VerfGH für das Land Baden-Württemberg, Urteil vom 30.04.2021 - 1 GR 82/20
Fundstelle
openJur 2021, 17026
  • Rkr:

1. Die Anforderungen, die im Rahmen des Rechtsschutzbedürfnisses für ein Organstreitverfahren eines Abgeordneten gegen eine Ordnungsmaßnahme des Landtagspräsidenten an die Einlegung des Einspruchs nach § 93 Abs. 1 Satz 1 LTGO zu stellen sind, werden regelmäßig durch das ernsthafte Bemühen des Abgeordneten um eine rechtzeitige Einlegung des Einspruchs erfüllt, wenn der Einspruch zeitnah nach der nächsten Plenarsitzung tatsächlich eingeht.

2. a) Ordnungsmaßnahmen des Landtagspräsidenten gegenüber Abgeordneten bedürfen einer Begründung, um den Grund für die Maßnahme erkennbar zu machen (im Anschluss an VerfGH, Urteil vom 22.7.2019 - 1 GR 1/19, 1 GR 2/19 -, Juris Rn. 154).b) Eine zumindest schlagwortartige Begründung ist lediglich dann entbehrlich, wenn der Grund für die Ordnungsmaßnahme offensichtlich ist. Das ist nicht der Fall, wenn die Äußerung, die zu der Ordnungsmaßnahme geführt hat, mehrdeutig ist und verschiedene Verständnismöglichkeiten zulässt.

3. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in § 92 Abs. 2 Satz 1 LTGO vorgesehene Sanktionsverschärfung für besonders schwere Ordnungsverletzungen durch Verlängerung eines Sitzungsausschlusses nach § 92 Abs. 1 LTGO auf bis zu zehn Sitzungstage bestehen nicht.

4. Inwieweit ein verlängerter Sitzungsausschluss nach § 92 Abs. 2 LTGO eine Anhörung des betroffenen Abgeordneten erfordert und ob die Regelungen in der Geschäftsordnung des Landtags, insbesondere das Einspruchsverfahren nach § 93 Abs. 1 Satz 1 LTGO, diesen Anforderungen genügen, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung.

5. Ebenso wenig wie der automatische Sitzungsausschluss nach § 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO verlangt der auf diesen aufbauende verlängerte Sitzungsausschluss nach § 92 Abs. 2 Satz 1 LTGO, dass der vorangegangene Ausschluss aus der laufenden Sitzung nach § 92 Abs. 1 Satz 1 LTGO rechtmäßig war. Denn es handelt sich um eine eigenständige Sanktion für ein neues Fehlverhalten - das Nichtverlassen der Sitzung nach Sitzungsausschluss - und nicht um eine Maßnahme zur Durchsetzung desselben. Etwas Anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der vorangegangene Ausschluss rechtsmissbräuchlich oder in sonstiger besonders qualifizierter Weise verfassungswidrig ist.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin zu 2. den Antragsteller durch den Ausschluss aus der laufenden Sitzung in der 122. Plenarsitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg am 24. Juni 2020 in seinen Rechten als Abgeordneter aus Art. 27 Abs. 3 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg verletzt hat.

2. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

3. Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist kostenfrei.

Die Antragsgegnerin zu 2. hat dem Antragsteller die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

Der Antragsteller, ein fraktionsloses Mitglied des 16. Landtags von Baden-Württemberg (Antragsgegner zu 1.), wendet sich gegen einen durch die Präsidentin des Landtags (Antragsgegnerin zu 2.) verhängten Ausschluss aus der laufenden Sitzung am 24. Juni 2020 sowie gegen einen im Anschluss daran von ihr im Einvernehmen mit dem Präsidium ausgesprochenen Sitzungsausschluss für fünf weitere Sitzungstage.

A.

I.

1. In der 122. Plenarsitzung des Antragsgegners zu 1. am 24. Juni 2020 wurde dem Antragsteller zunächst zum Tagesordnungspunkt 1 "Aktuelle Debatte: Die verlorene Schülergeneration muss gerettet werden - sofortige Wiederaufnahme des Schulunterrichts!" das Wort erteilt. Im Verlauf des Redebeitrags forderte die Antragsgegnerin zu 2. den Antragsteller wiederholt auf, sich in seiner Wortwahl zu mäßigen, und erteilte ihm schließlich, nachdem sie ihm das Wort entzogen hatte, einen Ordnungsruf, der nicht Gegenstand des Organstreitverfahrens ist.

2. Später erhielt der Antragsteller zu Tagesordnungspunkt 2 "Aktuelle Debatte: Gewaltexzesse in Stuttgart - Solidarität mit unserer Polizei" das Wort. Im Verlauf dieses Redebeitrags erteilte die Antragsgegnerin zu 2. dem Antragsteller einen (weiteren) Ordnungsruf und schloss ihn schließlich von der Sitzung aus. Im Einzelnen stellte sich dies wie folgt dar (s. LTPlProt 16/122, S. 7516):

Abg. Dr. Heinrich Fiechtner (fraktionslos): Frau Präsident, sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren, Sonstige A bis Z! Auch mit meinen bald 60 Jahren lerne ich noch täglich dazu.

(Zurufe)

Eine besondere Erkenntnis des vergangenen Wochenendes war, dass der Begriff "Partyszene" eine neue geografische Bezeichnung für den arabischen Raum und den Maghreb zu sein scheint.

(Vereinzelt Beifall)

Eine neue Erkenntnis war es auch, zu sehen, dass es offenbar eine neue Coronamaßnahme zu sein scheint, in Stuttgart mit einer Sturmmaske feiern zu gehen. Auch die Ausstattung mit einer Eisenstange scheint in dieser Hinsicht notwendig zu sein. Möglicherweise kann so ja der notwendige Abstand von eineinhalb Metern besser gewahrt bleiben.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Linksextremistische und von Ausländern dominierte Mobs sind in unserer Republik nicht erst seit gestern bekannt. Bereits bei Stuttgart 21 und spätestens beim G-20-Gipfel 2017 in Hamburg konnte man die Ausmaße von unkontrollierten Randalen begutachten. Die Politik schaut auch in diesem Fall genüsslich zu und übt sich in Krokodilstränen. Man stelle sich nur vor, die Ausschreitungen wären in Ostdeutschland passiert und von Rechtsextremisten besucht gewesen. Am nächsten Tag wäre Bundespräsident "Steinmüller" vor Ort gewesen,

(Zurufe)

Blumen wären niedergelegt, Gesetze erlassen und Distanzierungen vorgetragen worden, und die Schuldigen stünden schon fest.

(Vereinzelt Beifall)

In diesem Fall schweigt man beharrlich über Details und Hintergründe und möchte nicht einmal ein deutlich vernehmbares "Allahu Akbar!" als eindeutiges Statement verstanden wissen.

Sie von Grünen, Roten, Schwarzen und Magentafarbenen wissen, dass Sie Dreck am Stecken haben.

(Vereinzelt Beifall)

Sie waren es, die unser deutsches Volk von Ausländern überrannt sehen wollten. Sie waren es, die mit Ramelow in Thüringen einen Kommunisten ins Amt gehievt haben. An Ihren Händen klebt Blut.

(Vereinzelt Beifall - Zuruf: Richtig!)

Präsidentin Muhterem Aras: Herr Abg. Dr. Fiechtner, dafür erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.

(Abg. Stefan Räpple AfD: Er hat doch recht, Frau Präsidentin!)

Abg. Dr. Heinrich Fiechtner (fraktionslos): Verlassen Sie diesen Plenarsaal, begeben Sie sich umgehend auf die nahe liegende Königstraße, und sammeln Sie die Scherben Ihrer Politik auf. Und nehmen Sie am besten Frau Aras gleich mit.

