SG Köln, Beschluss vom 06.07.2020 - S 24 AL 336/20 ER
Fundstelle
openJur 2020, 48143
  • Rkr:
Tenor

Es wird festgestellt, dass der Widerspruch vom 16.06.2020 gegen den Bescheid vom 29.05.2020 aufschiebende Wirkung hat. Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, bei der Erteilung der Leistungsbescheide über Kurzarbeitergeld den Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 zugrunde zu legen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe

Die Antragstellerin, eine Fluggesellschaft, wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Anerkennung eines erheblichen Arbeitsausfalls und das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Kurzarbeitergeld für die Zeit vom 01.03.2020 bis 31.05.2020 aufgehoben wurde für die Zeit ab dem 01.03.2020. Zudem begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass die Antragsgegnerin aufgrund der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und gegebenenfalls einer späteren Anfechtungsklage verpflichtet ist, der Entscheidung über die Erteilung von Leistungsbescheiden über Kurzarbeitergeld für die Arbeitnehmer der Antragstellerin den Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 zugrunde zu legen, zudem anzuordnen, dass die Antragsgegnerin eine vorläufige Einstellung der Zahlung des Kurzarbeitergeldes aufgrund der auf Basis des Anerkennungsbescheides vom 01.04.2020 zu erteilenden Leistungsbescheide aufgrund des angeblichen Fehlens der betrieblichen Voraussetzungen zu unterlassen hat, hilfsweise festzustellen, dass aufgrund der von der Antragstellerin in den Anzeigen über Arbeitsausfall vom 31.03.2020 und im Rahmen des eingelegten Widerspruchs gegen den Bescheid vom 29.05.2020 vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen in der Zeit vom 01.04. bis zum 31.05.2020 ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt sind.

Am 11.03.2020 informierte die Antragstellerin die Antragsgegnerin über die mögliche Kurzarbeit am Stationierungsort in L/C. Es wurde geschildert, dass seit Februar 2020 die durch die Ausbreitung von Covid 19 ausgelöste und derzeit eskalierende globale Krise zu einem starken Rückgang des Geschäfts der Antragstellerin und der S-Gruppe in ganz Europa, auch an den deutschen Stationierungssorten, geführt habe als Folge der zunehmenden Beschränkungen für Flüge innerhalb Europas, wobei auch einige Länder wie derzeit Italien und Teile Spaniens "gesperrt" seien und andere Länder strenge Beschränkungen für den Flugverkehr erlassen hätten, einschließlich der Aussetzung von Flügen von und nach bestimmten Ländern. Sie habe in einigen der Märkte einen erheblichen Rückgang der Flugbuchungen hinnehmen müssen. Diese starke Verschlechterung des Geschäftsbetriebs habe direkte Auswirkungen auf die Beschäftigungslage mit einem erwarteten weiteren Rückgang der Flugaktivitäten innerhalb Deutschlands. Aufgrund der Ausbreitung von Covid 19 in Italien seien bereits inneritalienische Flüge seit dem 11.03.2020 und internationale Flüge aus und nach Italien ab dem 13.03.2020 ausgesetzt, was auch eine erheblichen Einfluss auf den Umfang der Flugaktivitäten an den deutschen Stationierungsorten haben werde. Es sei bislang noch nicht abschätzbar und werde derzeit noch geprüft, wie die europaweite und insbesondere auch innerdeutsche Ausbreitung des Virus den Flugbetrieb in Deutschland treffen werde und welche Folge dies für den Beschäftigungsbedarf und die Auslastung der Mitarbeiter in Deutschland haben werde. Es sei sicher, dass zeitnah auch in Deutschland die Anzahl der Flüge zurückgehen werde und es dementsprechend vorübergehend zu einem erheblichen Arbeitsausfall bei den in Deutschland stationierten Piloten und Flugbegleitern kommen werde. In jedem Fall sei davon auszugehen, dass auch am Stationierungsort am Flughafen L/C mehr als 10 % der Beschäftigten von einem Arbeitsausfall betroffen werden. Es werde bereits mitgeteilt, dass sie Kurzarbeit für die bzw. einen Teil am Stationierungsort L/C beschäftigten Piloten und Flugbegleitern einführen werde und entsprechend Kurzarbeitergeld beantragen werde, um den langfristigen Fortbestand der deutschen Stationierungssorte zu sichern und das Risiko von Arbeitsplatzverlusten zu verringern. Ein weiteres Schreiben ging am 12.03.2020 ein, mit dem darauf hingewiesen wurde, dass die Antragstellerin (Betriebsnummer 86216261) ein Unternehmen der S-Gruppe sei, das die deutschen Stationierungsorte bediene.

