VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.03.2021 - 12 S 3587/20
Fundstelle
openJur 2021, 13808
  • Rkr:

Eine schwerwiegende Misshandlung eines Mitgefangenen, weil dieser nach dem subkulturellen Verständnis am Ende der Gefangenenhierarchie steht, beeinträchtigt das Funktionieren des Strafvollzugs als Einrichtung des Staates. Derartige Straftaten sind geeignet, zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG zu begründen.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 26. Oktober 2020 - 10 K 2573/20 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Antragstellers, eines im Februar 1998 im Bundesgebiet geborenen und seither hier lebenden kroatischen Staatsangehörigen, gegen den am 31.10.2020 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg hat keinen Erfolg.

I.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der am 03.08.2020 erhobenen Klage des Klägers gegen Ziffer I des am 03.07.2020 zugestellten Bescheids des Regierungspräsidiums Freiburg wiederherzustellen und hinsichtlich der Ziffern II bis IV anzuordnen. Das Regierungspräsidium hat mit diesem Bescheid vom 01.07.2020 festgestellt, dass der Antragsteller das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Freizügigkeitsrecht) in der Bundesrepublik Deutschland verloren hat (Ziffer I) und die sofortige Vollziehung der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts angeordnet (Ziffer VI). Zudem hat es dem Antragsteller die Abschiebung nach Kroatien angedroht und die Abschiebung aus der Haft angeordnet (im Einzelnen Ziffern II bis IV). Das mit der Verlustfeststellung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot ist auf acht Jahre ab Ausreise/Abschiebung befristet (Ziffer V) und nicht Gegenstand des Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz.

Das Verwaltungsgericht hat - ebenso wie das Regierungspräsidium - zu Gunsten des Antragstellers angenommen, dass er sich auf § 6 Abs. 5 FreizügG/EU i.V.m. Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG berufen kann, wonach eine Verlustfeststellung nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden darf. Das Verwaltungsgericht hat ausgehend von der seit dem 13.08.2019 rechtskräftigen Verurteilung des Antragstellers zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und neun Monaten die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung bejaht. Es hat zur Begründung u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller zahlreiche schwerwiegende, von außerordentlicher Brutalität, Gewaltbereitschaft und Rohheit geprägte Straftaten begangen habe, die den Schluss zuließen, von ihm gehe weiterhin eine ganz erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus.

II.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ist der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts bei Beschwerden gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts im vorläufigen Rechtsschutz beschränkt. Danach prüft der Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich nur die in der Beschwerdebegründung innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erfordert, dass die Begründung im Einzelnen darstellen muss, weshalb die Entscheidung unrichtig sein soll, und dass sie sich dabei mit der Entscheidung konkret auseinandersetzt. Der Begriff des Darlegens erfordert eine substanzielle Erörterung des relevanten Streitstoffs, wobei Maßstab und Bezugspunkt immer die angefochtene Entscheidung ist. Zu leisten ist eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs und somit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Der Beschwerdeführer darf sich nicht darauf beschränken, die Punkte zu benennen, in denen der Beschluss angegriffen werden soll. Er muss vielmehr zusätzlich darlegen, aus welchen Gründen er die Entscheidung in diesen Punkten für unrichtig hält (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 02.07.2019 - 12 S 953/19 -, juris Rn. 7, und vom 09.03.2017 - 5 S 2546/16 -, juris Rn. 6; Rudisile, Rechtsprechung zum Beschwerderecht der VwGO, NVwZ 2019, S. 1, 8 ff.; Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 22b; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 71 ff.).

Nach diesen Maßstäben führt das Beschwerdevorbringen mit Schriftsatz vom 29.11.2020 nicht zu einer Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

1) Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller zunächst dagegen, dass das Verwaltungsgericht die von ihm begangenen Straftaten als solche angesehen hat, die eine Verlustfeststellung aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit rechtfertigen.

a) Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen umfassen. Es hat weiter ausgeführt, dass auch Straftaten im Bereich besonders schwerer Kriminalität als Bedrohung für die Sicherheit eines Mitgliedstaats angesehen würden, wenn diese geeignet seien, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, weil die Art und Weise der Begehung besonders schwerwiegende Merkmale aufweise, und hat sich zur Begründung dessen u.a. auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22.05.2012 (C-348/09 - P.I., juris) und vom 23.10.2010 (C-145/09 - Tsakouridis, juris) sowie auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 12.04.2018 (11 S 428/18, juris) berufen (vgl. BA unter 3. a) bb) (3), S. 8 f.). Es hat sodann im Einzelnen dargelegt, warum die vom Antragsteller begangenen Taten geeignet seien, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen und hierbei auch hervorgehoben, dass der Antragsteller die Situation der Haft dazu ausgenutzt habe, sich federführend an Misshandlungen an einem minderjährigen Gefangenen zu beteiligen, die folterähnlich gewesen seien, und darum in besonderer Weise die Menschenwürde angegriffen habe, sowie zuvor über Jahre hinweg auch von Gewalt geprägte Straftaten gegenüber beliebigen Dritten begangen habe.

b) Der Antragsteller wendet hiergegen ein, die Möglichkeit einer Festlegung der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit durch die Mitgliedstaaten eröffne diesen keinen Raum für eine eigenständige Begriffsbildung. Nur im unionsrechtlich vorgegebenen Rahmen und unter der Kontrolle des Gerichtshofs der Europäischen Union könnten sie die "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit" ausgestalten. Die vorliegend in Rede stehenden Straftaten gehörten nicht zu den in Art. 83 Abs. 1 AEUV genannten Bereichen besonders schwerer Kriminalität, die eine grenzüberschreitende Dimension hätten und für die ein Tätigwerden des Unionsgesetzgebers vorgesehen sei. Zwar gehe der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 27.04.2016 (11 S 2081/15, juris Rn. 27) davon aus, dass es nicht ausgeschlossen sei, jenseits potentiell grenzüberschreitender oder in irgendeiner Form organisierter Straftaten auch andere Delikte im Einzelfall als besonders schwerwiegende Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen. In seiner diesbezüglich vorgenommenen Einzelfallprüfung habe das Verwaltungsgericht jedoch verkannt, dass die vorliegend in Rede stehenden Straftaten bereits vom Deliktstyp her nicht mit den Fallgestaltungen vergleichbar seien, in denen der Gerichtshof der Europäischen Union eine Gefährdung des Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit jeweils für möglich erachtet habe (z.B. bandenmäßige schwere Drogenkriminalität). Es sei daher bereits zweifelhaft, ob es sich bei den hier in Rede stehenden Straftaten (Körperverletzungs- und Eigentumsdelikte) überhaupt um "Straftaten im Bereich besonders schwerer Kriminalität" in dem gemeinten Sinne handeln könne. Damit ist nicht dargelegt, das Verwaltungsgericht hätte einen fehlerhaften Maßstab angewandt.

c) § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU sieht für eine Verlustfeststellung vor, dass der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Taten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wurde. Vorliegend ist der Antragsteller zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Dieser liegt zugrunde, dass das Landgericht den Antragsteller am 10.05.2019 wegen Straftaten verurteilt hat, die er am 24.05.2018 in der Justizvollzugsanstalt ... und am 21. bzw. 22.06.2018 in der Justizvollzugsanstalt ... begangen hat (räuberische Erpressung, gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen sowie tateinheitliche Anstiftung zur Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Nötigung) sowie dass es eine frühere, seit dem 15.05.2018 rechtskräftige Einheitsjugendstrafe des Amtsgerichts ... von vier Jahren und neun Monaten einbezogen hat. Gegenstand des amtsgerichtlichen Urteils sind u.a. schwere räuberische Erpressung, versuchte schwere räuberische Erpressung in zwei Fällen, versuchter Diebstahl in Tateinheit mit Sachbeschädigung, versuchte Gefangenenbefreiung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gewesen. Die durch das Landgericht gebildete Einheitsjugendstrafe (siehe zu den Erwägungen im Einzelnen das Strafurteil unter V. S. 35 ff.) beruht auf § 105 Abs. 1 und 3, § 18 Abs. 1 und 2 sowie § 31 Abs. 2 JGG. Nach § 31 Abs. 2 JGG wird dann, wenn gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, dies aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt ist, unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Im Gegensatz zu § 55 StGB ist jedoch die zeitliche Reihenfolge der realkonkurrierenden Delikte bei § 31 JGG irrelevant (Schatz in: Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 8. Aufl. 2020, § 31 Rn. 16). Im Unterschied zum Erwachsenenstrafrecht, bei dem nach Maßgabe des § 55 StGB (lediglich) die im vorangegangenen Urteil ausgesprochene Strafe einbezogen wird, ist bei der Entscheidung nach § 31 Abs. 2 JGG ein früheres rechtskräftiges Urteil als solches einzubeziehen. Es bedarf einer neuen, von der früheren Beurteilung unabhängigen einheitlichen Rechtsfolgenbemessung für sämtliche Taten bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des jetzt zuständigen Gerichts. Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung der früheren und der anhängigen Taten. Auf dieser Grundlage hat das Gericht unter Beachtung der Regelung des § 31 Abs. 1 S. 3 JGG, wonach die gesetzlichen Höchstgrenzen - hier der Jugendstrafe - nicht überschritten werden dürfen, zusammen für die alten und neuen Taten eine einheitliche originäre Maßnahme festzusetzen (vgl. insgesamt Schatz in: Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 8. Aufl. 2020, § 31 Rn.17 ff., 22, 39 m.w.N.).