(Zurufe)

Präsidentin Muhterem Aras: Herr Abg. Dr. Fiechtner, jetzt schließe ich Sie von der Sitzung aus.

(Beifall - Abg. Stefan Räpple AfD: Wieso denn das? - Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Weshalb schließen Sie mich aus? - Abg. Stefan Räpple AfD: Das ist doch Willkür! Das können Sie doch jetzt nicht machen! - Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Weshalb? - Gegenruf des Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Wegen grober Beleidigung des Parlaments!)

[Präsidentin Muhterem Aras:]

- Herr Abg. Dr. Fiechtner, wir haben eine Geschäftsordnung. Es gibt keine Debatte.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Wollen Sie die Polizei wieder holen? Dann tun Sie das!)

Sie sind von der Sitzung ausgeschlossen. Verlassen Sie bitte den Raum.

(Zurufe, u. a. Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Nein, ich werde nicht gehen! Sie überschreiten die Geschäftsordnung ins Unermessliche! - Abg. Stefan Räpple AfD: Geschäftsordnungsantrag! - Zuruf: Reine Willkürherrschaft! - Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Sie agieren hier wie in einem totalitären System! Sie würden einem Herrn Goebbels alle Ehre machen! - Gegenrufe, u. a. Abg. Reinhold Gall SPD: Wir bitten auch ins Protokoll aufzunehmen, was er auch außerhalb sagt! - Lebhafte Unruhe)

- Herr Abg. Dr. Fiechtner, Sie sind von der Sitzung ausgeschlossen.

(Zuruf)

- Nein. - Ich unterbreche die Sitzung und bitte die Vorsitzenden aller fünf Fraktionen kurz hierher. Ich möchte kurz einen Punkt besprechen.

(Unterbrechung der Sitzung: 12:27 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 13:02 Uhr)

Präsidentin Muhterem Aras: Meine Damen und Herren, wir setzen unsere Sitzung fort. Die Sitzungsunterbrechung war bedauerlich, aber leider unumgänglich. Denn unsere Geschäftsordnung sieht sie in solchen Fällen vor.

Das Präsidium hat einvernehmlich beschlossen, Herrn Abg. Dr. Fiechtner nach § 92 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung für fünf Sitzungstage auszuschließen.

(Beifall - Zuruf)

Während der Unterbrechung der Sitzung wurde der Antragsteller schließlich von zwei Polizeivollzugsbeamten aus dem Sitzungssaal getragen, da er sich geweigert hatte, den Sitzungssaal freiwillig zu verlassen.

3. Zuvor war der Antragsteller bereits in der 117. Sitzung des Antragsgegners zu 1. am 29. April 2020 anlässlich seiner Rede zur Geschäftsordnung nach drei Ordnungsrufen und einem Wortentzug von der laufenden Sitzung ausgeschlossen worden. Auch damals hatte er sich zunächst geweigert, den Sitzungssaal zu verlassen, und wurde schließlich von Polizeivollzugsbeamten aus dem Plenarsaal hinausgeleitet. Er war deshalb nach § 92 Abs. 1 Satz 4 der Geschäftsordnung des Landtags (LTGO) für die folgenden drei Sitzungstage von der Sitzung ausgeschlossen.

II.

Mit Schreiben vom 24. Juni 2020 teilte die Antragsgegnerin zu 2. dem Antragsteller mit, dass sie im Einvernehmen mit dem Präsidium gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 und 2 LTGO festgestellt habe, dass der Sitzungsausschluss für fünf Sitzungstage wirksam sei. Dem Landtag habe sie dies gemäß § 92 Abs. 2 Satz 3 LTGO bekanntgegeben. Dies begründete sie mit der Schwere der Verstöße des Antragstellers gegen die parlamentarische Ordnung sowie der Tatsache, dass der Antragsteller innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Mal von Sitzungen ausgeschlossen worden sei und sich jeweils geweigert habe, den Sitzungssaal unverzüglich zu verlassen, so dass die Sitzungen hätten unterbrochen werden müssen.

Hinsichtlich des Ausschlusses aus der laufenden Sitzung führte die Antragsgegnerin zu 2. aus:

"Während Ihrer zweiten Rede zu TOP 2 "Aktuelle Debatte - Gewaltexzesse in Stuttgart - Solidarität mit unserer Polizei" warfen Sie dem Großteil der Abgeordneten des Hohen Hauses vor, an ihren Händen klebe Blut. Dafür erteilte ich Ihnen einen zweiten Ordnungsruf. Von diesem und von dem vorangegangenen Ordnungsruf sowie den Ermahnungen unbeeindruckt forderten Sie daraufhin die Abgeordneten auf, diesen Plenarsaal zu verlassen, sich umgehend auf die naheliegende Königstraße zu begeben und die Scherben ihrer Politik aufzusammeln. Und Sie fügten hinzu: "Und nehmen Sie am besten Frau Aras gleich mit." Dafür habe ich Sie von der Sitzung ausgeschlossen."

Der im Einvernehmen mit dem Präsidium verhängte Ausschluss für die folgenden fünf Sitzungstage wurde näher wie folgt begründet:

"Ich habe mit dem Präsidium beraten, wie im Hinblick auf die Möglichkeit eines bis 10-tägigen Sitzungsausschluss nach § 92 Abs. 2 GeschO zu verfahren ist. Die Mitglieder des Präsidiums waren sich über die Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass fünf Sitzungstage angemessen sind. Dabei hat man auch darauf abgestellt, dass Sie erst am 29. April 2020 nach mehreren Ordnungsrufen einen Sitzungsausschluss erhalten hatten und dass Sie damals wie heute sich geweigert hatten, den Sitzungssaal zu verlassen. Vielmehr musste in beiden Fällen Polizeibeamte eingesetzt werden, um den Sitzungsausschluss durchzusetzen. Dieses Mal mussten Sie sogar aus dem Saal getragen werden.

Die Präsidiumsmitglieder bedauern es sehr, dass alle Ordnungsmaßnahmen nicht dazu führen, dass Sie Ihre Reden so halten, dass Sie nicht zur Mäßigung angehalten und zur Ordnung gerufen werden müssen. Deshalb habe ich im Einvernehmen mit dem Präsidium entschieden, Ihren Ausschluss dieses Mal über die drei Sitzungstage Ausschluss hinaus, die sich nach § 92 Abs. 1 GeschO aufgrund Ihres Verhaltens ohnehin ergeben hätten, um zwei weitere Sitzungstage auf fünf zu verlängern."

III.

Daraufhin legte der Antragsteller mit einer E-Mail, die er am Abend des 24. Juni 2020 an die Antragsgegnerin zu 2. sowie an alle Abgeordneten und Mitarbeiter der Landtagsverwaltung absandte, Einspruch gegen die ihm gegenüber verhängten Ordnungsmaßnahmen vom 24. Juni 2020 ein. Allerdings wurde der Übermittlungsvorgang aus unbekannten Gründen abgebrochen und die E-Mail verblieb im Postausgang des Antragstellers. Sie wurde erst am 1. Juli 2020 und damit nach der nächsten Plenarsitzung am 25. Juni 2020 und der Einleitung des Organstreitverfahrens den Empfängern zugestellt. Störungen am Netzwerk, am Internetzugang oder am E-Mail Server im Zeitraum vom 24. bis zum 25. Juni 2020 konnten von der Landtagsverwaltung nicht festgestellt werden.

Der Antragsgegner zu 1. lehnte den Einspruch sowie den vom Antragsteller zwischenzeitlich gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in seiner Sitzung am 15. Juli 2020 jeweils mehrheitlich ab (s. LTPlProt 16/124, S. 7650).