Am 31.03.2020 erfolgte die Anzeige des Arbeitsausfalls. Es wurde erneut darauf hingewiesen, dass Malta Air Limited ein Unternehmen der S-Gruppe sei. Bis zum 31.12.2019 sei der Flugbetrieb in Deutschland von der S durchgeführt worden, zum 01.01.2020 sei der Flugbetrieb in Deutschland vollständig auf die NBM übergegangen, sodass seit dem 01.01.2020 alle in Deutschland stationierten Piloten und Flugbegleiter bei der NBM angestellt seien. Es würden Haustarifverträge existieren. Zum einen sei ein Vergütungstarifvertrag und ein Tarifvertrag Sozialplan für die in Deutschland stationierten Piloten abgeschlossen worden, zum anderen sei für die in Deutschland stationierten Flugbegleiter ein Vergütungstarifvertrag, ein Interimsmanteltarifvertrag und ein Tarifvertrag Sozialplan abgeschlossen worden. Die bisherigen Tarifverträge Piloten und Flugbegleiter würden keine Kurzarbeitsklausel enthalten. Allerdings werde die Kurzarbeit gesondert auf tarifvertraglicher Basis eingeführt, aufgrund derer ab dem 19.03.2020 Kurzarbeit für die in Deutschland stationierten Besatzungsmitglieder unmittelbar eingeführt werde, und zwar im Umfang von 50 % vom 19.03. bis 23.03.2020 und im Umfang von 100 % vom 24.03.2020 bis zum 31.05.2020. Beigefügt war das Formular der Bundesagentur für Arbeit, unterzeichnet in N, und der Tarifvertrag zur Einführung von Kurzarbeit zwischen der Antragstellerin und der Gewerkschaft Verdi vom 31.03.2020. Nach einem Telefonat des Sachbearbeiters der Antragsgegnerin mit dem Bevollmächtigten der Antragstellerin erließ die Antragsgegnerin den Bescheid vom 01.04.2020, mit dem ausgeführt wurde, dass die vorgenommene Prüfung der Anzeige ergeben habe, dass aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliege und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt seien (§ 99 Abs. 3 SGB III i.V.m. §§ 95, 96 und 97 SGB III). Kurzarbeitergeld werde deshalb den vom Entgeltausfall betroffenen Arbeitnehmern des Betriebes der Antragstellerin für die Zeit ab dem 01.03.2020 für die Zeit des Vorliegens aller Anspruchsvoraussetzungen, längstens jedoch bis 31.05.2020 bewilligt, sofern die Arbeitnehmer die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen würden. Weitere Anzeigen über Arbeitsausfall waren zuvor bei der Agentur für Arbeit D, L2-N2 erfolgt, wobei dabei darauf hingewiesen wurde, dass für sämtliche Standorte nur eine Betriebsnummer existiere und der zugrundeliegende Betriebssitz in den Zuständigkeitsbereich der Agentur für Arbeit L falle.

In der Akte der Antragsgegnerin sind einzelne Gehaltsabrechnungen von Mitarbeitern der Antragstellerin, die die Höhe des zu bewilligenden Kurzarbeitergelds erfragten. Aus den Gehaltsabrechnungen ergibt sich, dass die Mitarbeiter der Antragstellerin sozialversicherungspflichtig und in Deutschland steuerpflichtig geführt wurden. Nach der April- und Mai- Abrechnung wurde Kurzarbeitergeld und Zuschuss zum Kurzarbeitergeld gezahlt.

Mit Bescheid vom 29.05.2020 hob die Antragsgegnerin die Entscheidung über die Gewährung von Kurzarbeitergeld mit Bescheid vom 01.04.2020 ab 01.03.2020 auf. Ausgeführt wurde, die Gewährung von Kurzarbeitergeld sei nur an Arbeitnehmer in Betrieben möglich, die ihren Betriebssitz im Geltungsbereich des SGB III, also in den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland. Der Betrieb sei der Antragsberechtigte. Dem Arbeitnehmer werde gesetzlich kein eigenständiges Recht zur Geltendmachung von Kurzarbeitergeldansprüchen eingeräumt. Deshalb hätten auch Home-Office-Mitarbeiter ausländischer Firmen, die in Deutschland keinen Betrieb unterhalten würden, keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld, selbst wenn diese nach deutschem Recht sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien. Aus den bisher von der Antragstellerin eingereichten Unterlagen und insbesondere der Anzeige über Arbeitsausfall sei nicht erkennbar gewesen, dass die Antragstellerin keinen Betrieb im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland habe. Die Entscheidung beruhe auf § 96 SGB III i.V.m. § 48 SGB X.

