OLG Celle, Urteil vom 07.01.2021 - 6 U 22/20
Fundstelle
openJur 2021, 5764
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 12 O 69/14

1. Zur Feststellung der Testierunfähigkeit eines unter Betreuung stehenden Erblassers.

2a. Ungeachtet der nach wie vor fehlenden Wertung des Gesetzgebers, dass Zuwendungen des Betreuten an den Betreuer als sittenwidrig anzusehen sind, kann ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin und eines „Seniorenbetreuers“ sittenwidrig sein, wenn - wie vorliegend - eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einer von ihr herangezogenen Notarin in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen.

2b. Dass als Folge der Nichtigkeit des Testaments der Fiskus erben wird (§ 1936 S. 1 BGB), verändert den Maßstab bei der Anwendung von § 138 BGB nicht zu Gunsten der eingesetzten Erben.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 2. März 2020 verkündete Teilurteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Den Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe eines die vollstreckbare Forderung um 20 % übersteigenden Betrages abzuwenden, soweit nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 290.000 € festgesetzt.

Gründe

Am … 2012 verstarb der am … 1929 geborene K. R. H. W. V. Der Erblasser war nicht verheiratet und hatte keine Abkömmlinge.

Er war im Dezember 2004 aufgrund einer neu aufgetretenen Gangunsicherheit in der H.-S. in H. stationär aufgenommen worden. Aufgrund zunehmender Verwirrtheit wurde der Erblasser am 29. Dezember 2004 in die Psychiatrie der M. (…) verlegt, wo mittels erneuter Computertomografie des Kopfes ein frischer Hirn-infarkt links temporal und occipital unter Einschluss des Thalamus links im fast kompletten Versorgungsgebiet der A. cerebri posterior links diagnostiziert wurde.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover in 670 XVII V 476 (Beiakten) vom 5. Januar 2005 wurde die Beklagte zu 1 als Berufsbetreuerin zur vorläufigen Betreuerin des Erblassers bestellt. Als Aufgabenkreis wurde bestimmt:

Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die unterbringungsähnlichen Maßnahmen, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 7. Januar 2005 wurde die Beklagte zu 1 mit dem Aufgabenkreis aus dem Beschluss vom 5. Januar 2005 zur Betreuerin bestellt.

Am 1. April 2005 wurde der Erblasser aus dem Krankenhaus L., wo er mehr als zwei Monate stationär behandelt worden war, entlassen und zog in das G.-W. H.-K., wobei er von Anfang an und bis zu seinem Tod auf der gerontopsychiatrischen Pflegestation untergebracht war (Bl. 678 Rück).

Vom 3. bis 6. April 2005 sowie vom 24. Mai bis 3. Juni 2005 befand er sich aufgrund „zunehmender Allgemeinzustandsverschlechterung“ zur stationären Behandlung im V. in H. (Bl. 344 e ff. und 344 n ff.).

Mit notarieller Urkunde der Notarin C. vom 4. Mai 2005 (UR-Nr. …8/2005, 51 IV 55291/05 Amtsgericht Hannover, S. 10) errichtete der Erblasser im Wohnstift H.-K. (in Anwesenheit der Beklagten zu 1, Bl. 299, 679) ein Testament, in dem es im Wesentlichen heißt:

„Die Notarin überzeugte sich durch eine Unterhaltung mit dem Erschienenen von dessen Testierfähigkeit.

Der Erschienene erklärte vorab:

Ich bin nicht verheiratet und habe keine Kinder. Ich will ein Testament errichten und erkläre meinen letzten Willen wie folgt:

Ich setze hiermit Frau Rechtsanwältin W. W. (…) und Herrn F. B. (…) zu meinen Erben ein, und zwar untereinander zu gleichen Teilen. (…)

Den Wert meines Vermögens gebe ich mit 350.000,00 Euro an.

(…)“   

Mit Schreiben vom 22. November 2005 wandte sich die Beklagte zu 1 an das Amtsgericht Hannover und erklärte, die Verlängerung der Betreuung sei „sicher erforderlich. Obwohl sich der Gesundheitszustand von Herrn V. herausragend gebessert hat, ist er nicht mehr in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass eine Besserung insoweit eintreten wird, dass eine Betreuung zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr notwendig wäre. Der Aufgabenkreis ist in seinem bisherigen Umfang erforderlich aber auch ausreichend.“

Mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 8. Dezember 2005 wurde die bestehende Betreuung verlängert; das Gericht werde - nach Ablauf der gesetzlichen Maximalfrist - spätestens bis zum 8. Dezember 2012 über eine Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung beschließen.

In dem Protokoll der richterlichen Anhörung, die dem Verlängerungsbeschluss zugrunde liegt, heißt es u. a.:

„Der Betroffene war voller Misstrauen und verstand gar nicht, weshalb ich mit ihm reden wollte. Er beschwerte sich, dass sich niemand um ihn gekümmert habe, als es ihm schlecht ging. Von der Betreuung wollte er nichts wissen. Eine Frau W. kannte er nicht. (…) Zum Ende des Gesprächs kam die Betreuerin doch und wurde von dem Betroffenen freudig begrüßt. Es stellte sich heraus, dass der Betroffene seine Betreuerin nur mit Vornamen kennt. Zwischen beiden besteht ein gutes Verhältnis. Die Betreuerin sagte, (….), dem Betroffenen gehe es sehr viel besser, wenngleich der Betreuungsbedarf wohl zeitlebens bestehen werde. So, wie ich den Betroffenen kennengelernt habe, halte ich es für ausgeschlossen, dass er seine Angelegenheiten alleine regeln kann.“

Die Beklagte zu 1, die mit Schreiben vom 20. Mai 2012 Testamentseröffnung beantragt hatte, beantragte mit notarieller Urkunde vom 18. Oktober 2012 des Notars J. G., H., einen Erbschein auf der Grundlage des vor der Notarin C. in H. errichteten Testaments des Erblassers vom 4. Mai 2005, wonach die Beklagten zu je hälftigem Anteil Erben geworden sind.

Der Erbscheinsantrag wurde vom Amtsgericht Hannover (51 VI 4416/12) mit Beschluss vom 10. September 2013 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde vom Senat (6 W 200/13) mit Beschluss vom 18. November 2013 zurückgewiesen. Im Senatsbeschluss wird Stellung zu den ärztlichen Angaben sowie den schriftlichen Aussagen der Zeugen C., Dr. med. K. und Dr. med. Kü. genommen sowie weiter ausgeführt:

„Entscheidendes Anzeichen für die Testierunfähigkeit des Erblassers im fraglichen Zeitpunkt ist die Tatsache, dass es für die Erbeinsetzung der bedachten Personen keinen Grund gab. Die eine (…) war nichts weiter als die ihm gerichtlich bestellte Betreuerin, deren Nachnamen er ausweislich der richterlichen Anhörung vom 8. Dezember 2012 (…) nicht einmal kannte, die andere (…) jemand, zu dem überhaupt keine Beziehung zum Erblasser im Verfahren vorgetragen ist.“

Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover (51 VI 161/14) vom 14. Januar 2014 zum Nachlasspfleger für die unbekannten Erben bestellt; der Wirkungskreis umfasst danach die Ermittlung der Erben und die Sicherung des Nachlasses. Mit Beschluss vom 5. Februar 2014 wurde der Wirkungskreis auf die Verwaltung des Nachlasses ausgedehnt.

Den Kontakt zwischen dem Erblasser und dem Beklagten zu 2 stellte die Beklagte zu 1 her. Im beigezogenen Sonderheft 25 der Staatsanwaltschaft Hannover 1151 Js 13155/12 findet sich eine Vielzahl von Rechnungen des Beklagten zu 2, adressiert an die Beklagte zu 1, betreffend den Zeitraum 2005 bis 2009, für erbrachte Dienstleistungen wie Einkäufe, Besorgungen, Spaziergänge und Arztbesuche, die mit unterschiedlichen Beträgen, meist mit einer Monatspauschale von anfangs 275,86 € netto, ergänzt um „sonstige Kosten (Benzin…)“, später von 301,72 € netto bzw. 359,05 Euro brutto (z. B. Rechnung vom 23. Januar 2008) abgerechnet wurden, außerdem Rechnungen für verauslagte Aufwendungen und (sonstige) Dienstleistungen.

