SG Gießen, Urteil vom 27.03.2012 - S 20 SO 14/07
Fundstelle
openJur 2020, 70738
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung im Alter um die Gewährung eines monatlichen Mehrbedarfes von 60,- Euro für eine kostenaufwendige Ernährung bei Diabetes Mellitus.

Der Kläger ist seit vielen Jahren im Leistungsbezug bei dem beklagten Landkreis, zunächst nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), nunmehr nach den Vorschriften des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII). Dies hat zu zahlreichen Widerspruchs- und Klageverfahren geführt. Seit Inkrafttreten des SGB XII und damit der Verlagerung der sachlichen Zuständigkeit zur Sozialgerichtsbarkeit für Rechtsstreite nach dem SGB XII haben die Beteiligten insgesamt 334 Streitsachen (Klage- und Beschlussverfahren) in Sozialhilfeangelegenheiten beim Sozialgericht Giessen anhängig gemacht, im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung stehen aktuell in 112 Verfahren noch Entscheidungen in der Hauptsache aus.

Streitgegenstand ist vorliegend die Gewährung eines monatlichen Mehrbedarfes von 60,- Euro für eine vom Kläger behauptete notwendige kostenaufwendige Ernährung. Dies war zwischen den Beteiligten schon mehrmals Gegenstand von Beschlussverfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Diese sind vom Gericht regelmäßig abgelehnt worden, Bezug genommen wird hier exemplarisch auf den Beschluss des SG Gießen vom 26.03.2008 (Az.: S 20 SO 244/07 ER). Die regelmäßig hiergegen eingelegte Beschwerde war bisher vor dem Hessischen Landessozialgericht in keinem Verfahren erfolgreich (beispielhaft: Beschluss des HLSG vom 18.02.2008 - L 9 SO 127/07 ER). Grundlage des vorliegenden Verfahrens ist ein Bescheid des Beklagten vom 13.07.2006, in dem der beantragte Mehrbedarf abgelehnt wurde. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2006 zurückgewiesen. Auf wiederholten Antrag wies der Beklagte mit Bescheid vom 20.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2008 einen entsprechenden Antrag zurück.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 24.01.2007 gegen den Widerspruchsbescheid vom 27.12.2006 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage (Az.: S 20 SO 14/07) und mit seiner gegen den Widerspruchsbescheid vom 28.02.2008 beim Sozialgericht Gießen am 15.03.2008 eingegangenen Klage (Az.: S 20 SO 49/08). In den Verfahren wurden mehrere Atteste vorgelegt. Das Gericht hat im Verfahren S 20 SO 14/07 einen Befundbericht bei der Gemeinschaftspraxis Dr. B. und Dr. C. eingeholt. Die Ärzte kommen darin zu der Feststellung, dass der Kläger wegen seines Diabetes Mellitus grundsätzlich auf Zugabe von Kochsalz verzichten solle, bei der Ernährung den Fettanteil reduzieren solle und möglichst eine obst- und gemüsereiche Kost bevorzugen solle. Eine Spezialkost sei nicht erforderlich. Das Gericht hat die Rechtsstreite mit den Aktenzeichen S 20 SO 14/07 und S 20 SO 49/08 in der mündlichen Verhandlung vom 27.03.2012 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

die Bescheide vom 13.07.2006 und 20.12.2007 jeweils in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 27.12.2006 und 28.02.2008 aufzuheben und ihm monatlich als weitere Leistung für kostenaufwendige Ernährung bei Diabetes Mellitus einen Mehrbedarf von 60,- Euro zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Klage- und Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die übrigen Gerichtsakten der 20. Kammer in allen bisherigen Rechtsstreiten zwischen den Beteiligten Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 27.03.2012 gewesen sind.

Gründe

Das Gericht konnte über den Rechtsstreit trotz Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 27.03.2012 entscheiden, denn die Beteiligten sind mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Den wiederholten Vertagungsanträgen des Klägers war nicht stattzugeben, da der Rechtsstreit ausgeschrieben war und wesentliche Gründe für eine Vertagung nicht vorgetragen worden sind. Insbesondere ist auch durch die wiederholten Atteste nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger zwingend und permanent stationär untergebracht ist; insoweit wird auf die Verfügung des Gerichts vom 16.03.2012 Bezug genommen. Weitere beachtliche Gründe für eine Terminsverlegung (vgl. BSG, Beschluss vom 17.02.2010 - B 1 KR 112/09 B; Beschluss vom 07.07.2011 - B 14 AS 35/11 B; Beschluss vom 18.01.2011 - B 4 AS 129/10 B; Beschluss vom 01.07.2010 - B 13 R 561/09 B) waren hier nicht ersichtlich. Hinzu kommt, dass vorliegend bei mehreren Jahren alten Verfahren der Anspruch eines Beteiligten auf Terminsverlegung mit dem Anspruch aller Beteiligten auf ein zügiges Verfahren (vgl. EGMR, Entscheidung vom 20.11.2007 - 31102/04; BVerfG, Beschluss vom 24.08.2010 - 1 BvR 331/10 und BSG, Beschluss vom 04.09.2007 - B 2 U 308/06 B), der zwischenzeitlich durch den Gesetzgeber auch in einer Änderung des § 198 GVG mit Einführung der sogenannten Verzögerungsrüge seinen Niederschlag gefunden hat, gegeneinander abzuwägen war. Das Gericht hat in Abwägung aller Umstände dem Recht auf ein zügiges Verfahren, insbesondere in Sozialhilfeangelegenheiten, einen absoluten Vorrang eingeräumt, zumal der Kläger vor dem angerufenen Gericht schon mehrmals die Möglichkeit auf ausführliche Darstellung aller seiner Rechtspositionen in mündlichen Verhandlungen hatte und gleichzeitig im anhängigen Verfahren schriftlich schon alle zu beachtenden Aspekte ausführlich dargestellt hat. Letztlich hat das Gericht den Kläger mit Verfügung vom 16.03.2012 nochmals auf die Möglichkeit einer Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hingewiesen; von dieser hat er keinen Gebrauch gemacht.