Dass diese zuletzt gebildete Einheitsjugendstrafe keine Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU wäre, macht der Antragsteller auch nicht geltend.

d) Da die nationale Regelung allein auf das Strafmaß, nicht hingegen auf die Qualität des verwirklichten strafrechtlichen Handelns abstellt, bedarf sie mit Blick auf Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG und das darin formulierte Tatbestandsmerkmal der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit" der fallbezogenen unionskonformen Konkretisierung (VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 12.04.2018 - 11 S 428/18 -, juris Rn. 5 f., und vom 27.04.2016 - 11 S 2081/15 -, juris Rn. 25; Kurzidem in: Kluth/Hornung/Koch, Handbuch Zuwanderungsrecht, 3. Aufl. 2020, § 6 Rn. 42 ff.; ders. in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, § 6 FreizügG/EU Rn. 27 f.; Diesterhöft in: HTK-AuslR, § 6 FreizügG/EU Rn. 34).

Entgegen der Auffassung des Antragstellers sind die Straftaten, die Ausgangspunkt einer Verlustfeststellung sein können, nicht allein die in Art. 83 AEUV aufgeführten Delikte Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 22.05.2012 (C-348/09 - P.I. -, juris) diese Straftaten exemplarisch als einen Anwendungsfall formuliert, der zur Bejahung zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit führen kann (siehe Rn. 28: "...es den Mitgliedstaaten freisteht, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten"; bzw. in der englischen Urteilsfassung "...criminal offences such as those referred ..."). Dies schließt es vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Autonomie der Mitgliedstaaten somit gerade nicht aus, dass auch andere strafrechtliche Verhaltensweisen als die in Art. 83 AEUV genannten als eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit im unionsrechtlichen Verständnis eingeordnet werden können, sofern sie in der Tatbegehung das erforderliche Gewicht haben. Die Delikte müssen auch keine grenzüberschreitende Dimension haben, wie der dem Urteil vom 22.05.2012 zugrundeliegende Sachverhalt verdeutlicht (vgl. Rn. 10). Soweit der Antragsteller meint, Körperverletzungs- und Eigentumsdelikte seien von vornherein nicht geeignet, unionsrechtlich taugliche Straftaten für eine Verlustfeststellung zu sein, entspricht dies zum einen nicht der tatsächlichen Palette der bei ihm abgeurteilten Straftaten (siehe oben unter c). Zum anderen setzt er sich mit der konkreten Argumentation des Verwaltungsgerichts, insbesondere weshalb die folterähnliche Dimension seiner in der Vollzugsanstalt begangenen Straftaten den Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union genügen, schon nicht in der gebotenen Weise auseinander.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Straftaten des Antragstellers seien in der Lage, zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG zu begründen, in der Sache zutreffend ist. Eine schwerwiegende Misshandlung eines Mitgefangenen, weil dieser nach dem subkulturellen Verständnis am Ende der Gefangenenhierarchie steht, beeinträchtigt das Funktionieren des Strafvollzugs als Einrichtung des Staates. Derartige Straftaten sind geeignet, zu einer Verlustfeststellung nach Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG zu führen.

