VG Münster, Anerkenntnisurteil vom 09.03.2021 - 2 K 1977/20
Fundstelle
openJur 2021, 13698
  • Rkr:

Ein Riesenposter stört die architektonische Gliederung auch dann, wenn sie zwar die nGestaltungs- und Gliederungselemente nicht überlagert, diese durch die Werbeanlag aber su deutlich in den Hintergrund gedrängt werden.

Tenor

für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur Anbringung eines Riesenposters an einer Gebäudewand.

Mit Bauantrag vom 27. April 2020 beantragte sie bei der Beklagten die bauaufsichtliche Genehmigung für die Anbringung eines Riesenposters in den Maßen 3,00 m x 10,00 m an der nach Südwesten ausgerichteten Gebäudewand des Hauses auf dem Grundstück Gemarkung N. Flur 000 Flurstück 000 (I.-------straße 0 in N. ). Das Grundstück ist mit einem 6-stöckigen Haus bebaut, welches in seiner südwestlichen Ausrichtung an die I.-------straße grenzt. Der Abstand der Werbeanlage zur östlichen Gebäudeaußenkante soll 1,50 m und zur östlichen Straße 6,50 m betragen. Die Fassade des Gebäudes ist mit einer roten Ziegelfläche gestaltet, die nach Westen im deutlichen Kontrast zu den in Weiß gestalteten Fenstern steht. Die Gebäudewand ist ab der unteren Kante des 1. Obergeschosses und an den Gebäudeseiten bis zum Drempel und unterhalb desselben mit einem in weiß gehalten Fassadenband (Lisene) gegliedert. Nach Südosten grenzt das Eckhaus an den "C. Platz" und nach Norden schließen sich mehrere Gebäude in geschlossener Bauweise an, in denen sowohl Gewerbenutzung als auch Wohnnutzung stattfindet. Der Bebauungsplan Nr. 356 setzt diesen Bereich als Kerngebiet (MK) fest. Der Bebauungsplan enthält in den textlichen Festsetzungen Regelungen zu Werbeanlagen. Nach Nr. 4 der textlichen Festsetzungen dürfen Werbeanlagen bis zur Unterkante der Fenster des dritten Obergeschosses, höchstens bis zur Unterkante der Fenster des obersten Geschosses reichen. Oberhalb der Fenster der des ersten Obergeschosses sind nur Einzelbuchstaben zugelassen. Nach Nr. 5 der textlichen Festsetzungen dürfen Werbeanlagen parallel zur Fassade nicht höher als 0,60 m sein und 2/3 der Ladenfront, höchstens jedoch 8,00 m erreichen.

Nach vorheriger Anhörung der Klägerin lehnte die Beklagte den Bauantrag durch Bescheid vom 30. Juli 2020 unter Hinweis auf die textlichen Festsetzungen in dem zugrunde liegenden Bebauungsplan ab. Ferner dürften Werbeanlagen nach § 10 Abs. 2 BauO NRW (2018) bauliche Anlagen nicht verunstalten. Eine Verunstaltung liege jedoch vor, wenn durch die Werbeanlage - wie hier - die einheitliche Gestaltung und architektonische Gliederung der baulichen Anlage gestört werde.

Gegen den Ablehnungsbescheid hat die Klägerin am 27. August 2020 die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung führt sie an: Die zulässige Klage sei begründet. Das zur Genehmigung gestellte Werbevorhaben sei bauplanungsrechtlich und bauordnungsrechtlich genehmigungsfähig. Ursprünglich sei zwar nach einem früheren Gerichtstermin eine Videoboardanlage an der Gebäudewand bis zur Höhe des 1. Obergeschosses geplant gewesen, doch habe sich diese Planung als nicht durchführbar herausgestellt. Deshalb habe sie für die verbliebene Gebäudewandfläche die Anbringung eines Riesenposters beantragt. Eine solche Werbeanlage sei an dem Anbringungsort planungsrechtlich zulässig und verstoße auch nicht gegen die architektonische Gestaltung, da das die Gebäudewand umformende weiße Farbband der Fenster nicht tangiert oder aufgebrochen werde. Zur weiteren Begründung verweise sie auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Nordrhein-Westfalen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 30. Juli 2020 zu verpflichten, ihr auf ihren Antrag vom 27. April 2020 die Baugenehmigung zur Anbringung einer statischen und unbeleuchteten Werbeanlage (Typ Riesenposter) auf dem Grundstück Gemarkung N. Flur 000, Flurstück 000 (I.-------straße 0 in N. ) zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin wie folgt entgegen: Der Bebauungsplan enthalte in den textlichen Festsetzungen unter den Nr.‘n 1 bis 5 Regelungen für Werbeanlagen in Misch- und Kerngebieten. Nach deren Nr. 4 sei das beantragte Riesenposter nicht zulässig. Zudem liege eine Verunstaltung gemäß § 10 Abs. 2 S. 3 BauO NRW (2018) vor. Die Werbeanlage sei fast über die gesamte zusammenhängende rote Ziegelfläche an der Außenwand geplant und würde somit das rote Ziegelmauerwerk der Giebelwand zu großen Teilen verdecken. Damit nehme der die W. -T. -T1. stadteinwärts fahrende Betrachter das Gebäude nicht mehr als solches war, sondern nur noch als Teil einer Werbeanlage oder als Werbeanlage selbst. Hierdurch ginge die Wirkung der roten Ziegelwand im Kontrast zu den weißen Elementen ebenso verloren wie die geometrische Anordnung der Flächen zueinander. Auch wenn die Fläche frei sei, folge die Klinkerfläche im Verhältnis zu den weißen Fensterrahmen einer erkennbar baukünstlerischen Fassadengestaltung, die durch die Werbeanlage beeinträchtigt werde. Der Hinweis auf die Rechtsprechung des OVG NRW sei nicht zielführend, da eine solche Werbeanlage nicht per se als unzulässig angesehen werde. Ihre Zulässigkeit hänge jedoch maßgeblich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Verpflichtungsklage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 30. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO); die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung.