Am 16.06.2020 erhob die Antragstellerin Widerspruch. Dieser ist noch nicht beschieden.

Am 16.06.2020 hat sich die Antragstellerin an das Gericht gewandt. Vorgetragen wird, der Aufhebungsbescheid sei fehlerhaft und damit rechtswidrig, da die Antragstellerin sehr wohl über eine Betriebsabteilung im Sinne des § 97 SGB III in Deutschland verfüge, die Gewährung von Kurzarbeitergeld von den Voraussetzungen des Vorliegens eines Betriebs- bzw. einer Betriebsabteilung innerhalb des Geltungsbereichs des SGB III abhängig zu machen, ohne der in Deutschland bestehenden Sozialversicherungs- und Beitragspflicht irgendeine Bedeutung beizumessen sei verfassungs- und europarechtswidrig und die Aufhebung auf § 48 SGB X gestützt werde, der aber nicht einschlägig sei. Eine Anhörung sei vor Erlass des Bescheides vom 29.05.2020 nicht erfolgt.

Die Annahme der Antragsgegnerin, dass die Voraussetzungen des § 97 SGB III nicht erfüllt seien, sei falsch. Den Stationierungsorten der Antragstellerin seien jeweils Betriebsmittel durch das Management der Antragstellerin in N zum Zweck der Durchführung internationaler Flugaktivitäten an dem jeweiligen Stationierungsort zugeordnet: Derzeit seien an den einzelnen Stationierungssorten jeweils mehrere Flugzeuge stationiert:

L: fünf Flugzeuge G: neun Flugzeuge L3: Zwei Flugzeuge G-I: drei Flugzeuge N2: zwei Flugzeuge C-T: zehn Flugzeuge C-U: drei Flugzeuge. X: drei Flugzeuge.

