Niedersächsisches OVG, Urteil vom 22.04.2021 - 2 LB 147/18
Fundstelle
openJur 2021, 19500
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2 A 6204/16

1. Eine unmittelbar drohende Einziehung zum Militär(Reserve-)Dienst erfüllt für sich genommen auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 (- C-238/19 -, juris) noch nicht den Tatbestand des Regelbeispiels des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG/Art. 9 Abs. 2 lit. e RL 2011/95/EU. Vielmehr kann erst eine unmittelbar drohende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung begründen.

2. Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus den Gründen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG folgt für syrische Asylkläger ohne besondere risikoerhöhende individuelle Umstände auch weiterhin nicht aus einer (illegalen) Ausreise, einer Asylantragstellung und einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland, der Herkunft aus einem (ehemals) von der Opposition beherrschten Gebiet oder der kurdischen Volkszugehörigkeit. Gleiches gilt für Militärdienstentziehung; es fehlt insoweit an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG (Fortführung der ständigen Senatsrechtsprechung).

3. Das Tatbestandsmerkmal des Regelbeispiels des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, dass der Militärdienst in einem Konflikt Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, ist auch unter Berücksichtigung des genannten Urteils des Europäischen Gerichtshofs zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Fall des Militärdienstes in der syrischen Armee nicht als erfüllt anzusehen. Zudem fehlt es an der auch insoweit erforderlichen Verknüpfung der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes mit einem Verfolgungsgrund.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichterin der 2. Kammer - vom 28. Februar 2017 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, ein am … 1994 geborener syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit aus F., der über subsidiären Schutz verfügt, begehrt im Wege der Aufstockungsklage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Der Kläger reiste am 1. November 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, den er auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkte. Bei seiner am 7. Oktober 2016 durchgeführten Anhörung vor dem Bundesamt gab er im Wesentlichen an, er habe zuletzt mit seinem Bruder, seiner Mutter, seiner Schwester sowie seiner Ehefrau in F. gelebt. Sein Bruder sei ebenfalls nach Deutschland gekommen. Er - der Kläger - habe keinen Schulabschluss erlangt und als angestellter Friseur in Syrien gearbeitet. Am 15. August 2015 habe er sein Heimatland verlassen, da er keinen Wehrdienst in Syrien habe leisten wollen. Er habe niemanden töten und nicht am Krieg teilnehmen wollen. Die Frage, ob er schon einen Einberufungsbefehl erhalten habe, verneinte er. Ob in seinemHeimatort zuletzt das Regime, die Kurden oder andere Gruppen die Macht ausgeübt hätten, wisse er nicht. Von Kämpfen habe er gehört, aber nicht gewusst, wer gegen wen gekämpft habe. Er habe Tote gesehen, Kämpfe gehört und vor dem Krieg in Syrien Angst gehabt. Es gebe dort keine Sicherheit mehr. Er sei jung und wolle mit seiner Ehefrau sein Leben genießen.

Die Beklagte erkannte dem Kläger mit Bescheid vom 16. November 2016 subsidiären Schutz zu, lehnte jedoch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab.

Hiergegen hat der Kläger am 24. November 2016 Klage erhoben und ergänzend vorgetragen, ihm drohe bei einer Rückkehr aufgrund seiner Ausreise aus Syrien, des Aufenthalts im westlichen Ausland und der Asylantragstellung politische Verfolgung. Da er sich durch seine Ausreise dem Militärdienst entzogen habe, drohe ihm auch unter diesem Gesichtspunkt Verfolgung. Es sei davon auszugehen, dass ihm der syrische Staat wegen der Wehrdienstentziehung eine abweichende politische Gesinnung unterstellen werde. Zudem sprächen gewichtige Gesichtspunkte dafür, dass der Militärdienst die Begehung von Kriegsverbrechen umfassen würde.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Teilaufhebung des Bescheides vom 16. November 2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen, und den Bescheid der Beklagten aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht. Zur Begründung hat das Gericht zusammenfassend ausgeführt: Nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnismittel sei davon auszugehen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe. Der Kläger sei aus Syrien ausgereist, habe sich länger im westlichen Ausland aufgehalten und einen Asylantrag gestellt. Diese Risikomerkmale machten es beachtlich wahrscheinlich, dass ihm der syrische Staat ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung eine regimefeindliche Gesinnung unterstellen und ihn deshalb bei der Rückkehr verhaften und misshandeln werde. Politische Verfolgung drohe ihm auch deshalb, weil er sich durch seine Flucht ins Ausland der Einberufung zum Militärdienst entzogen habe und er deshalb aufgrund einer (unterstellten) oppositionellen Gesinnung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit misshandelt und gefoltert werde. Die Einziehung zum Militärdienst sei zudem gemäß §§ 3 Abs. 1, 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG als Verfolgung anzusehen, weil die syrischen Regierungstruppen fortgesetzt und systematisch Kriegsverbrechen begingen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten. Diese greift die Auffassung des Verwaltungsgerichts an, gegenwärtig habe bei Rückkehr mit Verfolgung zu rechnen, wer Syrien (illegal) verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich im westlichen Ausland aufgehalten habe. Auch der Umstand, dass sich der Kläger im wehrfähigen Alter befinde, könne die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht rechtfertigen. Insofern sei er weder vorverfolgt ausgereist noch könne er sich auf einen Nachfluchtgrund berufen. Es sei nicht davon auszugehen, dass jedem wehrdienstflüchtigen Mann aus Syrien eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Im Hinblick auf eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG sei nach der aktuellen Quellenlage bereits fraglich, ob noch eine beachtlich wahrscheinliche Gefahr einer Bestrafung bzw. Strafverfolgung wegen einer Wehrdienstverweigerung bestehe. Regelmäßig erfolge stattdessen der unverzügliche Einzug zum Wehrdienst und militärische Einsatz. Zudem sei zu beachten, dass der fortschreitende militärische Erfolg der syrischen Armee und ihrer Verbündeten die Gefahr, Kriegsverbrechen im Wehrdienst begehen zu müssen, erheblich senke. Darüber hinaus sei auch im Falle einer Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG eine Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund erforderlich, die im Falle des Klägers nicht gegeben sei. Auch wenn der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. November 2020 (Rs. C-238/19) im Hinblick auf die spezifische Situation in Syrien im Jahr 2017 gleichsam tatrichterlich eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür angenommen habe, dass die Verweigerung des Militärdienstes von den Behörden als ein Akt politischer Opposition ausgelegt werde, sei diese Annahme - ohne Hinzutreten besonderer Umstände - nach den derzeitigen Verhältnissen in Syrien nicht mehr als zutreffend anzusehen. Auch eine Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe begründe keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sonstige individuelle, in seiner Person liegende Umstände, die seine Wahrnehmung als Regimegegner durch die syrischen Stellen nahelegen könnten, habe der Kläger nicht vorgetragen.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt der Berufung entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Für alle aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber bestehe die Gefahr, verhaftet und misshandelt zu werden, wobei sie dem Vorwurf ausgesetzt seien, gegenüber der Regierung feindselig eingestellt zu sein. Die Änderung der Praxis der Passerteilung im Ausland durch das syrische Regime sei kein Ausdruck dessen, dass die Stellung eines Asylantrages in Deutschland nicht mehr als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung gewertet werde. Ihm - dem Kläger - drohten zudem wegen seiner Wehrdienstentziehung Verfolgungsmaßnahmen. Einen Einberufungsbefehl des syrischen Militärs habe er in dem vor seiner Ausreise kurdisch kontrollierten F. noch nicht erhalten und dementsprechend seinen Wehrdienst auch noch nicht leisten können. Auch wenn die Mehrzahl der aufgegriffenen Deserteure und Wehrdienstentzieher direkt an die Front geschickt würden, müsse jeder zurückkehrende Wehrdienstentzieher damit rechnen, zu den Einzelfällen zu gehören, in denen es zu schwersten Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, Folter oder Erschießung komme. Zudem sei auch der Einsatz an der Front mit minimaler Ausbildung als Verfolgungshandlung anzusehen. Dafür, dass das syrische Regime Wehrdienstentzieher als Regimegegner betrachte, spreche, dass das Handeln des Regimes von einem alles beherrschenden Freund-Feind-Schema geprägt sei. Aus Sicht des syrischen Staates trügen Männer, die sich durch die Ausreise dem Wehrdienst entzogen hätten, zur Schwächung des totalitären Machtapparates bei. Entgegenstehende Äußerungen des syrischen Regimes seien als Propaganda zu verstehen. Auch die bestehenden Generalamnestien seien als wertlos anzusehen, da sie die allgemeine Wehrpflicht nicht aufheben und zudem diejenigen Verbrechen ausklammern würden, die jedem zurückkehrenden Schutzsuchenden angehängt werden könnten. Zum Beweis der Tatsache, dass Männern, die sich dem Wehrdienst in Syrien durch Verlassen des Landes entzogen haben, von der syrischen Regierung eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben werde, die Grundlage von Verfolgung sei, solle ein gerichtliches Sachverständigengutachten eingeholt werden. Ihm drohe aufgrund seiner Wehrdienstentziehung auch eine Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Da er in Syrien noch keinen Wehrdienst geleistet habe, müsse er bei einer Rückkehr in jedem Fall mit einer Einziehung zum Wehrdienst in der syrischen Armee rechnen. Ein Verfahren zur Kriegsdienstverweigerung stehe nicht zur Verfügung, so dass eine förmliche Verweigerung für die Anwendbarkeit des§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nicht verlangt werden könne. Es habe für ihn keine andere Möglichkeit als die Ausreise gegeben, um den Wehrdienst zu verweigern. Bereits in seiner Anhörung vor dem Bundesamt habe er zum Ausdruck gebracht, dass ihn gerade nicht die allgemeine Angst vor dem Bürgerkrieg zur Ausreise getrieben habe, sondern sein Gewissen, dass es nicht zugelassen habe, am Bürgerkrieg - egal auf welcher Seite - teilzunehmen. Der Europäische Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 19. November 2020 klargestellt, dass in einem Fall, in welchem die jeweiligen Streitkräfte wiederholt und systematisch Kriegsverbrechen begehen würden, die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass ein Wehrdienstleistender zumindest mittelbar an der Begehung von Kriegsverbrechen beteiligt werde. Es sei allgemeinkundig, dass eine solche Situation zu dem Zeitpunkt, zu welchem er Syrien verlassen habe, bestanden habe. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bestehe zudem die nicht widerlegte Vermutung einer Verknüpfung der drohenden Verfolgungshandlung mit einem Verfolgungsgrund. Vor diesem Hintergrund sei er als vorverfolgt anzusehen, weshalb zu vermuten sei, dass seine Furcht vor weiterer Verfolgung begründet sei. Auch ein nonliquet gehe daher nicht zu seinen Lasten. Des Weiteren falle er als Angehöriger der kurdischen Volksgruppe unter ein vom UNHCR definiertes Risikoprofil. Vor dem Hintergrund kurdischer Autonomiebestrebungen bestehe die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass zurückkehrende Kurden als vermeintliche Regimegegner betrachtet würden. Er sei bereits in seiner Heimat auf politischen Demonstrationen gewesen. Am 21. März 2012 habe er an einer prokurdischen Demonstration in G. teilgenommen. Er sei insofern in den Blickwinkel der syrischen Sicherheitskräfte geraten. Schließlich bestehe für ihn auch die Gefahr einer Sippenverfolgung, da seinem ebenfalls in Deutschland lebenden Bruder mit Bescheid vom 4. Dezember 2015 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Sie kämen beide aus derselben Gegend und hätten die gleichen Fluchtgründe vorgetragen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger vorgetragen, er habe bereits im Jahr 2013 einen Einberufungsbefehl erhalten und hat von diesem eine Kopie zur Akte gereicht. Dies habe er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt nicht erwähnt, da der Einberufungsbefehl damals verschwunden gewesen sei. Seine noch in Syrien lebende Mutter habe das Dokument seinem Neffen mitgegeben, der vor 15 Tagen nach Deutschland gekommen sei und hier ebenfalls einen Asylantrag gestellt habe. Zudem habe er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gesagt, dass er sich zwei Jahre lang versteckt gehalten und immer seinen Wohnsitz gewechselt habe. Das Protokoll der Anhörung sei insofern nicht vollständig. Seinem noch in Syrien befindlichen Bruder sei kürzlich bei einer Fahrt nach Damaskus an einem Checkpoint des syrischen Staates das Auto beschlagnahmt und der Pass weggenommen worden. Dies sei deshalb geschehen, weil sein - des Klägers - Name auf einer Liste gestanden habe. Nach einem im Februar 2021 in Kraft getretenen Gesetz würden auch Verwandte von Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen hätten, schikaniert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen. Die von dem Senat zugrunde gelegten Erkenntnismittel ergeben sich aus der mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandten Liste sowie den nachfolgenden, den Beteiligten übersandten Verfügungen vom 18. März 2021, 8. April 2021 sowie 19. April 2021.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klage ist unbegründet und daher abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.

1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). In § 3a Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 AsylG werden einzelne Beispiele für Verfolgungshandlungen genannt, unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (Nr. 1), eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3) oder eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Nr. 5). Gemäß § 3c AsylG sind Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, u. a. der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.

Zwischen den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten und in § 3b Abs. 1 AsylG jeweils näher erläuterten Verfolgungsgründen sowie den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG beschriebenen Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z. B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreiche, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Unerheblich ist dabei, ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist (BVerfG, Beschl. v. 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, juris Rn. 5; Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 31). Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin “wegen“ eines Verfolgungsgrundes im Sinne des § 3b AsylG erfolgt, ist anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.1.2009 - 10 C 52.07 -, juris Rn. 22; Urt. v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, juris Rn. 13). Für die Verknüpfung reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Gerade mit Blick auf komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 -, juris Rn. 13).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) drohen (stRspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 19, 32; Beschl. v. 15.8.2017 - 1 B 120.17 -, juris Rn. 8). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab bedingt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 Richtlinie (RL) 2011/95/EU neben sämtlichen mit dem Herkunftsland verbundenen, zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevanten Tatsachen unter anderem die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen sowie seine individuelle Lage und die persönlichen Umstände zu berücksichtigen (vgl. hierzu auch EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 23, 31). Entscheidend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 32 m.w.N.). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Das entspricht dem Begriffsverständnis des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 1 lit. A Nr. 2 GFK und Art. 2 lit. d RL 2011/95/EU (vgl. Senatsbeschl. v. 17.8.2018 - 2 LA 1584/17 -, juris Rn. 12 ff.).

Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 -, juris Rn. 37).

Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU, nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 -, juris Rn. 21 f.; Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 34).

Bei der gebotenen Prognose, ob die Furcht des Ausländers vor Verfolgung im Rechtssinne begründet ist, ihm also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, ist es Aufgabe des Gerichts, die gemäß Art. 4 Abs. 3 RL 2011/95/EU zu berücksichtigenden Prognosetatsachen zu ermitteln, diese im Rahmen einer Gesamtschau zu bewerten und sich auf dieser Grundlage gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Überzeugung zu bilden.