Infolgedessen fanden neben den Plenarsitzungen vom 25. Juni 2020 und vom 15. Juli 2020 auch die Plenarsitzungen am 22. und 23. Juli 2020 und am 30. September 2020 sowie die Sitzungen des Innenausschusses am 8. Juli 2020 und am 23. September 2020 ohne den Antragsteller statt.

B.

I.

Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2020, beim Verfassungsgerichtshof eingegangen am 29. Juni 2020, hat der Antragsteller ein Organstreitverfahren eingeleitet, das den Ausschluss aus der laufenden Landtagssitzung am 24. Juni 2020 und den Ausschluss für fünf weitere Sitzungstage zum Gegenstand hat. Gleichzeitig stellte er einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, an den nächsten Plenar- und Ausschusssitzungen des Antragsgegners zu 1. teilnehmen zu können. Am 12. Juli 2020 hat er seinen Antrag erweitert, indem er auch das Heraustragen aus dem Sitzungssaal zum Gegenstand des Organstreitverfahrens gemacht hat.

Der Antragsteller beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass der Antragsteller durch seinen Ausschluss von der weiteren Teilnahme an der Plenarsitzung des Landtags von Baden-Württemberg am 24.06.2020 und vom Ausschluss an der Teilnahme an fünf weiteren Folgesitzungen in seinen Rechten aus Art. 27 Abs. 3 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg verletzt wurde.

2. Es wird festgestellt, dass durch das Heraustragen aus dem Sitzungssaal des Landtags von Baden-Württemberg der Antragsteller in seinem Persönlichkeitsrecht und in seiner Menschenwürde verletzt wurde.

Bezüglich des Ausschlusses aus der laufenden Sitzung und des Sitzungsausschlusses für die nächsten fünf Sitzungstage (Antrag Ziff. 1) rügt der Antragsteller die Verletzung seiner verfassungsgemäßen Rechte aus Art. 27 Abs. 3 LV und trägt zur Begründung im Wesentlichen vor:

Der Ausschluss aus der laufenden Sitzung und der Ausschluss für weitere fünf Sitzungen erfüllten bereits nicht die formalen Anforderungen. Ordnungsmaßnahmen seien zumindest schlagwortartig zu begründen. Daran fehle es vorliegend. Der Sitzungsausschluss sei weder in der Sitzung noch im Nachhinein schlagwortartig begründet worden. Ferner könnten die Ausführungen des Antragstellers zu TOP 2 auch inhaltlich nicht Gegenstand einer Ordnungsmaßnahme sein, da sie von Kritik an politischen Geschehnissen getragen seien und weder Personen noch Inhalte diskreditierten. Der Sitzungsausschluss sei daher rechtwidrig und hätte nicht nach § 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO zu einem automatischen Sitzungsausschluss führen dürfen.

Zur Begründung der Antragserweiterung bezüglich des Hinaustragens aus dem Sitzungssaal (Antrag Ziff. 2) führt der Antragsteller im Wesentlichen aus, dass die Anwendung körperlicher Gewalt unverhältnismäßig gewesen sei und es zudem an einer gesetzlichen Legitimation fehle. Durch das medienwirksame Heraustragen sei er sowohl in seinem Persönlichkeitsrecht als auch in seiner Menschenwürde beeinträchtigt worden.

II.

Die Antragsgegner beantragen, die Anträge zurückzuweisen.Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Das Organstreitverfahren sei bereits unzulässig. Der Antragsgegner zu 1. sei neben der Antragsgegnerin zu 2. nur richtiger Antragsgegner, soweit das Verfahren den Ausschluss für drei Sitzungstage zum Gegenstand habe.Im Hinblick auf eine Verletzung des Antragstellers in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und in seiner Menschenwürde durch das medienwirksame Heraustragen fehle es ihm schon an der Antragsbefugnis im Organstreitverfahren. Darüber hinaus fehle es dem Antragsteller (insgesamt) am Rechtsschutzbedürfnis, da er das in § 93 Abs. 1 Satz 1 LTGO vorgesehene Einspruchsverfahren nicht genutzt habe bzw. sein Einspruch nicht rechtzeitig zugegangen sei, was er zu vertreten habe. Der Antrag sei jedenfalls auch unbegründet. Der Ausschluss für die ersten drei Sitzungstage beruhe auf § 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO. Auch sei der Ausschluss für den vierten und fünften Sitzungstag, der auf § 92 Abs. 2 LTGO beruhe, verfassungsgemäß. Die "Sanktionserweiterung" des § 92 Abs. 2 LTGO sei verfassungsgemäß, ebenso ihre Anwendung im vorliegenden Fall. Aufgrund des Verhaltens des Antragstellers liege sowohl ein besonders schwerer Fall nach § 92 Abs. 2 Satz 1 LTGO als auch ein Wiederholungsfall nach § 92 Abs. 2 Satz 2 LTGO vor. Das konkrete Sanktionsmaß mit der Erhöhung um zwei Sitzungstage sei nicht zu beanstanden und bewege sich innerhalb des der Antragsgegnerin zu 2. zustehenden Beurteilungsspielraums.

III.

Die Landesregierung hat von der ihr eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

IV.

Mit Beschluss vom 6. Juli 2020 und Urteilen vom 21. Juli 2020 (1 GR 82/20, jeweils Juris) wies der Verfassungsgerichtshof den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück.

V.

In der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2021 haben die Beteiligten ihr schriftsätzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Darüber hinaus wiesen die Antragsgegner darauf hin, dass beim Ausschluss aus der laufenden Sitzung kein Begründungsdefizit bestehe. Die konkrete Situation habe für sich selbst gesprochen.

Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2021, der nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangen ist, führten die Antragsgegner weiter aus, dass für den Antragsteller kein Zweifel am Grund des Sitzungsausschlusses habe bestehen können. Bei seinen Aussagen unmittelbar nach dem zweiten Ordnungsruf habe es sich um eine Provokation in der Gestalt eines beleidigenden Angriffs auf die sitzungsleitende Präsidentin gehandelt.

C.

Das Organstreitverfahren hat teilweise Erfolg. Soweit es zulässig ist (dazu I.), ist es teilweise begründet (dazu II.).

I.

Der Antrag Ziff. 1 ist im Wesentlichen zulässig. Der Antrag Ziff. 2 ist dagegen unzulässig.

1. Der Antragsteller und die Antragsgegner sind in einem Organstreitverfahren beteiligtenfähig. Der Antragsteller ist als Abgeordneter des 16. Landtags von Baden-Württemberg anderer Beteiligter im Sinne von Art. 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 LV; er ist als solcher durch die Landesverfassung und die Geschäftsordnung des Landtags mit eigener Zuständigkeit ausgestattet. Der Antragsgegner zu 1. ist ein oberstes Landesorgan im Sinne von Art. 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 LV und in § 44 VerfGHG als möglicher Beteiligter ausdrücklich genannt. Die Antragsgegnerin zu 2. ist als Präsidentin des Landtags mit Zuständigkeiten im Sinne von Art. 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LV ausgestattet (vgl. zu allem VerfGH, Urteil vom 22.7.2019 - 1 GR 1/19, 1 GR 2/19 -, Juris Rn. 110 m. w. N.).

2. Der Antragsteller ist, soweit er sich gegen den Ausschluss aus der laufenden Sitzung und den Ausschluss für weitere fünf Sitzungstage wendet (Antrag Ziff. 1), antragsbefugt. Soweit er Grundrechtsverletzungen durch das Heraustragen aus dem Plenarsaal geltend macht (Antrag Ziff. 2), fehlt die Antragsbefugnis im Organstreit.

a) Nach § 45 Abs. 1 VerfGHG ist der Antrag in einem Organstreitverfahren nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Handlung oder Unterlassung des Antragsgegners in der Wahrnehmung seiner ihm durch die (Landes-)Verfassung übertragenen Rechte und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet sei. § 45 Abs. 2 VerfGHG verlangt zudem, dass der Antrag die Bestimmung der Verfassung bezeichnen muss, gegen welche die beanstandete Handlung oder Unterlassung des Antragsgegners verstößt.