Es ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union anerkannt, dass die öffentliche Sicherheit im unionsrechtlichen Verständnis auch das Funktionieren von Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste umfasst (EuGH, Urteile vom 23.11.2010 - C-145/09 - Tsakouridis -, juris Rn. 44, und vom 24.06.2015 - C-373/13 - H.T-, juris Rn. 78; Hailbronner, Ausländerrecht, § 6 FreizügG/EU Rn. 83 - jew. m.w.N; ebenso EuGH, Urteil vom 02.07.2020 - C-18/19 - WM -, juris Rn. 44 zu Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 2008/115/EG). Beim Strafvollzug handelt es sich um eine staatliche Einrichtung in diesem Sinne. Es ist allein Sache des Staates zu bestimmen, welche Regeln innerhalb einer Strafanstalt in Verfolgung des Zieles eines menschenwürdigen, geordneten Strafvollzugs gelten. Die in der Strafanstalt verübten Straftaten des Antragstellers beeinträchtigten aufgrund ihrer Ausrichtung und ihres menschenverachtenden Charakters das Funktionieren des Vollzugs.

Der Vollzug bezweckt die (Jugend-) Strafgefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen; er hat weiterhin die Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen (vgl. § 1 JVollzGB IV BW, § 2 JVollzGB I BW). Bei einer - nicht zur Bewährung ausgesetzten - Jugendstrafe soll somit insbesondere mit den Mitteln des Jugendstrafvollzugs schädlichen Neigungen erzieherisch entgegengewirkt werden. Die Sicherheit und Ordnung der Anstalt bilden die Grundlage des auf die Förderung und Erziehung aller Jugendstrafgefangenen ausgerichteten Anstaltslebens und tragen dazu bei, dass in der Anstalt ein gewaltfreies Klima herrscht (vgl. etwa §§ 57 ff. JVollzGB IV BW). Die - nicht im polizeirechtlichen Sinne zu verstehende - äußere und innere Sicherheit und Ordnung ist Grundbedingung für ein Anstaltsleben, das von Angstfreiheit, wechselseitigem Respekt und gegenseitiger Akzeptanz geprägt ist (Sonnen/Baur in: Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 8. Aufl. 2020, Teil II Jugendstrafvollzugsgesetz der Länder, § 83 Rn. 2 ff.). Dass Strafvollzug funktioniert und dessen Ziele erreicht werden können, liegt nicht nur im Interesse des Einzelnen. Dies ist vor allem ein staatlicher und gesellschaftlicher Belang. Menschenwürdige, geordnete Verhältnisse in einer Strafanstalt sind hierfür eine Grundbedingung. Wird Gewalt und Erniedrigung unter den Gefangenen praktiziert, berührt dies die Funktion des Strafvollzugs. Dies gilt erst recht, wenn solches im Zuge einer Subkulturbildung eingesetzt wird. Eine Gestaltung des Strafvollzugs dahingehend, dass keine Misshandlungen oder Erniedrigungen von Gefangenen - auch nicht von Insassen untereinander - stattfinden, ist zudem eine europäische Forderung. Dies verdeutlicht beispielhaft die Einrichtung des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT), zu dessen Aufgaben es gehört, Hafteinrichtungen zu besuchen, um zu prüfen, wie Menschen behandelt werden, denen die Freiheit entzogen ist. Die Prüfung des Komitees erstreckt sich auch darauf, ob es Gewalt unter den Insassen gibt (vgl. exemplarisch den Bericht an die deutsche Regierung über den Besuch des CPT vom 25.11. bis 07.12.2015 vom 01.06.2017, Europarat CPT/Inf (2017) 13, S. 26 - abrufbar unter www.bmjv.de).

Der Antragsteller hat einen minderjährigen, vier Jahre jüngeren Mitgefangenen allein deshalb körperlich misshandelt, u.a. mit Tritten gegen den Kopf, und ihn erpresst, weil er - widerrechtlich - in Erfahrung gebracht hatte, dass diesem zum damaligen Zeitpunkt ein Sexualdelikt vorgeworfen worden ist, und er als (vermeintlicher) Sexualstraftäter am Ende der Gefangenenhierarchie steht (vgl. Strafurteil vom 10.05.2019 unter II. S. 16, V., S. 37). Die Misshandlungen des Tatopfers mit Schlägen und folterähnlichen Quälereien (so die Formulierung im Strafurteil vom 10.05.2019 unter II. S. 17) am Abend und in der Nacht des 22.06.2018 sind nach dem Einschluss um 18.30 Uhr unter Ausnutzung der Situation durchgeführt worden, dass es - wie im Interesse der Wahrung des Persönlichkeitsrechts der Inhaftierten in deutschen Strafanstalten vorgesehen - keine allgemeine, stetige optische bzw. akustische Überwachung der Zelle durch das Personal der Anstalt gibt. Die auf Initiative des Antragstellers erfolgten und von diesem verbal unterstützend begleiteten stundenlangen Erniedrigungen und Quälereien des Opfers durch einen Zellengenossen sind davon geleitet gewesen, dass das Opfer zugeben sollte, ein Vergewaltiger zu sein und über die Vergewaltigung zu berichten. Die Misshandlungen, die u.a. den Zwang des Opfers, sich selbst mit kochendem Wasser zu verbrühen, umfassten, hat das Verwaltungsgericht im Anschluss an die Feststellungen des Landgerichts ... im Einzelnen aufgeführt (BA unter 3. a) bb) (4) S. 16 ff.). Hierauf nimmt der Senat Bezug. Das Verhalten des Antragstellers zielte darauf, einen schwächeren, wehrlosen Mitgefangenen unter Einsatz von Gewalt und Handlungen, die diesen elementar in seiner Menschenwürde verletzten, zum Objekt subkultureller Vorstellungen zu degradieren.

