VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2020 - 11 S 955/19
Fundstelle
openJur 2021, 5378
  • Rkr:

Für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Verlustfeststellung gemäß § 6 FreizügG/EU ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich, soweit die nach dieser Bestimmung erforderliche Gefahrenprognose betroffen ist. Hingegen richtet sich die Beurteilung, ob ein Unionsbürger einen gemäß § 6 Abs. 4 oder 5 FreizügG/EU erhöhten Schutz genießt, nach dem Zeitpunkt des Erlasses der Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde.

Auch bei Straftaten aus dem Bereich des Terrorismus setzt eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU voraus, dass das persönliche Verhalten des Unionsbürgers zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr begründet.

Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht haben eine eigenständige Gefahrenprognose zu treffen. An der Verlustfeststellung vorausgegangene Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte sind sie nicht gebunden. Das gilt auch für Entscheidungen über die Strafaussetzung nach § 56 und § 57 StGB. Strafrichterliche Prognosen stellen aber eine wesentliche Entscheidungsgrundlage von erheblichem Gewicht dar.

Ist die im Strafurteil enthaltene Begründung der für eine Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung nach §§ 56, 57 StGB zu treffenden Legalprognose zu knapp, um die vom Strafgericht getroffene Beurteilung nachvollziehbar zu machen, oder fehlt sie ganz (vgl. § 267 Abs. 4 StPO), kommt einer eigenständigen Begründung der gemäß § 6 FreizügG/EU erforderlichen Gefahrenprognose besondere Bedeutung zu.

In Verwaltungsstreitverfahren über Verlustfeststellungen gemäß § 6 FreizügG/EU ist im Hauptsacheverfahren der Auffangstreitwert festzusetzen.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 7. März 2019 - 10 K 14503/17 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wehrt sich gegen die Feststellung des Verlusts seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 6 FreizügG/EU durch das Regierungspräsidium Karlsruhe. Seine Klage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe war erfolgreich. Mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung begehrt das beklagte Land die Änderung dieses Urteils und die Abweisung der Klage.

Der 1995 in Bukarest geborene Kläger ist rumänischer Staatsangehöriger. Nachdem sein Vater, der gegenüber Frau und Kindern gewalttätig gewesen war, die Familie verlassen hatte, reiste seine Mutter nach Deutschland aus und ließ den Kläger in Rumänien zurück. Von 2002 bis 2012 wuchs er in einem Kinderheim auf, von wo aus er die Grund- und Hauptschule besuchte.

Im Februar 2013 reiste der Kläger in das Bundesgebiet ein. Er zog in die Wohnung seiner Mutter, wo diese mit einer ihrer Töchter, der jüngeren Schwester des Klägers, und ihrem Lebensgefährten lebt. Zwei weitere Geschwister des Klägers leben in Rumänien. Der Kläger nahm in Deutschland an Sprachkursen teil und besuchte die Hauptschule. Er durchlief das Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf und schloss die Hauptschule im Sommer 2016 erfolgreich ab. Daneben arbeitete er bei einem Gebäudereinigungsunternehmen.

Im Februar 2017 wurde der Kläger festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Durch Urteil vom 27. September 2017 verurteilte ihn das Landgericht Karlsruhe wegen Terrorismusfinanzierung gemäß § 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 6, Abs. 2 StGB zu der Freiheitstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung gemäß § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dem Urteil lagen folgende Feststellungen zugrunde:

Der Angeklagte war jedenfalls im Zeitraum ab Ende des Jahres 2016 bis Anfang Februar 2017 - obwohl kein gläubiger Muslim, der arabischen Sprache nicht mächtig und nicht in islamistischen Personenvereinigungen in Deutschland in Kontakt - durchdrungen von radikal islamischem, djihadistischem und menschenverachtendem Gedankengut. Der Angeklagte hatte unter anderem auf seinem Smartphone Apple iPhone 6s Plus insgesamt 5.185 Bilder auf dem Gerätespeicher des Gerätes gespeichert. Dabei handelte es sich fast ausschließlich um gewaltverherrlichende islamistische Inhalte wie Darstellungen von Kampfhandlungen, Kämpfern, Hinrichtungen, abgetrennten Köpfen sowie Nachrichten aus Kriegsgebieten. Darüber hinaus hatte der Angeklagte ein Video abgespeichert, das detailliert die Erschießung einer hinter dem Rücken gefesselten Person durch eine vermummte Person zeigt, während oben rechts im Bild die Flagge des sog. "Islamischen Staates" abgebildet ist. Ein weiteres Video zeigt wie mehrere männliche Personen verstümmelt werden. Unter anderem wird einer am Boden liegenden Person der Kopf mit einem Messer abgetrennt und einer weiteren Person mit einem Messer in die Augen gestochen. Ein drittes Video zeigt Aufnahmen von Kämpfern des "Islamischen Staates" gegen die türkische Armee und die bewaffneten Gruppen im Westen von Al Bab-Stadt. Auf einem vierten Video sind Gefechtssituationen zu erkennen. Auf einem fünften Video sind mehrere Personen in einer Halle zu sehen. Der Hauptredner preist den "Islamischen Staat" an und wird durch die umstehenden Personen mit Sprechchören unterstützt.

Angeleitet von diesem Gedankengut war der Angeklagte fest dazu entschlossen, möglichst gemeinsam mit weiteren namentlich noch unbekannten Personen auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland einen gegen Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen gerichteten Anschlag zu begehen, um djihadistische Strukturen in Deutschland zu stärken bzw. djihadistische Positionen weltweit zu unterstützen und die Bevölkerung in Deutschland auf erhebliche Weise einzuschüchtern.

Zur Umsetzung dieser ernstlichen Absicht fasste der Angeklagte den Entschluss, Schusswaffen, vermutlich eine oder mehrere Pistolen, möglicherweise aber auch eine Maschinenpistole, sowie entsprechende Munition zu erwerben. Zur Durchführung dieses Tatplans sammelte der Angeklagte über einen unbekannten Zeitraum, jedenfalls aber zwischen dem 29.12.2016 und 02.02.2017 an seinem Wohnort in ... Geld und mögliche Tatmittel, indem er in Internetchats mögliche dem IS nahestehenden Geldgeber dazu aufforderte, ihn finanziell oder materiell zu unterstützen:

So äußerte der Angeklagte über verschiedene Kommunikationsdienste gegenüber zwei Gesprächsteilnehmern, mit denen er seit Dezember 2016 in laufendem Kontakt stand und die sich "..." und "..." nannten, seine ernstliche Absicht, alleine oder gemeinsam mit weiteren, bis zu zehn Personen auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland einen gegen Leib und Leben einer Vielzahl von "ungläubigen" Menschen gerichteten extremistischen Anschlag zu begehen, um als islamischer Kämpfer und Mudjahedin zu gelten. Der Angeklagte teilte seinen Chat-Partnern mit, dass er für "Dawlat Al Islam" (eine Bezeichnung für den "IS") arbeite und "etwas" vorhabe, wofür er Muslime brauche, denen er trauen könne. Sie seien ein Team und suchten noch muslimische Menschen, die mit ihnen in Deutschland gegen "Kuffr" (Ungläubige) kämpfen und diese töten wollten. Er plane eine Anschlagswelle in mehreren deutschen Städten. Er wolle mit schnellen Personenkraftwagen nach einem Angriff in weitere Städte fahren und dort wiederum Anschläge begehen. Der Angeklagte schrieb weiter, dass er am Wochenende um den 04.02.2017 nach Rumänien reisen wolle. Dort würde er weitere Unterstützung erhalten. Danach wolle er nach Deutschland zurückkehren und sei dann bereit, "etwas zu unternehmen".

Zur Durchführung dieses Planes forderte der Angeklagte seine genannten Gesprächspartner in mehreren Chats bzw. Emails dazu auf, ihm Waffen oder Geld für Waffen zukommen zu lassen.

a. In einem Chat am 13.1.2017 von 4:12 Uhr bis 20:13 Uhr erläuterte der Angeklagte in englischer Sprache seinem Chatpartner ... zum ersten Mal, dass er Geld für Waffen brauche. Er fragte ihn, um finanzielle Unterstützung von seinem Chatpartner zu erhalten, im Verlauf des Chats:

"Hast Du Geld um Waffen zu kaufen?"

b. In einem Chat am 14.1.2017 von 3:28 Uhr bis 5:15 Uhr erläuterte er (A) in englischer Sprache seinem Chatpartner ... (Y), dass er kein Geld habe und keine Waffen finden könne, die er jedoch für seinen Plan brauche. Mehrfach bat er ... diesbezüglich um Hilfe:

Y: Hast du einen Plan?