Die geltend zu machenden "Rechte oder Pflichten" müssen sich aus der (Landes-)Verfassung ergeben. Rechte aus einfachen Gesetzen oder einer Geschäftsordnung genügen grundsätzlich nicht. Dem Antragsteller durch die Verfassung übertragene Rechte liegen nur vor, wenn sie ihm zur ausschließlichen Wahrnehmung oder Mitwirkung übertragen worden sind oder deren Beachtung erforderlich ist, um die Wahrnehmung seiner Kompetenzen und die Gültigkeit seiner Akte zu gewährleisten.

Eine Rechtsverletzung ist im Sinne von § 45 Abs. 1 VerfGHG geltend gemacht, wenn nach dem Vorbringen des Antragstellers eine Rechtsverletzung zumindest möglich ist. Sie darf - anders gewendet - nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die mögliche Verletzung ist schlüssig darzulegen (zu allem VerfGH, Urteil vom 22.7.2019 - 1 GR 1/19, 1 GR 2/19 -, Juris Rn. 116 ff. m. w. N.).

b) Ausgehend hiervon liegt hinsichtlich des Antrags Ziff. 1 die Antragsbefugnis vor. Der Antragsteller macht geltend, die ihm gegenüber ergangenen Sitzungsausschlüsse verletzten ihn in seinem Abgeordnetenrecht aus Art. 27 Abs. 3 LV. Er begründet dies ausführlich und differenzierend nach den beiden in Rede stehenden Maßnahmen.

c) Nicht zu begründen ist die Antragsbefugnis hingegen für den Antrag Ziff. 2, mit dem der Antragsteller eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts und seiner Menschenwürde durch das Heraustragen aus dem Plenarsaal geltend macht. Grundsätzlich kann ein Abgeordneter im Organstreit ausschließlich Rechte geltend machen, die sich aus seiner organschaftlichen Stellung im Sinne des Art. 27 Abs. 3 LV ergeben (vgl. zu Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG BVerfGE 118, 277, 320 - Juris Rn. 195; ebenso VerfGH Sachsen, Urteil vom 3.12.2010 - Vf. 77-I-10 -, Juris Rn. 18). Grundrechte gewährleisten grundsätzlich keine derartigen Organrechte, so dass sich ein Abgeordneter in einem Organstreitverfahren auch nicht auf Grundrechtsverletzungen stützen kann. Abgeordnete des Landtags sind Teil eines Verfassungsorgans und stehen, wenn sie im Plenum des Landtags ihr Amt ausüben, dem Staat nicht wie Bürgerinnen und Bürger gegenüber. Infolgedessen gewährt die Landesverfassung Abgeordneten des Landtags auch einen besonderen Status (vgl. insbesondere Art. 27 Abs. 3, Art. 37 und Art. 38).

Ob eine Maßnahme, die auf den Status des Abgeordneten zielt, in besonderen Ausnahmefällen in dessen grundrechtlich geschützte Privatsphäre eingreifen kann (vgl. BVerfGE 118, 277, 320 - Juris Rn. 196), braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Die in Rede stehende Maßnahme, die Entfernung aus dem Plenarsaal durch Polizeivollzugsbeamte, richtete sich nach Ziel, Regelungsgehalt und Regelungswirkung ausschließlich auf den Abgeordnetenstatus, da sie allein der Durchsetzung der Verpflichtung diente, den Plenarsaal nach dem Ausschluss aus der laufenden Sitzung zu verlassen.

3. Die sechsmonatige Antragsfrist des § 45 Abs. 3 VerfGHG ist gewahrt. Die Antragsschrift, mit der der Antragsteller das Verfahren gegen die in der Sitzung des Antragsgegners zu 1. am 24. Juni 2020 verhängten Sitzungsausschlüsse eingeleitet hat, ist am 29. Juni 2020 beim Verfassungsgerichtshof eingegangen.

4. a) Richtige Antragsgegnerin ist, soweit das Verfahren den Ausschluss aus der laufenden Sitzung zum Gegenstand hat, die Antragsgegnerin zu 2.

Soweit sich der Antrag gegen den Ausschluss aus der laufenden Sitzung auch gegen den Antragsgegner zu 1. richtet, ist er unzulässig. Der Antragsgegner zu 1. wird auch nicht aus dem Grund weiterer richtiger Antragsgegner, dass er den Einspruch des Antragstellers zurückgewiesen hat. Mit der Zurückweisung des Einspruchs macht sich der Landtag die Ordnungsmaßnahme nicht etwa zu eigen (VerfGH, Urteil vom 22.7.2019 - 1 GR 1/19, 1 GR 2/19 -, Juris Rn. 113).

b) Soweit das Verfahren den Ausschluss für fünf weitere Sitzungstage zum Gegenstand hat, ist die Antragsgegnerin zu 2. ebenfalls richtige Antragsgegnerin. Zum einen ist sie nach der Geschäftsordnung des Landtags zur Leitung der Sitzung und damit auch zur Entscheidung verpflichtet, ob Abgeordnete an einer Sitzung teilnehmen dürfen. Zum anderen und vor allem hat sie im Einvernehmen mit dem Präsidium die Ordnungsmaßnahme verhängt und musste in diesem Zusammenhang feststellen, ob die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des verlängerten Sitzungsausschlusses erfüllt waren. Daneben ist auch der Antragsgegner zu 1. richtiger Antragsgegner, da er die Regelung § 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO erlassen hat und der verlängerte Sitzungsausschluss nach § 92 Abs. 2 LTGO - jedenfalls in der vorliegenden Konstellation (s. unten II. 3. a)) - auf dem automatischen Ausschluss aufbaut und die in § 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO vorgesehenen (automatischen) Folge für das Nichtverlassen des Sitzungssaals nach Ausschluss aus der laufenden Sitzung verschärft (vgl. zu § 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO VerfGH, Urteil vom 22.7.2019 - 1 GR 1/19, 1 GR 2/19 -, Juris Rn. 114).

Der Umstand, dass der Antragsteller den Antrag nicht auch gegen das Präsidium des Landtags gerichtet hat, führt nicht zu dessen Unzulässigkeit. Zwar konnte die Antragsgegnerin zu 2. den Ausschluss für fünf weitere Sitzungstage nach § 92 Abs. 2 LTGO nur im Einvernehmen mit dem Präsidium verhängen. Allerdings handelt es sich dabei um einen rein internen Vorgang, der selbst keine Außenwirkung entfaltet, so dass die Antragsgegnerin zu 2. insoweit alleine prozessführungsbefugt ist.

5. Dem Antragsteller fehlt schließlich nicht das Rechtsschutzbedürfnis.

a) Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt entgegen der Ansicht der Antragsgegner nicht dadurch, dass der am 24. Juni 2020 verfasste Einspruch des Antragstellers, über den der Antragsgegner zu 1. am 15. Juli 2020 entschieden hat, nicht rechtzeitig vor Beginn der nächsten Plenarsitzung (§ 93 Abs. 1 Satz 1 LTGO) am 25. Juni 2020 bei der Antragsgegnerin zu 2. eingegangen ist, sondern erst am 1. Juli 2020.