Entsprechend seien zum Betrieb dieser Flugzeuge in L 59 Piloten und 64 Flugbegleiter eingesetzt, an den anderen Stationierungsorten weitere Mitarbeiter. Die Entscheidungen über die Allokation der Flugzeuge, Piloten und Flugbegleiter werde durch das Management in N auf Basis der unternehmerischen Notwendigkeiten getroffen. Der Antragstellerin stehe an den jeweiligen Standorten auch Räume zur Verfügung. In diesen Räumen würden sich Piloten und Flugbegleiter u.a. vor und nach einem Flug einfinden, um die Durchführung ihres konkreten Flugeinsatzes abzustimmen. Zudem würden die Räume den Beschäftigten an dem jeweiligen Standort zur Klärung und Vorbereitung sämtlicher anderer Arbeitsaufgaben zur Verfügung stehen. Es gebe dort Computerarbeitsplätze mit Drucker, an welchen die Beschäftigten ihre Dienstpläne, das Intranet und E-Mails einsehen und abrufen könnten sowie auf das interne Stafftravel-Portal zugreifen könnten. Es würden sich dort auch Fächer für die einzelnen Arbeitnehmer befinden, in denen sie z.B. Memos der Unternehmensleitung erhalten würden. Zudem habe der für den Stationierungsort zuständige Base Captain und der zuständige Base Supervisor in den Räumlichkeiten zusätzliche feste PC-Arbeitsplätze, um dort ihre Verwaltungstätigkeit zur erfüllen. Der Base Captain habe in der Regel einmal pro Woche, mindestens aber einmal pro Dienstplanzyklus (15 Tage) einen Bürotag, an dem er im Crew-Raum an dem jeweiligen Flughafen den Piloten als Ansprechpartner zur Verfügung stehe. Zudem würden sich auch Mitarbeiter in Standby, also diejenigen Mitarbeiter, die in Bereitschaft seien, in diesen Räumlichkeiten aufhalten. Dort würden auch Schulungen und Trainings durchgeführt. Allen im Flugbetrieb in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer werde ein fester Stationierungsort innerhalb Deutschlands zugewiesen, von dem aus sie ihren Arbeitstag antreten und im Regelfall auch wieder beenden würden. Allen an einem Stationierungsort zugewiesenen Piloten und Flugbegleitern sei der jeweilige Base Captain/Base Supervisor als Erstansprechpartner zugeordnet, der den Chefpiloten repräsentiere. Dieser sei in Malta stationiert und letztlich für die Aufrechterhaltung der Aufsicht und das Management aller Piloten und Flugbegleiter verantwortlich. Auf den weiteren Vortrag bezüglich der Organisation wird Bezug genommen. Zudem wird darauf hingewiesen, dass die Lohnabrechnung für alle in Deutschland stationierten Piloten und Flugbegleiter zentral in L durch das Unternehmen TLP GmbH erfolge. Die Selbstständigkeit der jeweiligen Standorte zeige sich nicht nur durch die räumliche Entfernung, sondern auch dadurch, dass sie jeweils eigenständigen wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt seien. Es werde nämlich jeweils ein eigenständiges Einzugsgebiet bedient. Werde der Antragstellerin nicht zeitnah das Kurzarbeitergeld bewilligt, sei ihre Liquidität gefährdet. Sie generiere aufgrund der Aussetzung ihres Flugbetriebes in Deutschland seit dem 17.03.2020 keinerlei Umsätze mehr, während sich die Kosten für ein Monatsgehalt der insgesamt 931 in Deutschland beschäftigten Piloten und Flugbegleitern auf 5.753.229,37 EUR zuzüglich Arbeitgebersozialversicherungsbeiträgen i.H.v. 603.862,24 EUR belaufe. Hinzu komme die Belastung durch weitere laufende Kosten, die trotz der Aussetzung des Flugverkehrs anfallen würden. Vor diesem Hintergrund würden derzeit auch Verhandlungen mit den Gewerkschaften Vereinigung Cockpit und Verdi erfolgen, um operative Lohnkosteneinsparungen zu realisieren. Dabei sei bislang die gemeinsame Grundlage gewesen, dass den in Deutschland beschäftigten Mitarbeitern Ansprüche auf Kurzarbeitergeld zustehe. Sei dies jedoch nicht der Fall, würde die derzeitige Grundlage für die laufenden Gespräche wegfallen und im Hinblick auf die aufgezeigten wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise stattdessen ein massiver Stellenabbau erforderlich werden. Beigefügt ist eine eidesstattliche Versicherung des Herrn I, Chief-Financial-Officer der NB.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen. Es liege kein Anordnungsanspruch vor. Anspruch auf Kurzarbeitergeld bestehe, zumindest nach derzeitiger Aktenlage, nicht. Die unterbliebene Anhörung werde im anhängigen Widerspruchsverfahren nachgeholt und der Antragstellerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Betriebssitz der Antragstellerin befinde sich in N. Die Anzeige von Arbeitsausfall vom 31.03.2020 sei in N unterzeichnet, der Tarifvertrag über die Einführung von Kurzarbeitergeld von T D, Head of HR, unterzeichnet. Entgegen der Auffassung der Bevollmächtigten würden die Standorte nicht über eine eigenständige Leitung mit personalrechtlichen Befugnissen im Rahmen der Arbeitsgeberfunktion verfügen. Die dargestellten Funktionen der Base Captains bzw. Base Supervisors hätten den Charakter eines Bindegliedes zwischen dem Management in Malta und dem Mitarbeitern vor Ort. Es würden lediglich die Entscheidungen des Managements ausgeführt. Auch ein Anordnungsgrund liege nicht vor. Die Bewilligung von Kurzarbeitergeld erfolge in einem zweistufigen Verfahren. Nach der grundsätzlichen Feststellung der betrieblichen Voraussetzungen werde Kurzarbeitergeld auf Antrag und nach Vorlage der Abrechnungslisten für die jeweils abgelaufenen Monate vorläufig nach § 328 SGB III bewilligt. Eine endgültige Festsetzung des Kurzarbeitergeldes erfolge erst nach Betriebsprüfungen. Eventuelle Überzahlungen seien auf den Anspruch gemäß § 328 SGB III anzurechnen. Die Antragstellerin könne zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht damit rechnen, Kurzarbeitergeld in dem von ihr kalkulierten Umfang zu erhalten.