A: Ja, aber ich brauche Waffen. Für meinen Plan

Y: Weil du einen Plan brauchst. Einen guten Plan. Sehr guten. Ich habe dein Post gesehen. Du sagtest mir, es ist nicht gut vom Konto, weil facebook es löscht. wie bei mir

A: Ja, aber ich brauche Waffen. Und du siehst, du hilfst Meine zu finden

Y: Und dein Bruder aus Spanien ist Muslime oder konvertiert? Ist ok? Wir müssen viel reden wenn wir uns sehen

A: Ist Muslime

Y: Ist dann ok

A: Ja. Ja, aber wenn wir uns sehen

Y: Natürlich. Vorsicht mit deinem Konto

A: Und ich habe nichts Du hast Brüder Im Islam

Y: Du hast nichts. Du bist aber klug.

A: Ja. Ich brauche deine Hilfe

Y: Ich habe natürlich in Rumänien Brüder im Islam

A: Teile mir Waffen (Share me weapons), Bitte Ich kaufe Und ich komme

Y: Wenn wir uns sehen

A: Nach Rumänien

Y: Von Angesicht zu Angesicht

A: Ok akhi

Y: Wir gehen in ein Haus. Für uns sicher

A: Ok

Y: Und wir reden darüber Bald es ist einfach

A: Ja, ich brauche Leute Ich bin nicht glücklich darüber Aber ich brauche mehr und mehr. Ich suche hier, kann aber nicht finden.

Y: Ok, ich verstehe. Natürlich brauchst du Leute. Wie viele Leute brauchst du für deinen Plan?

A: 4 Ich kann mit einem Auto Und einer Pistole Kein Problem wegen dem Aber ich brauche Leute und Waffen. Du und ich für 3 Stunden. Ist ok, aber 4 Leute Einen Tag Leben

Y: Ok. Du brauchst also 4 Leute und ein Auto

A: Ich habe ein Auto. Ich brauche Leute Und Waffen

Y: Ok, ich verstehe. Das Auto, das von Mannheim nach Rumänien reist

A: Ja, Ich habe ein Auto.

Y: Also gut. Nur 4 Leute

A: Ja Leute und Waffen: Und mein Plan kann beginnen

Y: Ja; natürlich. Aber was für Waffen brauchst du für deinen Plan; Bruder? Weil es viele Arten von Waffen gibt...

Y: Ich frage nach weiteren 4 Leuten die uns mit dem Plan helfen.

A: 2 oder 3 Leute sterben

Y: Es muss

A: Wenn ich sterbe Ich kaufe dir ein Ticket

c. In einem Geheimchat des Messenger-Dienstes "Telegram" am 21.2.2017 äußerte der Angeklagte gegenüber ..., dass er morgen am 02.02.2017 nach Rumänien fahren werde. In der sich entwickelnden Kommunikation bat ... seinen Chat-Partner darum, ihm am Folgetag 200 Euro per "WesternUnion" nach Rumänien zu überweisen. Die hierfür benötigten Daten wie Namen, Passnummer und Auszahlungsstelle wolle er im Verlauf des 02.02.2017 per "Telegram" übermitteln. Das Geld werde er nach seinen Aussagen nach der Rückkehr aus Rumänien bei einem persönlichen Treffen wieder zurückgeben. Als Begründung für seinem finanziellen Bedarf äußerte ..., dass er eine Waffe kaufen wolle und diesbezüglich in Rumänien fündig geworden sei. Er habe ein Großteil des Kaufpreises zusammen, bräuchte jedoch noch 200 Euro, um die gewünschte Gesamtsumme zu erreichen.

Der Angeklagte begab sich sodann am Morgen des 2.2.2017 gegen 9:00 Uhr auf den Weg zum Flughafen Frankfurt am Main, wobei er von dem Lebensgefährten seiner Mutter, dem Zeugen ..., gefahren wurde. Gegen 10:20 Uhr kaufte er an einem Schalter im Terminal 2 des Flughafens ein einfaches Flugticket für den Flug um 11:15 Uhr nach Bukarest. Gegen 11 Uhr wurde er im Sicherheitsbereich des Terminals 2 durch Polizeikräfte festgenommen.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte noch keine Geldmittel oder sonstigen Materialien zur Durchführung seines Anschlagsplanes von seinen Chatpartnern erhalten. Die Kammer konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte die bei seiner versuchten Ausreise sichergestellten 2030,00 € zum Zwecke der Verwirklichung des geplanten Anschlags bzw. des Erwerbs einer Schusswaffe in Rumänien mit sich führte.-

Zur Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe führte das Landgericht aus:

Diese Freiheitsstrafe konnte gemäß § 56 Abs. 1 und 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Kammer hat die Prognose gestellt, dass es wahrscheinlicher ist, dass der Angeklagte in Zukunft keine weiteren Straftaten mehr begehen wird und insoweit sich die heutige Verurteilung (zu einer Bewährungsstrafe mit Bewährungsauflagen, Weisungen und mit Bewährungshelferbestellung) zur Warnung dienen lassen wird. Auch besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB hat die Kammer - neben den Strafzumessungserwägungen - aufgrund folgender Kriterien angenommen:

- Es handelt sich um einen besonders jungen (erwachsenen) Angeklagten,- er hat bereits ca. 8 Monate Untersuchungshaft verbüßt, von denen er sichtlich beeindruckt ist,- er lebt bei seiner Familie, von der sich die Kammer einen guten Eindruck in der Hauptverhandlung verschaffen konnte, in gesicherten sozialen Verhältnissen und- hat sich bereit erklärt, ernsthaft an dem Programm der Beratungsstelle ... mitzuwirken.

Darüber hinaus hat die Kammer aufgrund der dargestellten Feststellungen und unter besonderer Berücksichtigung, dass es sich vorliegend um ein ausnahmsweise unter Strafe gestelltes Vorbereitungsdelikt handelt und es bis zur eigentlichen Vollendung im Sinne eines terroristischen Anschlags noch vieler Zwischenschritte bedurft hätte, nicht angenommen, dass die Verteidigung der Rechtsordnung es gebietet, eine zu vollstreckende Freiheitsstrafe auszusprechen (§ 56 Abs. 3 StGB).

Das Landgericht unterstellte den Kläger für die Dauer der Bewährungszeit von drei Jahren der Bewährungshilfe und verpflichtete ihn, an einem Deradikalisierungsprogramm teilzunehmen. Diesen Weisungen kam der Kläger nach.

Der Kläger nahm eine Ausbildung zum Maler und Lackierer auf, die er voraussichtlich im Mai 2021 abschließen wird. Sein Ausbildungsbetrieb hat ihm ein unbefristetes Anstellungsverhältnis im Anschluss an die Ausbildung schriftlich zugesagt.

Durch an den Kläger gerichteten Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17. Oktober 2017 wurde der Verlust seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt festgestellt (Ziffer 1), ihm die Abschiebung nach Rumänien oder in einen anderen Staat, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer 2), die Ausreisefrist auf sieben Tage ab Zustellung des Bescheids festgesetzt (Ziffer 3), die sofortige Vollziehung der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts angeordnet (Ziffer 4) und die "Sperrwirkung der Verlustfeststellung" auf acht Jahre befristet (Ziffer 5).

Zur Begründung der Verlustfeststellung führte das Regierungspräsidium unter anderem aus, vom Kläger gehe eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung aus. Das Strafgericht habe seine Radikalisierung im Zeitpunkt der Begehung der Straftat festgestellt. Er sei seitdem nicht von seiner Radikalisierung abgerückt, was nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck komme, dass dem Kläger vom Gericht zur Bewährungsauflage gemacht worden sei, eine Deradikalisierungsmaßnahme zu absolvieren. Die Verlustfeststellung sei verhältnismäßig. Vom Kläger gehe eine Wiederholungsgefahr aus. Aufgrund seiner Radikalisierung sei nicht davon auszugehen, dass er in Kürze seine Einstellung ändern werde. Der Abschluss der Deradikalisierungstherapie, deren Ausgang völlig offen sei, müsse daher nicht abgewartet werden.