Unter dem genannten Aktenzeichen 1151 Js 13155/12 wurde wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Untreue gegen Berufsbetreuer, Notare u. a. ermittelt, darunter auch gegen die beiden Beklagten.

Mit Schriftsatz vom 19. März 2014 erhob der Kläger Stufenklage (Bl. 2 f., zuletzt geändert mit Schriftsatz vom 16. Januar 2018, Bl. 294 ff., Bl. 339/479). Die Beklagten erhoben mit Schriftsatz vom 10. Juli 2015 (Feststellungs-)Widerklage (Bl. 166, Bl. 339/479).

Gemäß Beweisbeschluss des Landgerichts vom 20. August 2015 hat Dr. med. B., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, unter dem 25. April 2017 ein fachpsychiatrisches Gutachten zur Testierfähigkeit des Erblassers am 4. Mai 2005 vorgelegt. Dieses hat er unter dem 21. Januar 2019 ergänzt (je gesondert geheftet).

Das Landgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2018 die Beklagten persönlich angehört. Es hat weiter in der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2018 die Zeugen Dr. med. Kü., Dr. med. K. und die Notarin C. in Anwesenheit des gerichtlich beauftragten Sachverständigen Dr. med. B. vernommen. In der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2019 hat es Prof. Dr. med. Kr. als Zeugen vernommen sowie Dr. med. B. im Hinblick auf diese Zeugenaussage angehört.

Mit Teilurteil vom 2. März 2020 hat das Landgericht der Klage auf der Auskunftsstufe im Wesentlichen antragsgemäß stattgegeben und die Widerklage, gerichtet auf die Feststellung, dass die Beklagten zu 1 und 2 zu jeweils 1/2 Erben nach dem Erblasser geworden sind, abgewiesen.

Mit der Berufung verfolgen die Beklagten ihre Auffassung, dass eine Testierunfähigkeit des Erblassers im Mai 2005 nicht feststellbar sei, weiter. Im Zweifel sei von der Testierfähigkeit auszugehen. Die Beklagten seien die einzigen Vertrauten des Erblassers gewesen. Mit seiner Motivationslage habe sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt.

Die Beklagten beantragen (Bl. 613 f., 678),

1. die Klage unter Aufhebung des Teilurteils des Landgerichts Hannover vom 2. März 2020 insgesamt abzuweisen,

2. auf die Widerklage der Beklagten festzustellen, dass der am 12. April 2012 verstorbene Herr H. W. V., nach Maßgabe des notariellen Testaments der Notarin C. von den Beklagten/Widerklägern zu je 1/2-Anteil beerbt worden sei.

Der Kläger beantragt (Bl. 650, 678),

die Berufung gegen das Teilurteil des Landgerichts Hannover vom 2. März 2020 zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen, die beigezogenen Akten (Betreuungsakten 670 XVII V 476 Amtsgericht Hannover, Sonderheft 25 der Akten der Staatsanwaltschaft Hannover 1151 Js 13155/12, 51 VI 4416/12 / 51 VI 161/14 und 51 IV 55291/05 Amtsgericht Hannover), die Protokolle der mündlichen Verhandlungen, das angefochtene Teilurteil und die medizinischen Gutachten verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das notarielle Testament vom 4. Mai 2005 ist unwirksam, und zwar sowohl wegen Testierunfähigkeit des Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung (2. b), als auch wegen der Sittenwidrigkeit des notariellen Testaments (2. c).

1. Soweit die Klage auf der Auskunftsstufe mit dem Teilurteil des Landgerichts teilweise abgewiesen worden ist, hat der Kläger dies hingenommen.

2. a) Die Berufungsbegründung verhält sich nicht zur Frage der ausgeurteilten Verpflichtung der Beklagten, als Erbschaftsbesitzer Auskunft über den Bestand des Nachlasses erteilen zu müssen.

b) Gegenstand der Erörterungen der Berufungsbegründung ist lediglich die vom Landgericht zugrunde gelegte Annahme, der Erblasser sei am 4. Mai 2005 testierunfähig gewesen.

aa) Nach § 2229 Abs. 4 BGB „kann ein Testament nicht errichten“, „wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln“.

Dies bedeutet zum einen, dass Störungen der Geistestätigkeit für sich genommen noch nicht zwangsläufig zur Testierunfähigkeit führen. Andererseits genügt es dafür, die Voraussetzungen der Testierfähigkeit feststellen zu können, „nicht, dass der Erblasser eine allgemeine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung des Testaments und von dem Inhalt seiner letztwilligen Anordnungen hatte. Er musste vielmehr auch in der Lage sein, sich über die Tragweite dieser Anordnungen, insbesondere auch über ihre Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen und über die Gründe, die für oder gegen ihre sittliche Berechtigung sprachen, ein klares Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln“ (BGH, IV ZR 251/57, Urteil vom 29. Januar 1958,BeckRS 1958, 31372778; OLG München, 31 Wx 16/07, Beschluss vom 14. August 2007, Rn. 18 bei juris, m. w. N., wonach es nicht ausreicht, dass der Testierende in der Lage ist, die eigenen Bezugspersonen zu erkennen und einfache Sachverhalte zu erfassen; ähnlich OLG Hamm, 15 W 453/17, Beschluss vom 5. Februar 2020, Rn. 23 bei juris; OLG Karlsruhe, 14 U 99/17, Urteil vom 20. Dezember 2019, Rn. 45 bei juris).

Störungen der Geistestätigkeit bilden die Ausnahme, sodass der Erblasser so lange als testierfähig anzusehen ist, wie seine Testierunfähigkeit nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen ist, wobei das Beweismaß kein anderes ist als sonst im Anwendungsbereich von § 286 ZPO. Absolute bzw. mathematische Gewissheit darf, weil nicht erreichbar, nicht verlangt werden. Der Richter darf und muss in tatsächlich zweifelhaften Fällen einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit fordern bzw. sich mit einem solchen begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Letzte, fernliegende und nicht völlig auszuschließende Zweifel sollen der Überzeugung nicht entgegenstehen.

Im Prozess hat die Testierunfähigkeit grundsätzlich derjenige zu beweisen, wer sich, wie hier der Kläger als eingesetzter Nachlasspfleger, auf sie beruft.

Eine Betreuung als solche berührt die Testierfähigkeit nicht; auch für den Betreuten besteht die Vermutung der Testierfähigkeit (vgl. OLG München, 34 Wx 293/14, Beschluss vom 31. Oktober 2014, Rn. 7 bei juris, m. w. N.).

Dabei gibt es keine – etwa nach dem Schwierigkeitsgrad des Testaments abgestufte (relative oder partielle) – Testierfähigkeit; die Fähigkeit zur Testamentserrichtung ist entweder gegeben oder fehlt ganz (ganz hM, vgl. nur OLG Hamm, 10 U 76/13, Urteil vom 6. März 2014, Rn. 81 bei juris; OLG München, 31 Wx 16/07, Beschluss vom 14. August 2007, Rn. 18 bei juris, m. w. N.).