Hierbei ist für den Senat gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung maßgeblich. Eine Abweichung hiervon ist weder aus Gründen des materiellen Rechts noch des vorrangigen Unionsrechts geboten (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 17.6.2020 - 1 C 35.19 -, juris Rn. 9). Nichts anderes folgt daraus, dass der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 19. November 2020 im Rahmen der Auslegung des Art. 9 Abs. 2 lit. e RL 2011/95/EU (welcher dem in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG aufgenommenen Regelbeispiel einer Verfolgungshandlung zugrunde liegt) hinsichtlich der Beurteilung der Tatsachenfrage, ob die Ableistung des Militärdienstes in einem Konflikt Kriegsverbrechen umfassen würde, auf den Zeitpunkt der Behördenentscheidung (im Vorlagefall im April 2017) abgestellt hat (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 37). Denn hiermit hat sich der Gerichtshof lediglich auf den Regelfall der behördlichen Prüfung unabhängig von einem sich ggf. anschließenden gerichtlichen Verfahren bezogen, ohne den nach dem nationalen Asylprozessrecht im Falle einer gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG in Frage zu stellen (ebenso OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 29.1.2021 - 3 B 109.18 -, juris Rn. 21). Für diese Sichtweise spricht auch die Auslegung des Gerichtshofs zu Art. 46 Abs. 3 RL 2013/32/EU, wonach der nach dieser Vorschrift gebotene wirksame Rechtsbehelf gegen eine asylbehördliche Entscheidung, welcher eine umfassende ex-nunc-Prüfung vorzusehen hat, es erfordert, dass das Gericht auch diejenigen Gesichtspunkte berücksichtigt, die erst nach Erlass der behördlichen Entscheidung aufgetreten sind (vgl. EuGH, Urt. v. 25.7.2018 - C-585/16 -, juris Rn. 113).

Die gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderliche richterliche Überzeugungsbildung ist aufgrund der Tatsache, dass unabhängige und gesicherte Informationen vielfach fehlen und die verschiedenen Akteure, auf deren Informationen die Gerichte angewiesen sind, sehr unterschiedliche Interessen verfolgen, gerade in Bezug auf Syrien erheblich erschwert (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 37 ff.; VGH BW, Urt. v. 2.5.2017 - A 11 S 562/17 -, juris Rn. 33 ff.). Deshalb bedarf es in besonderem Maße einer umfassenden Auswertung aller Erkenntnisquellen auch zur allgemeinen Lage in Syrien. Besonderes Gewicht ist den Berichten des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) beizumessen, das gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) die Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention überwacht (Art. 8 Abs. 2 Satz 2 RL 2011/95/EU und Art. 10 Abs. 3 Satz 2 lit. b RL 2013/32/EU; vgl. EuGH, Urt. v. 30.5.2013 - C-528/11 -, juris Rn. 44). Gewisse Prognoseunsicherheiten sind dabei als unvermeidlich hinzunehmen und stehen der Überzeugungsbildung nicht grundsätzlich entgegen, wenn eine weitere Sachaufklärung keinen Erfolg verspricht. Auf die Feststellung objektivierbarer Prognosetatsachen kann trotz alledem aber nicht verzichtet werden. Die Annahme einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit kann nicht auf bloße Hypothesen und ungesicherte Annahmen gestützt werden.

Die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz kommt nicht schon dann in Betracht, wenn eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht zur Überzeugung des Gerichts feststeht, sondern in der Gesamtsicht der vorliegenden Erkenntnisse lediglich ausreichende Anhaltpunkte für eine Prognose sowohl in die eine wie die andere Richtung vorliegen, also eine Situation besteht, die einem non-liquet vergleichbar ist (so aber OVG MV, Urt. v. 21.3.2018 - 2 L 238/13 -, juris Rn. 41). Die beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ist tatbestandliche Voraussetzung für eine Entscheidung zugunsten des Ausländers. Kann das Gericht nicht das nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgegebene Maß an Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass einem Ausländer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 18; ebenso bereits Senatsbeschl. v. 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris Rn. 25; OVG NRW, Urt. v. 1.8.2018 - 14 A 619/17.A -, juris Rn. 52 ff.; OVG SH, Urt. v. 10.10.2018 - 2 LB 67/18 -, juris Rn. 25; OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 12.2.2019 - 3 B 27.17 -, juris Rn. 33).

Nichts anderes lässt sich daraus ableiten, dass der Europäische Gerichtshof im Kontext der Auslegung des Art. 9 Abs. 2 lit. e RL 2011/95/EU ausgeführt hat, dass es nicht Sache der um internationalen Schutz nachsuchenden Person sei, den Beweis für das Bestehen einer Verknüpfung zwischen einer Verfolgungshandlung i.S.d. vorgenannten Vorschrift und den in Art. 2 lit. d und Art. 10 RL 2011/95/EU genannten Verfolgungsgründen zu erbringen, sondern vielmehr die zuständigen nationalen Behörden in Anbetracht sämtlicher Anhaltspunkte die Plausibilität einer solchen Verknüpfung zu prüfen hätten (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 54 ff.). Denn diese Ausführungen des Gerichtshofs stehen in völliger Übereinstimmung damit, dass es in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess - ungeachtet der im Asylverfahren gesteigerten Mitwirkungspflichten des Antragstellers nach §§ 15 und 25 AsylG - Aufgabe des Tatsachengerichts ist, gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln und hierzu von Amts wegen die erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben sowie sich auf Basis dessen eine eigene Überzeugung i.S.d. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu bilden. Nach diesen Maßgaben scheidet es aus, bei einer unklaren Erkenntnislage im Zweifel schutzorientiert zu Gunsten des Ausländers zu entscheiden; dies würde im Übrigen auch materiell einen Rechtsverstoß begründen, da gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG bzw. Art. 2 lit. d. RL 2011/95/EU die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet sein muss, damit ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden kann (vgl. zum Vorstehenden OVG NRW, Beschl. v. 22.1.2021 - 14 A 176/21.A -, juris Rn. 23 ff.; BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 18 ff.).

2. Nach diesen Maßgaben besteht für den Kläger bei einer - hypothetischen - Rückkehr nach Syrien zur Überzeugung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen.

Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist, so dass ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht zugutekommt.

Eine Vorverfolgung ergibt sich nicht im Hinblick darauf, dass sich der Kläger bereits zum Zeitpunkt seiner Ausreise dem Wehrdienst auf Seiten des syrischen Staates entzogen hat. Dies gilt auch unter Berücksichtigung einer möglichen Verfolgungshandlung gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wie sie der Tatbestand dieser Bestimmung zunächst voraussetzt, hat der Kläger vor seiner Ausreise aus Syrien seinen eigenen Angaben zufolge nicht erlitten. Zwar kann gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU eine Vorverfolgung auch dann angenommen werden, wenn ein Antragsteller zwar noch keine Verfolgung erlitten hat, aber von einer solchen unmittelbar bedroht war (vgl. Marx, in: GK-AsylG, Stand 130. EL März 2021, vor II - 5, Rn. 241). Dies ist dann anzunehmen, wenn bei der Ausreise eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung festzustellen war (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, juris Rn. 9). Eine derartige Situation lag für den Kläger vor seiner Ausreise aus Syrien jedoch noch nicht vor.

Die Annahme einer bei der Ausreise unmittelbar drohenden Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann nur dann in Betracht kommen, wenn sich ein im militärdienstpflichtigen Alter befindlicher Mann aus Sicht des syrischen Staates bereits vor dem Moment seiner Ausreise erkennbar dem Militärdienst entzogen hatte und er gerade aus diesem Grund der beachtlich wahrscheinlichen Gefahr unterlag, Verfolgungsmaßnahmen der Sicherheitskräfte erleiden zu müssen.

Von vornherein ausscheiden muss eine Vorverfolgung daher in den Fällen, in welchen der Ausländer zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus Syrien noch nicht militärdienstpflichtig gewesen ist oder noch von der Ableistung des Wehrdienstes befreit war. Selbiges gilt, wenn er vor der Ausreise seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehenden Landesteil hatte und daher eine Strafverfolgung oder Bestrafung von Seiten der syrischen Sicherheitskräfte mangels Unterworfenseins unter eine effektive Herrschaftsgewalt des syrischen Regimes nicht zu befürchten war.

Aber auch in den Fällen, in welchen der Ausländer vor seiner Ausreise aus Syrien bereits militärdienstpflichtig gewesen ist und er sich im Herrschaftsbereich des syrischen Regimes aufgehalten hat, kann nicht ohne Weiteres eine unmittelbar drohende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes angenommen werden. Wie der eindeutige Wortlaut des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG (bzw. des Art. 9 Abs. 2 lit. e RL 2011/95/EU) zeigt, vermag eine (unmittelbar) drohende Einziehung zum Wehrdienst bzw. Reservedienst für sich genommen noch nicht den Tatbestand des dort normierten Regelbeispiels einer Verfolgungshandlung auszulösen. Vielmehr ist erst eine drohende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes tatbestandsauslösend, was voraussetzt, dass der Betroffene aus Sicht des syrischen Staates schon vor der Ausreise in irgendeiner Form als Wehrdienstentzieher angesehen werden konnte. In dem Regelfall, in welchen sich ein militärdienstpflichtiger Mann erst durch seine Ausreise dem Wehrdienst entzieht, es aber keinerlei Hinweise dafür gibt, dass er bereits zuvor von den syrischen Behörden als Wehrdienstentzieher hätte angesehen werden können, muss die Annahme einer unmittelbar drohenden Vorverfolgung im Hinblick auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG daher ausscheiden (so auch OVG NRW, Urt. v. 22.3.2021 - 14 A 3439/18.A -, juris Rn. 35 ff.; a.A., allerdings ohne die gebotene Differenzierung zwischen einer drohenden Wehrdiensteinziehung und einer drohenden Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 29.1.2021 - 3 B 109.18 -, juris Rn. 22, 51).

Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 (- C-238/19 -, juris Rn. 26 ff.). Zwar kann danach in dem Fall, dass das Recht des Heimatstaates die Möglichkeit, den Militärdienst zu verweigern, nicht vorsieht und es dementsprechend kein Verfahren zu diesem Zweck gibt, von dem Kriegsdienstverweigerer nicht verlangt werden, seine Verweigerung in einem bestimmten verfahren zu formalisieren; die Verweigerung kann dementsprechend auch darin gesehen werden, dass der Betroffene aus seinem Heimatland geflohen ist, ohne sich der Militärverwaltung zur Verfügung zu stellen. Damit ist aber lediglich klargestellt, dass die Erfüllung des Tatbestandes des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kein förmliches Verfahren voraussetzt, nicht jedoch, dass es überhaupt keiner Manifestation der Verweigerung bedarf; vielmehr bleibt dies auch nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs zu prüfen (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 31). Im Übrigen sind die Ausführungen des Gerichtshofs ohne Aussagegehalt zu der im Rahmen der Prüfung einer möglichen Vorverfolgung relevanten Frage, in welchen Fällen bereits vor der Ausreise eine Verweigerung des Militärdienstes erkennbar war, so dass eine Strafverfolgung oder Bestrafung gerade deswegen vor der Ausreise überhaupt schon unmittelbar drohen konnte.

Den erstmaligen Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er habe bereits im Jahr 2013 einen Einberufungsbefehl erhalten und sich vor seiner Ausreise zwei Jahre lang in Syrien versteckt gehalten und immer seinen Wohnsitz gewechselt, erachtet der Senat angesichts der erheblichen Abweichung und Steigerung im Vergleich zu seinen Angaben bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als unglaubhaft. Der Kläger hat keine einleuchtende Erklärung dafür vorbringen können, weshalb er von den nunmehr vorgetragenen Umständen weder im Asylverfahren noch im bisherigen gerichtlichen Verfahren auch nur ansatzweise berichtet hat. Im Gegenteil hat der Kläger ausweislich des Protokolls der Anhörung vor dem Bundesamt am 7. Oktober 2016 die ausdrückliche Frage, ob er schon einen Einberufungsbefehl erhalten habe, mit „Nein, das habe ich nicht bekommen“ beantwortet. Im Berufungsverfahren hat er zudem noch im Schriftsatz vom 13. März 2021 angegeben, dass er im kurdisch kontrollierten F. keinen Einberufungsbefehl habe erhalten können. Davon, dass er sich vor seiner Ausreise zwei Jahre lang versteckt gehalten habe, hat der Kläger in seiner Anhörung und im bisherigen gerichtlichen Verfahren ebenfalls nichts berichtet. Stattdessen hat er in seiner Anhörung angegeben, er habe gemeinsam mit seinem Bruder, seiner Mutter, seiner Schwester und seiner Frau im Stadtteil I. von F. gelebt. Soweit er sich in der mündlichen Verhandlung darauf berufen hat, das Protokoll der Anhörung vor dem Bundesamt sei insofern nicht vollständig, ist nicht erklärlich, warum er diesen Umstand weder nach Zusendung des Anhörungsprotokolls gegenüber dem Bundesamt noch im bisherigen gerichtlichen Verfahren in erster und zweiter Instanz gerügt hat. Auch der weitere Vortrag des Klägers, er habe seinem Prozessbevollmächtigten von dem unvollständigen Anhörungsprotokoll berichtet, dieser habe aber offenbar vergessen, dies im Verfahren vorzutragen bzw. es habe insofern Verständigungsprobleme gegeben, überzeugt nicht, zumal der Prozessbevollmächtigte die vom Kläger gesprochene kurdische Sprache selbst versteht. Auch sein Vortrag, er habe den Einberufungsbefehl erst jetzt vorlegen können, da dieser zum Zeitpunkt seiner Ausreise verschwunden gewesen und erst jetzt von seinem kürzlich nach Deutschland gekommenen Neffen mitgebracht worden sei, der das Dokument von seiner - des Klägers - in Syrien verbliebener Mutter erhalten habe, vermag nicht zu erklären, warum er dann weder in der Anhörung vor dem Bundesamt noch im bisherigen gerichtlichen Verfahren vom zwischenzeitlichen Verlust des Einberufungsbefehls berichtet hat. Die Echtheit des vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten arabischen Dokumentes nebst beglaubigter Übersetzung vom 16. April 2021 vermag der Senat nicht abschließend zu überprüfen. Hierauf kommt es vorliegend letztlich aber auch nicht an.