Die erforderliche künftige Gefährdung sei vorliegend auch bei nur einer einzigen Verurteilung gegeben. Denn bereits durch diese Tat zeige sich eine besonders starke verbrecherische Intensität, die sich unter anderem darauf gründe, dass der Kläger über einen längeren Zeitraum über verschiedene Kommunikationswege weitere Personen für die Begehung eines Anschlags habe gewinnen wollen. Sein Vorgehen sei konspirativ und darauf gerichtet gewesen, Spuren zu verwischen. Die Gefahrenprognose der Ausländerbehörde sei unabhängig von der positiven Sozialprognose, die das Landgericht Karlsruhe getroffen und derentwegen es die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt habe.

Vom Kläger gehe auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Er stelle eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Der notwendige Wahrscheinlichkeitsmaßstab, mit dem eine Wiederholung extremistischer Straftaten vom Kläger ausgehen könne, sei geringer zu bemessen, als er das bei Straftaten der sogenannten allgemeinen Kriminalität sei. Es sei anerkannt, dass das Gewicht der begangenen Straftat mit dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der an die Prognose einer erneuten Straffälligkeit zu stellen sei, korreliere. Mithin genüge bereits eine geringe Wiederholungsgefahr, um eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit festzustellen.

Der Kläger erhob am 25. Oktober 2017 Klage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe (10 K 14503/17). Am selben Tag beantragte er die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (10 K 14504/17). Vom Kläger gehe keine Gefahr mehr aus. Das Landgericht habe eine positive Sozialprognose gestellt und daher die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt, was gemäß § 56 Abs. 2 StGB nur unter besonderen Voraussetzungen möglich sei. Er zeige Reue und habe sich ausdrücklich von religiöser oder anderer Radikalisierung distanziert. Der Entscheidung des Landgerichts, das sich in der mehrere Tage dauernden Hauptverhandlung unter Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen ein Bild vom Kläger gemacht habe, komme im Verwaltungsverfahren besonderes Gewicht zu.

Durch Beschluss vom 29. November 2017 - 10 K 14504/17 - lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ab. Vom Kläger gehe eine hinreichend schwere Gefahr aus. Das Landgericht habe zum Tatzeitpunkt eine extreme Radikalisierung festgestellt und es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er mittlerweile deradikalisiert sei, was das Verwaltungsgericht näher begründete. Die Feststellungen des Landgerichts zur Strafaussetzung seien nicht aussagekräftig. Sie seien zu knapp, um eine tragfähige Tatsachengrundlage für die Prognose zu bieten, dass es wahrscheinlicher sei, dass der Kläger keine weiteren Straftaten begehen werde.

Durch auf die Beschwerde des Klägers ergangenen Beschluss vom 15. Dezember 2017 - 11 S 2692/17 - änderte der Senat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 29. November 2017 und stellte die aufschiebende Wirkung der Klage wieder her. Werde gegen einen Freizügigkeitsberechtigten eine Bewährungsstrafe verhängt, sei eine Verlustfeststellung nur möglich, wenn die Prognoseentscheidung des Strafgerichts offensichtlich völlig verfehlt sei oder wenn für die ausländerrechtliche Entscheidung wegen neuer Erkenntnisse eine bessere Beurteilungsgrundlage zur Verfügung stehe. Gerade im Freizügigkeitsrecht komme der Indizwirkung der strafrichterlichen Entscheidung eine hohe Bedeutung zu, weil hohe Anforderungen an die Feststellung der Wiederholungsgefahr zu stellen seien. Lägen keine besseren Erkenntnisse vor, könne bei anfänglicher Strafaussetzung zur Bewährung nicht davon ausgegangen werden, dass von dem Freizügigkeitsberechtigten eine gegenwärtige Gefahr ausgehe. Dies sei hier der Fall.

Durch Urteil vom 7. März 2019 - 10 K 14503/17 - hob das Verwaltungsgericht den Bescheid des Regierungspräsidiums vom 17. Oktober 2017 auf und ließ die Berufung zu. Eine konkrete Wiederholungsgefahr sei nicht festzustellen. Weder sei die Beurteilung des Strafgerichts völlig verfehlt noch lägen neue Erkenntnisse vor, die eine abweichende Beurteilung der Wiederholungsgefahr rechtfertigten.

Der Beklagte hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts am 5. April 2019 Berufung eingelegt. Nach Auffassung des beklagten Landes müsse eine Verlustfeststellung auch bei anfänglicher Strafaussetzung zur Bewährung unabhängig von einer im Einzelfall festgestellten konkreten Wiederholungsgefahr zulässig sein, wenn eine Straftat im Zusammenhang mit Terrorismus begangen worden sei. Auch eine einmalige terrorismusbezogene Straftat genüge, um eine Verlustfeststellung verfügen zu können. Bei solchen Straftaten könne die Höhe der verhängten Strafe nicht ausschlaggebend sein. Die Ausländerbehörde müsse auch nicht über eine bessere Beurteilungsgrundlage verfügen als das Strafgericht, sondern habe eine eigene Entscheidung zu treffen. Die Verlustfeststellung sei daher trotz anfänglicher Strafaussetzung zur Bewährung unabhängig von einer konkreten Wiederholungsgefahr möglich. Im Bereich des Terrorismus gelte ein herabgesenkter Prognosemaßstab. Die rechtskräftige Verurteilung durch das Landgericht indiziere die gegenwärtige Gefährdung.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 7. März 2019 - 10 K 14503/17 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es lägen keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung vor. Der Kläger habe sich vielmehr deradikalisiert. Das Landgericht habe eine positive Prognose getroffen. Die Annahme des Beklagten, im Falle einer Verurteilung wegen einer Straftat mit Terrorismusbezug müsse stets eine Verlustfeststellung erfolgen, finde im Gesetz keine Grundlage. Der Beklagte verkenne auch die positive und vorbildliche persönliche Entwicklung des Klägers.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 9. Dezember 2020 den Kläger informatorisch angehört und seine Mutter als Zeugin vernommen. Außerdem sind ein Kriminalbeamter, ein Bewährungshelfer und zwei Mitarbeiter von Deradikalisierungsprogrammen als sachverständige Zeugen vernommen worden. Zum Inhalt der Anhörung und der Aussagen wird auf das Protokoll des Verhandlungstermins nebst Anlagen Bezug genommen.

Die im Protokoll der mündlichen Verhandlung genannten Erkenntnismittel sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Dem Senat liegen die Akten des Verwaltungsgerichts, die Behördenakten des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Auszüge aus der Strafakte des Landgerichts Karlsruhe sowie die über den Kläger verfassten Bewährungshilfeberichte vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf diese Akten und Unterlagen, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg und ist daher zurückzuweisen.

I.

Die in Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17. Oktober 2017 verfügte Verlustfeststellung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Feststellung (dazu nachfolgend 1.) sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt (2.).

Für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Verlustfeststellung gemäß § 6 FreizügG/EU ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich, soweit die nach dieser Bestimmung erforderliche Gefahrenprognose betroffen ist (vgl. EuGH, Urteile vom 17.04.2018 < B und Vomero > - C-316/16 und C-424/16 -, Rn. 91 ff., und vom 29.04.2004 <Orfanopoulos und Oliveri> - C-482/01 und C-493/01-, Rn. 79 ff.; Bay. VGH, Beschluss vom 23.07.2020 - 10 ZB 20.1171 -, juris Rn. 11; siehe auch BVerwG, Urteile vom 25.03.2015 - 1 C 18.14 -, juris Rn. 10, vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 16, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, juris Rn. 28). Hingegen richtet sich die Beurteilung, ob der Unionsbürger einen gemäß § 6 Abs. 4 oder 5 FreizügG/EU erhöhten Ausweisungsschutz genießt, nach dem Zeitpunkt des Erlasses der Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist für die Frage, ob eine Person ihren "Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat" im Sine des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU (Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EG) gehabt hat, auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die ursprüngliche Ausweisungsverfügung ergangen ist (EuGH, Urteil vom 17.04.2018 < B und Vomero > - C-316/16 und C-424/16 -, Rn. 95; siehe auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.11.2018 - 11 S 2019/18 -, juris Rn. 7). Da dieses Schutzniveau nur ein Unionsbürger erlangt, der im Vorfeld die Voraussetzungen für die Entstehung eines Daueraufenthaltsrechts gemäß § 4a FreizügG/EU (Art. 16 RL 2004/38/EG) erfüllt und damit in den Genuss des Schutzniveaus gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU (Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG) kommt (EuGH, Urteile vom 02.05.2018 <K. und H.F.> - C-331/16 und C-355/16 -, Rn. 73 ff., und vom 17.04.2018 < B und Vomero > - C-316/16 und C-424/16 -, Rn. 40 ff.), sind auch der Bestand eines Daueraufenthaltsrechts und die damit verbundenen Gewährleistungen des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU zum Zeitpunkt des Erlasses der Verlustfeststellung zu beurteilen (vgl. Kurzidem, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 27. Ed. 01.10.2020, § 6 FreizügG/EU Rn. 17).