Unbeachtlich ist der Hinweis der Beklagten darauf, der Erblasser sei nicht kurz nach Errichtung seiner letztwilligen Verfügung verstorben, sondern habe vielmehr noch sieben weitere Jahre in dem Bewusstsein gelebt, seinen Nachlass in seinem Sinne geregelt zu haben. Für den Fall der Testierunfähigkeit kommt diesem Umstand keine Bedeutung zu und ist die verbliebene Lebensdauer ohne Belang. Anknüpfend an die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung ist nochmals darauf zu verweisen, dass der Senat keineswegs die - auch grundgesetzlich geschützte (Art. 14 Abs. 1 S. 1 2. Alt. GG) - Testierfreiheit in irgendeiner Form in Abrede nimmt oder einschränkt; die Testierfreiheit beginnt aber erst dort, wo Testierfähigkeit besteht (s. a. BVerfG, 1 BvR 2161/94, Beschluss vom 19. Januar 1999, Rn. 42 bei juris).

bb) Die Auswertung der (hier chronologisch geordneten) Unterlagen ergibt zur Testierfähigkeit des Erblassers am 4. Mai 2005 das folgende Bild:

- PD Dr. med. D. D., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und Dr. med. C. T., Facharzt für Neurologie erstellten zu Beginn des Betreuungsverfahrens ein Gutachten, das sich auf die Untersuchung des Erblassers vom 4. Januar 2005 in der M. stützt. Danach bestand beim Erblasser ein ausgeprägtes hirnorganisches Psychosyndrom mit Kurzzeitgedächtnisstörung und eine latente Halbseitenlähmung rechts bei Hirninfarkt links temporal und occipital unter Einschluss des Thalamus links im fast kompletten Versorgungsgebiet der A. cerebri posterior links. Der Erblasser sei nicht orientiert zu Ort, Zeit und Situation und könne nicht angeben, dass er sich in einem Krankenhaus befinde. Das Kurzzeitgedächtnis sei deutlich gestört. Der Erblasser sei aufgrund des psychopathologischen Bildes nicht in der Lage, für sich und seine Gesundheit zu sorgen. Er könne momentan keine hinreichende Einsicht in seine Erkrankung und die Notwendigkeit der weiteren medizinischen Behandlungen finden bzw. nach dieser Einsicht handeln. Die Einrichtung einer Betreuung sei erforderlich, außerdem freiheitsbeschränkende Maßnahmen. Eine Überprüfung der Betreuung sei nach einem Jahr sinnvoll.

- Nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist die Stellungnahme der Notarin B. C., die von der Beklagten zu 1 informiert und beauftragt worden war (Anhörung der Beklagten zu 1 vor dem Landgericht, Bl. 298, sowie vor dem Senat, Bl. 679). Diese hatte ausweislich ihrer schriftlichen Angaben vom 8. April 2013 gegenüber dem Amtsgericht Hannover (51 VI 4416/12 Amtsgericht Hannover, S. 36) keine Erinnerung mehr an die Sache, sondern hat lediglich betont, dass sie vor allem bei älteren Menschen die Prüfung der Testierfähigkeit immer sehr gründlich vorgenommen habe. Für den konkreten Fall ist damit von vornherein nichts gewonnen; außerdem verfügt auch ein erfahrener Notar nicht über die medizinischen Kenntnisse, um verlässlich zur Frage der Testierfähigkeit Angaben machen zu können. Im – kurzen – notariellen Testament des Erblassers vom 4. Mai 2005 heißt es dazu auch nur: „Die Notarin überzeugte sich durch eine Unterhaltung mit dem Erschienenen von dessen Testierfähigkeit.“

Die Notarin wurde vom Landgericht als Zeugin vernommen (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2018, Bl. 336). Dort hat sie wiederholt, sich an den Fall nicht zu erinnern.

- Dr. med. H.-P. M., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, erstellte für das Amtsgericht im Zusammenhang mit der Prüfung der Verlängerung der Betreuung unter dem 28. November 2005 ein Gutachten (Betreuungsakten Bl. 54 ff.), in dem es u. a. heißt, dass beim Erblasser aus psychiatrischer Sicht ein Zustand nach Apoplex 12/2004 diagnostiziert wurde, einhergehend mit einem deutlich ausgeprägten hirnorganischen Psychosyndrom, Blindheit rechts sowie einer latenten Hemiparese rechts. Ein überlagerndes dementielles Zentrum sei wahrscheinlich. Aufgrund der dauerhaften Störungen der Hirnfunktionen mit ausgeprägten Gedächtnis- und Affektstörungen sowie deutlich reduziertem Auffassungs- und Urteilsvermögen sei die Betreuung im bisherigen Umfang auch weiterhin erforderlich.

- Erstmals ausdrücklich zur Testierfähigkeit verhält sich das für die Staatsanwaltschaft Hannover unter dem 29. Oktober 2014 von Prof. Dr. med. G. Kr., Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Arzt für Psychotherapeutische Medizin, Klinikdirektor i. R., erstattete schriftliche Gutachten in dem u. a. die beiden Beklagten betreffenden Ermittlungsverfahren (dort S. 57 ff., Sonderband). Unter „Ergebnis“ heißt es dort zusammenfassend u. a. (S. 62 f.):

„Unter Zugrundelegung des vorne zitierten Regelwerks von NEDOPIL ergibt sich in diesem Fall unter Beachtung des Hochschulgutachtens, trotz der beiden letzten ärztlichen Bekundungen, und insbesondere der Berücksichtigung der aussagekräftigen Dokumentation des Pflegepersonals, dass es ausgeschlossen sein wird, dass Herr V. wusste, dass er ein Testament errichtet, den Inhalt dieser letzten Verfügung kennt bzw. sich merken konnte, seinen letzten Willen formulieren, die Tragweite seiner Bestimmungen in wirtschaftlicher und persönlicher Hinsicht erfassen und die sittliche Berechtigung seiner Verfügung beurteilen konnte. Über den Einfluss möglicher Dritter kann keine Aussage getroffen werden.“

Der Arzt wurde in der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2019 vom Landgericht als Zeuge vernommen (Bl. 479 f.). Testierfähigkeit habe definitiv nicht bestanden, dies auch in Anbetracht des Entlassungsberichtes des Krankenhauses L. vom 31. März 2005 (Bl. 344 a ff.). Dem Krankheitsbild des Erblassers sei offenbar immanent gewesen, dass der Zustand gewechselt habe. Im Gesamtergebnis komme er dazu, dass Testierfähigkeit nicht vorgelegen habe. Ein lichter Moment könne nicht vorgelegen haben.

- Ohne ausschlaggebende Bedeutung sind die unterschiedlichen Äußerungen des Dr. med. S. K.

So heißt es in einer Stellungnahme vom 8. Januar 2013, die er auf Anfrage des früheren Bevollmächtigten der Beklagten zu 1 diesem gegenüber erstellte u. a.: (Nachlassakten 51 VI 4416/12, S. 28).

„Wie bekannt wurde Herr V. Anfang April 2005 auf die gerontopsychiatrische Pflegestation des Wohnstiftes K. verlegt. Seither war ich der betreuende Hausarzt.

Aufgrund des Ortswechsels gestaltete sich in den ersten 14 Tagen die Eingewöhnungsphase relativ schwierig (…). Von etwa Mitte April 2005 bis zirka Ende August 2005 würde ich die neurologisch-psychiatrische Situation wie folgt beschreiben:

Patient bewusstseinsklar, wach, zeitlich fast immer orientiert, örtlich nicht immer orientiert, zur Person und situativ meist gut orientiert. Der Antrieb ist insgesamt gemindert, psychomotorisch sicher etwas verlangsamt, Kontaktfähigkeit herabgesetzt! Formales Denken verlangsamt und eingeschränkt. Kein Anhalt für inhaltliche Denkstörungen, oder halluzinatorisches Erleben.

