OLG Jena, Urteil vom 27.03.2019 - 2 U 397/18
Fundstelle
openJur 2021, 11427
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 03.05.2018, Az. (55) HK O 55/17, abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten zu unterlassen, Kunden, die Verträge über die Klägerin geschlossen haben, selbst oder durch einen Dritten, dazu anzuhalten oder gegenüber diesen darauf hinzuwirken, die gegenüber der Klägerin erteilte Einwilligung in die Datenverarbeitung zu widerrufen oder die Klägerin zur Löschung oder Sperrung der die Kunden betreffenden Daten aufzufordern oder Kontaktverbote auszusprechen, wenn dies geschieht wie in dem Schreiben vom 07.02.2017 (Anlage K3).

Der Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von € 612,80 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat die Klägerin 75 %, der Beklagte 25 % zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin 20 %, der Beklagte 80 % zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung des Unterlassungsgebots durch Sicherheitsleistung in Höhe von € 5.000,00, die Vollstreckung wegen der Kosten in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung des Unterlassungsgebots Sicherheit in Höhe von € 5.000,00, vor der Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin macht einen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend.

Die Klägerin ist selbstständige Handelsvertreterin verschiedener Versicherer. Sie selbst setzt wiederum selbstständige Handelsvertreter ein, die Vermögensberater genannt werden. Einer dieser Vermögensberater war der Beklagte. Das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien endete im Jahr 2015. Im Februar 2017 gelangten zur Klägerin Schreiben von insgesamt vier Kunden vom 07.02.2017, deren Wortlaut und Schriftbild identisch ist und die vom Faxgerät des Beklagten aus versandt wurden. Insoweit wird auf die Anlage K3 Bezug genommen.

Die Klägerin hält es für eine unlautere Mitbewerberbehinderung, dass der Beklagte die Kunden veranlasst hat, dieses Schreiben zu versenden, die eine Abschottung der Kunden gegenüber der Klägerin bewirken würden.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

Die Klägerin hat ihren Antrag auf Hinweise des Senats auf die konkrete Verletzungsform begrenzt und beantragt zuletzt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils den Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung der üblichen Ordnungsmittel zu unterlassen, Kunden, die Verträge über die Klägerin geschlossen haben, selbst oder durch einen Dritten, dazu anzuhalten oder gegenüber diesen darauf hinzuwirken, die gegenüber der Klägerin erteilte Einwilligung in die Datenverarbeitung zu widerrufen oder die Klägerin zur Löschung oder Sperrung der die Kunden betreffenden Daten aufzufordern oder Kontaktverbote auszusprechen, wenn dies geschieht wie in dem Schreiben vom 07.02.2017 (Anlage K3)

sowie

an die Klägerin außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 868,65 € zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

auch in Bezug auf den zuletzt gestellten Antrag die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Er macht geltend, die Kunden seien regelrechten Zumutungen und Nachstellungen seitens des klägerischen Mitarbeiters G... ausgesetzt gewesen. Die Kunden seien mit der Bitte um Hilfe zum Beklagten gekommen der ihnen mitgeteilt habe, dass sie ein Recht auf Unterlassung dieser Nachstellungen hätten, und wie sie dies durchsetzen könnten. Darin sei aber keine Abschottung zu sehen.

II.

Die zulässige Berufung hat nach Maßgabe des zuletzt gestellten Unterlassungsantrages Erfolg.

1.

Der zuletzt gestellte Unterlassungsantrag ist nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil auf die konkrete Verletzungsform bezogen, bestimmt genug (BGH GRUR 2014, 398 Rn. 17 - Online-Versicherungsvermittlung). Die Parteien sind unzweifelhaft Wettbewerber, so dass die Klägerin aktivlegitimiert nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG ist. Der Beklagte ist auch passivlegitimiert.

Das ergibt sich bereits aus seinem eigenen Vorbringen. Zu den streitgegenständlichen Schreiben vom 07.02.2017 hat sich der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht dahingehend eingelassen, dass die Absender der Schreiben von der Klägerin kommend zu seinen Mandanten geworden seien, und zwar bereits, als er im Jahre 2015 von der Klägerin zur F... AG gewechselt sei. Sein ehemaliger Assistent bei der Klägerin, Herr G... , habe (für die Klägerin) bei Frau B... , die seit seiner Tätigkeit bei der F... AG seine Assistentin gewesen sei, angerufen und etwas gesagt, was diese auf die Palme gebracht habe, wobei er nicht genau sagen könne, was dies gewesen sei. Frau B... habe keinen Kontakt mehr zu diesem Berater gewünscht. Er habe ihr zu einem Datenlöschungsantrag geraten. Auch die Mandanten K... und H... seien angerufen worden, wobei er auch dazu nichts Näheres sagen konnte. Beide hätten dann einen Termin in seinem Büro ausgemacht und seien von Frau B... animiert worden, einen Datenlöschungsantrag zu stellen, die dann tatsächlich auch vom Faxgerät seines Betriebes aus versandt wurden.