Ein solcher Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung ergibt sich nicht aus § 74 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW (2018). Nach dieser Vorschrift ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben öffentlichrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen.

Werbeanlagen wie das von der Klägerin beantragte Bauvorhaben sind nach der gesetzgeberischen Zielsetzung sowohl einer bauplanungs- als auch einer bauordnungsrechtlichen Regelung zugänglich. Sind sie baugenehmigungspflichtig, so unterliegen sie einer doppelgleisigen präventiven Prüfung nach dem Planungsrecht des Bundes und dem Bauordnungsrecht des Landesgesetzgebers.

Vgl. BVerwG, Urt. v. 28. April 1972 - IV C 11.69 -, BRS 25 Nr. 127; OVG NRW, Urt. v. 14. März 2006 - 10 A 4924/05 -, BRS 70 Nr. 139 = juris LS 1

Dem Bauvorhaben stehen Vorschriften des Bauordnungsrechtes entgegen.

Der geplante Anbringungsort, also das Gebäude, an dessen südwestlicher Gebäudewand die Fremdwerbeanlage angebracht werden soll, liegt im Geltungsbereich des am 28. Dezember 1990 in Kraft getretenen Bebauungsplans Nr. 356, der für diesen Bereich ein Kerngebiet (MK) festsetzt. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO (1990) ist das von der Klägerin geplante Riesenposter bei hier maßgeblicher typisierender Betrachtung als sonstige nicht störende gewerbliche Nutzung in einem Kerngebiet allgemein zulässig.

Allerdings sehen die textlichen Festsetzungen gemäß § 81 BauO NRW (i.d.F. v. 18. Dezember 1984, GV.NW. S. 803) unter den Nr.‘n 1, 4 und 5 einschränkende Voraussetzungen vor, unter denen Fremdwerbeanlagen an Fassaden der im Kerngebiet des Bebauungsplans liegenden Gebäude angebracht werden dürfen.

Anders als in der von den Beteiligten in Bezug genommenen Entscheidung des OVG NRW,

vgl. Urt. v. 8. Juli 2013 - 10 A 662/12 -, juris Rn. 36 ff.,

werden Werbeanlagen im Bebauungsplangebiet durch den Bebauungsplan Nr. 356 nicht vollständig ausgeschlossen,

vgl. dazu VG Gelsenkirchen, Urt. v. 22. Januar 2019 - 6 K 5395/17 -, juris,

sondern aus Gründen der Verbesserung des Erscheinungsbildes des Plangebietes einheitlichen gestalterischen Anforderungen unterworfen. Eine Unwirksamkeit der textlichen Festsetzungen infolge fehlender Rechtssetzungskompetenz ist deshalb nicht anzunehmen.

Gemäߠ§ 81 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW (1984) - diese Vorschrift kommt allein in Betracht, die textlichen Gestaltungsvorschriften im Bebauungsplan verweisen als Rechtsgrundlage nur pauschal auf § 81 Abs. 4 BauO NRW (1984) - können die Gemeinden örtliche Bauvorschriften als Satzung erlassen über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen sowie von Werbeanlagen und Warenautomaten zur Durchführung baugestalterischer Absichten in bestimmten, genau abgegrenzten bebauten oder unbebauten Teilen des Gemeindegebietes; dabei können sich die Vorschriften über Werbeanlagen auch auf deren Art, Größe und Anbringungsort erstrecken.

Der Erlass einer Gestaltungssatzung steht im Ermessen des Ortsgesetzgebers; die ortsgesetzgeberische Ermächtigung besteht allerdings nicht unbeschränkt. Sie findet ihre Grenzen unter anderem im mit Verfassungsrang ausgestatteten Übermaßverbot sowie in Art. 14 GG.

Vgl. OVG NRW, Urt. v. 29. Januar 1999 - 11 A 4952/97 -, juris.

Eine örtliche Bauvorschrift nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW (1984) darf nur zur Durchführung baugestalterischer Absichten erlassen werden. Dabei geht die Befugnis zum Erlass der Bauvorschrift über die Abwehr von Verunstaltungen hinaus und erfasst auch die sogenannte positive Gestaltungspflege. Erforderlich ist, dass ein Konzept für die Ausgestaltung eines bestimmten Teils des Gemeindegebietes vorhanden ist, aus dem sich die örtliche Bauvorschrift ableiten lässt.