Nach meiner über 30-jährigen Erfahrung der Betreuung gerontopsychiatrischer Patienten die stationär untergebracht sind, war die Testierfähigkeit von Herrn V. im Zeitraum von Mitte April bis Ende August 2005 gegeben.“

Dort wird zwar die Erfahrung des Arztes mit der Betreuung psychiatrischer Patienten betont. Es handelt sich bei Dr. K. aber „nur“ um einen „Arzt“ und keinen Psychiater oder Neurologen (vgl. zu den an die Qualifikation zu stellenden Anforderungen nur OLG München, 31 Wx 466/19, Beschluss vom 14. Januar 2020, Rn. 14 bei juris m. w. N.), der überdies nur in seiner Funktion als Hausarzt den Erblasser betreute und keinen Anlass hatte, sich die Frage der Geschäfts-/Testierfähigkeit des Erblassers zu stellen und dessen Schreiben auch nicht erkennen lässt, dass er weiß, was die Testierfähigkeit ausmacht.

Als Anlage B 10 (Anlagenband) ist außerdem ein weiteres Schreiben des Dr. K. an den früheren Rechtsanwalt der Beklagten zu 1 vom 15. Dezember 2014 vorgelegt worden. Seiner Beurteilung vom 8. Januar 2013 könne er keine wesentlichen Fakten mehr hinzufügen. Erwähnt wird dort weiter, dass er, Dr. K., den Erblasser erstmals nicht bereits in den Tagen nach seiner Aufnahme im Wohnheim, sondern erst am 15. April 2005 gesehen habe, sowie, dass erstmals am 18. Juni 2005 die sedierende Medikation zurückgenommen worden sei. Es heißt dort außerdem: “Stationsbesuch 04.05.2005 (Tag der Testamentserrichtung), geht besser, gut geschlafen, ausreichend gegessen, findet sich mit den Örtlichkeiten noch immer nicht zurecht.“

Dr. K. wurde vom Landgericht als Zeuge vernommen (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2018, Bl. 339 f.). Aus seiner Zeugenaussage ergibt sich, dass der Erblasser mit Neuroleptika behandelt wurde, in der ersten Woche nach Aufnahme im Wohnstift mit Haldol, später, und zwar „über Wochen und Monate“, mit einer Kombination aus Risperidon und Seroquel. Hinsichtlich Aufmerksamkeitsfähigkeit und Wortfindungsschwierigkeiten könne er sich nicht an die Anfangszeit erinnern.

- Nicht wesentlich anders behält es sich mit den Angaben des Dr. med. H.-U. Kü., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, der den Erblasser bei Testamentserrichtung noch nicht kannte.

Dr. Kü. begleitete ausweislich seiner schriftlichen Äußerung gegenüber dem Amtsgericht Hannover vom 15. April 2013 (51 VI 4416/12, S. 38) den Erblasser seit seiner Aufnahme im Wohnstift K. Die Eingewöhnungsphase des Erblassers habe sich wegen psychomotorischer Unruhe phasenweise schwierig gestaltet. Er sei bei den regelmäßigen Visiten allerdings immer wach und ansprechbar gewesen, habe den Untersucher Dr. Kü. sowie den begleitenden Dr. K. sofort erkannt, sei zu Ort und Zeit aber nicht immer scharf orientiert gewesen. Hinweis auf halluzinatorische Erlebnisse habe es nicht gegeben. Denkabläufe seien verlangsamt gewesen, die Stimmung schwankend. Von der Primärpersönlichkeit sei der Erblasser sicher etwas starr und rigide gewesen. Nach dem Eindruck von Dr. Kü. sei der Erblasser aber trotz der erwähnten Einschränkungen in der Lage gewesen, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenserklärung zu erfassen und ein Testament zu errichten.

Dr. Kü. wurde vom Landgericht als Zeuge vernommen (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2018, Bl. 341 f.). Den Erblasser habe er am 7. Mai 2005 (also nach der Testamentserrichtung) erstmalig gesehen (so auch in seinem Schreiben vom 2. Januar 2015 an den früheren Bevollmächtigten der Beklagten zu 1, Anlage B 11). Anfangs habe der Erblasser Defizite nach dem Schlaganfall gehabt. Seine Fassung sei wechselhaft gewesen, es habe Phasen von Klarheit, aber auch Phasen von Unruhe, psychomotorische Unruhe gegeben. Wie seine Verfassung am 4. Mai 2005 gewesen sei, könne er nicht sagen. Er könne nicht sagen, wie es um das Gedächtnis des Erblassers bestellt gewesen sei. Der Erblasser habe jedenfalls gewusst, was er nicht wolle. Ob er gewusst habe, was er wolle, wage er, der Zeuge, zu bezweifeln. „Es wäre allerdings sicher günstig gewesen, anlässlich der Veranlassung des Testamentes vom 04.05.05 eine zeitnahe psychiatrische Bescheinigung über die Testierfähigkeit des Patienten zu erwirken“ (Anlage B 11).

Es ist zwar anzuerkennen, dass Dr. Kü. anders als Dr. K. Psychiater ist. Dessen ungeachtet sind seine Angaben wenig aussagekräftig. Er hat den Erblasser erstmalig einige Tage nach der Errichtung des Testaments gesehen. Für eine aussagekräftige Stellungnahme zur Testierfähigkeit kann dieser Erstkontakt ohnehin nicht als ausreichend angesehen werden. Der in einem Wohnheim tätige Arzt hat auch keinen Anlass, beim Erstkontakt oder auch später den Erblasser gerade unter diesem Aspekt zu untersuchen. Im Laufe der Zeit mag sich Dr. Kü. ein zunehmend besseres Bild vom Erblasser gemacht haben, alle weiteren Kontakte vergrößerten aber den Abstand zu dem hier in Rede stehenden Datum der Testamentserrichtung.

- Eingeholt hat das Landgericht auf der Grundlage des Beschlusses vom 25. März 2015 (Bl. 125 f.) ein schriftliches Sachverständigengutachten des Dr. med. R.-P. B., dessen Fachkunde die Beklagten ausdrücklich nicht in Abrede genommen haben (BB S. 4, Bl. 671, s. a. Bl. 150), dem entscheidende Bedeutung zukommt.

Dr. B. ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Dieser hat unter dem 25. April 2017 ein schriftliches fachpsychiatrisches Sachverständigengutachten abgegeben und dieses unter dem 21. Januar 2019 schriftlich ergänzt (je gesondert geheftet). Die Frage nach der Testierfähigkeit des Erblassers am 4. Mai 2005 wurde dort vom Sachverständigen jeweils verneint. Zusammenfassend heißt es in dem Ergänzungsgutachten (S. 8 f.):

„Aus hiesiger Sicht sind somit weiterhin mit den Territorialinfarkten und den schweren Folgen des hirnorganischen Psychosyndroms wie Desorientierung, Störung der Gedächtnisfunktion, Weglauftendenzen, Einkoten und Einnässen, Aphasie und Dysarthrie Bedingungen gegeben, die die Diagnose einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit bedingen. Wie bereits im Erstgutachten ausgeführt, ist hinsichtlich der zweiten Beurteilungsebene, der Auswirkungen der Störung auf die Freiheit der Willensbildung festzuhalten, dass aus den oben angeführten Gründen die normale psychologische Bestimmbarkeit des Willens durch die dargestellte Psychopathologie außer Kraft gesetzt war.“

In der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2019 (Bl. 484 f.) erläuterte der Sachverständige Dr. B. sein Gutachten und wies insbesondere noch einmal auf das Krankheitsbild mit hoher psychopathologischer Kontinuität hin. Ausweislich der Computertomografie vom 26. Dezember 2004 sei ein frischer Hirninfarkt diagnostiziert worden, und eine Arterie von den dreien, die die Versorgung des Gehirns sicherstellen, sei kontinuierlich dicht gewesen. Aus seiner Sicht sei es nicht möglich, dass zwischen dem 26. Dezember 2004 und Testamentserrichtung das unbeeinträchtigte Hirngewebe die Aufgaben des zerstörten Hirngewebes übernommen habe (Bl. 480).