1. Die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU setzt voraus, dass das persönliche Verhalten des Unionsbürgers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit begründet, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. Art. 27 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UA 2 Satz 1 RL 2004/38/EG; EuGH, Urteil vom 02.05.2018 <K. und H.F.> - C-331/16 und C-355/16 -, Rn. 52 und 65). Diese Tatbestandsvoraussetzungen werden durch die in § 6 Abs. 1, 2, 6 und 7 FreizügG/EU enthaltenen Direktiven näher ausgestaltet. Sie sind unionsrechtlich auszulegen, da sie der Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG dienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, juris Rn. 22). Maßgeblich sind damit insbesondere Art. 27 ff. RL 2004/38/EG und die dazu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dessen Auslegung des Unionsrechts die nationalen Behörden und Gerichte grundsätzlich bindet (vgl. BVerfG, Urteile vom 05.05.2020 - 2 BvR 859/15 u. a. -, juris Rn. 112 f., und vom 21.06.2016 - 2 BvR 2728/13 u. a. -, juris Rn. 158 ff.).

a) Die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sind durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dem Grunde nach geklärt. Sie haben spezifische unionsrechtliche Bedeutungen und sind daher nicht mit den im deutschen nationalen Gefahrenabwehrrecht enthaltenen Begriffen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gleichzusetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, juris Rn. 24). Obwohl es sich um Begriffe handelt, die im Unionsrecht weit verbreitet sind, kann ihre genaue Bedeutung je nach Kontext unterschiedlich sein. Für die Bestimmung ihrer Tragweite sind daher Wortlaut und Kontext der jeweiligen Vorschriften, die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden, sowie deren Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urteile vom 12.12.2019 <G.S. und V.S.> - C-381/18 und C-382/18 -, Rn. 54 f., und vom 12.12.2019 <E.P.> - C-380/18 -, Rn. 28 ff.).

Zum Begriff der öffentlichen Ordnung als Beschränkung des Freizügigkeitsrechts aus Art. 21 AEUV und speziell im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass er eine Gesetzesverletzung voraussetzt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. EuGH, Urteile vom 12.12.2019 <E.P.> - C-380/18 -, Rn. 29, vom 05.06.2018 <Coman> - C-673/16 -, Rn. 44, vom 13.09.2016 < Rendón Marín > - C-165/14 -, Rn. 83, und vom 29.04.2004, <Orfanopoulos und Oliveri> - C-482/01 und C-493/01 -, Rn. 66 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, Rn. 24).

Ein Grundinteresse der Gesellschaft kann insbesondere bei einer mit den in Art. 2 und 3 EUV genannten Grundwerten wie der Menschenwürde und den Menschenrechten unvereinbaren Haltung des Betroffenen, unter den in Art. 12 Abs. 2 RL 2011/95/EU genannten Umständen sowie in den in Art. 83 Abs. 1 UA 2 AEUV genannten Kriminalitätsbereichen berührt sein, aber auch in anderen Fällen erheblichen strafrechtlichen Fehlverhaltens (vgl. EuGH, Urteil vom 02.05.2018 <K. und H.F.> - C-331/16 und C-355/16 -, Rn. 41 ff., vom 04.10.2007 <Polat> - C-349/06 -, Rn. 35; OVG Bremen, Urteil vom 30.09.2020 - 2 LC 166/20 -, juris Rn. 51; Bay. VGH, Beschlüsse vom 12.11.2019 - 10 ZB 18.2467 -, juris Rn. 7, vom 15.10.2019 - 19 ZB 19.914 -, juris Rn. 9 f., und vom 10.07.2017 - 19 ZB 15.1916 -, juris Rn. 15; Thür. OVG, Urteil vom 10.11.2017 - 3 KO 462/11 -, juris Rn. 34; siehe auch Nds. OVG, Beschluss vom 05.09.2019 - 13 ME 278/19 -, juris Rn. 10).

Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die innere Sicherheit kann insbesondere durch eine unmittelbare Bedrohung der Ruhe und der physischen Sicherheit der Bevölkerung des betreffenden Mitgliedstaats beeinträchtigt sein. Erfasst sind auch die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie die Bekämpfung der mit bandenmäßigem Handel mit Betäubungsmitteln verbundenen Kriminalität, des Terrorismus sowie der anderen in Art. 83 Abs. 1 UA 2 AEUV genannten Kriminalitätsbereiche. Die äußere Sicherheit kann insbesondere durch die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder der militärischen Interessen dieses Mitgliedstaats oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker beeinträchtigt sein (vgl. EuGH, Urteile vom 02.05.2018 <K. und H.F.> - C-331/16 und C-355/16 -, Rn. 42, vom 08.05.2018 <K.A. u. a.> - C-82/16 -, Rn. 91, vom 13.09.2016 <CS> - C-304/14 -, Rn. 39, vom 13.09.2016 < Rendón Marín > - C-165/14 -, Rn. 83, vom 15.02.2016 <N.> - C-601/15 PPU -, Rn. 65 f., vom 22.05.2012 <P.I.> - C-348/09 -, Rn. 33, vom 23.11.2010 < Tsakouridis > - C-145/09 -, Rn. 43 f., und vom 26.11.2002 <Oteiza Olazabal> - C-100/01 -, Rn. 12 und 35).

b) Vom persönlichen Verhalten des Betroffenen muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit ausgehen (§ 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU, Art. 27 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UA 2 Satz 1 RL 2004/38/EG). Diese Feststellung erfordert eine zum maßgeblichen Zeitpunkt aktuelle Gefahrenprognose (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, juris Rn. 25). Dabei sind alle relevanten Umstände des Einzelfalls einzubeziehen, insbesondere die einer strafrechtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Umstände, die Entwicklung des Betroffenen nach der Tat, seine Persönlichkeit und seine Lebensumstände sowie das Gewicht der in Rede stehenden Rechtsgüter (vgl. EuGH, Urteil vom 02.05.2018 <K. und H.F.> - C-331/16 und C-355/16 -, Rn. 66; BVerwG, Beschluss vom 11.09.2015 - 1 B 39.15 -, juris Rn. 8; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 40; Bay. VGH, Beschluss vom 23.07.2020 - 10 ZB 20.1171 -, juris Rn. 11).

Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht haben eine eigenständige Gefahrenprognose zu treffen. An der Verlustfeststellung vorausgegangene Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte sind sie nicht gebunden. Das gilt auch für Entscheidungen über die Strafaussetzung nach § 56 und § 57 StGB (BVerfG, Beschluss vom 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 -, juris Rn. 21; BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 -, juris Rn. 18; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.03.2020 - 11 S 2293/18 -, juris Rn. 24). Strafrichterliche Prognosen stellen aber eine wesentliche Entscheidungsgrundlage von erheblichem Gewicht dar. Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht haben sie bei ihren Entscheidungen neben allen anderen relevanten Umständen des Einzelfalls zu berücksichtigten. Ihre eigenständige Prognose kann zu einer von der strafgerichtlichen Beurteilung abweichenden Einschätzung gelangen, die substantiiert begründet werden muss (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 -, juris Rn. 21, und vom 27.08.2010 - 2 BvR 130/10 -, juris Rn. 36). Ist die im Strafurteil enthaltene Begründung der für eine Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung nach §§ 56, 57 StGB zu treffenden Legalprognose zu knapp, um die vom Strafgericht getroffene Beurteilung nachvollziehbar zu machen, oder fehlt sie ganz (vgl. § 267 Abs. 4 StPO), kommt einer eigenständigen Begründung der gemäß § 6 FreizügG/EU erforderlichen Gefahrenprognose besondere Bedeutung zu.