Der Antragsteller hat die Anforderungen, die im Rahmen des Rechtsschutzbedürfnisses an die Einlegung des Einspruchs nach § 93 Abs. 1 Satz 1 LTGO zu stellen sind, dennoch erfüllt. Insoweit reicht regelmäßig das ernsthafte Bemühen des Abgeordneten um eine rechtzeitige Einlegung des Einspruchs aus, wenn der Einspruch zeitnah nach der nächsten Plenarsitzung tatsächlich eingeht. Da das parlamentarische Einspruchsverfahren nicht ohne weiteres mit dem verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO vergleichbar ist (BVerfGE 152, 35, 50 - Juris Rn. 36) und die Einspruchsfrist des § 93 Abs. 1 LTGO schon aufgrund ihrer mitunter sehr kurzen Dauer ("bis zum Beginn der nächsten Sitzung") aus rechtsstaatlichen Gründen nicht mit einer prozessualen Rechtsbehelfsfrist gleichgesetzt werden kann, dürfen - jedenfalls im Rahmen des Rechtsschutzbedürfnisses - entgegen der Ansicht der Antragsgegner an die im Hinblick auf die rechtzeitige Einlegung des Einspruchs anzuwendende Sorgfalt nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie im Rahmen von Rechtsbehelfsverfahren. Daher bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob der Antragsteller das Fehlschlagen seines Übermittlungsversuchs am 24. Juni 2020 hätte erkennen können und müssen.

Im Übrigen ist die Sachlage nicht mit der durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 152, 35 - Juris) entschiedenen Konstellation vergleichbar, in der der Antragsteller bewusst auf die Durchführung des von ihm als bloße Förmelei angesehenen Einspruchsverfahrens nach § 39 Geschäftsordnung des Bundestags (GOBT) verzichtet hatte. Auch kann dahinstehen, ob und inwieweit das Einspruchsverfahren nach § 93 LTGO in seiner derzeitigen Ausgestaltung in der Parlamentspraxis eine dem Einspruchsverfahren nach § 39 GOBT beigemessene Kontroll- und Legitimationsfunktion durch das Parlament als den originären Träger der Ordnungsgewalt (BVerfGE 152, 35, 48 ff. - Juris Rn. 33 ff.) erfüllt. Denn jedenfalls hat der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin zu 2. zeitnah deutlich gemacht, dass er mit den Ordnungsmaßnahmen nicht einverstanden ist, und damit seiner Konfrontationsobliegenheit hinreichend Genüge getan.

b) Der Umstand, dass die Sitzungsausschlüsse aufgrund ihres Vollzugs erledigt sind, lässt das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Im Organstreitverfahren gegen parlamentarische Ordnungsmaßnahmen besteht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis in der Regel auch dann, wenn die angegriffenen Maßnahmen keine Wirkungen mehr entfalten (vgl. VerfGH, Urteil vom 22.7.2019 - 1 GR 1/19, 1 GR 2/19 -, Juris Rn. 132 m. w. N.).

II.

Das Organstreitverfahren ist, soweit es zulässig ist, nur hinsichtlich des Ausschlusses aus der laufenden Sitzung begründet, der den Antragsteller in seinem Abgeordnetenrecht aus Art. 27 Abs. 3 LV verletzt. Im Übrigen ist es unbegründet.

1. Im Urteil vom 22. Juli 2019 hat der Verfassungsgerichtshof für die verfassungsgerichtliche Überprüfung parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen folgende Maßstäbe aufgestellt (1 GR 1/19, 1 GR 2/19, Juris Rn. 134 ff.), an denen er festhält:

"Das Anwesenheits-, das Rede-, das Antrags- und das Stimmrecht im Landtag aus Art. 27 Abs. 3 LV werden durch andere Güter von Verfassungsrang begrenzt (vgl. bereits VerfGH, Beschluss vom 21.1.2019 - 1 GR 1/19 -, Juris Rn. 23). Dazu gehören insbesondere die Ordnung der Debatten im Landtag, dessen Funktionsfähigkeit und auch die Würde und das Ansehen des Parlaments (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 LTGO). Zur Wahrung dieser Güter ist dem Präsidenten des Landtags, der die Sitzungen leitet und dabei die Ordnung aufrechtzuerhalten hat (§ 9 Abs. 2 Satz 1 und 3 LTGO), in der Geschäftsordnung das Instrumentarium der Ordnungsmaßnahmen an die Hand gegeben.

a) Zum Status der Abgeordneten gehören das Anwesenheits-, das Rede-, das Antrags- und das Stimmrecht im Landtag. Die Abgeordneten repräsentieren in ihrer Gesamtheit das Volk (vgl. BVerfGE 104, 310, 329 - Juris Rn. 73) und nehmen die Aufgaben und Befugnisse des Landtags gemeinsam wahr (vgl. BVerfGE 80, 188, 217 f. - Juris Rn. 102). Demgemäß ist jeder Abgeordnete berufen, an der Arbeit des Landtags, seinen Verhandlungen und Entscheidungen, teilzunehmen, dies allerdings im Rahmen der vom Landtag auf der Grundlage von Art. 32 Abs. 1 Satz 2 LV erlassenen und im Einklang mit der Landesverfassung ausgestalteten Geschäftsordnung (vgl. BVerfGE 80, 188, 218 - Juris Rn. 102, 104). [...]

b) Das Rederecht bedarf wie andere Ausprägungen des Abgeordnetenrechts der näheren Abstimmung mit den Rechten anderer Abgeordneter und der Funktionsfähigkeit des Landtags. Dementsprechend ist es in der Geschäftsordnung des Landtags näher ausgestaltet. Art. 32 Abs. 1 Satz 2 LV gesteht dem Landtag ausdrücklich die Geschäftsordnungsautonomie zu. Er berechtigt ihn, sich selbst zu organisieren und die zur sachgerechten Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Regelungen zu schaffen. Die den Abgeordneten in der Landesverfassung zugebilligten Rechte werden in der Geschäftsordnung hinsichtlich der Art und Weise ihrer Ausübung, nicht zuletzt auch im Verhältnis der Abgeordneten untereinander, begrenzt.

Neben den Regelungen etwa zur Redezeit (vgl. § 83a LTGO) bedarf es zur Sicherstellung der Abgeordnetenrechte, der Ordnung der Debatte und der Funktionsfähigkeit des Landtags sowie auch der Wahrung des Ansehens und der Würde des Parlaments der Ordnungsgewalt, die dem Präsidenten des Landtags (im Fall des § 92 Abs. 2 LTGO zusammen mit dem Präsidium) an die Hand gegeben ist. Zu entscheiden, welche Arten von Ordnungsmaßnahmen die Geschäftsordnung vorsieht und an welche Voraussetzungen sie gebunden sind, obliegt dem Landtag. Er hat dabei freilich das Abgeordnetenrecht zu beachten.

Die Geschäftsordnung des Landtags sieht in §§ 90 bis 92 mehrere Ordnungsmaßnahmen vor: die Verweisung zur Sache (§ 90 LTGO), den Ordnungsruf (§ 91 LTGO), die Entziehung des Worts (§ 91a LTGO) und - in verschiedenen Varianten - den Sitzungsausschluss (§ 92 LTGO). Grundsätzliche Bedenken gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Ordnungsmaßnahmen bestehen nicht (vgl. auch VerfGH Sachsen, Urteil vom 3.12.2010 - Vf. 77-I-10 -, Juris Rn. 30 f.). [...]

c) Der Begriff der Ordnung wird in der Geschäftsordnung des Landtags nicht näher definiert. Der Landtag legte bei seiner Beschlussfassung über die Geschäftsordnung ersichtlich das tradierte Verständnis dieses Begriffs zugrunde, wonach er sich auf die Wahrung der Disziplin in den Sitzungen, das Ansehen und die Würde des Landtags, die Rechte und Interessen des Landtags und seiner Mitglieder selbst sowie die Rechte der Allgemeinheit und Dritter erstreckt.