Der Senat kann danach mit hinreichender Sicherheit (§ 286 ZPO) feststellen, dass der Erblasser tatsächlich am 4. Mai 2005 testierunfähig war.

cc) Selbst für den Fall, dass man die Auffassung vertreten wollte, dass sich keine ausreichend sichere Feststellung zur Testierunfähigkeit treffen ließe, wäre vorliegend von Testierunfähigkeit des Erblassers auszugehen. Die Beweislast für Testierunfähigkeit liegt hier nur im Grundsatz beim Kläger. Wegen der Besonderheiten des Sachverhalts liegt die Beweislast für die von ihnen behauptete Testierfähigkeit bei den Beklagten.

Der Erblasser war jedenfalls zum Jahreswechsel 2004/2005 schwer erkrankt und nicht testierfähig. Einen „schweren Schlaganfall“ des Erblassers haben die Beklagten ausdrücklich zugestanden (BB S.3, Bl. 670). Dieser Zustand dauerte auch nicht nur einige Tage an. Aus dem Entlassungsbericht des Krankenhauses L. vom 31. März 2005 (Bl. 344 a ff.) lässt sich ersehen, dass zu Beginn der Aufnahme Ende Januar 2005 der Erblasser weiterhin nicht testierfähig war: „zeitlich und örtlich nicht, zur Person und situativ nur partiell orientiert (…), Wortfindungsstörungen, deutliche Einschränkung von kognitiven und mnestischen Funktionen. Er kann lediglich einfache Aufforderungen wie Armhochhalten befolgen. Antrieb gemindert, psychomotorisch verlangsamt, im Kontakt zurückhaltend, affektiv vermindert schwingungsfähig. Formales Denken verlangsamt und eingeschränkt“. Daher müssen die Beklagten sich darauf berufen und beweisen, dass jedenfalls bis zum 4. Mai 2005 diese Testierunfähigkeit ein Ende gefunden hat (vgl. Palandt-Weidlich, BGB, 80. Aufl., § 2229 Rn. 11 m. w. N.), was ihn aber nicht gelungen ist, zumal es selbst in dem Bericht des V. H. vom 2. Juni 2005 heißt, dass der Erblasser weder zeitlich, noch örtlich, noch zur Person orientiert gewesen sei (Bl. 344 n).

Es lässt sich auch nicht im Sinne der Beklagten ein luzides Intervall bei Testamentserrichtung am 4. Mai 2005 feststellen.

Bei der Beurteilung solcher luzider Intervalle hält der Senat die vom OLG Hamburg (2 W 63/17, Beschluss vom 20. Februar 2018, Rn. 94 – 96 bei juris) vertretene Auffassung, und zwar nicht nur für den Fall von Demenzerkrankungen, für zutreffend:

„Die moderne Medizin hält luzide Intervalle bei chronisch-krankhaften Störungen, insbesondere Demenzen, für ausgeschlossen. Wenn die monatelang bestehende Erkrankung aufgrund von chronisch-psychopathologischen Symptomen belegt ist, die Testierunfähigkeit zur Folge haben (…), sind kurzfristige luzide Intervalle mit echter Symptomfreiheit und Wiedererlangung der Urteilsfähigkeit so gut wie ausgeschlossen. Im Falle einer Demenz ist zusätzlich zu beachten, dass während der Zeit ihres Bestehens viele Informationen gar nicht oder nicht realitätsgerecht aufgenommen, verarbeitet und abgespeichert werden. Im Falle einer Besserung bestünden somit erhebliche Lücken und Verzerrungen in der geistigen und psychischen Repräsentanz der relevanten Umweltinformationen und eigenen Biografie, welche erst geschlossen werden müssten. Dies ermöglicht aber die Einflussnahme Dritter in unkontrollierbarer Weise. Aufgrund der klinischen Erfahrungen wird heute überwiegend vertreten, den Begriff des luziden Intervalls gänzlich aufzugeben.“

Selbst wenn man an sich ein luzides Intervall noch für möglich halten will, lässt es sich vorliegend jedenfalls nicht feststellen. Insbesondere die sachverständigen Ausführungen von Prof. Dr. Kr. sprechen deutlich dagegen.

c) Der Senat kann außerdem feststellen, dass das Testament vom 4. Mai 2005 sittenwidrig und damit nichtig ist, § 138 Abs. 1 BGB. Die Ladungsverfügung vom 21. Juli 2020 enthält den Hinweis auf eine entsprechende Möglichkeit (Bl. 632). Die Beklagten haben dazu mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2020 sowie mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2020 auch Stellung genommen.

§ 138 Abs. 1 BGB gilt für alle Rechtsgeschäfte, auch für Verfügungen von Todes wegen, und dann nicht nur hinsichtlich des Inhalts, sondern auch der Umstände des Zustandekommens. Es sollen nicht „aus fremder Bedrängnis in sittenwidriger Weise Vorteile gezogen werden“ (BGH, IV ZR 121/89, Urteil vom 4. Juli 1990, Rn. 14 bei juris), zum Beispiel wenn ein gewerblicher Dienstleister die erworbene Vertrauensstellung und seinen persönlichen Einfluss auf einen Erblasser dazu benutzt, gezielt darauf hinzuwirken, dass der leicht beeinflussbare Erblasser ohne reifliche Überlegung über erhebliche Vermögenswerte zugunsten des Dienstleisters durch ein Testament verfügt.

Bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit ist auf den konkreten Einzelfall und insoweit auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts abzustellen (vgl. nur BGH, XI ZR 380/16, Urteil vom 11. September 2018, Rn. 10 bei juris; BGH, IV ZR 294/55, Urteil vom 15. Februar 1956, zit. nach beck-online). Die Sittenwidrigkeit, für die ein objektiver Maßstab gilt, kann sich sowohl aus dem Inhalt des Rechtsgeschäfts als auch aus dessen Gesamtcharakter ergeben (ebenda), wobei es in keinem Fall auf ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit ankommt und eine Schädigungsabsicht nicht erforderlich ist, sondern es genügt, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt, wobei dem gleichsteht, wenn sich jemand bewusst oder grob fahrlässig der Kenntnis erheblicher Tatsachen verschließt (vgl. BGH, IX ZR 216/17, Urteil vom 13. Dezember 2018, Rn. 11 bei juris).

Wie auch die Beklagten ausdrücklich zugestanden haben, ist vom Gericht § 138 BGB im Hinblick auf seinen Zweck auch dann zu beachten, wenn sich keine Partei auf Sittenwidrigkeit beruft. Der zugrunde liegende Sachverhalt ist zwar vom Kläger ungeachtet des Hinweises in der Ladungsverfügung nicht vorgetragen worden, er ergibt sich aber, was ausreicht, aus den Akten.

aa) Gemäß § 14 Abs. 5 HeimG ist es der Leitung, den Beschäftigten oder sonstigen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern des Heims untersagt, sich von oder zu Gunsten von Bewohnerinnen und Bewohnern neben der vom Träger erbrachten Vergütung Geld- oder geldwerte Leistungen für die Erfüllung der Pflichten aus dem Heimvertrag versprechen oder gewähren zu lassen, es sei denn, es handelt sich um geringwertige Aufmerksamkeiten. Nach Abs. 6 der Vorschrift kann die zuständige Behörde in Einzelfällen Ausnahmen zulassen, soweit der Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner die Aufrechterhaltung der Verbote nicht erfordert und die Leistungen noch nicht versprochen oder gewährt worden sind.

Der Grund für das Verbot des § 14 Abs. 5 HeimG ist das besondere Näheverhältnis zwischen Heimbewohner und Pflegepersonal und die damit verbundene Möglichkeit der Ausnutzung dieses Verhältnisses. Die Betreuung begründet ein ähnliches Näheverhältnis. Dessen ungeachtet ist das BayObLG in einer Entscheidung aus dem Jahr 1997 noch davon ausgegangen, dass auf das Verhältnis zwischen Betreuer und Betreutem § 14 HeimG nicht entsprechend angewendet werden kann (1Z BR 73/97, Beschluss vom 18. Dezember 1997, Rn. 12 ff. bei juris). Dem schließt sich der Senat im Grundsatz an.

bb) Damit ist aber nur die Anwendbarkeit von § 134 BGB verneint und über die Anwendung von § 138 BGB noch keine Aussage getroffen.