Ausweislich der Begründungunter Nr. 4 - Bauliche Gestaltung - zu dem Bebauungsplan Nr. 356 - abrufbar unter: https://geo.stadtmuenster.de/webgis/application/PlanenUndBauen?visiblelayers=930/10114,930/10115 - beabsichtigte der Plangeber zur Verbesserung des Plangebietes Gestaltungsfestsetzungen für Werbeanlagen im Kerngebiet. Damit wollte er eine Verbesserung erreichen, "wenn zukünftig bei der Wahl und Anordnung dieser Anlagen Zurückhaltung erfolgt." Zu diesem Zweck hat der Plangeber in seiner Satzung verfügt, dass Werbeanlagen bei regelloser Anordnung, aufdringlicher Wirkung unzulässig sind und nur bis zur Unterkante der Fenster des dritten Obergeschosses, höchstens bis zur Unterkante der Fenster des obersten Geschosses reichen dürfen.

Bereits diesen Anforderungen wird das von der Klägerin beantragte Riesenposter nicht gerecht, da es entsprechend der eingereichten Bauvorlagen bis zur Mitte des Fensters im obersten Geschoss reichen soll.

Darüber hinaus steht der Anbringung der Werbeanlage auch § 10 Abs. 2 Satz 3 BauO NRW (2018) entgegen. Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW (2018)darf eine Werbeanlage, die keine bauliche Anlage ist, nicht zu einer Verunstaltung führen, die nach Satz 3 auch dann vorliegt, wenn die architektonische Gliederung baulicher Anlagen gestört wird. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn die bauliche Anlage, an der die Werbeanlage angebracht werden soll, eine Aufteilung aufweist, die baukünstlerischen Gesichtspunkten folgt und deren Gestaltungs- und Gliederungselemente von der Werbeanlage ganz oder teilweise überlagert wird.

Vgl. OVG NRW, Urt. v. 8. Juli 2013, a.a.O., Rn. 50 und Beschl. v. 8. September 2005 - 10 A 3880/04 -.

Hierzu ist eine wertende Betrachtung erforderlich, die nach den bei einer früheren Ortsbesichtigung in einem vorhergehenden Klageverfahren sowie anhand der Bauvorlagen gewonnenen Eindrücke des Einzelrichters zu einer Verunstaltung führt. Das Riesenposter soll an der rechten Seite der nach Südwesten ausgerichteten Gebäudefassade ab der unteren Fensterkante des 2. Obergeschosses bis zur Mitte des Fensters im 5. Obergeschoss angebracht werden. Zu den linksseitigen, nach Nordwesten führenden weiß umrandeten Fenstern bleibt ein Abstand 0,70 m und zur rechtsseitigen, nach Südosten ausgerichteten Lisene von 0,30 m (nachvollzogen anhand der Ansichtszeichnung im Maßstab 1:50). Damit werden die Fassaden- und Gestaltungselemente der Gebäudefassade zwar nicht durch das Riesenposter überlagert, gleichwohl kommt es aber zu einer Verunstaltung. Wie sich aus der bei den Bauvorlagen befindlichen Visualisierung des Bauvorhabens ergibt - bei der das Riesenposter wie die Gestaltungselemente in weiß gehalten wurde -, würden die rechteckigen in einheitlichen Abständen befindlichen weißen Fenster sowie das weiße Farbband entlang der Gebäudefassade in den Hintergrund treten. Die Anbringung eines Riesenposters wird bei realitätsnaher Betrachtung anders als die Visualisierung nicht in Weiß gehalten sein, sondern je nach Werbebotschaft in bunten Farben, zumal die Werbebotschaft den an der Gebäudefassade auf der dreispurigen W. -T. -T1. vorbeikommenden Verkehrsteilnehmern ins Auge fallen soll. Ein buntes Werbeplakat in der Form eines Riesenposters würde die jetzt noch freie rote Klinkerfassade zwischen den weißen Fensterrahmungen und dem weißen Fassadenband nahezu vollständig ausfüllen. Hierdurch würde sich ein ganz anderer Eindruck zu den gestalterischen und künstlerischen Elementen dieser Gebäudefassade ergeben. Der Einzelrichter folgt der Einordnung der Beklagten, wenn ausgeführt wird, dass der die W. -T2. -T1. nach Norden fahrende Betrachter die Gebäudefassade nicht mehr als solche wahrnehme, sondern nur noch als Hintergrund einer Werbeanlage bzw. als Werbeanlage selbst. Hierdurch gehen aber die vom Architekten als künstlerische oder gestaltende Wandelemente und ihre geometrische Zuordnung zueinander verloren. Durch die Anbringung eines bunten Riesenposters mit deutlich hervorgehobenen Werbebotschaften rückt die Fassadengestaltung in den Hintergrund. Dies verändert die architektonische Gestaltung und Ausrichtung in gleicher Weise als wenn vorhandene Fassadenelemente durch eine Werbeanlage verdeckt würden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708, 711 Nr. 11 ZPO.

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