Denn selbst dann, wenn man den Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich des Vorliegens eines Einberufungsbefehls als wahr unterstellen würde, ließe sich keine unmittelbar drohende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen einer Militärdienstverweigerung des Klägers vor seiner Ausreise feststellen. Der Kläger hat sein Heimatland nach seinen Angaben am 15. August 2015 im Alter von 21 Jahren verlassen und lebte zuvor in F.. Aus diesem kurdisch dominierten Landesteil hatte sich die syrische Armee bereits im Jahr 2012 weitgehend zurückgezogen und die Kontrolle der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) überlassen (vgl. European Asylum Support Office [EASO], Syria - Security Situation, November 2019, S. 12; Auswärtiges Amt [AA], Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien v. 4.12.2020, S. 24; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA], Länderinformation der Staatendokumentation - Syrien v. 18.12.2020, S. 11). In der Folge fanden in dem kurdisch kontrollierten Teil Nordost-Syriens keine Rekrutierungen durch die syrische Armee mehr statt. Diese wurden dort nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln auch bis heute mangels ausreichender administrativer Kontrolle der syrischen Regierung in dem Gebiet nicht wieder regulär aufgenommen, auch wenn das Regime aufgrund eines im November 2019 mit den kurdischen Sicherheitskräften abgeschlossenen Abkommens wieder eine militärische Präsenz in dem Gebiet hat (vgl. Danish Immigration Service [DIS], Syria - Military Service, Mai 2020, S. 10). Vor diesem Hintergrund konnten dem Kläger jedenfalls vor seiner Ausreise im August 2015 weder eine zwangsweise Einberufung in die syrische Armee noch - was hier für die Annahme einer Vorverfolgung erforderlich wäre - eine Strafverfolgung oder Bestrafung deswegen drohen, weil er sich nach Erreichen des wehrdienstfähigen Alters erkennbar dem Dienst in der syrischen Armee entzogen hätte.

Eine Vorverfolgung des Klägers ergibt sich auch nicht aus seinem Vortrag, er habe im März 2012 an einer prokurdischen Demonstration teilgenommen, wozu er im Berufungsverfahren zwei Fotos vorgelegt hat. Auch bei Wahrunterstellung dieses Vorbringens ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das syrische Regime als insofern möglicher Verfolgungsakteur überhaupt von seiner Demonstrationsteilnahme erfahren hat. Gegen eine vor seiner Ausreise unmittelbare drohende Verfolgungsgefahr aufgrund der vorgetragenen Demonstrationsteilnahme spricht auch, dass diese für den Kläger bis zu seiner Ausreise im August 2015 offenbar folgenlos geblieben ist.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aus anderen Gründen zum Zeitpunkt seiner Ausreise vorverfolgt war, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.

Nachfluchtgründe, also eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit begründende Ereignisse, die eingetreten sind, nachdem er das Herkunftsland verlassen hat (§ 28 Abs. 1a AsylG), liegen ebenfalls nicht vor. Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit folgt weder aus einer (illegalen) Ausreise, einer Asylantragstellung und einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland (dazu unter a) noch aus einer Wehrpflichtentziehung (dazu unter b). Auch aus der Herkunft aus einem (ehemals) von der Opposition beherrschten Gebiet (dazu unter c) sowie der kurdischen Volkszugehörigkeit des Klägers (dazu unter d) ergibt sich keine andere Betrachtung. Nichts anderes folgt daraus, dass dem Bruder des Klägers in Deutschland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist (dazu unter e).

a) In Bezug auf die (illegale) Ausreise aus Syrien, die Stellung eines Asylantrags sowie den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland (sog. Trias) verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil vom 27. Juni 2017 (- 2 LB 91/17 -, juris Rn. 43 ff.; ebenso auch Senatsbeschl. v. 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris Rn. 28 ff. u. zuletzt v. 31.8.2020 - 2 LB 674/18 -, juris Rn. 27 ff.). Für den Senat stellt sich die Lage weiterhin so dar, dass Rückkehrer bei ihrer Einreise nach Syrien am Flughafen bzw. an einer Grenzübergangsstelle mit einer Kontrolle ihrer Personalpapiere, einer datenbankgestützten Überprüfung, ob der Betreffende gesucht wird, sowie gegebenenfalls mit einer Durchsuchung und Befragung rechnen müssen (vgl. AA, Auskunft an HessVGH zu 3 A 638/17.A v. 12.2.2019, S. 1; Deutsche Orient-Stiftung/Deutsches Orient-Institut [DOS/DOI], Auskunft an HessVGH zu 3 A 638/17.A v. 22.2.2018, S. 1; Immigration and Refugee Board of Canada [IRBC], Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014-December 2015] v. 19.1.2016, Tz. 2; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Rückkehr, Auskunft der SFH-Länderanalyse v. 21.3.2017, S. 7 f.). Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 und 2 AsylG - Misshandlungen bis hin zu Folter, Inhaftierung, Verschwindenlassen, Ermordung - drohen denjenigen Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt (vgl. AA v. 4.12.2020, S. 18 f., 25, 30; AA, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien v. 20.11.2019, S. 14 f., 21, 25; UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, April 2017, S. 5; DIS, Syria - Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 15 ff.; auch Europäisches Zentrum für Kurdische Studien [EZKS] v. 29.3.2017, S. 1 f.).

Personen, die illegal aus Syrien ausgereist sind und sich in Europa aufhalten, müssen vor einer Wiedereinreise einen Statusbereinigungsprozess („taswiyat Wada“) durchlaufen und sich hierfür an die nächste syrische Botschaft wenden. Im Rahmen dieses Prozesses haben sie sich einer Sicherheitskontrolle zu unterziehen (Landinfo, Syria - Return from abroad v. 10.2.2020, S. 7, 18; DIS, Syria - Security clearance and status settlement for returnees, Dezember 2020, S. 4 f., 9; DIS, Februar 2019, S. 19 ff.; EASO, Syria - Internally displaced persons, returnees and internal mobility, April 2020, S. 31). Neuere Quellen berichten hierzu übereinstimmend, dass allein aus dem Grund, dass eine Person das Land illegal verlassen und im Ausland um Asyl nachgesucht hat, keine nachteiligen Konsequenzen seitens der syrischen Sicherheitsbehörden bekannt geworden sind. Vielmehr sollen einer Einreise unter diesem Gesichtspunkt keine Hindernisse im Wege stehen, wenn vor der Einreise eine Statusbereinigung erzielt worden ist (vgl. EASO, Syria - Targeting of individuals, März 2020, S. 27 f.; DIS, Februar 2019, S. 19 f.; DIS, Dezember 2020, S. 11; Landinfo v. 10.2.2020, S. 8, BFA v. 18.12.2020, S. 95 f.). Wird eine vorherige Statusbereinigung vor einer Wiedereinreise nach Syrien allerdings versäumt, kann Rückkehrern aus diesem Grund eine Verhaftung drohen (EASO, April 2020, S. 33). Ebenso kann auch bei vorherigen Durchlaufen einer Statusbereinigung nicht ausgeschlossen werden, dass ein Rückkehrer aus anderen Gründen verhaftet wird (DIS, Dezember 2020, S. 11).

Rückkehrer sind damit nicht per se einer besonderen Gefährdung ausgesetzt. Es besteht allerdings die bei Kontakten mit syrischen Sicherheitsbehörden generell existierende Gefahr, Opfer einer willkürlichen Festnahme, Misshandlung und Folter zu werden. Es kann als belegt gelten, dass derartige Praktiken in Syrien systemisch sind (vgl. AA v. 4.12.2020, S. 18 f; AA, v. 20.11.2019, S. 14 f., 21; BFA v. 18.12.2020, S. 39; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Syrien v. 25.1.2018, S. 34; DOS/DOI v. 22.2.2018, S. 2, SFH v. 21.3.2017, S. 8 ff.). Die Sicherheitskräfte verfügen über eine „carte blanche“, um zu tun, was immer sie möchten, wenn sie irgendjemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen. Alles kann passieren; es gibt dementsprechend keinerlei Garantien (IRBC v. 19.1.2016, Tz. 2). Misshandlungen kann es auch ohne triftigen Grund geben (EASO, April 2020, S. 33). Auch Personen, die nichts mit der Opposition zu tun haben, und sogar regimenahe Personen können verhaftet und misshandelt werden (vgl. AA v. 4.12.2020, S. 25; AA v. 20.11.2019, S. 21; Foreign Policy, A Deadly Welcome Awaits Syria’s Returning Refugees v. 6.2.2019). Der Umgang ist maßgeblich von der Entscheidung des jeweils diensthabenden Beamten der Sicherheitskräfte und seiner persönlichen Einstellung abhängig (DIS, Februar 2019, S. 25; ähnlich AA v. 12.2.2019, S. 2; Amnesty International [AI], Auskunft an VG Berlin zu VG 2 K 668.16 A v. 26.3.2019, S. 1 f.). Das Vorgehen der Sicherheitskräfte ist generell von Brutalität und Willkür geprägt (vgl. Finnish Immigration Service [FIS], Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, veröffentlicht 14.12.2018, S. 39 ff.; AA v. 4.12.2020, S. 18 ff.; AA v. 20.11.2019, S. 14 ff.; SFH v. 21.3.2017, S. 9; UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Syria v. 7.5.2020, S. 21 f.).

Vor diesem Hintergrund lässt der Senat weiterhin offen, ob angesichts der nicht von der Hand zu weisenden Möglichkeit, bei der Einreise Opfer willkürlicher Gewaltanwendung zu werden, eine Verfolgungshandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. zu dem erheblichen Risiko insbes. AA v. 4.12.2020, S. 26; AA v. 20.11.2019, S. 22). Jedenfalls fehlt es an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen einer etwaigen Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG. Die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel lassen den Schluss, dass Rückkehrern ohne besonderes Profil von Seiten des syrischen Staates regelhaft eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben wird, weiterhin nicht zu (vgl. insbesondere AA v. 4.12.2020, S. 30, AA v. 12.2.2019, S. 2; DIS, Februar 2019, S. 19 f.; EASO, März 2020, S. 27 f.). Auch Amnesty International liegen keine Erkenntnisse vor, dass die syrische Regierung bereits grundsätzlich die Stellung eines Asylantrags als Ausdruck regimefeindlicher oder oppositioneller Haltung versteht (AI, Auskunft an HessVGH zu 3 A 638/17.A v. 20.9.2018, S. 1). Ein solcher Schluss widerspräche vor dem Hintergrund, dass aus Syrien nach Angaben des UNHCR mittlerweile rund 6,6 Millionen Menschen geflohen sind (https://www.unhcr.org/refugee-statistics/, Stand 15.4.2021) und allein die Bundesrepublik Deutschland seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahr 2011 bis zum 31. Dezember 2020 rund 800.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen hat (Statistisches Bundesamt, Fachserie 1 Reihe 2, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Ausländische Bevölkerung, Stand 12.4.2021, S. 92) auch offensichtlich der Realität (vgl. bereits Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 56).

Das entspricht den offiziellen Äußerungen des syrischen Regimes. Gegenüber dem Danish Immigration Service hat der Leiter der Abteilung für Einwanderung und Pässe (Chief of Immigration and Passports Department) im syrischen Innenministerium, General Naji Numeir, ausgeführt, dass Personen, die illegal ausgereist und/oder Asyl in benachbarten oder westlichen Staaten erhalten hätten, keine Verfolgung zu befürchten hätten. Die Regierung erkenne an, dass die Flucht aufgrund des Krieges und vor Gruppen, die die Regierung bekämpft hätten, erfolgt sei. Auf eine Strafverfolgung werde verzichtet (DIS, Februar 2019, S. 67 f.; UNHCR v. 7.5.2020, S. 21). Bei aller Vorsicht, die bei der Bewertung der offiziellen Äußerungen syrischer Stellen angebracht ist, zeigt dies: Auch dem syrischen Staat steht klar vor Augen, dass - was die Schilderungen der Kläger in den zahlreichen beim Senat anhängigen Verfahren bestätigen - die allgemeine Lebenssituation in Syrien und die Bedrohung durch den Bürgerkrieg hinreichende Motive sind, das Land zu verlassen und Zuflucht in einem anderen Staat zu suchen. Ohne ein Hinzutreten besonderer gefahrerhöhender Umstände ist daher nicht davon auszugehen, dass Rückkehrer allein wegen ihrer (illegalen) Ausreise, der Asylantragstellung und dem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an den Verfolgungsgrund der (unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung anknüpfende Verfolgung zu befürchten haben. In dieser Bewertung der Lage sind sich die Obergerichte - soweit sie sich geäußert haben - seit längerem einig (vgl. VGH BW, Urt. v. 23.10.2018 - A 3 S 791/18 -, juris Rn. 18 ff., u. Urt. v. 9.8.2017 - A 11 S 710/17 -, juris Rn. 38 ff.; BayVGH, Urt. v. 21.9.2020 - 21 B 19.32725 -, juris Rn. 23 ff., u. Urt. v. 12.12.2016 - 21 B 16.30364 -, juris Rn. 62 ff.; OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 12.2.2019 - 3 B 27.17 -, juris Rn. 17 ff., u. Urt. v. 22.11.2017 - 3 B 12.17 -, juris Rn. 27 ff.; BremOVG, Urt. v. 24.1.2018 - 2 LB 194/17 -, juris Rn. 39 ff.; HambOVG, Urt. v. 11.1.2018 - 1 Bf 81/17.A -, juris Rn. 52 ff.; HessVGH, Urt. v. 26.7.2018 - 3 A 403/18.A -, juris Rn. 13; OVG NRW, Beschl. v. 25.1.2021 - 14 A 822/19.A -, juris Rn. 35 ff., u. Urt. v. 21.2.2017 - 14 A 2316/16.A -, juris Rn. 29 ff.; OVG RP, Urt. v. 12.4.2018 - 1 A 10988/16 -, juris Rn. 43 f., u. Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 40 ff.; OVG Saarl., Urt. v. 26.4.2018 - 1 A 543/17 -, juris Rn. 32 ff., u. Urt. v. 2.2.2017 - 2 A 515/16 -, juris Rn. 21 ff.; SächsOVG, Urt. v. 7.2.2018 - 5 A 1245/17.A -, juris Rn. 21 ff.; OVG LSA, Beschl. v. 29.3.2017 - 3 L 249/16 -, juris Rn. 9 ff.; OVG SH, Urt. v. 26.9.2019 - 5 LB 38/19 -, juris Rn. 54 ff., u. Urt. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16 -, juris Rn. 37 ff.; ThürOVG, Urt. v. 15.6.2018 - 3 KO 155/18 -, juris Rn. 60 ff.; jeweils stRspr.).