Zwar fehlt bislang eine Wertung des Gesetzgebers, dass Zuwendungen des Betreuten an den Betreuer als sittenwidrig anzusehen sind. Allerdings sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts in § 30 Abs. 1 S. 1, 2 Betreuungsorganisationsgesetz – BtOG – vor, dass es einem beruflichen Betreuer untersagt ist, von dem von ihm Betreuten Geld oder geldwerte Leistung anzunehmen, was auch für Zuwendungen im Rahmen einer Verfügung von Todes wegen gilt (s. BR-Drs. 564/20, S. 101, mit Verweis auf die aktuellen Leitlinien des Bundesverbandes der Berufsbetreuer/innen, wonach Berufsbetreuer/innen sich verpflichten, aus beruflich geführten Betreuungen kein Erbe anzunehmen, ebenda, S. 527, zur Reform s. a. Deinert, BtPrax 2020, 169, unter VI.). Dabei hatte bereits der Bundesrat im Jahr 1997 in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Betreuungsrechts gebeten, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob eine an § 14 Abs. 5 HeimG angelehnte Bestimmung notwendig und geeignet ist, missbräuchlichen eigennützigen Vermögensübertragungen von kraft Gesetzes tätigen Vermögensverwaltern wie z. B. beruflich tätigen Betreuern entgegenzuwirken (s. a. Knittel, BtPrax 1997, 53, unter 7.). „Vor allem ältere Personen, die professionelle Beratung und Hilfe für die Verwaltung des Vermögens in Anspruch nehmen, können im Einzelfall in besonderem Maße mißbräuchlichen Beeinflussungen ihrer Vertreter bzw. Vermögensverwalter ausgesetzt sein. Gegenstand dieser Beeinflussung kann vor allem der Versuch sein, über die Vergütung für die erbrachte Tätigkeit hinaus großzügige Schenkungen zu erhalten oder in Verfügungen von Todes wegen bedacht zu werden. Dieses Problem wird sich in den nächsten Jahren durch steigende Lebenserwartung und den weiteren Anstieg des Vermögens älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger noch verschärfen“ (BT-Drs. 13/7158, Anlage 2). In der Gegenäußerung der Bundesregierung (ebenda, Anlage 3) trat diese dem Ansinnen des Bundesrates entgegen, u. a. mit der Begründung, dass im Verhältnis zwischen Betreutem und Betreuer die Problematik vielfach (?) dadurch entschärft werde, dass der Betreute geschäftsunfähig und deshalb zu Verfügungen zugunsten seines Betreuers gar nicht in der Lage sei.

Damit ist für aktuelle Sachverhalte noch keine abschließende Aussage über die Frage der Sittenwidrigkeit getroffen (vgl. BayObLG, a. a. O., Rn. 17 ff. bei juris).

Dazu heißt es in einem Urteil des OLG Braunschweig vom 4. November 1999 (2 U 29/99, zit. nach juris):

„Der Betreuer ist ein vom Vormundschaftsgericht bestellter staatlicher Beistand zur Fürsorge in rechtlichen und auch persönlichen Angelegenheiten. Der Betreute kann und wird deshalb von dem staatlich bestellten Betreuer auch erwarten, dass er seine Aufgabe auch ohne die Erwartung besonderer Zuwendungen von Seiten des Betreuten zu dessen Wohl sachgerecht ausübt.

Diesen Grundsätzen des Betreuungsrechts ist zu entnehmen, dass es das Gesetz als sittenwidrig mißbilligt, wenn ein Betreuer seine ihm gerichtlich verliehene Vertrauensstellung und seinen persönlichen Einfluss auf den Betreuten dazu benutzt, gezielt darauf hinzuwirken, dass der infolge seiner geistigen Behinderung leicht beeinflussbare Betreute ohne reifliche Überlegung über erhebliche Vermögenswerte zugunsten des Betreuers durch ein Testament vor einem Notar verfügt, der nicht von dem Betreuten als sein Berater hinzugezogen ist, sondern von dem begünstigten Betreuer. Für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit reicht es dabei aus, dass sich der Betreuer, der durch die von ihm herbeigeführte letztwillige Verfügung bedacht ist, der Tatumstände bewusst ist, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt.“

Der Senat schließt sich dieser Wertung ausdrücklich an.

Die Sittenwidrigkeit ergibt sich vorliegend aus den folgenden Gründen:

aaa) Die Beklagte zu 1 war es, die die – ihr persönlich bekannte und „vertraute“ – Notarin C. beauftragte und, ohne dass dafür ein zwingender Grund ersichtlich wäre, bei der Aufnahme des Testaments anwesend war. Sie hat auch nicht behauptet, dem Erblasser vorher mitgeteilt zu haben, dass eine von ihr beauftragte Notarin zur Errichtung eines Testaments mit einem bestimmten Inhalt erscheinen werde. In ihrer Anhörung vor dem Senat hat die Beklagte zu 1 erklärt, nicht mehr zu wissen, wer den Text des Testaments entworfen habe. Sie allerdings (und nicht der Erblasser) sei es gewesen, die der Notarin vorher gesagt habe, worum es gehe, auch, dass sie und der Beklagte zu 2 Erben werden sollen (Bl. 679). Die Beklagte zu 1 hat in ihrer Anhörung vor dem Senat, auf die Frage des notariellen Testaments angesprochen, freimütig erklärt, gedacht zu haben, „das gibt mehr Zuverlässigkeit in Sachen Testierfähigkeit“ (Bl. 679). Der Senat wertet dies dahin, dass der Beklagten, damals Rechtsanwältin und (bis heute) Berufsbetreuerin, die Problematik der Testierfähigkeit im konkreten Fall bewusst war und sie erwartete, dass die gewählte Form des Testaments naheliegende Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers verstummen zu lassen am Ehesten geeignet sei. Außerdem verschaffte ihr die notarielle Form des Testaments die Möglichkeit, nach dem Tod des Erblassers ohne weiteres auf dessen Vermögen zuzugreifen (s. unten).

Die Beklagte zu 1 kannte die persönlichen und finanziellen Verhältnisse des Erblassers und wusste spätestens seit diesem Tag der Testamentserrichtung, dass sie neben dem Beklagten zu 2 Erbin war und das der Erblasser auch gar nicht mehr in der Lage war, dieses Testament durch ein eigenes handschriftliches Testament zu ersetzen; in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat hat sie angegeben, nicht zu glauben, dass der Erblasser „wegen seiner körperlichen Einschränkungen ein Testament noch hätte errichten können“ (Bl. 679, die Erklärung der Beklagten zu 1 insoweit ist nicht missverständlich, sodass es der mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2020 beantragten Protokollberichtigung nicht bedarf). Die Erbfolge stand damit praktisch fest, solange die Beklagte zu 1 als Betreuerin eingesetzt war. Dabei war, wie die Beklagte zu 1 letztlich auch eingeräumt hat, eine – nach § 1897 Abs. 6 und § 1908b Abs. 1 S. 3 BGB nachrangige – Berufsbetreuung jedenfalls in den letzten Jahren vor dem Tod des Erblassers gar nicht mehr erforderlich (Bl. 679 Rück).