Es besteht auch eine Neigung des Betroffenen, ein solches Verhalten beizubehalten. Selbst in der etwa ein Jahr nach dieser Tat stattgefundenen Hauptverhandlung hat sich der Antragsteller dahingehend eingelassen, er habe aufgrund der angeklagten Vorwürfe gegen den Geschädigten "nicht anders gekonnt, als diesem ein paar mitzugeben"; dafür könne er sich auch nicht entschuldigen. Der Vollzugsverlauf ist - wie der Antragsteller letztlich selbst einräumt - von Verstößen gegen Weisungen und gegen die Anstaltsordnung gekennzeichnet; Disziplinarmaßnahmen gegen ihn kommen auch nach seiner Verurteilung vom 10.05.2019 weiterhin vor (vgl. hierzu die Niederschrift zur Vollzugsplankonferenz vom 05.03.2020). Eine bei dem Antragsteller indizierte Sozialtherapie ist bislang nicht in Angriff genommen worden; die Vollzugsplankonferenz vom 05.03.2020 hat festgehalten, der Antragsteller sei nicht bereit, Tat und Persönlichkeit aufzuarbeiten. Dass sich dies nunmehr geändert hätte, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen (siehe auch nachfolgend 2).

2) Der Antragsteller wendet weiter gegen die erstinstanzliche Entscheidung ein, im Rahmen der Gefahrenprognose habe das Verwaltungsgericht vor allem auf die letzte Verurteilung durch das Landgericht Mosbach abgestellt. Hinsichtlich der Art und Weise der Begehung habe das Verwaltungsgericht jedoch nicht berücksichtigt, dass er nach den strafrechtlichen Feststellungen bei Tatbegehung größtenteils in ein gruppendynamisches Geschehen eingebunden gewesen sei und die Hemmschwelle nach der ersten Tat immer weiter gesunken sei - Umstände, die für situative Entgleisungen und damit gegen eine noch andauernde Bedrohung durch ihn sprächen. Hinzu komme, dass er bei Begehung der strafrechtlichen Verfehlungen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren gewesen sei. Auch bei der letzten Verurteilung sei aufgrund der erheblichen Erziehungs- und Entwicklungsdefizite sowie der individuellen Reifeverzögerung Jugendstrafrecht angewendet worden. Das Jugendstrafrecht sei vom Erziehungsgedanken geprägt (§ 2 JGG). Aspekte der Gefahrenabwehr müssten dahinter zurücktreten. Dieses gesetzgeberische Ziel dürfe nicht durch eine Ausweisung, gewissermaßen "durch die Hintertür", unterlaufen werden. Jedenfalls hätte dies im Rahmen der vorzunehmenden Ermessensausübung von dem Antragsgegner berücksichtigt werden müssen, was jedoch nicht geschehen sei. Die verwaltungsgerichtliche Entscheidung werde mithin auch insoweit angegriffen, als das Gericht keinen Ermessensfehler festgestellt habe. Das Vorbringen gibt keinen Anlass, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern.