Die Ordnungsmaßnahmen sollen Verstößen gegen die Verfassung, einfach-gesetzliche Regelungen sowie die Geschäftsordnung entgegenwirken, insbesondere Störungen der Ausübung des Rederechts anderer Abgeordneter. Die Möglichkeit von Ordnungsmaßnahmen beschränkt sich allerdings nicht auf vom geschriebenen Recht missbilligte Verhaltensweisen. Ein Ordnungsverstoß kann auch vorliegen bei Verstößen gegen ungeschriebene, tradierte Regeln der Parlamentspraxis. Solche Regeln bestehen insbesondere, soweit die Ordnungsmaßnahmen die Wahrung des Ansehens und der Würde des Parlaments bezwecken.

d) Die Ordnungsmaßnahmen sind nicht das Mittel zur Ausschließung bestimmter inhaltlicher Positionen, auch und gerade nicht solcher, die von der Mehrheit der Abgeordneten des Landtags, möglicherweise sogar über die Angehörigen der die Landesregierung tragenden Fraktionen hinausgehend, nicht geteilt werden. Der Landtag ist gerade der Ort, an dem Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden sollen; dabei sind auch Stilmittel wie Überspitzung, Polarisierung, Vereinfachung oder Polemik zulässig (VerfGH Sachsen, Urteil vom 3.12.2010 - Vf. 77-I-10 -, Juris Rn. 35 f.). Die Grenze zur Verletzung der parlamentarischen Ordnung ist aber jedenfalls erreicht, sobald die inhaltliche Auseinandersetzung ganz in den Hintergrund rückt und im Vordergrund eine bloße Provokation, eine Herabwürdigung anderer, insbesondere des politischen Gegners, oder die Verletzung von Rechtsgütern Dritter steht. [...]

e) Der Präsident des Landtags besitzt im Rahmen der ihm aufgegebenen unparteiischen und gerechten Amtsführung (§ 9 Abs. 1 Satz 2 LTGO) bei der Anwendung der Ordnungsmaßnahmen einen vom Verfassungsgerichtshof zu respektierenden Beurteilungs- und Ermessensspielraum.

Die Einordnung des Verhaltens von Abgeordneten als Verletzung der Ordnung (einschließlich ihrer Schwere) sowie die Entscheidung, ob auf eine solche mit einer Ordnungsmaßnahme reagiert wird, beruhen regelmäßig auf einer wertenden Betrachtung durch den Präsidenten. Diese darf vom Verfassungsgerichtshof nicht durch eine eigene Einschätzung ersetzt werden. [...]

Die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte landtagsinterner Ordnungsmaßnahmen ist hieran auszurichten. Diese Kontrolle ist umso intensiver, je deutlicher die Ordnungsmaßnahme auf den Meinungsgehalt von Äußerungen und nicht auf das Verhalten von Abgeordneten reagiert. In diesen Fällen muss eine Verletzung oder doch Gefährdung konkurrierender Rechtsgüter vorliegen, die auch Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Kontrolle ist. Die Ordnungsmaßnahme darf dann - unter Berücksichtigung des Beurteilungs- und Ermessensspielraums des Präsidenten - nicht außer Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Ziel stehen.

Die gerichtliche Kontrolle muss auch die Schwere der gewählten Ordnungsmaßnahme in den Blick nehmen. Sie ist intensiver im Fall des Sitzungsausschlusses, der zu einem, wenn auch zeitlich begrenzten Ausschluss von Beratungen und Abstimmungen führt (s. schon oben b). Einer uneingeschränkten Kontrolle unterläge der Verdacht eines rechtsmissbräuchlich ausgesprochenen Sitzungsausschlusses, etwa eines solchen zur zielgerichteten Veränderung der Mehrheitsverhältnisse (vgl. bereits VerfGH, Beschluss vom 21.1.2019 - 1 GR 1/19 - Abdruck S. 12 = Juris Rn. 31). [...]

g) Die Landesverfassung gebietet auch im Zusammenhang mit dem Ergreifen von Ordnungsmaßnahmen die Einhaltung bestimmter Verfahrensanforderungen (vgl. VerfGH, Urteil vom 27.10.2017 - 1 GR 35/17 -, Juris Rn. 54 f.). Regelmäßig ist eine Ordnungsmaßnahme zumindest schlagwortartig zu begründen. Die Betroffenen sollen darüber informiert sein, welches Verhalten den Landtagspräsidenten zu der Ordnungsmaßnahme veranlasst hat und warum sie für erforderlich gehalten wird; ausgehend von diesem Zweck ist eine schlagwortartige Begründung nur dann entbehrlich, wenn für den Betroffenen kein Zweifel daran bestehen kann, welches Verhalten aus welchem Grund sanktioniert werden soll. Sofern ein Sitzungsausschluss nicht aufgrund eines einzelnen Ereignisses ausgesprochen werden soll, ist ein solcher grundsätzlich auch vorher anzudrohen (vgl. auch EGMR, Urteil vom 17.5.2016 - 42461/13, 44357/13 -, www.echr.coe.int Rn. 154 ff.). [...]"

2. Der Ausschluss des Antragstellers aus der laufenden Sitzung nach § 92 Abs. 1 Satz 1 LTGO im Anschluss an die Äußerung "Verlassen Sie diesen Plenarsaal, begeben Sie sich umgehend auf die naheliegende Königstraße, und sammeln Sie die Scherben Ihrer Politik auf. Und nehmen Sie am besten Frau Aras gleich mit." ist bereits formell verfassungswidrig und verletzt daher dessen Abgeordnetenrecht aus Art. 27 Abs. 3 LV.

Es fehlt an einer hinreichenden Begründung der Ordnungsmaßnahme. Die Antragsgegnerin zu 2. hat weder in der laufenden Sitzung schlagwortartig noch nachträglich überhaupt begründet, warum das Verhalten des Antragstellers sie zu dessen Ausschluss aus der laufenden Sitzung veranlasst hat. In der laufenden Sitzung fiel trotz entsprechender Nachfrage des Antragstellers kein Wort zur Begründung.In dem Schreiben vom 24. Juni 2020 stellte die Antragsgegnerin zu 2. lediglich den Verlauf des zum Sitzungsausschluss führenden Redebeitrags des Antragstellers dar und teilte mit, dass sie ihn "dafür" von der Sitzung ausgeschlossen habe.Damit bleibt unklar, wie die Antragsgegnerin zu 2 die Aussage des Antragstellers verstanden hat und was letztlich der Grund für den Sitzungsausschluss war.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegner war eine zumindest schlagwortartige Begründung auch nicht entbehrlich. Weder war der Grund für den Sitzungsausschluss offensichtlich noch sprach, wie der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung ausführte, die konkrete Situation für sich selbst. Die Äußerung des Antragstellers, die zum Sitzungsausschluss geführt hat, ist mehrdeutig und lässt verschiedene Verständnismöglichkeiten zu, die von der bloßen Aufforderung, sich selbst vor Ort ein Bild zu machen, bis hin zu einem beleidigenden Angriff auf die Antragsgegnerin zu 2. reichen, wobei das Verständnis als Beleidigung nicht naheliegend ist. Auch ist es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, unter mehreren Deutungsmöglichkeiten diejenige zu ermitteln, die die Antragsgegnerin zu 2. der Ordnungsmaßnahme möglicherweise zugrunde gelegt haben könnte.