Die Beklagte zu 1 war mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 7. Januar 2005 in 670 XVII V 476 zur Betreuerin bestellt worden. Sie übte das Amt berufsmäßig aus. Mit Schreiben vom 22. November 2005 wandte sie sich an das Amtsgericht Hannover und erklärte, die Verlängerung der Betreuung sei „sicher erforderlich. Obwohl sich der Gesundheitszustand von Herrn V. herausragend gebessert hat, ist er nicht mehr in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass eine Besserung insoweit eintreten wird, dass eine Betreuung zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr notwendig wäre. Der Aufgabenkreis ist in seinem bisherigen Umfang erforderlich aber auch ausreichend.“ In ihre jährlichen (wiederholt verzögert abgegebenen) Berichte an das Betreuungsgericht schrieb die Beklagte zu 1, dass eine Berufsbetreuung weiterhin erforderlich sei (vgl. zuletzt Bericht vom 27. Februar 2010, Betreuungsakten Bl. 263/266).

Zu Ihrer Anwesenheit bei Errichtung des notariellen Testaments erklärte die persönlich angehörte Beklagte zu 1 zum einen, dass dies Teil ihrer Arbeit als Betreuerin gewesen sei. Auf den Vorhalt hin, dass sie ausweislich ihrer sehr detaillierten Tätigkeitsaufstellung („Beiheft Vergütung“) am 4. Mai 2005 nicht im Wohnheim gewesen sei, erklärte sie, dass sie es als unverschämt gefunden hätte, dafür auch noch Geld zu nehmen. Das erscheint dem Senat nicht konsequent und belegt, dass die Beklagte zu 1 schon früh ihre Beziehung zum Erblasser nicht nur als Betreuerin ausgestaltete. Gegenüber dem Betreuungsgericht vermied die Beklagte zu 1 dabei jeden Hinweis auf das sie begünstigende Testament, obgleich eine Kenntnis des Betreuungsgerichts diesem die Prüfung eines nunmehr in Betracht zu ziehenden Interessenkonflikts zwischen dem Erblasser einerseits (Verwendung seines Vermögens zu seinem Wohl - § 1901 Abs. 2 BGB - in Gestalt bestmöglicher Versorgung) und den Beklagten andererseits (Vermögenserhalt für die Zeit nach dem Tod des Erblassers) und der daher möglicherweise fehlenden Eignung der Beklagten zu 1 i. S. von § 1897 Abs. 1, § 1908b Abs. 1 Satz 1 BGB ermöglicht hätte.

Weiter ist hervorzuheben, dass, ohne dass dafür ein Grund ersichtlich oder vorgetragen wäre, das Testament bereits am 4. Mai 2005 errichtet wurde. Zu dieser Zeit befand sich der Erblasser erst einige Wochen in dem Wohnstift. Nach Angaben von Dr. K., der den Erblasser erstmals am 15. April 2005 gesehen hatte, habe der Erblasser die ersten 10 bzw. 14 Tage nach Hause gewollt. Es sei dann die Sedierung der Medizin erhöht worden. Nach der Zeugenaussage des Dr. Kü., der den Erblasser am 7. Mai 2005, einige Tage nach Errichtung des Testaments, erstmalig gesehen hatte, hatte der Erblasser anfangs noch Defizite nach dem Schlaganfall. Am Anfang habe der Erblasser „sehr heftig nach Hause“ gewollt. Als er ihn am 7. Mai kennengelernt habe, habe er noch nach Hause gewollt. Der anfangs schlechte Zustand des Erblassers wird auch belegt durch die mehrmals erforderlich gewordene Verlegung ins V. zwischen April und Juni 2005 aufgrund „zunehmender Allgemeinzustandsverschlechterung“.

Die Beklagte zu 1 hat nicht vorgetragen, sie habe vor der von ihr veranlassten Hinzuziehung der Notarin ärztlichen Rat eingeholt, ob der Erblasser testierfähig sei und ob es im Hinblick auf den schweren Schlaganfall, die grundlegende Veränderung seiner persönlichen Situation - aus der eigenen Wohnung über mehrere Krankenhäuser in die gerontopsychiatrische Station des Wohnheims - und seine anfängliche Unruhe nicht besser sei, mit der Errichtung eines Testaments noch abzuwarten. Die Einholung eines ärztlichen Rates wäre in Anbetracht der Gesamtsituation, insbesondere der häufigen Anwesenheit von Ärzten auf der gerontopsychiatrischen Pflegestation des Wohnheims, auch ohne weiteres möglich und im Hinblick auf die Erkrankung und Sedierung des Erblassers geboten gewesen, und zwar auch nach der eigenen Einlassung der Beklagten zu 1. Sie selbst hat in ihrer Anhörung vor dem Senat eingeräumt, dass sie erstmals am 24. Mai 2005 mit dem Psychiater Dr. Kü. gesprochen habe. Mit Dr. K. habe sie schon vorher gesprochen gehabt (Bl. 679), also im nahen zeitlichen Zusammenhang mit der Testamentserrichtung, aber ohnehin nicht über die Frage der Testierfähigkeit des Erblassers.

Außerdem stellte sie den Kontakt des Erblassers zu dem Beklagten zu 2 her, und zwar zu einem sehr frühen Zeitpunkt, als der Erblasser sich noch in der Reha-Klinik L. aufhielt. Selbst wenn man ein Bedürfnis dafür, dass eine dritte Person Besorgungen für den Erblasser erledigt, annehmen will, kann dies schwerlich für die Zeit des Klinikaufenthaltes gegolten haben.

Dem Beklagten zu 2 gegenüber erbrachte sie Leistungen aus dem Vermögen des Erblassers u. a. für gemeinsame Spaziergänge mit dem Erblasser. Dabei sind die Rechnungen des Beklagten zu 2 nichtssagend; sie enthalten weder Angaben zum genauen Inhalt, noch dem Umfang der Tätigkeit, noch zum „Stundensatz“. Zur Erhellung konnte (oder wollte) auch der vom Senat ebenfalls persönlich angehörte Beklagte zu 2 nichts beitragen. Die Beklagte zu 1 konnte ebenfalls zu den Rechnungen keine näheren Angaben machen, auch nicht, nach welchen Kriterien sie eine Überprüfung vorgenommen haben will. Auf die Rechnungen des Beklagten zu 2 angesprochen erklärte sie weiter, dass der „krumme“ (Netto-)Betrag sich daraus ergebe, dass der Beklagte zu 2 einen geraden Endbetrag haben wollte, nämlich 350 €. Dies erklärt freilich nicht die späteren Rechnungen, in denen sowohl der Netto- als auch der Bruttobetrag „krumm“ sind. Dazu konnte sich die Beklagte zu 1 nicht erklären (Bl. 679 Rück unten), dies ungeachtet ihres Aufgabenkreises als Betreuerin, die auch die Vermögenssorge umfasste. Für den Senat ist bei der Anhörung klar hervorgetreten, dass beide Beklagte den Rechnungen keine Aufmerksamkeit gewidmet hatten; den dort ausgewiesenen Beträgen kam gegenüber den mehreren hunderttausend Euro aus dem erwarteten Nachlass auch keine erhebliche Bedeutung zu.

Gegenüber dem Betreuungsgericht verheimlichte die Beklagte zu 1 letztlich die Existenz des Beklagten zu 2. Ausweislich des „Beiheftes Vergütung“ zu den Betreuungsakten rechnete sie sehr detailliert und minutengenau ab. Gespräche mit dem Beklagten zu 2, die schwerlich vermeidbar waren und die die Beklagte zu 1 auch nicht in Abrede genommen hat, tauchen in der Aufstellung, die für den Zeitraum 5. Januar bis 27. Juni 2005 aus 10 Seiten eng beschriebenen Tabellen besteht, nicht auf, obgleich sonst sogar kurze Gespräche von wenigen Minuten in der Abrechnung ihren Niederschlag gefunden haben.