Dadurch, dass der Beklagte zumindest wissentlich zugelassen hat, dass die Schreiben wie Anlage K3 von seinem betrieblichen Faxgerät aus versendet werden, liegt eine eigene geschäftliche Handlung des Beklagten vor. Darüber hinaus besteht auch eine Haftung des Beklagten nach § 8 Abs. 2 UWG, da unstreitig die Assistentin des Beklagten die Schreiben an die Kunden K... und H... veranlasst hat. Daher kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Beklagte selbst auf den Inhalt dieser Schreiben hingewirkt hat.

2.

Der Unterlassungsanspruch der Klägerin besteht nach §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG.

a)

Eine gezielte Behinderung nach § 4 Nr. 4 UWG setzt eine Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten der Mitbewerber voraus, die über die mit jedem Wettbewerb verbundene Beeinträchtigung hinausgeht und bestimmte Unlauterkeitsmerkmale aufweist. Das betreffende Verhalten muss bei objektiver Würdigung der Umstände in erster Linie auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung des Mitbewerbers und nicht auf die Förderung des eigenen Wettbewerbs gerichtet sein. Unlauter ist auch eine gezielte Behinderung, die dazu führt, dass der beeinträchtigte Mitbewerber seine Leistung am Markt durch eigene Anstrengung nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann (BGH GRUR 2011,1018 Rn. 65 - Automobil Onlinebörse).

b)

Zutreffend und mit der Berufung im Kern nicht angegriffen ist das Landgericht davon ausgegangen, dass das Abwerben von Kunden grundsätzlich zum Wettbewerb gehört und nur dann eine Behinderung des Mitbewerbers sein kann, wenn weitere Unlauterkeitsmomente wie Irreführung, Überrumpelung oder Herabsetzung hinzutreten, die im vorliegenden Fall unzweifelhaft nicht gegeben sind. Darauf, dass vom Beklagten unzulässig Geschäftsgeheimnisse genutzt worden sind, beruft sich die Klägerin im Berufungsverfahren nicht mehr.

Auch das Leisten von Kündigungshilfe ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, sofern der Kunde nicht im Einzelfall in seiner Entscheidungsfreiheit durch aggressives Verhalten erheblich beeinträchtigt (§ 4a Ab. 1 UWG) oder irregeführt (§ 5 UWG) wird (BGH GRUR 2005, 603 (604) - Kündigungshilfe; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 37. Aufl. 2019, UWG § 4 Rn. 4.39). Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Mitbewerber Kunden auf dessen Initiative vorformulierte Kündigungsschreiben zur Verfügung stellt und unterschreiben lässt. Ein durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher wird allein durch eine solche Dienstleistung, wenn sie nicht von den genannten weiteren Unlauterkeitsmomenten begleitet ist, nicht unsachlich zum Abschluss eines Vertrages mit einem Mitbewerber veranlasst (BGH GRUR 2005, 603 (604) - Kündigungshilfe).

c)

Die Klägerin beruft sich aber zu Recht darauf, dass der Beklagte dadurch, dass er durch seine Assistentin die Schreiben vom 7.2.2017 vorbereitet und versandt hat, weit über eine zulässige Kündigungshilfe hinausgegangen ist, weil die in den Schreiben ausgesprochenen Kontaktverbote zu einer Abschottung der Kunden gegenüber der Klägerin führten. Zwar ist die von der Klägerin angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden (WRP 2015, 1395) mit dem vorliegenden Fall nicht in jeder Hinsicht vergleichbar. Denn bei dieser Entscheidung ging es darum, das eine gesetzliche Krankenkasse einem Versicherten ein vorformuliertes Schreiben zur Verfügung gestellt hat, durch das dieser seiner bisherigen gesetzlichen Krankenkasse sämtliche in der Vergangenheit abgegebenen Werbe- und Anruferlaubnisse mit sofortiger Wirkung widerrief und dies auch Rückwerbeversuche umfassen sollte. Die Klägerin ist jedoch Handelsvertreterin und nicht (Versicherungs-)Unternehmen, so dass ihr berechtigtes Interesses in Bezug auf Kontakt mit Kunden anders zu beurteilen ist als bei dem Versicherer selbst.