Das Sozialgericht L ist vorliegend zuständig. Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG ist örtlich zuständig das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat. Nach Abs. 3 des § 57 SGG ist örtlich zuständig das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz oder Wohnsitz hat, wenn der Kläger seinen Sitz oder Wohnsitz im Ausland hat. Der Sitz der Antragstellerin ist in N, sodass grundsätzlich der Sitz der Antragsgegnerin in O zugrunde zu legen wäre. In § 369 SGB III ist jedoch geregelt, dass die Klage auch bei dem Gericht erhoben werden kann, in dessen Bezirk die Regionaldirektion oder die Agentur für Arbeit ihren Sitz hat, wenn die Klage gegen die Bundesagentur Bezug auf den Aufgabenbereich einer Regionaldirektion oder einer Agentur für Arbeit hat. Vorliegend hat die Agentur für Arbeit L den Bescheid vom 01.04.2020 und den Bescheid vom 29.05.2020 erlassen, sodass der Bezug auf den Aufgabenbereich einer Agentur für Arbeit gegeben ist. Die Antragstellerin hat insoweit durch Anrufung des Sozialgerichts L ihr Wahlrecht ausgeübt.

Das Eilverfahren hat vorliegend im Wesentlichen Erfolg. Die Antragstellerin wendet sich gegen den Bescheid vom 29.05.2020, sodass im Hauptsacheverfahren die Anfechtungsklage zu erheben wäre. Der Antragstellerin wurde mit Bescheid vom 29.05.2020 die Anerkennung mit Bescheid vom 01.04.2020 entzogen, es handelt sich insoweit um einen belastenden Verwaltungsakt. Der Widerspruch gegen diesen Verwaltungsakt hat aufschiebende Wirkung.

Nach § 86 a Abs. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Dies gilt auch bei rechtsgestaltenden oder feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung (Abs. 1). Die aufschiebende Wirkung entfällt in den Fällen des § 336 a SGB III, die hier nicht vorliegen, und in Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen.

Fraglich ist, ob hier eine Leistung entzogen wurde, da eine Bewilligung von konkreten Leistungen erst in einem zweiten Schritt erfolgen wird. Insoweit käme eine analoge Anwendung des § 86 a Abs. 2 SGG in Betracht. Unter Entziehung ist jedoch nach herrschender Meinung die Aufhebung des früheren Bescheides für die Zukunft gemeint, unter § 86 a Abs. 2 Nr. 2 SGG fällt schon nach dem Wortlaut nicht die Aufhebung für die Vergangenheit, die hier jedoch erfolgte. Der Widerspruch und die eventuell erforderliche Klage der Antragstellerin haben damit nach § 86 a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung.

Vorliegend ist daneben der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig, und auch begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Können ohne den vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbaren Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen.

Zwar hat vorliegend der Widerspruch der Antragstellerin aufschiebende Wirkung, sodass es grundsätzlich (zunächst) bei der Anerkennung mit Bescheid vom 01.04.2020 verbleibt, und zwar auch dann, wenn eine Klage gegen einen negativen Widerspruchsbescheid erfolgen würde.

Vorliegend besteht jedoch ein Anspruch der Antragstellerin auf eine gerichtliche Entscheidung, ob die Antragsgegnerin den Bescheid vom 01.04.2020 zu Recht aufgehoben hat mit Bescheid vom 29.05.2020, da nur dann in absehbarer Zeit Leistungen der Antragsgegnerin erfolgen werden. Es besteht insoweit ein Interesse der Antragstellerin auf Feststellung, dass der Bescheid vom 01.04.2020 künftig den Leistungsbescheiden zugrunde zu legen ist. Insoweit ist auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, dass die Bewilligung von Kurzarbeitergeld zunächst vorläufig erfolge und erst nach Betriebsprüfung eine endgültige Festsetzung erfolge, spricht dies nicht gegen die Annahme eines Anordnungsgrundes. Zwar kann die Antragstellerin nicht unbedingt damit rechnen, Kurzarbeitergeld in einer bestimmten Höhe zu erhalten, es besteht jedoch ein Feststellungsinteresse und auch ein Anordnungsgrund hinsichtlich der Frage, ob der Antragstellerin bzw. deren Mitarbeitern überhaupt Kurzarbeitergeld zusteht. Die Antragstellerin hat darauf hingewiesen, dass sie sich ohne die Gewährung von Kurzarbeitergeld gezwungen sehe, in erheblichem Maße in Deutschland Personal abzubauen, gegebenenfalls seine Standorte in Deutschland einzustellen. Je länger mit dieser Entscheidung zugewartet werde, desto wahrscheinlicher werde aufgrund der auflaufenden Personalkosten, dass die Liquidität der Antragstellerin insgesamt aufgezehrt werde. Sollte Kurzarbeitergeld nicht kurzfristig gewährt werden, sehe sich die Antragstellerin gezwungen, allein aufgrund des Zeitablaufs einen massiven Stellenabbau in Deutschland vorzunehmen. Hinzu komme, dass sie ein immenses Interesse an einer rechtssicheren Planungsgrundlage hinsichtlich der Gewährung von Kurzarbeitergeld habe, da die derzeitigen Verhandlungen mit den Gewerkschaften Vereinigung Cockpit und Verdi zur Restrukturierung des deutschen Geschäfts bislang auf der Grundlage geführt werde, dass in Deutschland Kurzarbeitergeld für die Beschäftigten gewährt werde. Sei dies nicht der Fall, würde die derzeitige Grundlage für die derzeit laufenden Gespräche wegfallen und im Zweifel stattdessen ein massiver Stellenabbau erforderlich werden. Insoweit sei zumindest eine summarische gerichtliche Entscheidung erforderlich, um für die zwingend erforderlichen Verhandlungsergebnisse ein Grundmaß an Rechtssicherheit zu haben.