Nach dem Versterben des Erblassers versuchten die Beklagten, den gesamten Nachlass unter sich aufzuteilen. Nach der eigenen Einlassung der Beklagten zu 1 gegenüber dem Senat (Bl. 679 Rück) gingen sie und der Beklagte zu 2 zur Commerzbank und teilten das Guthaben des Erblassers unter sich auf und ließen es auf ihre Konten überweisen, wobei hier dahinstehen kann, ob die Leistung mit befreiender Wirkung erfolgte. Auch die Wertpapiere wurden aufgeteilt. Ein Erbschein wurde anfangs nicht beantragt, sondern erst, als, was nach den Erfahrungen des Senats nicht zu erwarten war, die Sparkasse die Auszahlung ungeachtet des notariellen Testaments verweigerte. Das Betreuungsgericht wurde weder während der Dauer der Betreuung noch in den Monaten nach dem Tod des Erblassers über die Erbenstellung und dann über die jedenfalls teilweise bereits stattgefundene Verteilung des Nachlasses informiert. Die Aufforderungen des Betreuungsgerichts zur Vorlage einer Schlussrechnung ignorierte die Beklagte zu 1. Unter dem 21. August 2012 wurde gegen sie deswegen ein Zwangsgeld in Höhe von 300 € festgesetzt, ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 500 € am 18. Januar 2013. Dabei hatte die Beklagte zu 1 schon mit Schreiben vom 20. Mai 2012 an das Nachlassgericht Testamentseröffnung beantragt und mit notarieller Urkunde vom 18. Oktober 2012 einen Erbscheinsantrag gestellt. Der Hinweis an das Betreuungsgericht zur Erbenstellung erfolgte erst unter dem 19. Februar 2013, ein knappes Jahr nach dem Tod des Erblassers.

Ihre behauptete gute Beziehung zum Erblasser rechtfertigt die Erbeinsetzung nicht. Jedenfalls im Mai 2005 war der Erblasser von seiner schweren Erkrankung noch nicht völlig genesen. Er war auch nach dem Vortrag der Beklagten zu 1 eine im Umgang eher schwierige, „rigide Persönlichkeit“, ohne Angehörige und ohne Freunde. Der Kontakt zur Beklagten zu 1 entstand in einer für den Erblasser besonders schwierigen Situation einer schweren Erkrankung. Als die Beklagte zu 1 ihn erstmals in der M. aufsuchte, immerhin fast drei Monate vor seiner Entlassung aus dem Krankenhaus L., war er noch an den Armen fixiert. Nicht als Beleg für eine von Anfang an sehr gute Beziehung, sondern als Ausdruck der schwierigen, letztlich von Einsamkeit und Hilflosigkeit geprägten Situation des Erblassers wertet der Senat die von der Beklagten zu 1 in ihrer Anhörung wiedergegebene Äußerung des Erblassers beim ersten Kontakt, dass er ihr gesagt habe, dass er ihr ganz tief vertraue (Bl. 678 Rück). Was die ihrer Binnenperspektive verhaftete, nach dem Eindruck des Senats sich erstaunlich unkritisch gebende Beklagte zu 1 als vom ersten Tag an gute Beziehung wertete, war die von der Beklagten zu 1 zu ihrem Vorteil und zum Vorteil des Beklagten zu 2 ausgenutzte Situation des körperlich eingeschränkten, weitgehend hilflosen und vereinsamten Erblassers, der auf die Beklagte zu 1 angewiesen war. Es musste sich jedem in Anbetracht der Situation des Erblassers kurze Zeit nach dem schweren Schlaganfall geradezu aufdrängen, dass die Äußerung zu einem „tiefen Vertrauen“ zu einer bis dahin völlig unbekannten Person einer nur halbwegs kritischen Hinterfragung nicht standhalten konnte. Dabei ist auch die richterliche Anhörung, die dem Beschluss zur Verlängerung der Betreuung im Herbst 2005 zugrunde liegt, heranzuziehen. Danach wusste der Erblasser weder etwas von einer Betreuung, noch kannte er „eine Frau W.“.

bbb) In gleicher Weise ist das angeblich freundschaftliche Verhältnis des Beklagten zu 2 zum Erblasser zu würdigen. Das vom Beklagten zu 2 betonte freundschaftliche Verhältnis zum Erblasser passt schwerlich zur Bezahlung. In seiner Anhörung hat er zu der Frage, wie lange das von ihm in seiner Anhörung vor dem Landgericht geschilderte freundschaftliche Verhältnis zum Erblasser bestanden habe, gesagt, dass das damals alles sehr schnell gegangen sei. Nähere Angaben wollte der Beklagte zu 2 ersichtlich nicht machen, wie überhaupt der Beklagte zu 2 sehr wortkarg war und jede Äußerung vermied, die über eine möglichst kurze Beantwortung der konkret gestellten Frage hinausging. Nähere Angaben wären aber erforderlich gewesen, da sich nicht nachvollziehen lässt, wie in der relativ kurzen Zeit bis zum 4. Mai 2005 das vom Beklagten zu 2 betonte freundschaftliche Verhältnis entstanden sein soll. Da es um die Sittenwidrigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments geht, kommt es ohnehin nicht darauf an, wie sich später das Verhältnis zum Beklagten zu 2 entwickelte.

Weiter wollte der Beklagte zu 2 auf den Vorhalt des Beschlusses des OLG Celle vom 13. Februar 2013 in 1 Ws 54/13 (juris) – 1151 Js 13155/12 Staatsanwaltschaft Hannover – nur angeben, dass die dort genannten Beträge, die er aus seinen Dienstleistungen und in Folge letztwilliger Verfügungen erhalten haben solle (ca. 788.000 €, davon ca. 630.000 € in Folge letztwilliger Verfügungen), nicht zutreffen, ohne auch nur ungefähr den Betrag nennen zu wollen, den er tatsächlich erhalten hat.

Auf Vorhalt des Senats hat der Beklagte zu 2 eingeräumt, in den vom Senat angeführten Fällen von ihm nicht näher bekannten Personen als Erbe eingesetzt worden zu sein, nämlich in der Nachlasssache M. S., verstorben am 13. August 2006 (6 W 14/08 / 55 VI 12/07 AG Hannover, s. außerdem hier Bl. 150), der Nachlasssache A. S., verstorben am 16. Oktober 2011 (6 W 194/13 = 6 W 28/17 / 53 VI 4243/11 Amtsgericht Hannover), sowie der Nachlasssache H.-A. R.

cc) Dass voraussichtlich als Folge der Nichtigkeit des notariellen Testaments vom 4. Mai 2005 das Land Niedersachsen erben wird (§ 1936 S. 1 BGB), verändert den Maßstab bei der Anwendung von § 138 BGB nicht zu Gunsten der Beklagten. Das Erbrecht des Staates trägt den Charakter eines wirklichen privaten Erbrechts (vgl. BGH, IV ZR 438/14, Urteil vom 14. Oktober 2015, Rn. 9 bei juris m. w. N.). Das Land Niedersachsen ist zwar lediglich nachrangiger Erbe, gegenüber einem Angehörigen des Erblassers aber ungeachtet § 1964 Abs. 2 BGB, wonach die Feststellung, dass ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist, lediglich die (widerlegliche) Vermutung begründet, dass der Fiskus gesetzlicher Erbe sei, kein Erbe minderer Qualität und auch nicht weniger schutzwürdig, sodass sich für die Beklagten nichts daraus ergibt, dass der Erblasser verstorben ist, ohne Angehörige zu hinterlassen. Die Sittenwidrigkeit ergibt sich vorliegend auch nicht aus einer Zurücksetzung von Angehörigen durch den Erblasser, sondern im Wesentlichen aus der im Zusammenwirken mit dem Beklagten zu 2 vorgenommenen Ausnutzung der Stellung der Beklagten zu 1 als Berufsbetreuerin gegenüber dem auf fremde Hilfe angewiesenen Erblasser und der von ihr veranlassten Testamentserrichtung am 4. Mai 2005.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Für die Streitwertfestsetzung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 10. Juli 2015 (Bl. 166 f.) verwiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.