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren vorgetragen hat, die Änderung der Praxis der Passerteilung im Ausland durch das Regime spreche nicht dafür, dass die Stellung eines Asylantrages in Deutschland nicht mehr als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung aufgefasst werde, bezieht er sich lediglich auf ältere Quellen aus der Zeit bis zum Jahr 2018, die zudem der hier anhand der aktuellen Erkenntnismittellage gewonnenen Überzeugung nicht entgegenstehen.

b) Wehrdienstentziehung führt ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgung aus politischen Gründen (vgl. bereits Senatsbeschl. v. 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris Rn. 32 ff.).

aa) Mit der syrischen Praxis der Rekrutierung hat sich der Senat in seinem Urteil vom 27. Juni 2017 (- 2 LB 91/17 -, juris Rn. 73 ff.) ausführlich befasst:

„In Syrien besteht grundsätzlich für alle syrischen Männer Militärdienstpflicht. Die Registrierung erfolgt im Alter von 18 Jahren. Es werden zwischenzeitlich aber auch jüngere eingezogen (SFH v. 23.3.2017, Dt. Botschaft Beirut, Auskunft v. 3.2.2016). Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von 42 Jahren. Auch diese Altersgrenze wird mittlerweile überschritten (Finnish Immigration Service v. 23.8.2016, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition). Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten mit ihrer Einberufung rechnen (AA v. 2.1.2017 an VG Düsseldorf, 508-9-516.80/48808), und zwar unter Umständen im Alter bis zu 50 oder 60 Jahren (SFH v. 23.3.2017). Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (UNHCR 4/2017, AA v. 2.1.2017 an VG Düsseldorf 508-9-516.80/48808, SFH v. 30.7.2014). Entlassungen aus dem Militärdienst sind eher zur Ausnahme geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (SFH v. 28.3.2015, Finnish Immigration Service v. 23.8.2016).

Jegliche Arten einer Wehrdienstentziehung stehen unter Strafandrohung. Entziehung durch Verlassen des Wohnortes ohne Angabe der Adresse führt zur Geldbuße oder drei Monaten bis zwei Jahren Haft. Bei Wehrdienstentziehung in Friedenszeiten droht Haft zwischen ein und sechs Monaten, in Kriegszeiten bis zu fünf Jahren. Für Desertion drohen fünf Jahre Haft. Wer als Deserteur das Land verlässt, muss mit Haft zwischen fünf und zehn Jahren rechnen. Wer im Angesicht des Feindes desertiert/zum Feind überläuft, dem droht die Todesstrafe (AA v. 2.1.2017 an VG Düsseldorf, 508-9-516.80/48808).

Zudem ist die Ausreisemöglichkeit von Wehrdienstpflichtigen eingeschränkt. Bereits seit Ausbruch des Krieges verlangen syrische Behörden bei einer Ausreise von Männern im Alter zwischen 18 und 42 Jahren eine Bewilligung der Armee. Seit Oktober 2014 besteht darüber hinaus für zwischen 1985 und 1991 geborene Männer ein generelles Ausreiseverbot (SFH v. 23.3.2017).

Seit Herbst 2014 hat das syrische Regime die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten und die Suche nach Wehrdienstentziehern und Deserteuren intensiviert und dieses Vorgehen seit Januar 2016 nochmals gesteigert. Es erfolgen örtliche Generalmobilmachungen und intensive Razzien im öffentlichen und privaten Bereich. An den Checkpoints der syrischen Armee gibt es Listen mit Namen von einzuziehenden Reservisten/erstmals wehrdienstpflichtiger junger Männer, die bei Aufgreifen verhaftet werden (SFH v. 23.3.2017, v. 28.3.2015, Mobilisierung in die syrische Armee).“

Diese Feststellungen des Senats gelten fort. Neuere Quellen bestätigen, dass die syrische Armee weiterhin auch zwangsweise rekrutiert. Auch wenn die Anzahl der Kampfhandlungen nach Rückeroberung weiter Landesteile durch das syrische Regime und seine Verbündeten zurückgegangen ist, besteht aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger sowie Verlusten durch Kampfhandlungen weiterhin ein hoher Personalbedarf des syrischen Militärs (vgl. AA v. 4.12.2020, S. 7, 14; BFA v. 18.12.2020, S. 44; DIS, Mai 2020, S. 9 f.; DIS, Syria - Issues Regarding Military Service, Oktober 2019, S. 11; EASO, März 2020, S. 33). Auch palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen der Wehrpflicht. Sie dienen in der Regel in der Palästinensischen Freiheitsarmee (Palestinian Liberation Army) unter palästinensischen Offizieren, die de facto ein Teil der syrischen Armee ist (vgl. AA, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien v. 13.11.2018, S. 11; FIS v. 14.12.2018, S. 6; EASO, März 2020, S. 31). Eine legale Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung besteht in Syrien nicht, auch ein (ziviler) Ersatzdienst ist nicht möglich (vgl. AA v. 4.12.2020, S. 14; UNHCR v. 7.5.2020, S. 8). Während bei Rekrutierungen die untere Altersgrenze von 18 Jahren in aller Regel beachtet wird und Minderjährige grundsätzlich nicht zwangsweise zum Wehrdienst in der syrischen Armee verpflichtet werden (vgl. DIS, Mai 2020, S. 18; DIS, Syria, Recruitment Practices in Government-controlled Areas, August 2017, S. 11 [Quellen dazu in Fn. 38]; BFA v. 18.12.2020,S. 42; FIS v. 14.12.2018, S. 6; Landinfo, Syria: Reactions against deserters und draft evaders v. 3.1.2018, S. 9, siehe aber auch S. 10; anders unter Berufung auf eine einzige Quelle wohl nur BFA, Fact Finding Mission Report Syrien, August 2017, S. 18), ist unsicher, inwieweit dies auch für die obere Altersgrenze von 42 Jahren gilt. Einzelnen Berichten zufolge müssen auch Personen, die bis zu 50 oder sogar 55 Jahre alt sind, mit ihrer Einberufung als Rekruten oder Reservisten rechnen (vgl. Petra Becker an VG Dresden v. 6.2.2017, Tz. II. 1.; FIS v. 14.12.2018, S. 6; DIS, Oktober 2019, S. 11; EASO, März 2020, S. 31 f.). Dieses Risiko besteht jedenfalls für Personen, die über besondere technische und/oder militärische Fähigkeiten verfügen (vgl. BFA v. 18.12.2020, S. 44; DIS, August 2017, S. 12). Der Schwerpunkt der Rekrutierungsbemühungen der syrischen Armee für den Wehr- bzw. Reservedienst liegt jedoch bei Männern im Alter von bis zu 27 Jahren, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können (vgl. BFA v. 18.12.2020, S. 45; EASO, März 2020, S. 32, FIS v. 14.12.2018, S. 6). Männern, die das wehrfähige Alter erreicht haben, sendet die Regierung Einberufungsbescheide mit der Aufforderung zu, sich zum Militärdienst anzumelden. Die Namen der einberufenen Personen werden in einer zentralen Datenbank erfasst (vgl. BFA v. 18.12.2020, S. 44, DIS, Mai 2020, S. 11). Die Wehrpflicht wird unter anderem mittels Checkpoints und Straßenkontrollen im öffentlichen Raum (insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten), auf Ämtern bei Behördengängen, an Universitäten und in Krankenhäusern und teilweise auch weiterhin durch gezielte Hausdurchsuchungen durchgesetzt (vgl. DIS, Mai 2020, S. 11f.; BFA v. 18.12.2020, S. 44 f.; Landinfo v. 3.1.2018, S. 7; UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update V, November 2017, S. 40; AA v. 20.11.2019, S. 11).

Syrer im wehrdienstfähigen Alter (18 bis 42 Jahre), die im Ausland (arabische und nicht-arabische Länder) leben, können sich allerdings gemäß dem syrischen Militärdienstgesetz gegen ein Wehrersatzgeld von 8.000 USD von der Wehrpflicht freikaufen. Voraussetzung hierfür ist ein mindestens vierjähriger durchgehender Aufenthalt im Ausland. Ist die betreffende Person im Ausland geboren, beträgt die erforderliche Zahlung nur 2.500 USD, wenn die Zahlung bis zum 25. Lebensjahr erfolgt. Zwar muss das Wehrersatzgeld grundsätzlich innerhalb einer Frist von drei Monaten nach einer erfolgten Einberufung zum Wehrdienst gezahlt werden. Wenn dies nicht geschehen ist, reicht jedoch zur Erreichung der Wehrpflichtbefreiung eine zusätzliche Zahlung in Höhe von etwa 100 USD für jedes Jahr, seitdem die betreffende Person das Alter von 18 Jahren erreicht hat. Für Reservisten greift die Befreiungsmöglichkeit durch Zahlung eines Geldbetrages dagegen nicht (DIS, Mai 2020, S. 22 f., DIS, Oktober 2019, S. 5 ff., BFA v. 18.12.2020 S. 47 f.). Die vorgenannte Befreiungsregelung findet gemäß Äußerungen von syrischen Regierungsvertretern auch für Personen Anwendung, die das Land illegal verlassen haben (vgl. DIS, Mai 2020, S. 23; DIS, Februar 2019, S. 7). Zur Erlangung der Befreiung ist es erforderlich, dass die betreffende Person ihren Status bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigt und das Wehrersatzgeld zahlt, so dass ihr Name von den Fahndungslisten gestrichen wird, bevor sie nach Syrien zurückkehrt (BFA v. 25.12.2020, S. 48, DIS, Dezember 2020, S. 8, 10; DIS, Mai 2020, S. 23 ff.; DIS, Oktober 2019, S. 7 f.). Ausweislich der weit überwiegenden Mehrheit der vom Danish Immigration Service und vom Finnish Immigration Service zur tatsächlichen Umsetzung befragten Quellen entspricht die vorgenannte Befreiungsregelung für im Ausland lebende Syrer der gelebten Praxis und wird von der syrischen Regierung tatsächlich umgesetzt bzw. von den regimetreuen Milizen beachtet (DIS, Mai 2020, S. 25 ff.; DIS, Oktober 2019, S. 9.; DIS, Februar 2019, S. 28; FIS, 14.12.2018, S. 12; lediglich zwei vom DIS befragte Quellen stellten wegen früherer Erfahrungen mit der Umsetzung von Befreiungsregelungen die Zuverlässigkeit der Umsetzung der Freikaufregelung in Frage, vgl. DIS, Februar 2019, S. 29; hierauf abstellend EASO, März 2020, S. 36).

bb) Entzieht sich ein Wehrpflichtiger - unabhängig davon, ob er als Rekrut oder Reservist herangezogen wird - dem Wehrdienst, droht ihm die Festnahme bei der Einreisekontrolle an der Grenze oder am Flughafen, an einem Checkpoint, bei einer Razziaoder bei jedem sonstigen Kontakt mit den staatlichen Sicherheitsbehörden. Der Festnahme folgt in der Praxis jedoch regelmäßig nicht die gesetzlich angedrohte strafrechtliche Sanktion; ein Wehrstrafprozess findet in der Regel nicht statt (für Personen im Ausland anders, aber lediglich auf einer einzigen Quelle beruhend nur SFH, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei der Rekrutierung v. 18.1.2018, S. 7). Wehrdienstentzieher werden nach weitgehend übereinstimmender Quellenlage vielmehr unverzüglich eingezogen und müssen damit rechnen, nach gegebenenfalls nur minimaler Ausbildung unverzüglich zum Einsatz, auch an vorderster Front, zu gelangen (UNHCR v. 7.5.2020, S. 9; UNHCR, November 2017, S. 40; DIS, Mai 2020, S. 31; DIS, Februar 2019, S. 17; EASO, März 2020, S. 37; Landinfo v. 3.1.2018, S. 8). Insbesondere die zahlreichen vom Danish Immigration Service befragten Quellen gehen nahezu einhellig davon aus, dass Wehrdienstentziehern üblicherweise die sofortige Einziehung zum Wehrdienst droht (DIS, August 2017, insbes. S. 39, 45, 55, 68, 74, 81, 86, 103; ebenso DIS, Februar 2019, S. 35). In manchen nicht näher quantifizierbaren Fällen erfolgt zuvor eine Inhaftierung für einen begrenzten Zeitraum (vgl. Quellen des DIS, August 2017, S. 39, 61, 74, 103; DIS, Mai 2020, S. 31; Landinfo v. 3.1.2018, S. 8). Bei Verhören und in Haft kommt es - wie in Syrien durchaus üblich - in nicht quantifizierbarem Umfang zu Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen (UNHCR, November 2017, S. 41; UNHCR v. 7.5.2020, S. 22 mit Fn. 89; Landinfo v. 3.1.2018, S. 8; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion v. 23.3.17, S. 10; SFH v. 18.1.2018, S. 7; BFA, August 2017, S. 20). Die Entscheidung darüber, ob der Betreffende inhaftiert und misshandelt wird, erfolgt offenbar willkürlich und vor Ort (Landinfo v. 3.1.2018, S. 8).

Ob im Gegensatz zu einfachen Wehrdienstentziehern bei Deserteuren (Fahnenflüchtigen), die den bereits angetretenen Wehrdienst ungenehmigt verlassen haben, regelhaft mit schwerwiegenderen Konsequenzen zu rechnen ist, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung (vgl. hierzu DIS, Mai 2020, S. 33 f.; EASO, März 2020, S. 37; BFA v. 18.12.2020, S. 50; zur früheren Auskunftslage vgl. Landinfo v. 3.1.2018, S. 10; SFH v. 23.3.2017, S. 10 f.).

cc) Vor diesem Hintergrund lässt der Senat offen, ob Wehrdienstentziehern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 und 2 AsylG droht. Nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellen die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen (vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017 - 1 B 22.17 -, juris Rn. 14). Das ist nicht der Fall. Es fehlt an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen der Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG.

Die dem Senat zugänglichen Quellen lassen auch im Licht der abweichenden Rechtsprechung nur noch einzelner Obergerichte (vgl. mittlerweile nur noch HessVGH, Urt. v. 26.7.2018 - 3 A 403/18.A -, juris Rn. 14 ff.; ThürOVG, Urt. v. 15.6.2018 - 3 KO 155/18 -, juris Rn. 69 ff.; zur im Hinblick auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ergangenen Entscheidung d. OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 29.1.2021 - 3 B 109.18 -, juris Rn. 22 ff., siehe weiter unten) nicht den Schluss zu, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer solchen Verknüpfung auszugehen ist (vgl. mit weiterführenden Hinweisen Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 85 ff.; bestätigt durch Senatsbeschl. v. 31.8.2020 - 2 LB 674/18 -, juris Rn. 31 ff.; v. 16.7.2020 - 2 LB 39/20, juris Rn. 32 ff.; v. 16.1.2020 - 2 LB 731/19 -, juris Rn. 34 ff.; v. 2.7.2019 - 2 LB 402/19 -, juris Rn. 35 ff.; v. 3.4.2019 - 2 LB 341/19 -, juris Rn. 33 ff.; v. 11.3.2019 - 2 LB 284/19 -, juris Rn. 34 ff.; v. 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris Rn. 32 ff.; v. 18.5.2018 - 2 LB 172/18 -, juris Rn. 19 ff.; v. 18.4.2018 - 2 LB 101/18 -, juris Rn. 19 ff.; v. 14.3.2018 - 2 LB 1749/17 -, juris Rn. 19 ff.; v. 22.2.2018 - 2 LB 1789/17 -, juris Rn. 33 ff.; v. 12.9.2017 - 2 LB 750/17 -, juris Rn. 19 ff.; wie hier auch die mittlerweile ganz überwiegende Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe; vgl. BayVGH, Urt. v. 21.9.2020 - 21 B 19.32725 -, Rn. 26 ff., u. Urt. v. 12.4.2019 - 21 B 18.32459 -, juris Rn. 42 ff.; VGH BW, Urt. v. 27.3.2019 - A 4 S 335/19 -, juris Rn. 36 ff., u. Urt. v. 23.10.2018 - A 3 S 791/18 -, juris Rn. 25 ff.; BremOVG, Urt. v. 24.1.2018 - 2 LB 194/17 -, juris Rn. 47 ff.; OVG NRW, Urt. v. 22.3.2021 - 14 A 3439/18.A -, juris Rn. 46 ff., u. Urt. v. 4.5.2017 - 14 A 2023/16.A -, juris Rn. 37 ff.; OVG Saarl., Urt. v. 26.4.2018 - 1 A 543/17 -, juris Rn. 35 ff., u. Urt. v. 2.2.2017 - 2 A 515/16 -, juris Rn. 31; OVG RP, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 134 ff.; HambOVG, Urt. v. 11.1.2018 - 1 Bf 81/17.A -, juris Rn. 90 ff.; OVG SH, Urt. v. 26.9.2019 - 5 LB 38/19 -, juris Rn. 67 ff., u. Urt. v. 4.5.2018 - 2 LB 17/18 -, juris Rn. 88 ff.; SächsOVG, Urt. v. 21.8.2019 - 5 A 644/18.A -, juris Rn. 24 ff.; jeweils stRspr.; hinsichtlich der tatsächlichen Beurteilung auch OVG MV, Urt. v. 21.3.2018 - 2 L 238/13 -, juris Rn. 43 ff. [„sichere Prognose einer politischen Verfolgung … nicht möglich“]). Insbesondere fehlt es für die Annahme, das syrische Regime unterstelle jedem Wehrdienstentzieher mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine regimefeindliche, oppositionelle Gesinnung, an belastbaren Anknüpfungstatsachen.