3. Der Ausschluss des Antragstellers für fünf weitere Sitzungstage ist dagegen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Regelung des § 92 Abs. 2 Satz 1 LTGO und die darin vorgesehene Sanktionserweiterung für besonders schwere Fälle ist verfassungsgemäß (a). Auch ihre Anwendung im konkreten Fall durch die Antragsgegnerin zu 2. verstößt nicht gegen die Landesverfassung (b).

a) Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Beschluss vom 21. Januar 2019 (1 GR 1/19, Juris Rn. 30) im Zusammenhang mit dem automatischen Sitzungsausschluss nach § 92 Abs. 1 Satz 4 LTGO angedeutet hat, kann nach § 92 Abs. 2 Satz 1 LTGO bei besonders schweren Ordnungsverletzungen die Mindestsanktion verschärft werden. § 92 Abs. 2 LTGO stellt damit eine Sanktionserweiterung für besonders schwere Fälle dar, die auf § 92 Abs. 1 LTGO aufbaut. Nach dem Wortlaut des § 92 Abs. 2 Satz 1 LTGO, der lediglich von "Ausschluss" spricht, kann die Sanktionsverschärfung in zwei verschiedenen Konstellationen eingreifen, da § 92 Abs. 1 LTGO zwei Varianten des Sitzungsausschlusses enthält, zum einen den Ausschluss aus der laufenden Sitzung (§ 92 Abs. 1 Satz 1 LTGO) und zum anderen den automatischen Ausschluss für drei Folgesitzungen (§ 92 Abs. 1 Satz 4 LTGO). In der ersten Fallkonstellation kann zusätzlich zum Ausschluss aus der laufenden Sitzung ein Ausschluss für bis zu zehn weitere Sitzungstage verhängt werden (auch wenn der Abgeordnete dem Ausschluss aus der laufenden Sitzung umgehend Folge leistet und daher § 92 Abs. 1 Satz 4 LTGO nicht eingreift). In der zweiten Fallkonstellation kann die Dauer des Ausschlusses über die ohnehin vorgesehenen drei Sitzungstage hinaus auf bis zu zehn Sitzungstage verlängert werden. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen verlängerten Sitzungsausschluss in der zweiten Variante, womit also der automatische Ausschluss für drei Sitzungstage (§ 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO) um zwei weitere Sitzungstage auf fünf Sitzungstage verlängert wird.

Die Verfassungsmäßigkeit des automatischen (3-tägigen) Sitzungsausschlusses nach § 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO hat der Verfassungsgerichtshof bereits im Urteil vom 22. Juli 2019 (1 GR 1/19, 1 GR 2/19, Juris Rn. 175 ff.) bestätigt (siehe auch VerfGH, Urteil vom 21.7.2020 - 1 GR 82/20 - [Urteil über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Beschluss vom 6.7.2020 - 1 GR 82/20], Juris Rn. 7).Der Verfassungsgerichtshof sieht keinen Anlass, von dieser Auffassung abzuweichen. Insbesondere handelt es sich bei dem automatischen Sitzungsausschluss nach Wortlaut und Systematik des § 92 Abs. 1 LTGO um eine eigenständige Sanktion für ein vom Landtag als besonders schwerwiegend eingestuftes Fehlverhalten: das Nichtverlassen der Sitzung nach Sitzungsausschluss. Damit hängt nach der Geschäftsordnung des Landtags die Anwendbarkeit des weiteren Ausschlusses nach § 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO nicht davon ab, dass der Ausschluss aus der laufenden Sitzung nach § 92 Abs. 1 Satz 1 LTGO rechtmäßig war (VerfGH, Urteil vom 22.7.2019 - 1 GR 1/19, 1 GR 2/19 -, Juris Rn. 177; zuletzt VerfGH, Urteil vom 21.7.2020 - 1 GR 82/20 - [Urteil über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Beschluss vom 6.7.2020 - 1 GR 82/20], Juris Rn. 8). Gleiches gilt für den auf den automatischen Sitzungsausschluss aufbauenden und diesen verlängernden Sitzungsausschluss nach § 92 Abs. 2 Satz 1 LTGO.

Auch gegen die in § 92 Abs. 2 Satz 1 LTGO vorgesehene Möglichkeit einer Sanktionserweiterung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Diese Regelung ist ebenfalls von der Geschäftsordnungsautonomie des Landtags nach Art. 32 Abs. 1 Satz 2 HS 1 LV gedeckt und verhältnismäßig. Zwar ist der verlängerte Sitzungsausschluss für bis zu zehn Sitzungstage eine noch schwerwiegendere Beeinträchtigung des Abgeordnetenrechts als ein Sitzungsausschluss nach § 92 Abs. 1 (Satz 1 oder Satz 4) LTGO. Die Regelung ist dennoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn sie verfolgt ein legitimes, auch diese schwerwiegende Beeinträchtigung rechtfertigendes Ziel, indem sie den dem Landtagspräsidenten zur Verfügung stehenden Sanktionskatalog erweitert und ihm ermöglicht, auf besonders schwere Fälle des Fehlverhaltens zu reagieren, in denen die Mindestsanktion des Sitzungsausschlusses nach § 92 Abs. 1 LTGO nicht ausreicht, um einen steuernden Einfluss auf das zukünftige Verhalten des betroffenen Abgeordneten zu bewirken und Störungen in nachfolgenden Sitzungen zu verhindern. Ferner wird der Schwere der Beeinträchtigung des Abgeordnetenrechts dadurch Rechnung getragen, dass die Entscheidung über die Verhängung und die Dauer eines verlängerten Sitzungsausschlusses nicht vom Präsidenten alleine getroffen wird, sondern nur im Einvernehmen, also mit Zustimmung, des Präsidiums ergehen kann. Das Präsidium besteht nach § 4 Abs. 1 Satz 2 LTGO aus 21 Abgeordneten, die sich auf alle Fraktionen nach ihrem Zahlenverhältnis verteilen und die der Landtag wählt, so dass dadurch die Entscheidung auf einer breiteren und spiegelbildlich den Landtag abbildenden Legitimationsgrundlage fußt. Schließlich wird der Sanktionsrahmen durch die Höchstgrenze von zehn Sitzungstagen nach oben angemessen begrenzt und stellt sich im Vergleich mit anderen Regelungen noch als moderat dar. So ist im Bundestag etwa ein Sitzungsausschluss für bis zu 30 Sitzungstage möglich (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 3 GOBT).

b) Die Anwendung des § 92 Abs. 2 Satz 1 LTGO durch die Verhängung eines Sitzungsausschlusses für fünf weitere Sitzungstage verletzt den Antragsteller nicht in seinem Abgeordnetenrecht aus Art. 27 Abs. 3 LV.

aa) In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist der Sitzungsausschluss für fünf Sitzungstage gemäß § 92 Abs. 2 LTGO nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin zu 2. hat die Ordnungsmaßnahme im Einvernehmen mit dem Präsidium beschlossen und sie gegenüber dem Antragsteller mit Schreiben vom 24. Juni 2020 begründet. Auch hat sie gemäß § 92 Abs. 2 Satz 3 LTGO vor dem Ende der Landtagssitzung im Plenum bekannt gegeben, für wie viele Sitzungstage der Antragsteller ausgeschlossen ist.

Keiner näheren Befassung bedarf es insoweit mit der Frage, inwieweit ein solcher erweiterter Sitzungsausschluss eine Anhörung des betroffenen Abgeordneten erfordert (vgl. hierzu EGMR, Urteil vom 17.5.2016 - 42461/13, 44357/13 -, www.echr.coe.int Rn. 156 ff., deutsche Übersetzung siehe NJOZ 2018, 235 (240); VerfGH, Urteil vom 22.7.2019 - 1 GR 1/19, 1 GR 2/19 -, Juris Rn. 155) und ob die Regelungen in der Geschäftsordnung des Antragsgegners zu 1., insbesondere das Einspruchsverfahren nach § 93 Abs. 1 Satz 1 LTGO, diesen Anforderungen genügen. Der Antragsteller hatte jedenfalls im Rahmen seines Einspruchs Gelegenheit, noch vor Vollzug des erweiterten Sitzungsausschlusses zu diesem und dessen Begründung Stellung zu nehmen. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Zeitpunkt einer Stellungnahme zu spät gewählt sein könnte, um einem etwaigen Anhörungsrecht zu genügen; Entsprechendes gilt für die Länge der Einspruchsfrist nach § 93 Abs. 1 Satz 1 LTGO. Im vorliegenden Fall hatte es der Antragsteller aber versäumt, von dieser Möglichkeit fristgerecht Gebrauch zu machen, weil er seinen Einspruch und dessen Begründung der Antragsgegnerin zu 2. nicht in einer Weise übermittelt hatte, die es ihr ermöglichte, von ihnen innerhalb der Frist Kenntnis zu nehmen. Auf die nachgelagerte Frage, wie das Einspruchsverfahren zu handhaben ist, um eine hinreichende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Antragstellers zu gewährleisten, kommt es hier daher nicht an.