Mit diesem nachvollziehbaren Vortrag hat die Antragstellerin ein Feststellungsinteresse und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Zweck des Kurzarbeitergeldes ist, dass es kurzfristig Arbeitsplätze sichern soll, dass ein Arbeitsausfall nicht zur Kündigung der betroffenen Mitarbeiter führt. Die Sicherung der Arbeitsplätze ist jedoch nur möglich, wenn schnell Klarheit besteht, ob Kurzarbeitergeld auch tatsächlich bewilligt und ausgezahlt wird. Dementsprechend hat die Bundesagentur nach § 99 Abs. 3 SGB III unverzüglich dem die Kurzarbeit Anzeigenden einen schriftlichen Bescheid zu erteilen, ob aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind. Nur bei einer Planungssicherheit durch eine schnelle Entscheidung kann das Instrument des Kurzarbeitergeldes seine Wirkung entfalten und Arbeitsplätze sichern. Angesichts der Zahl der bei der Antragstellerin in Deutschland beschäftigten Mitarbeiter ist es glaubhaft, dass die Frage der Bewilligung von Kurzarbeitergeld für diese eine wesentliche Rolle spielt.

Der Bescheid vom 01.04.2020 ist der Erteilung von Leistungsbescheiden zugrunde zu legen, da der Bescheid vom 29.05.2020 rechtswidrig ist. Der Bescheid ist bereits deshalb rechtswidrig, da die Voraussetzungen für eine Aufhebung für die Vergangenheit nicht vorliegen.

Rechtsgrundlage für eine Aufhebung kann vorliegend nur § 45 SGB X, nicht aber der angeführte § 48 SGB X sein. Seit Erteilung des Bescheides vom 01.04.2020 sind keine wesentlichen Änderungen eingetreten. Die Antragsgegnerin ist vielmehr der Ansicht, der Bescheid hätte von Anfang an nicht erteilt werden dürfen, entsprechend wurde der Bescheid vom 01.04.2020 mit Wirkung ab dem 01.03.2020 aufgehoben.

Nach § 45 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, der rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2-4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 01.04.2020 für die Vergangenheit, aber auch für die Zukunft, sind nicht erfüllt. Dahinstehen kann im Ergebnis, ob die Anerkennung mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 97 SGB III, rechtswidrig war, wobei vieles dafür spricht, dass die Antragstellerin in Deutschland eine Betriebsabteilung hat.