Die Aussage, dass das syrische Regime eine Wehrdienstentziehung wahrscheinlich als eine politische, gegen die Regierung gerichtete Handlung betrachtet, findet sich in erster Linie noch in den Hinweisen des UNHCR. Aus den aktuellen Herkunftslandinformationen zu Syrien ergibt sich, dass nach Auffassung des UNHCR Wehrdienstentziehung besonders dann als oppositioneller Akt angesehen werde, wenn weitere Umstände wie die Teilnahme an Demonstrationen, die Kundgabe regierungsfeindlicher Äußerungen, die Herkunft aus einem Oppositionsgebiet, familiäre Beziehung zur Opposition oder die Flucht in das Ausland hinzukämen (UNHCR v. 7.5.2020, S. 8 ff.; ähnlich schon UNHCR, November 2017, S. 39 ff.; UNHCR, April 2017, S. 23). Weiterhin fehlen aber objektivierbare Belege für diese Auffassung. Die in dem jüngsten Bericht vom 7. Mai 2020 zitierten Quellen (dort Fn. 33) lassen nicht genau erkennen, worauf sie ihre Auffassung stützen. Zudem ist den Quellen gerade zu entnehmen, dass nicht jeder Wehrdienstentzieher als oppositionell betrachtet wird, sondern es maßgeblich darauf ankommt, ob eine Person bereits aufgrund anderweitiger Umstände als oppositionell wahrgenommen wird. Ungeachtet der bei dem UNHCR zweifellos vorhandenen Expertise bei der Beurteilung flüchtlingsrechtlicher Fragestellungen rechtfertigen es die Darstellungen des UNHCR daher nicht, (allein) daraus die gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund abzuleiten. Das gilt auch unter Berücksichtigung des auf die Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen abstellenden Prüfungsmaßstabs. Ein besonnen und vernünftig denkender Mensch wird einer Einschätzung des UNHCR ein beachtliches Gewicht beimessen, auf eine Objektivierung und nähere Begründung dieser Einschätzung sowie auf eine Berücksichtigung aller weiteren Umstände aber nicht verzichten.

Gegen eine pauschale Einstufung als oppositionell spricht erstens der Vergleich der Behandlung, die Wehrdienstentzieher in Syrien erfahren, mit der Behandlung, die Personen droht, die sich tatsächlich politisch gegen das Regime betätigt haben bzw. vom Regime derartiger Betätigungen bezichtigt werden. Politisch oppositionelle Personen werden nach allen verfügbaren Quellen mit aller Konsequenz und extremer Härte verfolgt. Ihnen drohen regelhaft und nicht nur in bestimmten Fällen Haft, Folter, Misshandlung, Verschwindenlassen und der Tod (vgl. statt vieler AA v. 4.12.2020, S. 12; AI, „It breaks the Human“, Torture, Disease and Death in Syria’s Prisons, August 2016, S. 17 ff.; UNHCR, November 2017, S. 35 ff.; ebenso UNHCR, April 2017, S. 7 ff.; EASO, März 2020, S. 13 ff.). Bei Wehrdienstentziehern ist die Situation nach allen Berichten anders. Wie ausgeführt stehen hier Fälle, in denen Wehrdienstentzieher ohne ernstliche weitere Konsequenzen den Streitkräften zugeführt werden, neben anderen Fällen, in denen die Betreffenden inhaftiert werden und wiederum anderen Fällen, in denen es zu Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen kommt. Den weitaus überwiegenden Berichten zufolge ist die unmittelbare Einziehung ohne weitere Konsequenzen sogar die Regel (EASO, März 2020, S. 37; DIS, Mai 2020, S. 31; DIS, Februar 2019, S. 17; DIS, August 2017, S. 13; Landinfo v. 3.1.2018, S. 8; vgl. auch UNHCR v. 7.5.2020, S. 9 f.; UNHCR, November 2017, S. 40). Das gilt auch für Rückkehrer (AA v. 4.12.2020, S. 30). Wehrdienstentzieher haben mithin nicht stets dieselben Konsequenzen zu befürchten, die Oppositionelle zu erwarten haben. Die Verfolgungsdichte ist geringer. Das zeigt, dass das syrische Regime zwischen Oppositionellen und Wehrdienstentziehern differenziert und diese gerade nicht gleichsetzt.

Gegen die Annahme, Wehrdienstentzieher stünden unter dem Generalverdacht einer oppositionellen Haltung, spricht zweitens die bereits eingangs behandelte Möglichkeit der Befreiung vom Wehrdienst durch Zahlung eines Wehrersatzgeldes für im Ausland lebende Syrer, die nach fast allen hierzu vorliegenden aktuellen Berichten in der Praxis auch tatsächlich umgesetzt wird (vgl. ausführlich DIS, Mai 2020, S. 25 ff.; DIS, Oktober 2019, S. 9; DIS, Februar 2019, S. 28 f..; FIS, 14.12.2018, S. 12). Dies gilt umso mehr, als die syrische Regierung den Prozess der Erlangung einer Befreiung vom Wehrdienst durch Zahlung eines Wehrersatzgeldes vereinfacht hat, da sie dringend auf die Erlangung ausländischer Devisen angewiesen ist (vgl. DIS, Mai 2020, S. 25, m.w.N. in Fn. 156; DIS, Oktober 2019, S. 9; siehe auch FIS, 14.12.2018, S. 12). Dass das syrische Regime die Möglichkeit zum Freikauf vom Wehrdienst durch Zahlung eines Geldbetrages auch tatsächlich respektiert und die entsprechenden Personen nach einer Rückkehr nicht mehr zum Wehrdienst einzieht, liegt daher in seinem eigenen Interesse, da anderenfalls eine abschreckende Wirkung auf weitere im Ausland befindliche potentielle Interessenten zu erwarten wäre. Hierdurch würden die Möglichkeiten des Regimes zur Erlangung ausländischer Devisen geschmälert. Auch wenn Berichte dazu vorliegen, dass in westlichen Staaten lebende Wehrdienstentzieher aus Syrien nur selten Gebrauch von der Freikaufregelung machen würden, da sie fürchteten, der Besuch einer syrischen Auslandsvertretung könne als Nachweis dafür angesehen werde, dass sie nicht von der syrischen Regierung verfolgt würden (vgl. DIS, Mai 2020, S. 27), zeigt die Umsetzung der vorgenannten Befreiungsmöglichkeit in deutlicher Weise, dass das syrische Regime gerade nicht jedem Wehrdienstentzieher eine oppositionelle Gesinnung zuschreibt. Angesichts der unerbittlichen Härte und Konsequenz, mit welcher das Regime Personen verfolgt, die sich in seinen Augen tatsächlich oppositionell betätigt haben, dürfte es als äußerst unwahrscheinlich anzusehen sein, dass das Regime oppositionellen Personen in vergleichbarer Weise wie den ins Ausland geflohenen Wehrdienstentziehern eine Möglichkeit zum Freikauf von den gegen sie erhobenen Vorwürfen anbieten und in der Folge auch tatsächlich von Verfolgungsmaßnahmen gegen diesen Personenkreis absehen würde.

In Rechnung zu stellen sind des Weiteren die vom Regime erlassenen Amnestien, die auch für Wehrdienstentzieher eine Straffreiheit vorsehen. Das am 9. Oktober 2018 verkündete Dekret Nr. 18/2018 sah eine generelle Amnestie für diejenigen Wehrdienstentzieher vor, die sich binnen vier bzw. - bei einem Aufenthalt im Ausland - binnen sechs Monaten stellen (vgl. dazu DIS, Februar 2019, S. 29 ff.). Dieses Dekret schließt Personen mit oppositioneller Haltung, die gegen das Regime gekämpft oder sich den Rebellen angeschlossen haben, ausdrücklich aus (vgl. Al Jazeera, Syria's Assad offers amnesty to army deserters, 9.10.2018; ebenso die vom DIS, Februar 2019, S. 48, zitierte Quelle). Mit dem am 15. September 2019 verabschiedeten Dekret Nr. 20/2019 hat das syrische Regime unter anderem die vorstehende Amnestieregelung bestätigt. Auch eine im März 2020 im Zuge der COVID-19-Pandemie erlassene „Generalamnestie“ deckt Vergehen wie die Wehrdienstverweigerung ab. Allerdings ist zu beachten, dass über die Umsetzung der dargestellten Amnestien nur sehr wenig bekannt ist. Nach den vorliegenden Berichten wird von den Amnestieregelungen für Wehrdienstentzieher kaum Gebrauch gemacht, da sie die Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes selbst unberührt lassen. Davon abgesehen herrscht in der syrischen Bevölkerung ein starkes Misstrauen gegenüber von der Regierung angekündigten Amnestieregelungen, da diese in der Vergangenheit vom Regime immer wieder gebrochen worden sind (vgl. BFA v. 18.12.2020, S. 51 f., DIS, Mai 2020, S. 35 f., DIS, Februar 2019, S. 30; EASO, März 2020, S. 37 f., AA v. 4.12.2020, S. 12). Gleichwohl sprechen auch die Amnestieregelungen dafür, dass das syrische Regime einen Unterschied macht zwischen gewöhnlichen Wehrdienstentziehern und solchen Personen, denen es eine oppositionelle Betätigung vorwirft. Denn von der Anwendung der Amnestieregelungen werden genau jene Verbrechen explizit ausgenommen, die (vermeintlich) oppositionellen Syrern immer wieder vorgeworfen werden, darunter vielfach solche nach der Anti-Terror-Gesetzgebung von 2012 (vgl. BFA v. 18.12.2020, S. 51; AA v. 4.12.2020, S. 12).

Die Behandlung, die Wehrdienstentzieher erfahren, entspricht im Ergebnis der Behandlung, die allen Personen droht, die in engeren Kontakt mit den Sicherheitsbehörden kommen und von diesen festgehalten werden. Wie insbesondere die Berichte des Auswärtigen Amts (AA v. 4.12.2020, S. 18 ff., AA v. 20.11.2019, S. 14 f.), die Schilderungen von Amnesty International (AI, Human Slaughterhouse, Mass Hangings and Extermination at Saydnaya Prison, Syria, Februar 2017, S. 11 ff.; August 2016, S. 17 ff.) und ein Bericht des Finnish Immigration Service (14.12.2018, S. 39 ff.) belegen, gehören willkürliche Übergriffe, Inhaftierungen, Misshandlungen, Folter, Verschwindenlassen und Tötungen im Gewahrsam seit vielen Jahren zu den ständigen Praktiken der Sicherheitsdienste. Sie sind weit verbreitet und systemisch angelegt, geschehen in einem Klima der Straflosigkeit und treffen nicht bloß missliebige Aktivisten und als nicht ausreichend regimetreu wahrgenommene Personen, sondern können sich - einem Willkürstaat entsprechend und zur Unterdrückung und Einschüchterung der Bevölkerung nach der entsprechenden Staatslogik durchaus zielführend - gegen jedermann richten (BFA v. 25.1.2018, S. 34, AI, August 2016, S. 16 f.). Ebenso wie alle Rückkehrer geraten Wehrdienstentzieher bei der Rückkehr im Rahmen der Grenzkontrolle in Kontakt mit den Sicherheitsbehörden und werden von ihnen kontrolliert, befragt und gegebenenfalls festgehalten. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass es hierbei - wie auch sonst bei Rückkehrern aus dem Ausland - in nicht quantifizierbarem Umfang, nach der Quellenlage aber nicht regelhaft, zu einer Verletzung elementarer Menschenrechte kommt (vgl. AA, Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019 v. 19.5.2020, S. 7; AA v. 4.12.2020, S. 25 f.). Diese Verletzungen sind daher ebenso wie die Anwendung der Anti-Terror-Gesetzgebung (dazu AA v. 19.5.2020, S. 5) kein tragfähiger Beleg dafür, dass der syrische Staat Wehrdienstentziehern generell eine regimefeindliche politische Gesinnung unterstellt. Sie sind nach der Überzeugung des Senats vielmehr Ausdruck des willkürlichen, brutalen und keinerlei rechtlichen Grenzen unterworfenen Handelns der Sicherheitsbehörden (vgl. erneut IRBC v. 19.1.2016, Tz. 2; SFH v. 21.3.2017, S. 8 f.; FIS, 14.12.2018, S. 39 ff.).