Auch im Übrigen genügt der bloße Verweis auf eine strafgerichtliche Beurteilung der Wiederholungsgefahr verbunden mit der Prüfung, ob diese offenkundig fehlerhaft oder durch das zwischenzeitliche Verhalten des Betroffenen überholt ist, den Anforderungen an die ausländerrechtlich gebotene Gefahrenprognose nicht (BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 -, juris Rn. 21). An der insofern abweichenden Auffassung im Beschluss des Senats vom 15. Dezember 2017 - 11 S 2692/17 -, der im diesem Verfahren vorausgegangenen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangen ist, hält der Senat nicht fest.

Maßgeblich für die Gefahrenprognose ist allein das persönliche Verhalten des Unionsbürgers (§ 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU). Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig (Art. 27 Abs. 2 UA 2 Satz 2 RL 2004/38/EG). Ausgeschlossen ist damit eine Verlustfeststellung, die als automatische Folge einer strafrechtlichen Verurteilung (§ 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU) oder einer sonstigen Sanktion verfügt wird, ohne das persönliche Verhalten des Betroffenen oder die von ihm ausgehende Gefahr zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urteile vom 02.05.2018 <K. und H.F.> - C-331/16 und C-355/16 -, Rn. 41 ff., und vom 13.09.2016 < Rendón Marín > - C-165/14 -, Rn. 59 ff.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, juris Rn. 26). Eine Verlustfeststellung setzt daher auch bei terroristischen Straftaten eine aktuelle Gefahrenprognose voraus (zu § 24 Abs. 1 RL 2004/83/EG siehe EuGH, Urteil vom 24.06.2015 <H. T.> - C-373/13 -, Rn. 92).

§ 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU erfordert eine hinreichend schwere Gefahr (vgl. auch Art. 27 Abs. 2 UA 2 Satz 1 RL 2004/38/EG: "erhebliche Gefahr"). Die Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts muss so erheblich sein, dass ihre Abwehr die Beschränkung des Freizügigkeitsrechts aus Art. 21 AEUV zu rechtfertigen vermag. Dies schließt Fälle einer nur entfernten Möglichkeit eines Schadeneintritts aus. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat wiederholt entschieden, dass der Begriff der erheblichen Gefahr im vorliegenden Zusammenhang enger auszulegen ist als in anderen Fällen, in denen das Unionsrecht auf ihn zurückgreift. Nur potentielle Gefahren sind danach nicht ausreichend für den Verlust des Freizügigkeitsrechts (vgl. EuGH, Urteile vom 02.04.2020 <Kommission/Polen u. a.> - C-715/17, C-718/17 und C-719/17 -, Rn. 157, vom 12.12.2019 <E.P.> - C-380/18 -, Rn. 29 und 32, und vom 04.04.2017 <Fahimian> - C-544/15 -, Rn. 40).

Es gilt ein differenzierender, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 -, juris Rn. 16, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, juris Rn. 26; Bay. VGH, Beschluss vom 23.07.2020 - 10 ZB 20.1171 -, juris Rn. 7). Das entspricht der Rechtsprechung des Senats zu § 53 Abs. 1 AufenthG (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 39) und trifft auch für die Verlustfeststellung gemäß § 6 FreizügG/EU zu (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12.04.2018 - 11 S 428/18 -, juris Rn. 10; zur früheren anderslautenden Rechtsprechung des Senats siehe Urteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 -, juris Rn. 52). Auch der Gerichtshof der Europäischen Union geht davon aus, dass die für Einschränkungen von Aufenthaltsrechten erforderliche erhebliche Gefahr keine statische Wahrscheinlichkeit bedeutet, sondern dass in jedem Einzelfall auch der Grad der aktuellen Gefährlichkeit des Betroffenen zu ermitteln ist (EuGH, Urteile vom 02.05.2018 <K. und H.F.> - C-331/16 und C-355/16 -, Rn. 70, vom 13.09.2016 < Rendón Marín > - C-165/14 -, Rn. 86, vom 08.05.2018 <K.A. u. a.> - C-82/16 -, Rn. 94, und vom 13.09.2016 <CS> - C-304/14 -, Rn. 42), was eine Dynamik dieses Gefahrengrads impliziert.

Dieser gleitende Wahrscheinlichkeitsmaßstab hat jedoch unionsrechtliche Grenzen. Wegen der grundlegenden Bedeutung des Freizügigkeitsrechts aus Art. 21 AEUV und mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen, wie dargelegt, an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 -, juris Rn. 16, vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 18, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, juris Rn. 16, und vom 07.12.1999 - 1 C 13.99 -, juris Rn. 20). Auch bei hochrangigen Rechtsgütern begründet daher nicht schon jede nur entfernte Möglichkeit oder eine nur potentielle Gefahr eine hinreichend schwere bzw. erhebliche Gefahr (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 -, juris Rn. 16).

c) Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Verlustfeststellung erfüllt, hat die Ausländerbehörde gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ("kann") eine Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, Rn. 19, 27; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.11.2018 - 11 S 2019/18 -, juris Rn. 18; OVG Bremen, Urteil vom 30.09.2020 - 2 LC 166/20 -, juris Rn. 53). Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU (Art. 28 Abs. 1 RL 2004/38/EG) genannten Umstände zu berücksichtigen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung setzt die unionsrechtliche Anforderung um, unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Grundrechte die Gefahr, die das persönliche Verhalten des Unionsbürgers darstellt, gegen den Schutz der diesem nach der Richtlinie 2004/38/EG zustehenden Rechte abzuwägen (vgl. EuGH, Urteile vom 02.05.2018 <K. und H.F.> - C-331/16 und C-355/16 -, Rn. 62, vom 22.05.2012 <P.I.> - C-348/09 -, Rn. 34, und vom 29.04.2004 <Orfanopoulos und Oliveri> - C-482/01 und C-493/01 -, Rn. 99).

2. Nach diesem Maßstab liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Verlustfeststellung nicht vor.

Grundlage des angegriffenen Bescheids ist § 6 Abs. 1 FreizügG/EU. Der Kläger kommt nicht in den Genuss des erhöhten Ausweisungsschutzes aus § 6 Abs. 4 oder 5 FreizügG/EU. Nachdem er im Jahr 2013 in das Bundesgebiet eingereist war, befand er sich zum Zeitpunkt des Erlasses der Verlustfeststellung im Jahr 2017, der für die Ermittlung des Schutzniveaus maßgeblich ist, noch keine fünf Jahre in der Bundesrepublik. Er hatte zu diesem Zeitpunkt daher noch kein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a Abs. 1 FreizügG/EU erworben.

Die Voraussetzungen der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts des Klägers, der keinen erhöhten Ausweisungsschutz genießt, sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar liegt der Straftat, für die der Kläger verurteilt worden ist, ein persönliches Verhalten zugrunde, das die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (a.). Der Senat konnte sich jedoch nicht davon überzeugen, dass vom Kläger eine hinreichende Gefährlichkeit auch zum insofern maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt noch ausgeht (b.).

a) Die Straftat des Klägers gefährdet die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

Der Kläger wurde durch Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 27. September 2017 wegen Terrorismusfinanzierung gemäß § 89c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 6, Abs. 2 StGB zu der Freiheitstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dies setzt nach § 89c Abs. 1 Satz 2 StGB voraus, dass die Tat dazu bestimmt war, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

Mit dieser Definition terroristischer Akte, die § 129a Abs. 2 StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) entspricht, sollen nur Taten aus "dem originär terroristischen Bereich" (BT-Drs. 18/4087, S. 8) erfasst werden. Damit setzt der Gesetzgeber die Anforderungen der Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung um. Er berücksichtigt zugleich internationale Übereinkommen, die im Rahmen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus geschlossen wurden, insbesondere das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 und weitere sektorale Übereinkommen, sowie Resolutionen des Sicherheitsrats (vgl. BT-Drs. 18/4087, S. 8).

