OLG Hamburg, Beschluss vom 14.07.2020 - 12 UF 60/20
Fundstelle
openJur 2020, 76058
  • Rkr:

I. Ein Rückgabeantrag im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. 1 b) KSÜ ist ein Antrag nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (HKÜ).

II. Eine gemäß Art. 23 Abs. 2 lit. b KSÜ erforderliche Anhörung des Kindes kann auch von einer national zuständigen Stelle durchgeführt werden, die dem Gericht einen Bericht vorlegt, indem die Wünsche und Gefühle des Kindes aufgeführt sind (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 30. April 2012, 4 UF 14/12, FamRZ 2012, 1887, juris Rn. 34f; Andrae, NZFam 2016, 1011, 1015).

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg, Az. 278 F 14/20, vom 2. März 2020 wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die erstinstanzliche Anerkennung einer russischen Gerichtsentscheidung, wonach das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsame Tochter der Antragstellerin zugesprochen wurde.

Die Beteiligten sind die Eltern der 10–jährigen A.. Die Mutter hat die russische Staatsangehörigkeit. Der Vater hat die deutsche und die iranische Staatsangehörigkeit. A. hat die deutsche, russische und iranische Staatsangehörigkeit.

Die Eltern lebten beide in Hamburg. Sie trennten sich im Herbst 2013. Die Ehe wurde im Jahr 2015 geschieden.

Zwischen den Eltern war ein Gerichtsverfahren wegen der elterlichen Sorge beim Amtsgericht Hamburg anhängig. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2015 regelte das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A. in der Weise, dass die Betreuung in der Woche zwischen den Eltern aufgeteilt wurde. Gegen diesen Beschluss legte der Antragsgegner Mitte Januar 2016 Beschwerde ein, mit der er die Übertragung der elterlichen Sorge auf sich allein begehrte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Antragsgegner bereits die Vermutung, dass die Antragstellerin A. nach Russland verbracht hatte.

Spätestens Ende Januar 2016 zogen die Antragstellerin und A. nach K. in Russland, wo sie seitdem leben. Mit Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 3. Juni 2016 wurde dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A. übertragen. Das Beschwerdeverfahren wurde nach dem Umzug der Mutter in der Hauptsache nicht zu Ende geführt.

Durch Beschluss des M. Bezirksgerichts der Stadt K. vom 26. Februar 2018, Az.: 2-2/18, wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A. der Antragstellerin zugesprochen.

Mit Antrag vom 27. Juni 2019 hat die Antragstellerin beim Amtsgericht Hamburg die Anerkennung des Beschlusses des M. Bezirksgerichts vom 26. Februar 2018, Az.: 2-2/18, bezüglich des Aufenthaltsbestimmungsrechts für A. beantragt. Sie befürchte, dass der Antragsgegner für den Fall der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland aus dem Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vollstrecken und A. an sich nehmen werde.

Mit Beschluss vom 2. März 2020 hat das Amtsgericht Hamburg festgestellt, dass die Entscheidung des Moskauer Bezirksgerichts der Stadt K. anerkannt wird. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Anerkennung nach Art. 23, 24 Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ), 32 IntFamRVG zu erfolgen habe, da keine Anerkennungshindernisse gegeben seien. Das Bezirksgericht Moskau sei gemäß Art. 7 KSÜ international und örtlich zuständig, da sich A. mehr als ein Jahr vor Erlass der Ausgangsentscheidung im dortigen Gerichtsbezirk mit Kenntnis des Antragsgegners aufgehalten habe und ein Antrag auf Rückführung nicht dargelegt worden sei. Auch sei davon auszugehen, dass A. sich dort eingelebt habe. A. sei trotz der fehlenden Anhörung durch den erkennenden Spruchkörper hinreichend beteiligt worden, indem sie durch eine vom Gericht beauftrage Person angehört und das Ergebnis dieser Anhörung in das Verfahren eingebracht worden sei. Auch sei der Antragsgegner hinreichend beteiligt worden.