Die Antragsgegnerin zu 2. wäre auch nicht zur Wahrung eines Anhörungsrechts verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen, die verspätete Einspruchsbegründung des Antragstellers nachträglich ausdrücklich zu würdigen. Dagegen spricht hier bereits das Verschulden des Antragstellers an der Fristversäumung. Denn er hätte sich davon überzeugen müssen, dass seine E-Mail tatsächlich versendet worden war; hierzu bestand insbesondere deshalb Anlass, weil der Antragsteller angesichts des von ihm genutzten Verteilers die E-Mail auch selbst hätte empfangen müssen.

bb) Der den automatischen Sitzungsausschluss nach § 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO um zwei Sitzungstage auf insgesamt fünf Sitzungstage verlängernde Sitzungsausschluss nach § 92 Abs. 2 LTGO ist auch in der Sache verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.Die Voraussetzungen für den automatischen Sitzungsausschluss nach § 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO lagen vor (1). Ferner verstoßen die Einschätzung der Antragsgegnerin zu 2., dass die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 LTGO für die Verlängerung des Sitzungsausschlusses erfüllt waren (2), und die Bemessung seiner Dauer (3) nicht gegen Art. 27 Abs. 3 LV. Sie halten sich im Rahmen des der Antragsgegnerin zu 2. zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums.

(1) Die in § 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO vorausgesetzte Situation ist in der 122. Plenarsitzung des Landtags am 24. Juni 2020 eingetreten. Auch der Antragsteller bestreitet dies nicht. Die Antragsgegnerin zu 2. schloss den Antragsteller gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 LTGO von der Sitzung aus. Nach seinem Ausschluss verließ der Antragsteller trotz entsprechender Aufforderung durch die Antragsgegnerin zu 2. nicht den Sitzungssaal. Vielmehr betonte er ausdrücklich, dass er nicht gehen werde. Daraufhin unterbrach die Antragsgegnerin zu 2. die Sitzung, so dass die zwingende Folge des § 92 Abs. 1 Satz 4 HS 1 LTGO eintrat.

Dass der vorangegangene Ausschluss aus der laufenden Sitzung verfassungswidrig war (s. II. 2.), ist dabei ohne Belang, da es sich bei dem automatischen Ausschluss um eine eigenständige Sanktion für ein neues Fehlverhalten - das Nichtverlassen der Sitzung nach Sitzungsausschluss - handelt und nicht um eine Maßnahme zur Durchsetzung desselben (s. II. 3. a)). Der vorhergehende Sitzungsausschluss war jedenfalls nicht rechtsmissbräuchlich oder in sonstiger besonders qualifizierter Weise verfassungswidrig, so dass keine Konstellation vorliegt, in welcher man Bedenken gegen die Anwendbarkeit des automatischen Mindestausschlusses haben könnte.

(2) Die vom Präsidium offensichtlich geteilte Einschätzung der Antragsgegnerin zu 2., dass das Verhalten des Antragstellers die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 LTGO für eine Verlängerung des automatischen Sitzungsausschlusses erfüllt, ist nicht zu beanstanden und hält sich im Rahmen des ihr zukommenden Beurteilungsspielraums.

Der Antragsteller hat durch sein Verhalten nach dem Ausschluss aus der laufenden Sitzung jedenfalls in besonders schwerer Weise im Sinne des § 92 Abs. 2 Satz 1 LTGO gegen die Ordnung verstoßen. Inwieweit daneben, wie von den Antragsgegnern vorgetragen worden ist, auch die Voraussetzungen eines wiederholten Ausschlusses im Sinne des § 92 Abs. 2 Satz 2 LTGO im Hinblick auf die Sitzungsausschlüsse des Antragstellers in der Plenarsitzung vom 29. April 2020 erfüllt sind, bedarf keiner Entscheidung.

Nicht nur hat sich der Antragsteller geweigert, dem Sitzungsausschluss Folge zu leisten und den Sitzungssaal zu verlassen, was für sich allein genommen schon zum Mindestausschluss von drei Sitzungstagen geführt hätte. Vielmehr mussten zur Durchsetzung der Verpflichtung, den Sitzungssaal zu verlassen, Beamte des Polizeivollzugsdienstes eingesetzt werden, wobei diese den Antragsteller nicht nur - wie in der Plenarsitzung am 29. April 2020 - aus dem Sitzungssaal hinausbegleiten, sondern unter Anwendung unmittelbaren Zwangs hinaustragen mussten. Mit diesem in der Geschichte des Landtags von Baden-Württemberg bislang einmaligen Verhalten hat der Antragsteller nicht nur die Autorität der Antragsgegnerin zu 2. als sitzungsleitender Präsidentin des Landtags massiv infrage gestellt, sondern auch die Würde des Landtags erheblich beschädigt. Auch hat er in besonders schwerer Weise das Minimum an Disziplin und Selbstbeherrschung vermissen lassen, das von einem Abgeordneten im Interesse der Funktionsfähigkeit des Landtags bei der Verpflichtung zur sofortigen Befolgung des Ausschlusses eingefordert werden kann und muss (VerfGH, Urteil vom 22.7.2019 - 1 GR 1/19, 1 GR 2/19 -, Juris Rn. 182).

(3) Schließlich geht der um zwei Tage gegenüber der Mindestsanktion verlängerte Sitzungsausschluss mit seiner Dauer von insgesamt fünf Tagen nicht über das verfassungsrechtlich zulässige Maß hinaus. Die Antragsgegnerin zu 2. und das Präsidium haben sich bei ihrer Entscheidung über die Dauer ausweislich der schriftlichen Begründung insbesondere von der Erwägung leiten lassen, dass, nachdem sich der Antragsteller bereits in der Sitzung vom 29. April 2020 aufgrund seines Verhaltens einen automatischen Ausschluss für drei Sitzungstage zugezogen hatte und er dieses Mal von der Polizei sogar aus dem Saal getragen werden musste, eine Erhöhung der Mindestsanktion um zwei weitere Sitzungstage veranlasst sei. Dies erscheint auch bei der im Fall von Sitzungsausschlüssen gebotenen strengeren verfassungsgerichtlichen Prüfung im Hinblick auf die Obergrenze von zehn Sitzungstagen nicht unangemessen.

D.

Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist nach § 60 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG kostenfrei.

Die Entscheidung über die Anordnung der notwendigen Auslagen beruht auf § 60 Abs. 4 VerfGHG. Zwar kommt eine solche Anordnung im Organstreitverfahren nur ausnahmsweise in Betracht (vgl. VerfGH, Urteil vom 9.11.2020 - 1 GR 101/20 -, Juris Rn. 75; Urteil vom 27.10.2017 - 1 GR 35/17 -, Juris Rn. 67 im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. jüngst BVerfGE 154, 320, 353 - Juris Rn. 97). Im vorliegenden Fall ist die Anordnung indes aus Billigkeitsgründen angezeigt. Das Organstreitverfahren wurde von einem einzelnen Abgeordneten beantragt und hat zur Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen beigetragen. Der Umfang der Auslagenerstattung entspricht dabei dem Umfang des Obsiegens des Antragstellers.

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