Das Einwerben von Geld und Waffen durch den Kläger, das den Tatbestand der Terrorismusfinanzierung erfüllt, gefährdet die öffentliche Ordnung, da diese Straftat ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie (EU) 2017/541 zählen terroristische Handlungen zu den schwersten Verstößen gegen die universellen Werte der Menschenwürde, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität sowie der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, auf die sich die Union gründet. Sie stellen einen der schwersten Angriffe auf die Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit dar, die allen Mitgliedstaaten gemein sind und die der Union zugrunde liegen. Mit den grundlegenden Werten des Art. 2 EUV sind sie schlechthin unvereinbar. Terroristische Straftaten gehören zu den Bereichen besonders schwerer Kriminalität im Sinne des Art. 83 Abs. 1 UA 2 AEUV.

Zugleich gefährdet das der Straftat zugrundeliegende Verhalten die öffentliche Sicherheit. Terroristische Straftaten sind geeignet, die innere Sicherheit zu beeinträchtigen, indem sie die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar bedrohen, aber auch das Funktionieren der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste. Das gilt auch für das erfolglose Einwerben von Geld und Tatmitteln durch den Kläger. Es fördert die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Kommunikationsstrukturen, derer sich dem Terrorismus zugeneigte Personen bedienen, und verbreitet terroristisches Gedankengut. Es ermutigt potentielle Geldgeber und sonstige Unterstützer, nach tatgeneigten Personen Ausschau zu halten, und ihre Leistungen anzubieten. Und es beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, indem in sozialen Netzwerken und sonstigen internetbasierten Kommunikationsdiensten mehr oder weniger offen Kontakte zu dem Terrorismus dienenden Zwecken angebahnt werden. Bereits das Einwerben von Geld und Tatmitteln zu terroristischen Zwecken fördert damit ein Klima der Angst und der Einschüchterung in der Bevölkerung und ermutigt Unterstützer und potentielle Terroristen, ihre Absichten und Pläne voranzutreiben.

b) Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats stellt das persönliche Verhalten des Klägers jedoch keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr mehr dar. Von einer eigenständigen Bewertung der Gefährlichkeit des Klägers zum Zeitpunkt der Entscheidung ist der Senat nicht deshalb befreit, weil der Kläger wegen Terrorismusfinanzierung verurteilt worden ist. Eine aktuelle Gefahrenprognose ist vielmehr auch bei Terrorismusstraftaten erforderlich (1). Die anfängliche Strafaussetzung durch das Landgericht ist zu berücksichtigen, ihr kommt vorliegend jedoch nur begrenzte Aussagekraft zu (2). Persönlichkeit und soziale Integration des Klägers haben sich seit Begehung der Straftat dergestalt geändert, dass sich eine tatsächliche und erhebliche Gefahr gegenwärtig nicht mehr feststellen lässt (3).

(1) Der Senat vermag sich der Auffassung des Beklagten, die unter verschiedenen argumentativen Ansätzen darauf zielt, bei Terrorismusstraftaten vom Erfordernis einer Gefahrenprognose abzusehen, nicht anzuschließen. Insofern ist der Beklagte der Ansicht, eine rechtskräftige Verurteilung wegen Terrorismusfinanzierung "indiziert vorliegend die gegenwärtige Gefährdung". Eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung liege vor und eine Verlustfeststellung müsse "unabhängig von einer im Einzelfall festgestellten konkreten Wiederholungsgefahr zulässig sein". Es müsse "auch die einmalige terrorismusbezogene Straftat genügen, um eine Verlustfeststellung verfügen zu können". "Umstände des Einzelfalls können allenfalls bei der Höhe der Wiedereinreisesperre ... berücksichtigt werden".

Diese Rechtsauffassung des beklagten Landes ist mit § 6 FreizügG/EU nicht zu vereinbaren. Nach den aufgezeigten Maßstäben setzt eine Verlustfeststellung stets eine zum maßgeblichen Zeitpunkt aktuelle Gefahrenprognose voraus, die alle relevanten Umstände des Einzelfalls einzubeziehen hat. Weder darf sie auf die bloße Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung gestützt werden (§ 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU), noch darf aus einem bestimmten Deliktstyp oder einer vom Einzelfall unabhängigen Kategorisierung von Straftaten ein automatischer Schluss auf das Vorliegen einer relevanten Gefahr gezogen werden. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann aus einer in der Vergangenheit festgestellten Radikalisierung des Betroffenen und dem Umstand, dass Dritte in anderen Fällen trotz durchlaufener Deradikalisierungsprogramme erneut terroristische Straftaten begangen haben, nicht darauf geschlossen werden, dass sich auch der Betroffene nicht wirksam deradikalisiert hat.

Damit ist auch die vom Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung, die Berufung zuzulassen, aufgeworfene Rechtsfrage, ob "eine Verlustfeststellung auch bei anfänglicher Strafaussetzung zur Bewährung unabhängig von einer im Einzelfall festgestellten konkreten Wiederholungsgefahr (immer dann) möglich ist, wenn eine Straftat im Zusammenhang mit Terrorismus begangen wurde", auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung ohne Weiteres zu beantworten: Auch bei Straftaten aus dem Bereich des Terrorismus setzt eine Verlustfeststellung voraus, dass das persönliche Verhalten des Unionsbürgers zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr begründet.

Eine anfängliche oder nachträgliche Strafaussetzung durch das Strafgericht determiniert die Beurteilung der Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht. Sie ist zwar als wesentliche Entscheidungsgrundlage zu berücksichtigen, entfaltet aber keine Bindungswirkung. Liegen dies tragende Umstände vor, kann die ausländerrechtliche Beurteilung gleichfalls zu einer fehlenden Gefährlichkeit gelangen, oder aber trotz der Strafaussetzung zum Ergebnis kommen, dass gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr vorliegt.

(2) Bei seiner Gefahrenprognose berücksichtigt der Senat den Umstand, dass das Landgericht Karlsruhe die Freiheitsstrafe von zwei Jahren gemäß § 56 StGB im Strafurteil zur Bewährung ausgesetzt hat. Das Landgericht ist damit von einer positiven Legalprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) und besonderen Umständen, die eine Strafaussetzung auch bei einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr zulassen (§ 56 Abs. 2 StGB), ausgegangen, ohne dass es die Vollstreckung eines Teils der Freiheitsstrafe für erforderlich gehalten hat.

Über diesen Umstand hinaus kommt dieser Strafaussetzung für die vorliegend vorzunehmende Prognose allerdings nur begrenzte Aussagekraft zu. Denn das Landgericht, das die Urteilsgründe auf Grundlage des § 267 Abs. 4 StPO in gekürzter Form abgefasst hat, hat auf eine nähere Begründung seiner Aussetzungsentscheidung in wesentlichen Teilen verzichtet. Es hat zwar Kriterien benannt, die es als besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB gewertet hat. Zur nach § 56 Abs. 1 StGB erforderlichen positiven Legalprognose hat es indes lediglich ausgeführt:

Die Kammer hat die Prognose gestellt, dass es wahrscheinlicher ist, dass der Angeklagte in Zukunft keine weiteren Straftaten mehr begehen wird und insoweit sich die heutige Verurteilung (zu einer Bewährungsstrafe mit Bewährungsauflagen, Weisungen und mit Bewährungshelferbestellung) zur Warnung dienen lassen wird.

Auf welcher Grundlage das Landgericht zu dieser Prognose gelangt ist, geht aus dem Urteil nicht hervor. Der Senat hat daher keine Möglichkeit, sich mit dieser strafrichterlichen Prognose näher auseinanderzusetzen.

(3) Aufgrund der relevanten Umstände des vorliegenden Falls lässt sich eine tatsächliche und erhebliche Gefahr zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht feststellen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme haben sich die für die Begehung der Straftat ursächlichen Umstände so stark gewandelt, dass nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass der Kläger künftig vergleichbare Straftaten begehen wird.