Die Antragstellerin hat bei ihrer Antragstellung alle Angaben wahrheitsgemäß gemacht. Es führten keine neuen Tatsachen zur Erteilung des Bescheides vom 29.05.2020. Die Anzeige über Arbeitsausfall wurde in N unterzeichnet, ebenso der Tarifvertrag zur Einführung von Kurzarbeit mit der Gewerkschaft Verdi, der bei der Anzeige vorgelegt wurde. Es wurde die Adresse der Lohnabrechnungsstelle angegeben, was aus dem Antrag ersichtlich war. Aus dem beigefügten und vorherigen Schreiben der Antragstellerin wusste die Antragsgegnerin, dass es sich bei der Antragstellerin um ein Unternehmen der S-Gruppe handelte und dass ab 01.01.2020 der Flugbetrieb vollständig auf die NBM übergegangen war, dass alle in Deutschland stationierten Piloten und Flugbegleiter bei der NBM angestellt sind. Bereits die eingereichten Unterlagen und Erläuterungen der Antragstellerin hätten bei Zweifeln am Bestehen einer Betriebsabteilung Anlass gegeben, hinsichtlich der Organisation der Antragstellerin nachzufragen. Arglistige Täuschung seitens der Antragstellerin kann keineswegs festgestellt werden, aber auch keine in wesentlicher Beziehung vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben. Die Antragsgegnerin hat die Angaben der Antragstellerin als ausreichend gesehen und nicht in Frage gestellt, ob oder dass diese eine Betriebsabteilung in Deutschland hat. Angesichts des Unterlassens jeglicher Nachfrage seitens der Antragstellerin, wozu diese bereits nach Erhalt der Schreiben vom 11.03. und 12.03.2020 Gelegenheit gehabt hätte, kann auch nicht von einem Kennen oder Wissen müssen der rechtswidrigen Bewilligung seitens der Antragstellerin ausgegangen werden, zumal vor Erlass des Bescheides vom 01.04.2020 ein Telefonat des zuständigen Sachbearbeiters mit dem Bevollmächtigten der Antragstellerin stattfand.

Der Umstand, ob eine Betriebsabteilung in L oder an anderen Orten in Deutschland bestand, insbesondere die Frage, wie die Betriebsorganisation der Antragstellerin zu bewerten ist, wurden seitens der Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt geprüft oder gar problematisiert. Die Antragstellerin, die alle geforderten Angaben wahrheitsgemäß gemacht hat, möglicherweise eine rechtlich falsche Bewertung ihrer Betriebsorganisation vorgenommen hat, musste nicht wissen, dass diese falsch war. Dies gilt umso mehr, als angesichts des Bestehens einer Betriebsnummer, der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen der Beschäftigten in Deutschland, der Abführung der Steuern der Beschäftigten in Deutschland und des Bestehens sonstiger Einrichtungen an den Flughäfen, insbesondere der Stationierung der Flugzeuge an den verschiedenen Flughäfen, der Einteilung des Personals, einschließlich An- und Abmeldung zum Dienst, die Berechtigung zur Abmahnung an den Standorten u.s.w., dass Nichtbestehen einer Betriebsabteilung eher fraglich erscheint. Die Antragstellerin war insoweit jedenfalls gutgläubig. Der in der nachgeholten Anhörung erhobene Vorwurf, dass der Antragstellerin bekannt sein musste, dass die Bewilligung fehlerhaft war, da die Standorte in Deutschland nicht die Kriterien eines Betriebes im Sinne des § 97 SGB III erfüllen, trifft insoweit nicht zu.

Würde man vorliegend davon ausgehen, dass vorliegend eine Aufhebung des Bescheides vom 01.04.2020 für die Zukunft erfolgen muss, da aus dem Bescheid vom 01.04.2020 noch keine Leistungen geflossen sind, wird darauf hingewiesen, dass auch die Voraussetzungen für eine Aufhebung für die Zukunft nicht erfüllt sind. Die Aufhebung der Anerkennung der Voraussetzungen für die Bewilligung von Kurzarbeitergeld bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen der betroffenen Arbeitnehmer scheitert daran, dass die Antragstellerin auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, u.a. Kurzarbeitergeld ausgezahlt hat, auch wenn die Berechnung zum Teil streitig war, wie Anfragen betroffener Arbeitnehmer zeigen. Die Antragstellerin hat die Anerkennung ihrer Unternehmenspolitik zugrunde gelegt, eine zwischenzeitliche Änderung war nicht möglich, da eine Aufhebung erst mit Bescheid vom 29.05.2020 erfolgte, der nach § 37 Abs. 2 SGB X erst am 01.06. 2020 zugestellt gilt, also nach dem Zeitraum, für den die Anerkennung erfolgte.

Die weiteren Anträge der Antragstellerin werden abgelehnt, da nach der Entscheidung des Gerichts für diese ein Rechtsschutzbedürfnis nicht mehr besteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus 193 SGG. Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Antragstellerin zu tragen, weil diese wesentlich Erfolg hatte. Ein Streitwert ist vorliegend nicht festzusetzen (Urteil des BSG vom 21.07.2009, B 7 AL 3/08 R).

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