Gegen den ihm am 6. März 2020 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 26. März 2020 Beschwerde eingelegt. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 26. Mai 2020, dass bisher nicht zu erkennen sei, aus welchen Gründen die bisher nicht begründete Beschwerde gegen die sorgfältig begründete Entscheidung des Amtsgerichts Aussicht auf Erfolg haben sollte, begründete der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 10. Juni 2020 seine Beschwerde. Er ist der Ansicht, dass das russische Gericht A. kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt habe. Die Anhörung müsse unmittelbar im gerichtlichen Verfahren stattfinden. Etwas anderes verstoße gegen Art. 12 UN-Kinderrechtskonvention sowie gegen § 57 russisches FamGB sowie § 157 ZPO RF. Das russische Gericht hätte selbständig und unmittelbar das gesamte Verfahren analysieren müssen, alle Beweise untersuchen und Parteien anhören müssen, um die maßgeblichen Erkenntnisse zu gewinnen, die für das Fällen des Urteils erforderlich seien. Der Senat hat mit Beschluss vom 16. Juni 2020 den Antragsgegner darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt die Beschwerde im schriftlichen Verfahren zurückzuweisen. Eine Reaktion erfolgte nicht.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Amtsgericht Hamburg hat zu Recht die Entscheidung des Moskauer Bezirksgerichts der Stadt K. vom 26. Februar 2018, Az.: 2-2/18, bezüglich des Aufenthaltsbestimmungsrechts für A. in Deutschland anerkannt. Durchgreifende Einwände gegen die Entscheidung hat der Antragsgegner nicht vorgebracht.

Die Anerkennung der ausländischen Entscheidung bemisst sich nach Art. 23, 24 KSÜ, 32 IntFamRVG. Gemäß § 97 Abs. 1 FamFG gehen Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen den Vorschriften des FamFG grundsätzlich vor. Vorliegend kommt das Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) zur Anwendung, da Deutschland und Russland beide Vertragsstaaten sind. Das KSÜ betrifft unter anderem Maßnahmen, die das Sorgerecht und insbesondere das Recht, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, umfassen (Art. 3 lit. b KSÜ).

Gemäß Art. 23 Abs. 1 KSÜ werden die von den Behörden eines Vertragsstaats getroffenen Maßnahmen kraft Gesetzes in den anderen Vertragsstaaten anerkannt. Der Begriff der Behörde meint unter anderem Gerichte (vgl. Art. 5 Abs. 1 KSÜ). Gemäß Art. 24 S. 1 KSÜ kann darüber hinaus jede betroffene Person bei den zuständigen Behörden eines Vertragsstaats beantragen, dass über die Anerkennung einer in einem anderen Vertragsstaat getroffenen Maßnahme entschieden wird. Die Antragstellerin ist als Mutter in Fragen der elterlichen Sorge eine betroffene Person.

Es liegen keine Versagungsgründe nach Art. 23 Abs. 2 KSÜ vor. Insbesondere war das russische Gericht zuständig und dem Kind und dem Antragsgegner wurde im Rahmen des Gerichtsverfahrens hinreichend rechtliches Gehör gewährt.

Gemäß Art. 23 Abs. 2 lit. a KSÜ kann die Anerkennung versagt werden, wenn die Maßnahme von einer Behörde getroffen wurde, die nicht nach Kapitel II des KSÜ zuständig war.

Grundsätzlich sind gemäß Art. 5 KSÜ die Gerichte des Vertragsstaates zuständig, indem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies war das russische Gericht.

Abweichend hiervon regelt Art. 7 KSÜ die Zuständigkeit bei widerrechtlichem Verbringen. Die Antragstellerin handelte widerrechtlich, als sie Anfang 2016 ohne Zustimmung des Vaters mit A. nach Russland zog, da ihr nicht das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht zustand.

Art. 7 Abs. 1 lit. 1 b) KSÜ sieht für diesen Fall vor, dass die Behörden des Vertragsstaats, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, so lange zuständig bleiben, bis das Kind einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat erlangt hat und das Kind sich in diesem anderen Staat mindestens ein Jahr aufgehalten hat, nachdem die sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle seinen Aufenthaltsort kannte oder hätte kennen müssen, kein während dieses Zeitraums gestellter Antrag auf Rückgabe mehr anhängig ist und das Kind sich in seinem neuen Umfeld eingelebt hat.