Nahe liegt die pauschale Unterstellung eines politischen Motivs für Wehrdienstentzieher auch deshalb nicht, weil ein solches Motiv nach den Erkenntnissen des Senats offenkundig nicht der Realität entspricht. Bei jungen Männern wird das Ziel, sich der Wehrpflicht zu entziehen, als der Hauptgrund zum Verlassen des Landes angesehen (Landinfo v. 3.1.2018, S. 7, siehe auch EASO, März 2020, S. 31). Das deckt sich mit dem - freilich nicht repräsentativen - Eindruck, den der Senat aufgrund der Durchsicht von mehr als 1.000 Verfahrensakten gewonnen hat. Wie für die Gesamtheit der Flüchtlinge (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 56; VGH BW, Urt. v. 9.8.2017 - A 11 S 710/17 -, juris Rn. 47), so gilt auch hier, dass die Annahme, es handele sich hier durchweg um Oppositionelle, offensichtlich realitätsfern ist (vgl. VGH BW, Urt. v. 23.10.2018 - A 3 S 791/18 -, juris Rn. 40). Die generell gefährliche Lage in Syrien, die Gefahren des Militärdienstes im Besonderen, die generell schlechten Lebensverhältnisse und die mangelnden Perspektiven sind für wehrpflichtige junge Männer - für jeden und auch das Regime offensichtlich - ausreichende Gründe, um das Land zu verlassen. Der Senat hält es daher weiterhin von Rechts wegen nicht für zulässig, dem syrischen Staat in diesem Punkt ohne belastbare Belege eine gänzliche Verkennung der Realitäten zu unterstellen und diese ungesicherte Hypothese zur Grundlage der rechtlichen Bewertung zu machen. Auch die Argumentation, das syrische Regime unterstelle deshalb jedem Wehrdienstentzieher eine oppositionelle Gesinnung, weil es von einem alles beherrschenden „Freund-Feind-Schema“ geprägt sei, überzeugt vor diesem Hintergrund und angesichts der dargestellten Erkenntnismittellage zur unterschiedlichen Behandlung von Wehrdienstentziehern und tatsächlich als oppositionell angesehenen Personen nicht (vgl. hierzu im Einzelnen Senatsbeschl. v. 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris Rn. 46 f., u. v. 16.1.2020 - 2 LB 731/19 -, juris Rn. 49 f.).

Nichts anderes ergibt sich schließlich aus dem Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, seinem noch in Syrien befindlichen Bruder sei kürzlich bei einer Autofahrt nach Damaskus an einem Checkpoint des Regimes das Auto beschlagnahmt und sein Pass deswegen weggenommen worden, weil sein - des Klägers - Name auf einer Fahndungsliste gestanden habe; hierbei hätten sich die Männer am Checkpoint auf ein im Februar 2021 in Kraft getretenes Gesetz berufen, wonach auch Verwandte von Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, schikaniert würden. Denn aus diesem Vortrag lässt sich ebenfalls nicht ableiten, dass das syrische Regime dem Kläger eine oppositionelle Einstellung unterstellt. Dass der Kläger auf einer Fahndungsliste steht, ist nicht verwunderlich und entspricht der oben dargestellten Erkenntnislage zur allgemeinen Behandlung von Wehrdienstentziehern. Die im Februar 2021 in Kraft getretene Änderung des Art. 97 des syrischen Militärdienstgesetzes betrifft Männer, die - ohne in der Armee gedient zu haben - das Alter von 43 Jahren erreichen und somit nach dem Gesetz nicht mehr militärdienstpflichtig sind. Diese Personen müssen - vergleichbar mit der Freikaufregelung für im Ausland befindliche Wehrdienstpflichtige - ein Ersatzgeld in Höhe von 8.000 USD bezahlen. Anderenfalls ist eine Beschlagnahme ihres Vermögens möglich. Reicht dieses nicht aus, kann auch eine Beschlagnahme des Vermögens von Angehörigen erfolgen. Diese bereits zuvor bestehende Beschlagnahmemöglichkeit wurde mit der Gesetzesänderung von Februar 2021 dahingehend geändert, dass nunmehr - im Unterschied zur vorherigen Rechtslage - keine gerichtliche Entscheidung vor einer Beschlagnahme mehr erforderlich ist und ein Verkauf von Vermögensgegenständen unmittelbar und ohne Einspruchsmöglichkeit erfolgen kann (vgl. Human Rights Watch [HRW], Syrian ‘Military Evaders‘ Face Unlawful Seizure of Property, 9.2.2021; DIS, Mai 2020, S. 32 f.; BFA v. 18.12.2020, S. 45 f.; siehe auch EASO, März 2020, S. 28). Eine Beschlagnahme von Vermögen von Angehörigen des Klägers auf dieser Grundlage durfte von Gesetzes wegen demnach schon deshalb nicht erfolgen, weil der Kläger erst 27 Jahre alt ist. Geschah dies gleichwohl, handelte es sich offenbar um ein willkürliches Vorgehen der Sicherheitskräfte, wie dies in Syrien an Kontrollpunkten sehr häufig zu erwarten ist. Eine erkennbare Gerichtetheit im Sinne der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung kann daraus aber gerade nicht abgeleitet werden. Hiergegen spricht auch die dargestellte Regelung als solche. Ebenso wie bei anderen finanziellen Regelungen für Rückkehrer geht es dem syrischen Regime auch hierbei offensichtlich in erster Linie um die Erlangung von ausländischen Devisen (vgl. zur Freikaufregelung für im Ausland befindliche Wehrdienstpflichtige DIS, Mai 2020, S. 25; DIS, Oktober 2019, S. 9; FIS, 14.12.2018, S. 12; sowie zu einer seit Mitte 2020 erforderlichen Einreisegebühr in Höhe von 100 USD für alle Rückkehrer AA v. 4.12.2020, S. 25; US Department of State [USDOS], Syria 2020 Human Rights Report, S. 45). Gerade die Möglichkeit, eine angedrohte Sanktion durch die Zahlung eines Geldbetrages abzuwenden, spricht gegen die Annahme der generellen Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung, da das Regime wie ausgeführt den in seinen Augen tatsächlich oppositionellen Personen eine solche Möglichkeit gerade nicht einräumen würde.

Angesichts der vorstehend dargestellten umfangreichen aktuellen Erkenntnismittellage zur Situation von Wehrdienstentziehern aus Syrien hält der Senat entgegen der schriftsätzlichen Anregung des Klägers die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob Männern, die sich dem Wehrdienst in Syrien durch Verlassen des Landes entzogen haben, von der syrischen Regierung eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben wird, von Amts wegen nicht für erforderlich.

dd) Politische Verfolgung droht einem Wehrdienstentzieher auch nicht wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Nach dieser Vorschrift gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Beide Anforderungen müssen gemeinsam erfüllt sein. Eine bestimmte soziale Gruppe kann zudem nicht allein dadurch begründet werden, dass eine Mehr- oder Vielzahl von Personen in vergleichbarer Weise von etwa als Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 oder 2 AsylG bzw. Art. 9 Abs. 1 oder 2 RL 2011/95/EU zu qualifizierenden Maßnahmen betroffen wird; nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut greift auch § 3b Abs. 2 AsylG / Art. 10 Abs. 2 RL 2011/95/EU erst bei der zugeschriebenen Zugehörigkeit zu einem der im jeweiligen Absatz 1 genannten Verfolgungsgründe, nicht für die Konstitution der „sozialen Gruppe“ selbst (BVerwG, Beschl. v. 17.9.2018 - 1 B 45.18 -, juris Rn. 9 f.; Beschl. v. 23.4.2019 - 1 B 14.19 -, juris Rn. 10; beide m.w.N.). Das zugrunde gelegt liegt eine bestimmte soziale Gruppe der Wehrdienstentzieher in Syrien nicht vor (ebenso OVG SH, Urt. v. 17.8.2018 - 2 LB 30/18 -, juris Rn. 56; OVG NRW, Urt. v. 4.5.2017 - 14 A 2023/16.A -, juris Rn. 55; vgl. bereits Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 111 f.; Senatsbeschl. v. 11.3.2019 - 2 LB 284/19 -, juris Rn. 61 ff., u. zuletzt v. 31.8.2020 - 2 LB 674/18 -, juris Rn. 50 ff.).

Es fehlt bereits an einer gemeinsamen Glaubensüberzeugung, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen ist, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Wehrdienstverweigerung kann zwar - wie auch in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zum Ausdruck kommt - aus einer politisch-ethischen Überzeugung resultieren, deren Aufgabe von dem Betroffenen nicht verlangt werden kann. Die Gruppe der syrischen Wehrdienstentzieher eint diese Überzeugung jedoch nicht. Wehrdienstentziehung ist nach dem Eindruck, den der Senat aus der Bearbeitung von mehreren hundert Verfahren gewonnen hat, in einer Vielzahl von Fällen gerade nicht Ausdruck einer politischen oder ethischen Überzeugung, sondern - was ohne Weiteres nachvollziehbar ist - der Angst um das eigene Leben geschuldet (ebenso SächsOVG, Urt. v. 21.8.2019 - 5 A 644/18.A -, juris Rn. 53). Neben dieses Motiv treten häufig die Sorge um das Schicksal der Familie, wenn der Betroffene als Ehemann und Vater wehrdienstbedingt abwesend ist, sowie der Wunsch, einen zivilen Berufs- oder Bildungsweg wie beispielsweise ein Hochschulstudium nicht gegen eine mehr als ungewisse und häufig lebensgefährliche Zukunft in der Armee zu tauschen. Als übergreifendes Motiv käme daher allein die Furcht vor dem Kriegstod in Betracht. Das aber ist keine Glaubensüberzeugung im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Daraus folgt: Wehrdienstentziehung folgt einer Vielzahl von verschiedenen Motiven, unter denen das politisch-ethische Motiv nur eines ist. Eine gemeinsame Glaubensüberzeugung liegt nicht vor.

Die Gruppe der Wehrdienstentzieher hat in Syrien auch keine deutlich abgegrenzte Identität in dem Sinne, dass sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Wehrdienstentzieher werden nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen in Syrien nicht als fest umrissene und schon gar nicht als homogene Gruppe wahrgenommen. Wehrdienstentziehung hat insofern viele Ausprägungen. Manchen Wehrpflichtigen gelingt es mittels Bestechung oder über Kontakte zu verantwortlichen Militärangehörigen, sich der Einberufung zu entziehen. Andere Wehrpflichtige tauchen in Syrien unter und leben im Verborgenen. Wiederum andere entziehen sich dem Dienst durch die Flucht ins Ausland (vgl. zu alledem SFH v. 18.1.2018, S. 5 f.; UNHCR, April 2017, S. 24 f.). Hinzu kommt die bereits eingangs geschilderte unterschiedliche Motivlage der Wehrdienstentzieher, sowie die Tatsache, dass sich nach den Erfahrungen des Senats sowohl regimetreue als auch politisch unentschlossene, neutrale und gleichgültige Personen und auch Oppositionelle zur Wehrdienstentziehung entschließen. Es greift daher zu kurz, eine deutlich abgrenzbare und nach außen sichtbare Identität schon deshalb anzunehmen, weil es sich bei Wehrdienstentziehern um junge gesunde Männer, die keine Armeeuniform tragen, handelt. Abgesehen davon, dass auch in Syrien keineswegs alle jungen gesunden Männer ohne Uniform wehrflüchtig sind, ersetzen äußere Merkmale nicht die der Gruppe zugeschriebene Andersartigkeit.

Die Andersartigkeit folgt im Fall der Wehrdienstentzieher auch nicht daraus, dass Wehrdienstentziehung nach syrischem Recht strafbar ist (vgl. demgegenüber EuGH, Urt. v. 7.11.2013 - C-199/12 bis C-201/12 -, juris Rn. 48 zur Homosexualität). Die Strafbarkeit der Wehrdienstentziehung knüpft - anders als die Strafbarkeit homosexueller Handlungen - nicht unmittelbar an die Verwirklichung eines gemeinsamen unveräußerlichen Merkmals bzw. einer gemeinsamen Überzeugung an, sondern lediglich daran, dass der Betreffende dem Wehrdienst ferngeblieben ist. Die Motivlage ist für die Strafbarkeit gänzlich unerheblich; es kommt insbesondere nicht darauf an, ob die Tathandlung durch Todesangst oder das Ziel, kein Kriegsverbrechen zu begehen, geleitet ist. Die Annahme einer bestimmten sozialen Gruppe kommt schließlich nicht mit Blick auf eine der Gruppe zugeschriebene regimefeindliche, oppositionelle Gesinnung in Frage. Denn eine solche Gesinnung wird Wehrdienstentziehern - wie oben ausgeführt - vom syrischen Staat nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zugeschrieben. Dafür, dass im gesellschaftlichen Bereich etwas anderes gelten könnte, sind keine tragfähigen Anhaltspunkte ersichtlich.

Nur ergänzend merkt der Senat in diesem Zusammenhang an, dass auch von der Existenz einer bestimmten sozialen Gruppe der Wehrdienstentzieher mit politisch-ethischer Motivation nicht ausgegangen werden kann. Denn eine so umschriebene Gruppe ist gesellschaftlich nicht wahrnehmbar; zudem knüpfte eine etwaige Verfolgungshandlung nicht an die Motivation, also nicht an die Gruppenzugehörigkeit, sondern an die Wehrdienstentziehung als solche an.

ee) Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung wegen einer Wehrdienstentziehung liegt auch unter Berücksichtigung des in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG aufgenommenen Regelbeispiels einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 1 AsylG nicht vor.

Diese Vorschrift erfasst hinsichtlich der flüchtlingsrechtlichen Einordnung einer Kriegsdienstverweigerung bzw. Desertion den Spezialfall, dass es sich bei dem verweigerten Einsatz um einen völkerrechtswidrigen Kriegseinsatz handelt. Da es nach wie vor an einem international einheitlich anerkannten und verbindlichen Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung fehlt (vgl. Treiber, in: GK-AsylG, § 3a Rn. 174 m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand 117. EL Juni 2020, § 3a AsylG Rn. 29) und es als Recht eines jeden souveränen Staates anzusehen ist, Menschen im Rahmen einer allgemeinen Wehrpflicht zum Wehr- bzw. Kriegsdienst heranzuziehen und dies auch zwangsweise durchzusetzen, ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen einer Kriegsdienstverweigerung grundsätzlich als flüchtlingsrechtlich unbeachtlich anzusehen (siehe auch oben eingangs unter cc)). Dagegen ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG schon die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes selbst als Verfolgungshandlung anzusehen, da in dem dort geregelten Fall, dass der Wehrdienst die Teilnahme an Kriegsverbrechen oder anderen völkerrechtswidrigen Handlungen umfassen würde, die Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung eines Wehrdienstentzuges entfällt (vgl. Senatsbeschl. v. 14.3.2018 - 2 LB 1749/17 -, juris Rn. 93; Treiber, in: GK-AsylG, § 3a Rn. 176).

Die Anforderungen des 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG sieht der Senat jedoch weiterhin (vgl. zur bisherigen Senatsrspr. zuletzt Senatsbeschl. v. 31.8.2020 - 2 LB 674/18 -, juris Rn. 55 ff.) auch unter Berücksichtigung der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris) in zweifacher, die Entscheidung jeweils selbstständig tragender Weise nicht als erfüllt an (so im Ergebnis auch OVG NRW, Urt. v. 22.3.2021 - 14 A 3439/18.A -, juris Rn. 106 ff.; a.A. OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 29.1.2021 - 3 B 109.18, juris Rn. 24 ff.).