Es bestehen aber auch auf Seiten der Klägerin als Handelsvertreterin berechtigte Gründe, Kontakt mit Kunden aufnehmen zu können. Dies gilt zum einen bei noch bestehenden Verträgen, zum anderen aber auch für den Fall, dass eine Stornoabwehrmaßnahme notwendig wird. Hierzu hat die Klägerin unwidersprochen vorgetragen, dass (im Februar 2017) in ihrem Bestand für C... B... noch fünf Verträge, für P... H... noch zwei Verträge und für M... K... ein Vertrag noch "aktiviert" gewesen seien, also weiterhin bestanden. Sie hat außerdem vorgetragen, dass sie nach Vertragskündigungen bzw. relevanten Vertragsänderungen des Versicherungsvertrages von den Versicherungsunternehmen zur Stornoabwehr aufgefordert werden kann. Die Versicherung kann Stornoabwehr zwar auch selbst durchführen und ist nicht allein darauf verwiesen, den Handelsvertreter durch Stornogefahrmitteilungen zur "Nachbearbeitung" aufzufordern. Dies schließt aber nicht aus, dass der Handelsvertreter selbst zur Stornoabwehr tätig werden kann, wenn er von einem Nachbearbeitungsbedarf erfährt.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Handels- bzw. Versicherungsvertreter ein berechtigtes Interesse, mit den Kunden, deren Vertrag noch besteht oder aber der Stornogefahr unterliegt, in Kontakt zu treten. Denn gelingt es dem Versicherungsvertreter selbst, insbesondere nach einer Stornogefahrmitteilung, durch Gespräche mit dem Kunden, den Vertrag zu erhalten, muss er den Verlust seiner Provision und damit einen Rückzahlungsanspruch der Versicherung nicht befürchten. Dass ein bestehender Vertrag bei den Kunden (mit Ausnahme der Frau B... ) Vorgelegen hat, an die mit Hilfe des Beklagten bzw. seiner Assistentin das Schreiben vom 07.02.2017 versandt wurde, ist unstreitig geblieben.

d)

Das Schreiben vom 07.02.2017 hat einen entsprechenden unlauteren, weil den Kunden gegenüber der Klägerin vollständig abschottenden Inhalt. Mit dem Schreiben wird der Widerruf der Einverständniserklärung in Bezug auf Anrufe durch Handelsvertreter und Mitarbeiter der Klägerin und in Bezug auf Speicherung, Verwendung und Weitergabe der Daten bei der Klägerin erklärt, außerdem eine Aufforderung zur Löschung bzw. Sperrung der eigenen Daten und eine Untersagung von Anrufen und Kontaktaufnahme jeglicher Art ausgesprochen. Damit wird nicht nur, unabhängig von der Frage, ob dies bei einem bestehenden Vertrag berechtigt ist oder nicht, zur Löschung von gespeicherten Daten aufgefordert bzw. dazu aufgefordert, gespeicherte Daten nicht zu nutzen, sondern es wird gleichzeitig jegliche Kontaktaufnahme durch die Klägerin, gleich aus welchem Grunde, untersagt. Damit wird tatsächlich eine vollständige Abschottung der Kunden gegenüber der Klägerin bezweckt und erreicht.

e)

Ein entgegenstehendes berechtigtes Interesse an der Mithilfe bei der Formulierung und dem Versenden solcher Schreiben hat der Beklagte nicht dargetan.

Zum einen kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, dass es jedem Kunden möglich wäre, ein solches Schreiben an seinen Vermögensberater bzw. Versicherungsvertreter zu versenden, weil ein Kunde im Rahmen seines Vertragsverhältnisses "machen kann, was er will". Denn dies mag zwar zutreffend sein, ändert aber nichts daran, dass es vorliegend gerade nicht um ein autonomes Kundenhandeln geht, sondern um eine geschäftliche Handlung eines Mitbewerbers, der die Kunden selbst oder durch seine Assistentin entsprechend beraten hat und bei der Abschottung zielgerichtet mitgewirkt hat. Der Mitbewerber hat sich im Rahmen des lauteren Wettbewerbes solcher Maßnahmen zu enthalten.

Zum anderen hat der Beklagte auch ein berechtigtes Interesse dergestalt nicht dargetan, dass er den Kunden wegen belästigender Anrufe seitens des Mitarbeiters der Klägerin, Herrn G... lediglich eine unbedingt erforderliche Hilfestellung gegeben hat. Das, was in der Berufungserwiderung vorgetragen wird, nämlich wie unverschämt sich der Mitarbeiter G... verhalten haben soll, bleibt unsubstantiiert und konnte in substantiierter Form auch vom Beklagten selbst bei seiner Anhörung durch das Landgericht nicht erläutert werden. Dass es etwas gegeben hat, was die Frau B... "auf die Palme gebracht hat", reicht ebenfalls wegen Substanzlosigkeit nicht aus.

f)

In Bezug auf eine berechtigte Abmahnung hat die Klägerin nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Deren Höhe berechnet sich unter Berücksichtigung des für die berechtigte Abmahnung als angemessenen zugrunde zu legenden wirtschaftlichen Interesses der Klägerin aus einem Streitwert von € 7.200,00 (vgl. unter 3.).

g)

Der weitergehende Zahlungsanspruch war, genauso wie die weitergehende Berufung, abzuweisen bzw. zurückzuweisen.

3.

Daher war das Urteil wie geschehen abzuändern.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt neben den unterschiedlichen Streitwerten in den Instanzen auch die Beschränkung des Unterlassungsbegehrens auf die konkrete Verletzungsform im Berufungsverfahren, was der Senat mit einem (Teil-)Unterliegen im Umfange von 1/5 bewertet.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Der Rechtsstreit betrifft einen Einzelfall auf der Grundlage anerkannter Rechtsgrundsätze. Auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts ist eine Befassung des Revisionsgerichts nicht erforderlich.