(aa) Die Umstände der Straftat des Klägers sind insbesondere durch die Ermittlungsakte des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, das im Strafverfahren erstellte forensisch-psychiatrische Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie mit Schwerpunkt forensische Psychiatrie sowie für Neurologie vom 25. August 2017, das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 27. September 2017, die Anhörung des Klägers durch den Senat, die Vernehmungen der sachverständigen Zeugen, die sich mit dem Kläger als Kriminalbeamte, Bewährungshelfer und Mitarbeiter in Deradikalisierungsprogrammen teilweise intensiv auseinandergesetzt haben, sowie durch die von diesen im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens und des Strafverfahrens verfassten Berichte und Stellungnahmen eingehend dokumentiert. Sie stellen sich wie folgt dar:

Beim Kläger handelt es sich um einen introvertierten, zurückgezogenen und unsicheren jungen Mann. Er hatte zum Tatzeitpunkt außerhalb der Familie kaum soziale Bindungen. Allein das Verhältnis zur Mutter und zu den Geschwistern war stabil. Engere Freundschaften bestanden jedoch nicht. Eine Freundin hatte der Kläger nicht. Seine Freizeit verbrachte er größtenteils allein. Er beschäftigte sich dabei fast ausschließlich mit Computerspielen. Der Kläger litt unter mangelnder Wertschätzung durch sich selbst und durch andere, die er schließlich durch ein übersteigertes Geltungsbedürfnis überkompensierte.

Der in Rumänien geborene und aufgewachsene Kläger wurde in früher Kindheit erst von seinem Vater verlassen, der die Familie zuvor durch Gewalttätigkeit tyrannisiert hatte, und dann von seiner Mutter, die ohne den Kläger nach Deutschland ausreiste. Ab dem Alter von sechs Jahren wuchs der Kläger in einem Kinderheim in Rumänien auf. Diese Verlusterfahrungen scheinen die Persönlichkeit des Klägers stark zu prägen, der einerseits kaum Vertrauen in soziale Bindungen entwickeln konnte und eine gewisse Härte sich selbst gegenüber pflegt, andererseits früh auf sich allein gestellt und für sich verantwortlich war und sich dadurch eine erhebliche Selbständigkeit, Reflexionsfähigkeit und Eigenverantwortung angeeignet hat.

Nachdem er Anfang 2013 mit 17 Jahren zu seiner Mutter nach Deutschland nachzog, besuchte er bis 2016 die Hauptschule, die er erfolgreich abschloss. Danach war er, abgesehen von einer Tätigkeit als Reinigungskraft, ohne Beschäftigung. Eine Perspektive über seine weitere Zukunft hatte der Kläger damals nicht. Er lebte sehr zurückgezogen und war die meiste Zeit allein. Selbstwirksamkeitserfahrungen machte er nicht. Er verbrachte seine Zeit weitgehend vor dem Computer, auf dem er "Ballerspiele" spielte. Er "zockte" nächtelang. Es gab keinen geordneten Tagesablauf.

In dieser Situation der Isolation und der Zurückgezogenheit begann der Kläger Ende 2016, sich mit radikalislamischen Inhalten auf Internetseiten und in sozialen Medien zu befassen. Er geriet in einen Sog von gewaltverherrlichenden Bildern, Videos und Musik und reagierte stark auf eine Ansprache, die ihm Wertschätzung, Anerkennung und Bedeutsamkeit suggerierte. Dabei war der Kläger nicht von originär ideologischen, religiösen oder weltanschaulichen Motiven geleitet. Er war vielmehr angezogen von dem sozialen Setting, auf das er stieß. Er kam mit Personen in Kontakt, die es verstanden, sein Bedürfnis nach Anerkennung zu befriedigen. Durch den Eindruck der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder Bewegung konnte der Kläger sein Selbstwertgefühl steigern. Auch die Betonung einer gewissen Vorstellung von Männlichkeit sprach den Kläger an. Die Ausrichtung an (vermeintlichen) religiösen Geboten, die mit dem Koran und der Scharia begründet werden, vermittelte dem Kläger ein Gefühl von Struktur und Zielstrebigkeit, nach dem er sich sehnte. Ihm gefiel es, Vorlesungen aus dem Koran zu hören, auch wenn sie in arabischer Sprache gehalten waren, die der Kläger nicht versteht, oder auf Englisch, was er nur teilweise versteht. Er fühlte sich gut dabei. Der Kläger genoss auch das Vertrauen und die Anerkennung, die ihm seiner Meinung nach durch seine Chatpartner entgegengebracht wurden, indem sie sich mit ihm über mögliche Terrorpläne austauschten.

Hinzu kamen Langeweile und Neugier. Der Kläger hatte sehr viel Zeit, die er allein im Internet verbrachte. Als er sah, dass er mit Personen in Kontakt treten konnte, die angeblich bereit waren, ihn mit Geld und Waffen auszustatten, damit er einen Terroranschlag begeht, traf dies sein Verlangen nach Aufmerksamkeit.

Diese Ansprechbarkeit des Klägers und seine Offenheit für an ihm interessierte Extremisten war Grundlage der Radikalisierung, die das Landgericht festgestellt und die von den sachverständigen Zeugen überwiegend bestätigt worden ist. Der Kläger war nach den Feststellungen des Landgerichts zwar von islamistischem und menschenverachtendem Gedankengut durchdrungen. Für eine religiöse oder ideologische Radikalisierung im Sinne einer entsprechenden Überzeugung des Klägers gibt es jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte. Vielmehr übernahm er extremistische Denk- und Verhaltensweisen, weil er sich als Teil einer Bewegung sah und durch Zugehörigkeit, Aufnahme und Ansprache starke Befriedigung empfand.

(bb) Diese Umstände, die für die Tatbegehung ursächlich waren, haben sich heute zwar nicht vollständig, durchaus aber in wesentlichen Aspekten geändert.

Die vom Landgericht beschriebene Radikalisierung im Sinne einer Gewaltverherrlichung und eines Zugehörigkeitsgefühls zu einer extremistischen Gemeinschaft dürfte der Kläger bereits während der Untersuchungshaft überwunden haben, jedenfalls aber ist dies im Verlauf der Gespräche im Rahmen der Bewährungshilfe und der Deradikalisierungsprogramme geschehen. Von allen sachverständigen Zeugen ist übereinstimmend geschildert worden, dass der Kläger seine im Wesentlichen auf einer Faszination von Gewalt und dem "Djihad" beruhende Radikalisierung vollständig abgelegt hat. Bereits im Urteil des Landgerichts wird von Reue des Klägers berichtet. Selbst der vom Senat vernommene Kriminalbeamte, zuständig für Staatsschutz und die Kontaktpflege zu und die Beurteilung von Personen mit Extremismusbezug, schilderte, dass er keine Anzeichen einer derartigen Radikalisierung feststellen konnte. Das deckt sich mit dem Eindruck, den der Senat im Laufe des Berufungsverfahrens und insbesondere aufgrund der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnen hat. Den Eindruck des Beklagten, der Kläger habe sich von seiner früheren Radikalisierung nicht distanziert, teilt der Senat vor diesem Hintergrund nicht.

Allerdings geht der Senat davon aus, dass der Kläger nach wie vor latent anfällig ist, in bestimmten krisenhaften Situationen auf Ansprachen zu reagieren, die ihm das Gefühl geben, wichtig und vertrauenswürdig zu sein, gebraucht zu werden und etwas Bedeutsames zu tun. Solche krisenhaften Situationen können bei Perspektivlosigkeit, fehlender sozialer Einbindung und niedriger Selbstwirksamkeitserwartung eintreten. Der Kläger hat sich bis heute mit seiner Straftat nicht adäquat auseinandergesetzt. Er akzeptiert seine Verurteilung, jedoch nur, um damit abschließen und nach vorne schauen zu können. Keiner der sachverständigen Zeugen konnte mit dem Kläger die Tat aufarbeiten, weil dieser dergleichen Versuche ebenso konsequent abwehrte wie Gespräche über seine Gefühlslage, seinen sozialen Nahraum oder andere intime Umstände. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat reagierte der Kläger ebenfalls abwehrend bis gereizt auf Nachfragen dazu, ob er radikalisiert gewesen sei und wie es zur Straftat kommen konnte. Seine Äußerungen gegenüber Chatpartnern seien von vornherein nicht ernst gemeint gewesen. Der Kläger versteht, eine Straftat begangen zu haben, hält die Bewertung seines Verhaltens als strafbar aber für falsch. Mit der Ablehnung eines Verhaltens als falsch fehlt eine von mehreren Vorkehrungen dagegen, dass sich das inkriminierte Verhalten künftig wiederholen kann. Zudem bestehen im privaten außerfamiliären Bereich weiterhin keine festeren Bindungen, die dem Kläger Halt geben können, wenn er dessen bedürfte. Er ist häufig allein und verbringt weiterhin viel Zeit vor dem Computer und im Internet. Damit bestehen wichtige Umstände, die den Kontext für die Begehung seiner Straftat bildeten, weiterhin fort.