Diese Voraussetzungen liegen vor. A. hatte zum Zeitpunkt der Entscheidung im Februar 2018 ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Russland, da sie mit dem Umzug im Januar 2016 dorthin ihren Lebensmittelpunkt verlegte. Sie wohnt bei ihrer Mutter und besucht in K. seit September 2017 die Schule.

A. hatte sich zum Zeitpunkt der Entscheidung auch bereits mehr als ein Jahr in Russland aufgehalten, nachdem der Antragsgegner den Aufenthaltsort kannte oder hätte kennen müssen. Bereits im Januar 2016 hatte der Antragsgegner die Vermutung, dass A. von der Antragstellerin nach Russland verbracht wurde.

Auch ist kein Antrag auf Rückgabe vom Vater geltend gemacht worden. Ein Rückgabeantrag ist ein solcher nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (HKÜ). Denn die Voraussetzungen, unter denen nach Art. 7 Abs. 1 lit. a oder lit. B KSÜ die internationale Zuständigkeit am bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt bestehen bleibt, sollen verhindern, dass ein Konflikt mit einer Rückgabeanordnung nach Art. 12 HKÜ und der Regelung in Art. 16 HKÜ entsteht (vgl. Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, Allgemeiner Teil EGBGB, 3 Auflage 2016, Art 7 KSÜ Rn. 4). Ein Rückgabeantrag nach dem HKÜ ist nicht anhängig.

A. hat sich an ihrem neuen Wohnort eingelebt. Dem Merkmal des Einlebens kommt neben dem gewöhnlichen Aufenthalt im Verbringungsstaat keine eigenständige Bedeutung zu (MüKo/Wiedemann, FamFG, 3. Auflage 2019, Art. 7 KSÜ Rn. 15).

Gemäß Art. 23 Abs. 2 lit. b KSÜ kann die Anerkennung versagt werden, wenn die Maßnahme im Rahmen eines Gerichts- oder Verwaltungsverfahrens getroffen wurde, ohne dass dem Kind die Möglichkeit eingeräumt worden war, gehört zu werden, und dadurch gegen wesentliche Verfahrensgrundsätze des ersuchten Staates verstoßen wurde.

Der Antragsgegner hat in erster Instanz und mit seiner Beschwerde gerügt, dass A. nicht durch das russische Gericht persönlich angehört wurde. Dies führt jedoch - wie das Amtsgericht zutreffend ausführt - nicht dazu, dass der Entscheidung die Anerkennung zu versagen wäre. Vielmehr kann es ausreichen, dass die Anhörung des Kindes auch von einer national zuständigen Stelle durchgeführt werden, die dem Gericht einen Bericht vorlegt, indem die Wünsche und Gefühle des Kindes aufgeführt sind (vgl. OLG Oldenburg, 4 UF 14/12, Beschluss vom 30. April 2012, FamRZ 2012, 1887, juris Rn. 34f; Andrae, NZFam 2016, 1011, 1015). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. A. ist durch das zuständige Komplexzentrum für soziale Betreuung der Kinder und Jugend der Stadt K. am 11. Oktober 2017 für das Gericht angehört worden und darüber ist ein Bericht gefertigt worden (vgl. Anlage ASt 5). Darin wird mitgeteilt: „Sie erzählte, dass sie gerne Zeit mit ihrer Mutter verbringt, sie zusammen in die Kirche gehen, Schach und Dame spielen, nähen und stricken, und als sie mit ihrem Vater lebte, ging er in den Laden und ließ sie alleine zurück.“.

Der Versagungsgrund nach Art. 23 Abs. 2 lit. c KSÜ ist ebenfalls nicht einschlägig, da der Antragsgegner hinreichend in dem Verfahren vor dem Moskauer Bezirksgericht beteiligt wurde.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 84 FamFG, 45 FamGKG.

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