hauptanspruch hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die beantragten Zinsen.

6.

Auch der Antrag zu 2. ist unbegründet.

Die Beklagte befindet sich nicht im Annahmeverzug, da sie zur Rücknahme des Fahrzeugs nicht verpflichtet ist.

7.

Der Antrag zu 3. ist ebenfalls unbegründet.

Da kein Schadensersatzanspruch besteht, sind auch die Rechtsverfolgungskosten nicht erstattungsfähig.

II.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 22.530,07bis 23.000,00 EUR festgesetzt.