Eine Jugendstrafe steht nicht per se einer Verlustfeststellung entgegen. Dies folgt schon aus der gesetzgeberischen Entscheidung in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU. Hierbei handelt es sich um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr, für die andere Grundsätze maßgeblich sind als für das Jugendstrafrecht. Im Übrigen bestimmt der vom Antragsteller zitierte § 2 Abs. 1 JGG, dass u.a. die Rechtsfolgen der Tat vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten sind. Vorrangig bedeutet aber nicht ausschließlich. Das Landgericht ... hat ausweislich seines Urteils vom 10.05.2019 im Falle des Antragstellers andere Strafzwecke, insbesondere den Sühnegedanken und das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs, als maßgeblich angesehen (UA unter V. S. 37).

Auf der weiteren Grundlage des Vorbringens des Antragstellers ist ebenfalls nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht die Wiederholungsgefahr nach den unionsrechtlichen Maßstäben (vgl. Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 2 Richtlinie 2004/38/EG) fehlerhaft beurteilt hätte. Auch bei der Verlustfeststellung gilt bei der Prognose der Wiederholungsgefahr der gleitende Wahrscheinlichkeitsmaßstab, d.h. ein differenzierender, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts; wegen der grundlegenden Bedeutung des Freizügigkeitsrechts aus Art. 21 AEUV und mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2020 - 11 S 955/19 -, juris 87 f. m.w.N.).

Das Verwaltungsgericht hat die hohe Gefahr der Wiederholung gravierender Straftaten gegen hochrangige Rechtsgüter aus der Würdigung der vom Antragsteller begangenen Straftaten und seiner Biographie hergeleitet. Es hat hierbei u.a. eingestellt, dass der Antragsteller bereits im Alter von neun Jahren delinquent geworden ist, diverse Jugendhilfemaßnahmen an seiner mangelnden Kooperation gescheitert sind und eine im Alter von 17 Jahren vollzogene Jugendhaft, während der es zu gewalttätigen Konflikten mit anderen Insassen gekommen ist, ihn nicht beeindruckt hat. Außerdem hat der Antragsteller ein bislang nicht therapiertes Drogenproblem. Es hat zudem eingestellt, dass seine Straftaten im Laufe der Zeit durch eine zunehmende Intensität - auch was die Gewaltbereitschaft anbelangt - immer schwerwiegender geworden sind und hat keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür gesehen, dass der Antragsteller in der Haft nachgereift wäre oder aufgrund anderer Umstände eine nachhaltige Verhaltensänderung der Persönlichkeit zum Positiven zu verzeichnen wäre. Weshalb vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass das Landgericht im Rahmen der Erwägungen zur Strafzumessung zugunsten des Antragstellers berücksichtigt hat, dass die Hemmschwelle nach der ersten Tat in der Justizvollzugsanstalt immer weiter gesunken und er in ein gruppendynamisches Geschehen unter Heranwachsenden eingebunden gewesen ist, zu einer dem Antragsteller günstigeren Beurteilung der Wiederholungsgefahr führen sollte, erschließt sich nicht. Auch für das Landgericht sind diese Umstände - wie die weiteren Würdigungen im Urteil zu Lasten des Antragstellers verdeutlichen - letztlich nicht ausschlaggebend gewesen (Strafurteil vom 10.05.2019 unter V. S. 37 f.). Im Übrigen führen unter gefahrenabwehrrechtlichen Gesichtspunkten sinkende Hemmschwellen zur Begehung von Straftaten gerade nicht zu einer günstigeren Prognose.

Aus den vorstehenden Erwägungen erschließt sich zugleich, dass die diesbezüglich auch erhobene Rüge der fehlerhaften Ermessensausübung nicht durchgreift.

3) Ferner ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht deshalb zu ändern, weil eine Verlustfeststellung zur Trennung des Antragstellers von seiner Mutter und seinem Stiefvater führt.

Der Antragsteller rügt, das Verwaltungsgericht habe ausgeführt, auch unter Berücksichtigung der familiären Bindungen zu seiner Mutter und seinem Stiefvater sei die Verlustfeststellung aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit erforderlich. Eine Rückkehr nach Kroatien sei zumutbar, zumal er die kroatische Sprache beherrsche. Diese Einschätzung verkenne jedoch, dass es aufgrund der bei ihm vorliegenden Reifeverzögerungen unrealistisch sei, dass er sich im Falle einer Abschiebung nach Kroatien dort ohne jegliche Bindung vor Ort auch nur im Entferntesten zurechtfinden könnte. Er kenne sich in Kroatien nicht aus und er habe keine tragfähigen persönlichen Bindungen dorthin. Er sei emotional und tatsächlich auf die Unterstützung durch seine Mutter und seinen Stiefvater angewiesen, zu denen er ein gutes Verhältnis habe und die ihn auch regelmäßig in der Haft besuchten. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass bereits die familiäre Bindung zu seinem leiblichen Vater früh abgebrochen sei. Weitere "Brüche" mit nahen Bezugspersonen seien deshalb unbedingt zu vermeiden. Es liege auf der Hand, dass ihn dies angesichts seiner Biografie besonders empfindlich treffen würde, auch das Risiko einer langen Trennung sei vor diesem Hintergrund unbedingt zu vermeiden. Die Beziehung zu seiner Mutter und seinem Stiefvater sei nach alledem besonders schutzwürdig.