Ob syrischen Männern im wehrdienstpflichtigen Alter, die sich durch ihre Flucht ins Ausland dem Wehrdienst entzogen haben, im Falle einer Rückkehr regelmäßig eine Strafverfolgung oder Bestrafung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG droht, kann der Senat hierbei offenlassen (verneinend insofern OVG NRW, Urt. v. 22.3.2021 - 14 A 3439/18.A -, juris Rn. 48 ff.). Wie bereits ausgeführt, steht in Syrien grundsätzlich jede Art von Wehrdienstentziehung unter Strafandrohung. In der Praxis erfolgt jedoch regelmäßig anstelle der angedrohten strafrechtlichen Sanktion die unverzügliche Einziehung zum Militärdienst und gegebenenfalls der Einsatz auch an vorderster Front, wobei allerdings in nicht näher quantifizierbaren Fällen zuvor eine Inhaftierung erfolgen kann und es bei Verhören und in Haft auch zu Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen kommen kann (siehe oben unter bb)).

Ebenfalls keiner Entscheidung durch den Senat bedarf auch weiterhin die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Wehrdienstentziehung durch Flucht ins Ausland als Verweigerung des Militärdienstes i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG angesehen werden kann (vgl. zur bisherigen Senatsrspr. zuletzt Senatsbeschl. v. 31.8.2020 - 2 LB 674/18 -, juris Rn. 56). Der Europäische Gerichtshof hat hierzu in seinem Urteil vom 19. November 2020 zwar klargestellt, dass von dem Kriegsdienstverweigerer nicht verlangt werden kann, seine Verweigerung in einem bestimmten Verfahren zu formalisieren, wenn - wie dies in Syrien wie ausgeführt der Fall ist - das Recht des Herkunftsstaates die Möglichkeit der Verweigerung des Militärdienstes nicht vorsieht, es dementsprechend kein Verfahren zu diesem Zweck gibt und die Verweigerung unter Strafandrohung steht. Es ist daher in einem solchen Fall möglich, eine Kriegsdienstverweigerung auch dann festzustellen, wenn der Betroffene aus seinem Heimatland geflohen ist, ohne sich der Militärverwaltung zur Verfügung zu stellen (EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 29 ff.). Damit ist aber - wie bereits oben im Rahmen der Prüfung einer Vorverfolgung ausgeführt - lediglich festgestellt, dass die Erfüllung des Tatbestandes des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG in diesem Fall kein förmliches Verfahren voraussetzt (anders EuGH, Urt. v. 26.2.2015 - C-472/13 -, juris Rn. 44 f., im Fall des US-Soldaten Shepherd), nicht jedoch, dass es überhaupt keiner Manifestation der Verweigerung bedarf. Wie der Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 19. November 2020 selbst ausführt, bleibt die Frage, ob tatsächlich eine Verweigerung des Militärdienstes vorliegt, unter Berücksichtigung aller mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, der maßgeblichen Angaben des Antragstellers und den von ihm vorgelegten Unterlagen sowie seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Umstände zu prüfen (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 31). Ob gemessen hieran vorliegend eine Verweigerung anzunehmen ist, kann offenbleiben, da jedenfalls die weiteren Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nicht vorliegen.

§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG sieht vor, dass der Militärdienst in einem Konflikt Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. Diese Voraussetzung ist nach der vom Senat gewonnenen Überzeugung zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung im Falle des Wehr- bzw. Reservedienstes in der syrischen Armee nicht (mehr) als erfüllt anzusehen.

Der Begriff des „Konfliktes“, in, welchem der Militärdienst stattfinden muss, ist dabei weit zu verstehen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 3a AsylG Rn. 32). Gemäß der in Bezug genommenen Bestimmung des § 3 Abs. 2 AsylG ist ein Ausländer unter anderem dann kein Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der diesbezüglichen internationalen Vertragswerke (Satz 1 Nr. 1) begangen hat. Dies gilt auch für Ausländer, die andere zu solchen Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (Satz 2). Die Vorschrift des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG (bzw. des Art. 9 Abs. 2 lit. e RL 2011/95/EU) erfordert daher, dass der Betroffene im Rahmen des Militärdienstes in der Armee zwangsläufig oder sehr wahrscheinlich entweder selbst Kriegsverbrechen i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG (zur Definition vgl. im Einzelnen Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 3 AsylG Rn. 7 ff.) begehen oder sich bei der Ausübung anderer, etwa logistischer oder unterstützender Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Verbrechen beteiligen müsste (EuGH, Urt. v. 26.2.2015 - C-472/13 -, juris Rn. 36 ff.; Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 34 ff.). Diese Anforderungen gelten auch für einen noch nicht zum Wehrdienst eingezogenen Wehrpflichtigen oder Reservisten, der seinen künftigen militärischen Einsatzbereich noch nicht kennt (EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 33 ff.; vgl. auch Urt. v. 26.2.2015 - C-472/13 -, juris Rn. 34). Auch im Falle einer Armee wie der syrischen, aus deren Reihen wiederholt und systematisch schwerste Kriegsverbrechen begangen wurden (vgl. nur AA v. 20.11.2019, S. 5 f.), kann nicht allein mit Darlegungs- und Beweisschwierigkeiten für neu in die Armee eintretende Wehrpflichtige begründet werden, dass für jeden (künftigen) Militärangehörigen eine Beteiligung an der Begehung von Kriegsverbrechen anzunehmen ist. Stattdessen hat sich nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs die auch in diesen Fällen vorzunehmende Tatsachenwürdigung auf ein Bündel von Indizien zu stützen, welches geeignet ist, in Anbetracht aller relevanten Umstände, insbesondere der mit dem Herkunftsland zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag verbundenen Tatsachen, der individuellen Lage sowie der persönlichen Umstände des Betroffenen, zu belegen, dass die Gesamtsituation die Begehung der behaupteten Kriegsverbrechen plausibel erscheinen lässt (EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 34 f.).

Die in tatsächlicher Hinsicht nach diesen Vorgaben vorzunehmende Prüfung, ob die künftige Ableistung des Militärdienstes in der syrischen Armee einen noch nicht eingezogenen Wehrpflichtigen zwangsweise oder sehr wahrscheinlich veranlassen würde, Kriegsverbrechen begehen zu müssen, obliegt allein den mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 34). Zwar hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung in dem Asylverfahren, welches dem ihm vorgelegten Vorabentscheidungsersuchen (vgl. VG Hannover, Vorlagebeschl. v. 7.3.2019 - 4 A 3526/19 -, juris Rn. 8) zu Grunde lag, nämlich im April 2017, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wehrpflichtiger unabhängig von seinem Einsatzgebiet dazu veranlasst werde, unmittelbar oder mittelbar an der Begehung von Kriegsverbrechen teilzunehmen, sehr hoch erscheine und sich insofern auf die nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ausführlich dokumentierten wiederholten und systematischen Kriegsverbrechen durch die syrische Armee bezogen (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 37). Dieser Tatsachenbewertung vermag der Senat aber jedenfalls für den im vorliegenden Berufungsverfahren gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht (mehr) zu folgen.

Allerdings kann es als umfangreich belegt angesehen werden, dass aus den Reihen der syrischen Armee im Verlaufe des im Jahr 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieges eine Vielzahl von Kriegshandlungen begangen wurden, die sich gezielt gegen Wohngebiete und die zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen richteten und die als Kriegsverbrechen einzustufen sind. Das syrische Regime hat immer wieder in großem Umfang international geächtete Fassbomben gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt (vgl. AA v. 4.12.2020, S. 7). Dokumentiert sind zudem der Einsatz von chemischen Waffen, Massakern und Vergewaltigungen durch Angehörige des Regimes und seine Verbündeten als Kriegstaktik (vgl. BFA v. 18.12.2020, S. 57; EASO, Syria - Security situation, Mai 2020, S. 35). Gegenüber der militärischen Lage im April 2017, welche der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 19. November 2020 in den Blick genommen hat, hat sich die Lage in Syrien zwischenzeitlich jedoch in weiten Teilen zugunsten des syrischen Regimes verändert. Mit der Stabilisierung des Regimes und der Rückeroberung erheblicher Landesteile durch die syrische Armee und ihre Verbündeten hat die Intensität der militärischen Auseinandersetzungen und damit die Wahrscheinlichkeit der Begehung von Kriegsverbrechen abgenommen (vgl. EASO, November 2019, S. 16; EASO, März 2020, S. 18; EASO, April 2020, S. 11). Insbesondere sind unter der Herrschaft der Opposition stehende städtische Gebiete, die in besonderer Weise von Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung betroffen waren, kaum noch vorhanden. Dementsprechend liegen seit Rückeroberung von Ost-Ghouta und Daraa im Jahr 2018 deutlich weniger Berichte zu aktuellen Kriegsverbrechen des syrischen Regimes und seiner Verbündeten vor. Einer Reihe von Berichten zufolge kam es allerdings im Rahmen der letzten großen militärischen Offensive der syrischen Armee und ihrer Verbündeten in der Region Idlib im Zeitraum Mai 2019 bis März 2020 erneut zur Begehung von dem Regime und seinen Verbündeten (insbesondere Russland) zuzurechnenden Kriegshandlungen, welche als Kriegsverbrechen einzustufen sind. Syrische und russische Luftangriffe auf die Region Idlib, die unter der Vorherrschaft der islamistischen Gruppierung Hayat Tahrir al Sham (HTS, zuvor Jabhat al Nusra) steht, hatten während der genannten Offensive dort vielfach zivile Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser, Märkte und Flüchtlingslager zum Ziel, wobei auch wieder Fassbomben in bewohnten Gebieten eingesetzt worden sind (vgl. AA v. 4.12.2020, S. 8; EASO, Mai 2020, S. 33; im Detail hierzu HRW, „Targeting Life in Idlib“, Syrian and Russian Strikes on Civilian Infrastructure, Oktober 2020).

Nachdem das Regime jedoch einen wesentlichen Teil des zuvor in oppositioneller Hand befindlichen Gebietes einschließlich der strategisch wichtigen Fernstraßenverbindung M5 von Hama nach Aleppo zurückerobern konnte und die Türkei daraufhin im Frühjahr 2020 verstärkt Truppen zur Unterstützung der Aufständischen in die unter oppositioneller Herrschaft verbliebenen Gebiete der Region Idlib entsandt hat, kam es am 5. März 2020 unter türkisch-russischer Vermittlung zur Vereinbarung einer Waffenruhe. Diese hat nach allen vorliegenden aktuellen Berichten ungeachtet begrenzter Gefechte bisher weitgehend gehalten (vgl. AA v. 4.12.2020, S. 8; USDOS v. 30.3.2021, S. 1; HRW, Oktober 2020, S. 1; BFA v. 18.12.2020, S. 20 f.). Mit der somit jedenfalls seit März 2020 deutlich zurückgegangenen Intensität an Kampfhandlungen in Syrien (vgl. auch DIS, Oktober 2020, S. 6) mit dem Potential zur Begehung von Kriegsverbrechen von Seiten der syrischen Armee, an welchen Wehrdienstleistende beteiligt werden könnten, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt von einer veränderten Lage auszugehen. Dies gilt umso mehr, als wie ausgeführt ein wesentlicher Teil der bis März 2020 dokumentierten Kriegsverbrechen nicht von der syrischen Armee selbst, sondern von ausländischen Verbündeten des Regimes (insb. Russland) begangen wurden und insofern eine Beteiligung von syrischen Wehrdienstleistenden ohnehin unwahrscheinlich gewesen wäre. Aktuelle Berichte zum Einsatz verbotener chemischer Waffen liegen in Bezug auf ganz Syrien für das Jahr 2020 nicht mehr vor (vgl. USDOS v. 30.3.2021, S. 23). Die seit Beginn der Waffenruhe in Idlib dort schwersten Angriffe von Seiten des Regimes am 26. Oktober 2020 richteten sich gegen die Türkei-nahe Gruppierung Faylaq al-Sham und forderten jedenfalls keine zivilen Opfer (vgl. AA v. 4.12.2020, S. 8). Auch zu den Ende September bis Anfang Oktober 2020 in den südlichen Gouvernements Daraa und Suweida wieder aufgeflammten Gefechten unter anderem zwischen Regimetruppen und bewaffneten oppositionellen Gruppierungen (vgl. AA v. 4.12.2020, S. 7) liegen dem Senat keine Berichte über als Kriegsverbrechen einzustufende Handlungen der syrischen Armee vor. Dieses Lagebild passt dazu, dass die Anzahl der von einer syrischen NGO dokumentierten zivilen Opfer, die von den Konfliktparteien in Syrien getötet wurden, ab April 2020 deutlich zurückgegangen ist (vgl. BFA v. 18.12.2020, S. 17). Jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt erscheint es zur Überzeugung des Senats daher nicht (mehr) plausibel, dass noch nicht eingezogene Wehrdienstleistende im Rahmen ihres Militärdienstes in der syrischen Armee, die auf eine Truppengröße von mindestens 100.000 Mann zurückgreifen kann (zu den Zahlen vgl. BFA v. 25.1.2018, S. 29), zwangsläufig oder sehr wahrscheinlich an der Begehung von Kriegsverbrechen beteiligt werden würden (a.A. OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 29.1.2021 - 3 B 109.18 -, juris Rn. 100 ff.).

Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen liegen die Voraussetzungen des§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG aber auch deshalb nicht vor, weil es an der erforderlichen Verknüpfung der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes mit einem Verfolgungsgrund fehlt.

Aus § 3a Abs. 3 AsylG folgt, dass die Qualifizierung einer Handlung als Verfolgung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 1 bis 6 AsylG allein nicht ausreicht, um eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahme zu begründen. Hinzukommen muss auch in den Fällen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG eine Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund, d.h. die Verfolgung muss „wegen“ bestimmter Verfolgungsgründe drohen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 5.12.2017 - 1 B 131.17 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 4.12.2018 - 1 B 82.18 -, juris Rn. 8; Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 33). Diese Auslegung, die der Senat in ständiger Rechtsprechung vorgenommen hat (vgl. zuletzt Senatsbeschl. v. 31.8.2020 - 2 LB 674/18 -, juris Rn. 60 ff.), hat der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 19. November 2020 hinsichtlich der § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zu Grunde liegenden Bestimmung des Art. 9 Abs. 2 lit. e RL 2011/95/EU ausdrücklich bestätigt (EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 39 ff.). Denn dies steht mit der in Art. 2 lit. d RL 2011/95/EU verankerten Definition des Begriffs „Flüchtling“ in Einklang, welcher in Übereinstimmung mit Art. 1 Abschnitt A Nr. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention stets eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines der dort genannten fünf Verfolgungsgründe (Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) verlangt (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 42). Zudem zeigt auch der 24. Erwägungsgrund der RL 2011/95/EU, dass der Unionsgesetzgeber mit der Richtlinie kein über den Anwendungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention hinausgehendes Recht auf Anerkennung als Flüchtling schaffen wollte (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 43).

Die demnach auch im Falle des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG vorzunehmende Prüfung einer Verknüpfung mit einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe, welche vom Senat vom Amts wegen unter Berücksichtigung aller für das Anerkennungsbegehren maßgeblichen Anhaltspunkte einschließlich der Angaben des Klägers vorzunehmen ist (vgl. hierzu auch EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 52 ff.), zeigt - wie unter cc) dargelegt - dass das syrische Regime gerade nicht in jedem Wehrdienstverweigerer einen Oppositionellen sieht und ihn deshalb aus politischen Gründen verfolgen würde (vgl. auch bereits Senatsbeschl. v. 8.2.2018 - 2 LA 1784/17 -, juris Rn. 15 f.). Auch ist - wie unter dd) ausgeführt - für Wehrdienstentzieher keine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG anzunehmen (vgl. Senatsbeschl. v. 11.3.2019 - 2 LB 284/19 -, juris Rn. 61 ff.).