Der Senat kann sich zudem der Auffassung des Verwaltungsgerichts und der insbesondere vom sachverständigen Zeugen ... herangezogenen Erwägung nicht anschließen, die Äußerungen des Klägers, dessen Beachtung aller wesentlichen Vorgaben und Weisungen, sein regelkonformes Verhalten insgesamt sowie der Umstand, dass der Kläger nicht mehr delinquent geworden ist, ließen den Schluss zu, dass keine greifbaren Anhaltspunkte für eine Gefahr erneuter Straffälligkeit im Bereich der Terrorismusfinanzierung vorlägen. Der Kläger war und ist höflich, rational und reflektiert und verhält sich regelkonform. Eine Neigung zu Straftaten besteht im Allgemeinen nicht. Zu keiner Zeit seines Aufenthalts in Deutschland vor und nach Begehung der Straftat hat der Kläger Schwierigkeiten erkennen lassen, soziale Normen einzuhalten. Daraus kann jedoch kein hinreichend sicherer Rückschluss auf die Gefährlichkeit des Klägers gezogen werden, weil die im Raume stehende Straftat nicht auf einen Hang zur Delinquenz oder auf einen unsteten Lebenswandel zurückzuführen ist, sondern auf die oben dargestellte Persönlichkeit des Klägers und spezifische soziale Umstände.

Insofern hat indes ein deutlicher Wandel stattgefunden, aufgrund dessen eine vom Kläger ausgehende, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU gegenwärtig nicht mehr festzustellen ist.

Die sachverständigen Zeugen, die mit dem Kläger professionell befasst waren, haben durchweg und überzeugend dargelegt, dass der früher sehr verschlossene Kläger zwar noch immer zurückhaltend, gleichwohl wesentlich zugänglicher geworden ist. Er sei regelrecht aufgeblüht und habe auch über persönliche Dinge offener sprechen können. Der heute knapp 25 Jahre alte Kläger sei im Vergleich zu früher deutlich gereifter. Der Senat hat den Eindruck gewonnen, dass eine wesentliche Reifung insbesondere mit Blick auf die Fähigkeit des Klägers stattgefunden hat, Bedeutung und Folgen seines Handelns zu erfassen, sowie in Bezug auf Selbstwertgefühl und Selbstachtung. Dabei handelt es sich vorliegend um entscheidende protektive Faktoren.

Der Kläger meistert seine Ausbildung mit Erfolg und wird aufgrund einer entsprechenden Zusage von seinem Ausbildungsbetrieb aller Voraussicht nach übernommen werden. In diesem beruflichen Rahmen erfährt er eine Bestätigung seiner selbst, auch durch Dritte. Seine Selbstwirksamkeitserwartung ist dadurch gestiegen. Über das von ihm in der Ausbildung Geleistete berichtet er im Kreise der Familie mit Stolz. Er fühlt sich zugehörig und wertgeschätzt, sowohl durch seinen Arbeitgeber als auch durch seine Kollegen. Dieser berufliche Erfolg geht mit einer besseren sozialen Integration einher. Alle Zeugen und Auskunftspersonen haben die Berufstätigkeit des Klägers als erheblichen Stabilisierungsfaktor beschrieben.

Zudem haben die behördlichen und gerichtlichen Verfahren, die seine Straftat nach sich gezogen hat, zu einem Bewusstseinswandel beim Kläger geführt. Er hat erfahren, welche gravierenden Folgen sein Verhalten für sich selbst und für seine Familie nach sich gezogen hat. Im Verlauf der Untersuchungshaft verstand der Kläger, dass und weshalb sein Verhalten strafrechtliche Konsequenzen zeitigt. Er hat heute erkannt, dass er sich mit Unterstützern des Terrorismus sowie auf ein gewaltverherrlichendes Umfeld eingelassen und dadurch eine schwere Straftat begangen hat, obwohl er selbst seine damaligen Beweggründe nicht für extremistisch oder strafwürdig hält. Er leidet erkennbar unter den rechtlichen Konsequenzen seines Handelns. Er sehnt sich nach einem "normalen" Leben. Dieser durchlaufene Erkenntnisprozess stabilisiert ihn jedenfalls dagegen, schleichend erneut in ein entsprechendes Verhalten abzugleiten.

Der Kläger hat heute und mit aller Wahrscheinlichkeit in Zukunft einen geregelten Tagesablauf. Er empfindet Befriedigung durch seinen beruflichen Erfolg und tritt seiner Umwelt zunehmend offen und selbstbewusst gegenüber. Bei diesen Rahmenbedingungen ist er nicht in einem relevanten Ausmaß gefährdet, erneut in einem extremistischen Umfeld nach Zugehörigkeit, Anerkennung und Wertschätzung zu suchen. Der Kläger ist gegenwärtig keiner relevanten Gefahr ausgesetzt, sich zur Steigerung seines Selbstwertgefühls und zur Befriedigung seines Bedürfnisses nach Anerkennung und Akzeptanz mit extremistischen Kreisen einzulassen.

Vor diesem Hintergrund lässt sich zwar nicht ausschließen, dass der Kläger im Falle einer nachteiligen Veränderung der ihn heute stabilisierenden Verhältnisse erneut ansprechbar auf extremistische Angebote reagieren könnte. Eine solche bloß latente Möglichkeit der künftigen Begehung einer Straftat genügt jedoch auch angesichts der überragend hohen Wertigkeit der durch den Terrorismus bedrohten Rechtsgüter nicht, um eine hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU begründen zu können. Denn dabei handelt es sich um eine nur potentielle Gefahr, die nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht geeignet ist, das Freizügigkeitsrecht aus Art. 21 AEUV zu beschränken. Eine dafür erforderliche tatsächliche und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit geht vom Kläger gegenwärtig nicht aus.

II.

Erweist sich die durch das Regierungspräsidium verfügte Verlustfeststellung als rechtswidrig, können auch die weiteren Verfügungen im Bescheid vom 17. Oktober 2017 keinen Bestand haben. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid daher zu Recht insgesamt aufgehoben. Damit hat die Berufung des Beklagten im Ganzen keinen Erfolg.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss vom 16. Dezember 2020

Der Streitwert wird unter Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für das Verfahren in beiden Rechtszügen auf jeweils 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. In Verwaltungsstreitverfahren über Verlustfeststellungen gemäß § 6 FreizügG/EU ist im Hauptsacheverfahren der Auffangstreitwert festzusetzen (BVerwG, Beschluss vom 01.06.2017 - 1 B 102.17 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.02.2020 - 12 S 3016/19 -, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 15.10.2020 - 10 ZB 20.1584 -, juris; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 07.10.2019 - 2 A 357/18 -, juris; vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 05.09.2019 - 13 ME 278/19 -, juris; OVG Bremen, Beschluss vom 13.12.2017 - 1 B 257/17 -, juris; Sächs. OVG, Beschluss vom 20.11.2017 - 3 B 54/17 -, juris). Denn der Sach- und Streitstand bietet für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte. An seiner davon abweichenden Rechtsprechung (VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 12.04.2018 - 11 S 428/18 -, juris, und vom 09.09.2016 - 11 S 1414/16 -, juris) hält der Senat nicht fest.

Abschiebungsandrohung und Einreise- und Aufenthaltsverbot haben, wenn sie nicht isoliert, sondern als Annex zu den sie bedingenden Grundmaßnahmen angegriffen werden, keine eigenständige Bedeutung für die Streitwertfestsetzung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.05.2020 - 1 VR 2.19 -, juris Rn. 18; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 104).

Diese Erwägungen gelten auch für das Verfahren im ersten Rechtszug. Der Senat ändert daher die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Streitwertfestsetzung entsprechend von Amts wegen (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.