Aus denselben Gründen war der mit Telefax vom 27.03.2012 um 8:34 Uhr beim Sozialgericht eingegangene erneute Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit als offenbar missbräuchlich zurückzuweisen. Selbst wenn entgegen ernstzunehmender psychiatrischer Gutachten, die in den Verfahren und in der Verwaltungsakte vorliegen, zugunsten des Klägers und Antragsstellers davon ausgegangen werden könnte, dass für diese Anträge Zurechnungsfähigkeit und damit eine ernsthafte, rechtlich relevante Willensbetätigungsfähigkeit bestünde, war das Verfahren hier nicht zur erneuten Entscheidung über die Befangenheit auszusetzen. Der Kläger hat hier nämlich nur die Gründe wiederholt, die seinem Befangenheitsgesuch vom 17.03.2012 zugrunde lagen; dieses wurde mit Beschluss vom 22.03.2012 (S 4 SF 30/12 AB) zurückgewiesen. Eine Wiederholung dieser Gründe im neuen Befangenheitsantrag vom 27.03.2012 ist offensichtlich rechtsmissbräuchlich und zurückzuweisen (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, § 60 Rdn. 10d), hierüber konnte die Kammer deshalb im Urteil entscheiden.

Die jeweils form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, sachlich aber unbegründet. Zu Recht hat der Beklagte mit den angegriffenen Verwaltungsentscheidungen die Anträge des Klägers zurückgewiesen, denn dieser hat keinen Anspruch auf (weitere) Leistungen.

Grundsätzlich hat die Kammer erhebliche Zweifel, ob der Kläger zum leistungsberechtigten Personenkreis nach den Vorschriften der §§ 19, 41 SGB XII gehört, denn es steht letztlich nicht fest, dass der Kläger nicht über erhebliches Einkommen bzw. Vermögen verfügt, mit dem er seinen notwendigen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann. Dass er ursprünglich erhebliches Vermögen besaß, steht fest. Leistungsberechtigung wurde bisher nur angenommen, weil der Kläger bekundet hat, er habe dies in einer Spielbank verspielt (vgl. SG Gießen, Urteil vom 24. Januar 2006- S 20 SO 62/05). Allerdings hat er durch sein späteres tatsächliches Handeln erhebliche Zweifel an seiner Einkommens- und Vermögenslosigkeit begründet. So hat er sich nachweislich desöfteren Behandlungen in Privatkliniken unterzogen, bei denen kein dritter Kostenträger für die Maßnahmen nachgewiesen ist. Auch ist seine Medikamentenversorgung Streitgegenstand mehrerer vor dem erkennenden Gericht anhängiger Rechtsstreite, auch hier ist nicht nachgewiesen, mit welchen finanziellen Mitteln er sich diese verschafft hat; dasselbe gilt für zahlreiche andere Gegenstände des täglichen Lebens, deren Beschaffung erheblicher Barmittel bedarf, die nicht durch die tatsächlich vom Beklagten getätigten Geldleistungen nach dem SGB XII gedeckt sind. Der Beklagte ist deshalb aufgefordert, die Vermögenslosigkeit in einem Verwaltungsverfahren von Amts wegen unter Ausschöpfung aller Beweismittel nachzuprüfen. Soweit dies noch nicht geschehen ist, geht die Kammer unter Zurückstellung erheblicher Bedenken (noch) von einer grundsätzlichen Zugehörigkeit des Klägers zum Kreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB XII aus.

Unter der Annahme der grundsätzlichen Leistungsberechtigung des Klägers nach dem SGB XII besteht hier jedoch kein Anspruch auf Gewährung des von ihm geltend gemachten Mehrbedarfs in Höhe von 60,- Euro monatlich für eine kostenaufwendige Ernährung. Anspruchsgrundlage wäre hier § 30 SGB XII. Aus den im Verfahren beigezogenen Arztbriefen, insbesondere aus dem Befundbericht des Dr. C. vom 29.11.2007 ergibt sich nicht, dass eine besondere Kostform indiziert ist.

Das Gericht sieht im Übrigen generell bei Diabetes Mellitus Typ II, mit oder ohne Übergewicht, keinen besonderen ernährungsbedingten Mehrbedarf, denn die empfohlene Diabeteskost unterscheidet sich nicht von der Kostform, die generell als gesund angesehen wird. Auch Übergewicht ohne Begleiterkrankungen begründet allein ebenfalls keinen ernährungsbedingten Mehrbedarf, da eine einfache Reduktion der Kalorienzufuhr den Abbau einer Adipositas bewirkt. Dies ist auch dem Kläger bekannt, denn er hat schon mehrfach (aber nicht langfristig wirkend) erhebliche Gewichtsreduktionen durchführen können. Eine hierbei notwendige reduzierte Kalorienzufuhr ist auch im Rahmen einer sogenannten ausgewogenen Mischkost möglich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei insulinpflichtigen Diabetikern. Die Entscheidungen des Beklagten sind deshalb zu Recht ergangen, die Klage war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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