Der Antragsteller ist mittlerweile 23 Jahre alt und damit erwachsen. Er hat ausweislich seines Zeugnisses über den Hauptschulabschluss vom 04.01.2017 die Präsentationsprüfung mit dem Thema "Kroatien - ein Land voller Entdeckungen" absolviert, was dagegen spricht, dass ihm dieses Land völlig unbekannt ist. Er spricht die Sprache und ist arbeitsfähig. Darüber hinaus ist der Vortrag, er benötige die Unterstützung von Mutter und Stiefvater, nicht schlüssig. Ausweislich der Fortschreibung des Vollzugsplans vom 05.03.2020 möchte er nach Kroatien abgeschoben werden bzw. es sei ihm egal; jedoch würde er in Deutschland bleiben wollen, weil es seine Mutter so wolle. Dass der Antragsteller auf irgendeine Art und Weise auf seine Familie angewiesen wäre und die Unterstützung auch nur hier in Deutschland erfolgen könne, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen haben Mutter und Stiefvater ihn in der Vergangenheit nicht zu einem straffreien Leben bewegen können. Weshalb ihnen nunmehr eine besondere Rolle im Leben des erwachsenen Antragstellers zuzuweisen wäre, ist nicht erkennbar.

4) Ist die Verlustfeststellung nach alledem voraussichtlich rechtmäßig, bestehen gegen den angefochtenen Beschluss auch insoweit keine Bedenken, als das Verwaltungsgericht ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung bejaht hat. Es hat dies damit begründet, dass der Antragsteller selbst in der Haft nicht bereit ist, sich an die Rechtsordnung zu halten.

Der Vortrag des Antragstellers in der Beschwerde, gegen die Annahme, er werde während des laufenden Rechtsbehelfsverfahrens erneut straffällig werden, spreche die Abschreckungswirkung aufgrund der Verurteilung durch das Landgericht vom 10.05.2019 und der damit einhergehenden erheblichen Erhöhung der ursprünglichen Strafe sowie der aktuelle Vollzugsverlauf, gibt keinen Anlass zu einer vom Verwaltungsgericht abweichenden Sichtweise.

Soweit der Antragsteller sich darauf beruft, im Vollzugsplan vom 05.03.2020 werde bzgl. seines Verhältnisses zu Mitgefangenen ausgeführt: "Rückmeldung der Abteilung: Herr x. ist im EG Süd nach wie vor gut integriert. Es sind keine Probleme erkennbar, er ist anderen Gefangenen gegenüber freundlich und hilfsbereit," handelt es sich um einen Ausschnitt aus der Passage zur Unterbringung in einem Gemeinschaftsraum im geschlossenen Vollzug. In seiner Gesamtheit gibt dieser Vollzugsplan aber keinen durchgreifenden Anhalt dafür, dass der Antragsteller sich jedenfalls unter den Bedingungen der Haft prognostisch ordnungsgemäß verhält. Dieser Vollzugsplan attestiert dem Antragsteller vielmehr eine unbehandelte Suchtproblematik, die Indikation für eine Sozialtherapie sowie eine Flucht- und Missbrauchsgefahr - auch aufgrund einer wohl fehlenden Mitwirkungsbereitschaft am Vollzugsziel. Darüber hinaus listet der Vollzugsplan diverse Verstöße, u.a. einen Spicefund, auf. Selbst nach der Hauptverhandlung vor dem Landgericht am 10.05.2019 ist der Antragsteller mit einer Droge (und einem Handy) im Vollzug aufgefallen, was gegen die vorgetragene Abschreckungswirkung durch das Urteil spricht.

5) Zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Ziffern II bis IV des angefochtenen Bescheids verhält sich die Beschwerde nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2 sowie § 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).