Nichts anderes folgt daraus, dass der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. November 2020 ausgeführt hat, dass im Falle einer Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 lit. e RL 2011/95/EU erläuterten Voraussetzungen eine „starke Vermutung“ dafür spreche, dass die Verweigerung mit einem der in Art. 10 RL 2011/95/EU genannten Verfolgungsgründe in Zusammenhang steht (EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 57 ff.). Denn zum einen liegen, wie ausgeführt, die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bereits tatbestandlich nicht vor, so dass für eine solche Vermutung ohnehin kein Platz ist. Zum anderen wäre eine solche Vermutung aber auch dann, wenn man entgegen der Auffassung des Senats den Tatbestand einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG als erfüllt ansehen würde, die vom Europäischen Gerichtshof postulierte „starke Vermutung“ nach den Feststellungen des Senats als widerlegt anzusehen (so auch OVG NRW, Urt. v. 22.3.2021 - 14 A 3439/18.A -, juris Rn. 117; a.A. OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 29.1.2021 - 3 B 109.18 -, juris Rn. 62 ff., 103 ff.; zur Widerleglichkeit der vom EuGH aufgestellten „starken Vermutung“ siehe auch BVerwG, Beschl. v. 10.3.2021 - 1 B 2.21 -, juris Rn. 10). Der vom Europäischen Gerichtshof angeführten hohen Wahrscheinlichkeit, dass in einem bewaffneten Konflikt, insbesondere einem Bürgerkrieg, und bei fehlender legaler Möglichkeit, sich seinen militärischen Pflichten zu entziehen, die Verweigerung des Militärdienstes von den Behörden unabhängig von den persönlichen, eventuell viel komplexeren Gründen des Betroffenen als ein Akt politischer Opposition ausgelegt wird (EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 60) steht im Falle Syriens - wie unter cc) ausgeführt - bei Auswertung der dem Senat zugänglichen aktuellen Erkenntnismittel in erster Linie entgegen, dass Personen, denen das syrische Regime tatsächlich eine oppositionelle Einstellung zuschreibt, nach allen vorliegenden Quellen mit aller Konsequenz und extremer Härte verfolgt werden, wohingegen bei Wehrdienstentziehern eine deutlich geringere Verfolgungsdichte vorliegt. Auch die für im Ausland lebende Syrer bestehende Möglichkeit der Befreiung vom Wehrdienst durch Zahlung eines Wehrersatzdienstes, spricht, wie dargestellt, unter Berücksichtigung der aktuellen diesbezüglichen Erkenntnismittel entscheidend gegen ein Durchgreifen der vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten starken Vermutung.

c) Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG folgt auch nicht aus der Herkunft aus einem (ehemals) von der Opposition beherrschten Gebiet (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 70 f.; Senatsbeschl. v. 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris Rn. 63 ff. u. zuletzt v. 16.7.2020 - 2 LB 39/20 -, juris Rn. 63 ff.; VGH BW, Urt. v. 27.3.2019 - A 4 S 335/19 -, juris Rn. 43; BayVGH, Urt. v. 20.6.2018 - 21 B 18.30854 -, juris Rn. 65 ff.; OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 21.3.2018 - 3 B 28.17 -, juris Rn. 46; BremOVG, Urt. v. 24.1.2018 - 2 LB 194/17 -, juris Rn. 62 ff.; HambOVG, Urt. v. 11.1.2018 - 1 Bf 81/17.A -, juris Rn. 52, 54; HessVGH, Urt. v. 25.9.2019 - 8 A 638/17.A -, juris Rn. 117 ff.; OVG NRW, Urt. v. 3.9.2018 - 14 A 838/18.A - juris Rn. 32 ff.; OVG RP, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 160 ff.; OVG Saarl., Urt. v. 25.7.2018 - 1 A 621/17 -, juris Rn. 35; OVG SH, Urt. v. 4.5.2018 - 2 LB 17/18 -, juris Rn. 82 ff.; SächsOVG, Urt. v. 6.2.2019 - 5 A 1066/17.A -, juris Rn. 27 f.). Die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel lassen weiterhin nicht den Schluss zu, dass allein die Herkunft aus einem „oppositionsnahen“ Gebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass das syrische Regime dem Betroffenen eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und ihn deshalb verfolgt (vgl. bereits AA v. 12.2.2019, S. 2; FIS, 14.12.2018, S. 41 f.; DIS, Februar 2019, S. 15 f.). Zwar lassen die dem Senat vorliegenden Quellen darauf schließen, dass das syrische Regime ein generelles Misstrauen gegenüber Personen hegt, die aus einem (ehemaligen) Oppositionsgebiet stammen bzw. dort wohnen (vgl. UNHCR v. 7.5.2020, S. 12; AA v. 19.5.2020, S. 5; EASO, März 2020, S. 22, BFA v. 18.12.2020, S. 98 f.). Dieses Misstrauen schlägt jedoch nach den vorliegenden Berichten nicht regelhaft in Verfolgung um. Maßgeblich ist daher nicht allein die Herkunft, sondern es kommt auf die individuellen Umstände des Falles, also auf weitere individuelle Verfolgungsgründe an. Dabei ist im Sinne einer Gesamtschau auch die Herkunft des Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BFA v. 25.1.2018, S. 81 f.).

Diese Einschätzung deckt sich mit der Beobachtung, dass zahlreiche ehemalige Oppositionsgebiete in den Vorjahren vom Regime zurückerobert wurden, ohne dass es dort zu flächendeckenden Verfolgungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung gekommen ist. Das Regime hat vielmehr regelmäßig den Abschluss eines Versöhnungsabkommens angeboten. Solche Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen sollten. Derartige Abkommen sahen häufig eine „Evakuierung“, also eine zwangsweise Umsiedlung oppositioneller Kämpfer sowie den Einzug der Männer zur syrischen Armee vor (FIS, 14.12.2018, S. 26 ff. und S. 49 ff.; BFA, August 2017, S. 35; vgl. auch SFH v. 23.3.2017, S. 7; UNHCR v. 7.5.2020, S. 13 ff.; EASO, Syria - Exercise of authority in recaptured areas, Januar 2020, S. 15, 20 f.; DIS, Mai 2020, S. 13). Auch wenn in letzter Zeit davon berichtet wird, dass das syrische Regime zuvor ausgehandelte Versöhnungsabkommen immer wieder verletzt und es in zurückeroberten Gebieten verstärkt zu Verhaftungen, Gewaltausübung und gezielten Tötungen gekommen ist (vgl. AA v. 4.12.2020, S. 7; EASO, März 2020, S. 19; BFA v. 18.12.2020, S. 19), zeigt sich an den abgeschlossenen Versöhnungsabkommen doch, dass das Regime allein anknüpfend an die Herkunft keine Regimegegnerschaft unterstellt. Versöhnungsabkommen schließen eine individuelle Verfolgung allerdings nicht aus. Im Gegenteil muss jede Person, die aufgrund individueller Umstände mit der Opposition bzw. mit bewaffneten Rebellen in Verbindung gebracht wird, weiterhin mit Inhaftierung, Folter, Verschwindenlassen und dem Tod rechnen, was auch für diejenigen früheren Rebellen gilt, welche die mit der syrischen Regierung ausgehandelten Versöhnungsabkommen unterschrieben haben (AA v. 4.12.2020, S. 27, 29 f.; EASO, Januar 2020, S. 25, 31, 33, 36, EASO, März 2020, S. 19, 22; USDOS v. 30.3.2021, S. 12 f.; FIS, 14.12.2018, S. 53 ff.; UNHCR, April 2017, S. 20). Hinzu kommt das in Syrien systemische Risiko willkürlicher Verhaftung und Misshandlung.

Dass zurückkehrende Syrer aus (ehemaligen) Oppositionsgebieten mit einer Gefahrenlage konfrontiert sein können, die über die allgemeine Gefährdungslage für alle Rückkehrer (vgl. oben Nr. 2. a)) hinausgeht, ist schließlich deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich, weil es sich dabei gerade um die Personen handelt, die sich dem Konflikt und damit einer oppositionellen Betätigung durch Flucht in das Ausland entzogen haben (zutreffend OVG SH, Urt. v. 4.5.2018 - 2 LB 17/18 -, juris Rn. 85). Für jedermann und damit auch für das Regime ist offensichtlich, dass es sich bei diesen vielen tausend betroffenen Personen um diejenigen handelt, die das Land in Anbetracht der Brutalität der Kriegsparteien aus begründeter Furcht um Leib und Leben verlassen und sich gegen ein aktives Tätigwerden gegen das Regime entschieden haben. Dass Rückkehrer aus (ehemals) oppositionellen Gebieten in einer nicht quantifizierbaren Anzahl von Fällen gleichwohl misshandelt und inhaftiert werden (vgl. DIS, Februar 2019, S. 15 f.; UNHCR, April 2017, S. 20 ff.), ändert daran nichts. Bei jedem Kontakt mit syrischen Sicherheitskräften drohen willkürliche Gewalt und Inhaftierung. Jeder Rückkehrer ist daher in gewissem Umfang gefährdet (vgl. SFH, 21.3.2017, S. 10 f.). Diese Gefährdung knüpft aber nicht an Verfolgungsgründe i. S. v. § 3b AsylG an. Der Senat hält deshalb daran fest, dass es auch bei einer Herkunft aus einem (ehemaligen) Oppositionsgebiet weiterhin individueller Verfolgungsgründe bedarf, um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Daran fehlt es in diesem Fall.

d) Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgung aus den Gründen des § 3 Abs. 1 AsylG folgt schließlich nicht aus der Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe (vgl. zuletzt Senatsbeschl. v. 21.12.2020 - 2 LB 375/20 -). Eine allein an die kurdische Volkszugehörigkeit anknüpfende flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung durch den syrischen Staat wird - ohne das Hinzutreten weiterer, individuell gefahrerhöhender Umstände - von keiner Seite angenommen und ergibt sich auch nicht aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln (vgl. etwa AA v. 4.12.2020, S. 24; EASO, März 2020, S. 80; EZKS v. 29.3.2017, S. 2; siehe auch BayVGH, Beschl. v. 30.1.2020 - 20 B 19.32952 -, juris Rn. 24 ff.; OVG NRW, Urt. v. 22.6.2018 - 14 A 618/18.A -, juris Rn. 30 ff.; OVG SH, Urt. v. 4.5.2018 - 2 LB 62/18 - juris Rn. 78 ff.).

Soweit der UNHCR in seinem Bericht von November 2015 die Angehörigen von ethnischen Minderheiten, einschließlich der Kurden, ganz allgemein den sog. Risikogruppen zugeordnet hat (vgl. UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, S. 26) ist zu beachten, dass er in seinem späteren Bericht von November 2017 ausgeführt hat, dass sich die Lage ethnischer Minderheiten je nach Gebiet unterschiedlich gestaltet und abhängig davon ist, welche Gruppierung das jeweilige Gebiet kontrolliert (UNHCR, November 2017, S. 54 ff.). Dementsprechend geht auch der UNHCR davon aus, dass eine Verfolgungsgefahr für Angehörige ethnische Minderheiten außerhalb von Gebieten, die unter der Kontrolle islamistischer Extremisten stehen, von weiteren Faktoren wie ihrer Religion, ihrer (unterstellten) politischen Gesinnung oder anderen im Einzelfall relevanten Umständen abhängt (vgl. UNHCR, November 2017, S. 57 f.). Auch wenn hinsichtlich der vom syrischen Regime einschließlich seiner Verbündeten kontrollierten Landesteile von staatlichen und gesellschaftlichen Diskriminierungen der kurdischen Bevölkerung einschließlich einer Einschränkung des Gebrauchs und des Unterrichts der kurdischen Sprache berichtet wird (vgl. BFA v. 18.12.2020, S. 64 f., USDOS v. 30.3.2021, S. 63), lassen sich flüchtlingsrechtlich relevante zielgerichtete Verfolgungsmaßnahmen allein aufgrund einer kurdischen Volkszugehörigkeit nicht feststellen (vgl. EASO, März 2020, S. 80).

Auch in Bezug auf die kurdischen Autonomiebestrebungen im Nordosten des Landes sind keine generellen Verfolgungsmaßnahmen gegen Angehörige der kurdischen Volksgruppe von Seiten des syrischen Regimes zu erwarten. Insofern ist zu beachten, dass die im Nordosten Syriens die effektive Herrschaftsgewalt ausübende kurdische PYD und ihr militärischer Arm, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), während des syrischen Bürgerkrieges nicht in offener militärischer Gegnerschaft zur syrischen Regierung aufgetreten sind, sondern der Rückzug der syrischen Armee aus den Kurdengebieten im Jahr 2011 vielmehr eine Art von Übereinkommen zwischen der Regierung und den kurdischen Kräften zugrunde lag (vgl. BFA v. 18.12.2020, S. 11). Auch die seit November 2019 wieder erfolgte Stationierung von Truppen der syrischen Armee im kurdisch dominierten Nordosten des Landes erfolgte auf Basis eines zwischen den von PYD und YPG dominierten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) und der syrischen Regierung abgeschlossenen Abkommens (vgl. DIS, Mai 2020, S. 10; EASO, November 2019, S. 18).

Das weitere Vorbringen des Klägers gestattet keine andere Betrachtung. Wie bereits oben bei der Prüfung einer Vorverfolgung ausgeführt, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die vom Kläger vorgetragene Teilnahme an einer prokurdischen Demonstration im März 2012 dem syrischen Staat überhaupt bekannt geworden ist. Da die Demonstrationsteilnahme zudem bis zu seiner Ausreise im August 2015 für den Kläger folgenlos geblieben ist, ist auch keine diesbezügliche Verfolgung nach einer eventuellen Rückkehr in sein Heimatland zu befürchten.

e) Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit kommt für den Kläger schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Reflexverfolgung in Betracht. Soweit er insofern auf die Flüchtlingsanerkennung seines am … 1996 geborenen Bruders H. in Deutschland hingewiesen hat, scheidet die Annahme einer für den Kläger bestehenden Gefahr einer Sippenhaft naher Angehöriger schon deshalb aus, weil wie ausgeführt die Umstände einer (illegalen) Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Aufenthalts im westlichen Ausland allein nicht als verfolgungsauslösend angesehen werden können. Andere Gesichtspunkte, aufgrund derer dem Kläger eine Reflexverfolgung drohen könnte, sind weder vorgetragen und ergeben sich auch nicht aus der vorliegenden Asylakte des Bruders des Klägers.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017 - 1 B 22.17 -, juris Rn. 4 ff.).