Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.07.2020 - 11 ZB 20.52
Fundstelle
openJur 2020, 49454
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins.

Durch eine Mitteilung der Kriminalpolizeiinspektion Ingolstadt erhielt die Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Neuburg-Schrobenhausen (im Folgenden: Landratsamt) Kenntnis von einer Durchsuchung der von der Klägerin, ihrem Ehemann und dem Sohn gemeinsam bewohnten Wohnung am 4. Juni 2019, bei der ca. 110 g Marihuana, 270 g Amphetamin, acht XTC-Tabletten und ein LSD-Trip aufgefunden wurden. Eine der Klägerin am 5. Juni 2019 entnommene Haarprobe ergab dem Gutachten der Forensisch Toxikologischen Centrum GmbH (FTC) vom 19. Juli 2019 zufolge in einem Abschnitt von 0 bis 3 cm (gemessen von der Kopfhaut an) 0,048 ng/mg Amphetamin, in einem Abschnitt von 3 bis 6 cm 0,078 ng/mg Amphetamin und in einem Abschnitt von 6 bis 12 cm 0,16 ng/mg Amphetamin. Die Haarprobennahme decke einen Zeitraum von etwa zwölf Monaten ab. In der Statistik der bisher positiven Fälle lägen die Konzentrationen im sehr niedrigen bis unteren 25%-Bereich, was für eine gelegentliche, u.U. auch einmalige Aufnahme spreche.

Das Landratsamt hörte die Klägerin daraufhin zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Hierzu ließ sie durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 5. September 2019 unter Vorlage eines ärztlichen Attests vortragen, sie leide an einer obstruktiven Atemwegserkrankung, die mit Salbutamol Spray behandelt werde. Die in der Haarprobe gefundene äußerst geringe Menge lasse sich mit der Einnahme dieses Medikaments erklären. Sie habe noch nie willentlich und wissentlich Drogen konsumiert.

Das hierzu vom Landratsamt angefragte FTC führte mit Schreiben vom 13. September 2019 aus, die Anwendung von Salbutamol sei nicht geeignet, die positiven Amphetaminbefunde in allen drei untersuchten Haarabschnitten zu erklären. Eine Bildung von Amphetamin lasse sich aus der molekularen Struktur von Salbutamol nicht ableiten und sei auch nicht beobachtet worden. Keiner der Bestandteile des in verschiedenen Zubereitungen verfügbaren Medikaments enthalte Amphetamin oder spalte Amphetamin ab.

Mit Bescheid vom 20. September 2019 entzog das Landratsamt der Klägerin die Fahrerlaubnis der Klasse B (einschließlich Unterklassen) und verpflichtete sie zur Abgabe des Führerscheins. Aufgrund der Einnahme von Amphetamin stehe ihre Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen fest.

Hiergegen ließ die Klägerin beim Verwaltungsgericht München Klage erheben und zur Begründung vortragen, die Haarprobe müsse fehlerhaft untersucht worden sein. Sie verabscheue Drogen und würde solche niemals zu sich nehmen.

In der mündlichen Verhandlung am 20. November 2019 wies der Vorsitzende darauf hin, seine Ermittlungen hätten ergeben, dass nicht nur in der Haarprobe der Klägerin, sondern auch in den Haarproben ihres Ehemanns und des Sohns Amphetaminrückstände gefunden worden seien und dass keine begründeten Anhaltspunkte für eine Verwechslung vorlägen. Die Klägerin äußerte auf Frage des Gerichts zu den Amphetaminfunden in der Wohnung, ihr Mann habe ihr mitgeteilt, es handele sich um weißes Pulver für sein Training. Sie habe bereits öfter Proteinpulver für ihn gekauft.

Mit Urteil vom 26. November 2019 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Den geltend gemachten unbewussten Konsum von Amphetamin habe die Klägerin nicht detailliert, in sich schlüssig und glaubhaft vorgetragen. Der nachvollziehbaren Stellungnahme des FTC, wonach die Einnahme von Salbutamol nicht zu Amphetaminrückständen in der Haarprobe führen könne, habe sie nichts entgegengesetzt. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Untersuchung oder Verwechslung der Haarprobe hätten sich nicht ergeben. Von einer Kontaktaufnahme über die Haut habe die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nichts berichtet.

Zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil, dem der Beklagte entgegentritt, lässt die Klägerin im Wesentlichen vortragen, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Die im Strafverfahren am 13. Januar 2020 rechtskräftig vom Vorwurf des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln freigesprochene Klägerin sei niemals wissentlich oder willentlich mit Drogen in Kontakt gekommen. Sie sei auch nicht an den Geschäften ihres Ehemanns beteiligt gewesen, in dessen Safe die Drogen gefunden worden seien, und habe davon auch keine Kenntnis gehabt. Sie habe gedacht, die im Gefrierfach gefundenen Amphetamine seien Proteinpulver, das ihr Mann gesondert habe kühlen wollen. Denkbar sei, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Nahrungsaufnahme versehentlich mit den Amphetaminen in Kontakt gekommen sei. Ihr Ehemann habe die Drogen auf dem Küchentisch verpackt. Bei der Hausdurchsuchung sei auf dem Küchentisch sogar ein Messer mit Drogenanhaftungen gefunden worden. Es sei daher zu vermuten, dass der Ehemann der Klägerin versehentlich nicht den kompletten Inhalt in die Tüten gepackt, sondern etwas davon auf dem Tisch verstreut habe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin diese Amphetaminreste bei der Essenszubereitung auf dem Küchentisch zu sich genommen habe. Wegen dieses seltenen und vom Verwaltungsgericht nicht abschließend geklärten Ausnahmefalls sei die Berufung auch wegen besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten zuzulassen. Schließlich habe die Rechtssache auch grundsätzliche Bedeutung hinsichtlich der Frage, ab wann eine Ausnahme des unwillentlichen Betäubungsmittelkonsums angenommen werden könne und müsse, der eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr rechtfertige.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils liegen (nur) vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - NVwZ 2016, 1243 Rn. 16; B.v. 18.6.2019 - 1 BvR 587.17 - VR 2019, 356 = juris Rn. 32 m.w.N.). Solche Zweifel ergeben sich aus der Antragsbegründung jedoch nicht.

a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2019 (BGBl I S. 846), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. Juli 2019 (BGBl I S. 1056), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Bedenken gegen die körperliche und geistige Fahreignung bestehen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV hinweisen. Wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht, unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens (§ 11 Abs. 7 FeV).

Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sog. harte Drogen wie Amphetamin konsumiert hat (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2020 - 11 ZB 20.1 - juris Rn. 12; B.v. 7.11.2019 - 11 ZB 19.1435 - juris Rn. 14).

Zwar setzt die eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln grundsätzlich einen willentlichen Konsum voraus. Die unbewusste Einnahme von Betäubungsmittel stellt jedoch nach allgemeiner Lebenserfahrung eine seltene Ausnahme dar. Daher muss, wer sich auf eine ausnahmsweise unbewusste Aufnahme eines Betäubungsmittels beruft, einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt und der damit auch zumindest teilweise der Nachprüfung zugänglich ist (stRspr, BayVGH, B.v. 13.2.2019 - 11 ZB 18.2577 - juris Rn. 18 m.w.N.).

b) Hiervon ausgehend begegnet das angefochtene Urteil, das einen detaillierten, in sich schlüssigen und glaubhaften Vortrag der Klägerin zum behaupteten unbewussten Konsum von Amphetamin verneint, keinen ernstlichen Zweifeln.

Bei der von der Klägerin nunmehr in den Raum gestellten Möglichkeit einer unbewussten Amphetaminaufnahme durch Rückstände auf dem Küchentisch handelt es sich um eine bloße spekulative Behauptung ohne nähere Konkretisierung, etwa durch eine eidesstattliche Versicherung ihres Ehemanns zu den genaueren Umständen der Verpackung des Amphetaminpulvers. Nachdem die Haarproben der Klägerin über einen Zeitraum von zwölf Monaten positive Amphetaminbefunde ergaben, wenn auch in einer niedrigen Konzentration, würde dies voraussetzen, dass es immer wieder zu derartigen Vorgängen gekommen ist. Dass die Klägerin gleichwohl über einen so langen Zeitraum von den Drogengeschäften ihres Ehemanns und der Verpackung auf dem Küchentisch nichts mitbekommen haben will, erscheint dann aber wenig glaubhaft. Außerdem ist ihre Einlassung, der positive Amphetaminbefund in ihren Haarproben sei möglicherweise auf eine unbewusste Aufnahme von Rückständen auf dem Küchentisch zurückzuführen, ihre vierte Erklärung für die angebliche Ursache, nachdem ihre ersten drei Einlassungen (Einnahme von Salbutamol, fehlerhafte Untersuchung der Haarprobe, Proteinpulver des Ehemanns) allesamt nicht zum Erfolg geführt haben. Eine solche mehrfach angepasste und nicht von Anfang durchgehende Einlassung stellt jedoch kein glaubhaftes Vorbringen zum angeblich unbewussten Betäubungsmittelkonsum dar.

Der Freispruch der Klägerin im Strafverfahren führt ebenfalls nicht dazu, dass zu ihren Gunsten von einer ausnahmsweise unbewussten Amphetaminaufnahme auszugehen wäre. Gegenstand des Strafverfahrens war eine Mittäterschaft oder Teilnahme am unerlaubten Handeltreiben ihres Ehemanns mit Betäubungsmitteln. Selbst wenn dies der Klägerin nicht nachgewiesen konnte und sie deshalb freizusprechen war, bedeutet dies nicht, dass sie nicht gleichwohl Amphetamin konsumiert hat.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Die Rechtssache weist hinsichtlich des Sachverhalts weder überdurchschnittliche und damit besondere tatsächliche Schwierigkeiten auf noch ließen sich hinsichtlich des unbewussten Betäubungsmittelkonsums in einem Berufungsverfahren fallübergreifende Fragen von allgemeiner Bedeutung klären. Vielmehr handelt es sich bei der Einschätzung, ob die dahingehende Einlassung des oder der Betroffenen hinreichend detailliert, in sich schlüssig und glaubhaft ist, stets um eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls, die nicht verallgemeinerungsfähig und auf andere Fallgestaltungen übertragbar ist.

3. Als unterlegene Rechtsmittelführerin hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes und der Empfehlung in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).