VG Magdeburg, Urteil vom 13.11.2019 - 9 A 281/18 MD
Fundstelle
openJur 2020, 45939
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird unter insoweitiger Aufhebung des Bescheides vom 18.09.2018 verpflichtet, festzustellen, dass in der Person der Klägerin ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG bezüglich Griechenlands vorliegt.

Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot bezüglich Griechenlands festzustellen.

Die Klägerin ist syrische Staatsangehörige. Sie reiste über Griechenland kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 06.09.2018 einen Asylantrag.

Zuvor hatte sie bereits in Griechenland einen Asylantrag gestellt und erhielt dort die Zuerkennung internationalen Schutzes. Dort war sie zunächst im Flüchtlingscamp Moria, und später in Athen in einem Schulgebäude untergebracht.

Die Klägerin hat in Syrien die Schule bis zur 6. Klasse besucht.

Mit Bescheid vom 18.09.2019, welchen die Klägerin am 01.10.2018 erhielt, lehnte die Beklagte den Antrag wegen des der Klägerin bereits in Griechenland gewährten internationalen Schutzes als unzulässig ab (Ziffer 1). Sie stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihr die Abschiebung nach Griechenland oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Die Beklagte stellte zudem fest, dass die Klägerin nicht nach Syrien abgeschoben werden darf (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. (Ziffer 4) Die Rechtsbehelfsbelehrung sah eine Klagefrist von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheids vor.

Zur Begründung führt die Beklagte im Bescheid aus, dass ein Abschiebungsverbot nicht vorliege. Eine Verletzung von Art. 3 EMRK sei durch eine Abschiebung nach Griechenland aufgrund der derzeitigen dortigen humanitären Bedingungen nicht gegeben. Es würden dort keine handgreiflich eklatanten Missstände herrschen, die den Schluss zuließen, anerkannte Schutzberechtigten würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt. Griechenland stelle anerkannte Schutzberechtigte gesetzlich der einheimischen Bevölkerung gleich. Durch die eingeholte Zusicherung Griechenlands, den Schutzberechtigten alle Rechte gemäß der Qualifikationsrichtlinie auch unter Berücksichtigung des Art. 3 EMRK zu gewähren, werde die erforderliche Vergewisserung bezüglich des Zugangs zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Anlagen nach Rückkehr erfüllt.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 09.10.2018 Klage erhoben.

Die Klägerin hat zunächst beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung von Ziffer 2, Ziffer 3 S. 1 bis 3 und Ziffer 4 des Bescheids ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG bezüglich Griechenlands festzustellen.

Mit bei Gericht am 14.10.2019 eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin die Klage zurückgenommen, soweit sie auf die Aufhebung von S. 1 und S. 3 der Ziffer 3 des Bescheides gerichtet war.

Sie beantragt nunmehr,

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung von Ziffer 2, Ziffer 3 S. 2 und Ziffer 4 des Bescheids ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG bezüglich Griechenlands festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.

Mit Beschluss vom 16.09.2019 hat die Kammer der Berichterstatterin das Verfahren zur Entscheidung als Einzelrichterin nach § 76 Abs. 1 AsylG übertragen.

Mit Beschluss vom 09.10.2019 hat das Gericht der Klägerin für das Verfahren des ersten Rechtszuges Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten gewährt, soweit sie die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots bezüglich Griechenland nach § 60 Abs. 5 AufenthG unter Aufhebung von Ziffer 2, Ziffer 3 S. 2 und Ziffer 4 des Bescheides vom 18.09.2018 begehrt. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 30.09.2019 auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Die Klägerin hat sich mit Schriftsatz vom 11.10.2019 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges Bezug genommen. Diese sowie die mit gerichtlicher Verfügung vom 28.10.2019 in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel zu Griechenland waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Gründe

I.

Das Verfahren war gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat.

Die Klage, über die das Gericht gemäß § 76 Abs. 1 AsylG durch die Einzelrichterin sowie gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig und begründet.

Der Bescheid ist im Hinblick auf die in Ziffer 2 getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vorliegen, sowie im Hinblick auf Ziffer 3 S. 2 und Ziffer 4 rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten. (§ 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 VwGO)

1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG.

Nach der maßgeblichen gegenwärtigen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist die Beklagte gehalten, das Bestehen eines Abschiebungsverbots zugunsten der Klägerin bezüglich Griechenlands gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Die Anspruchsgrundlage hierfür ist § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG. Hiernach ist in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen.

a. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt bezüglich Griechenlands vor.

Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK, BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 i. V. m. den Bestimmungen der EMRK liegt vor, wenn der Abschiebung ein Hindernis entgegensteht, das sich aus einem Schutztatbestand dieser Konvention ergibt. Dabei handelt es sich um Rechtsgutsgefährdungen, die in dem für die Abschiebung in Betracht kommenden Zielstaat drohen. Nach Artikel 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung unterworfen werden.

Handelt es sich bei dem Zielstaat um einen Konventionsstaat sind an die Feststellung eines Abschiebungshindernisses besondere Anforderungen zu stellen. Denn wegen des insoweit geltenden Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens hat jeder Mitgliedstaat - abgesehen von außergewöhnlichen Umständen - davon auszugehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und die europarechtlich implementierten und dort anerkannten Grundrechte beachten. Folglich gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Wertesystems die Vermutung, dass die Behandlung von Drittstaatsangehörigen in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - sowie der EMRK steht. Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich, jedoch ist die Widerlegung dieser Vermutung wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Wertesystems an hohe Hürden geknüpft. Daher steht nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen die Regeln für das gemeinsame Wertesystem der Abschiebung auch von Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaat entgegen. Dies wäre mit den Zielen und dem System der Verordnung (EU) 604/2013 unvereinbar (vgl. EuGH, Urteile vom 21. 12.2011 - C-411/10 u.a. (N.S. u.a.) - sowie vom 19.03.2019 - C-163/17 (Jawo) - und - C-297/17 u.a. (Ibrahim u.a.) -; alle juris), zumal es sich bei Art. 3 EMRK im Kern um ein Abwehrrecht gegen unwürdiges Staatsverhalten im Sinne eines strukturellen Versagens bei dem durch den Mitgliedsstaat zu gewährenden Existenzgrundlagen und nicht um ein individuelles Leistungsrecht der einzelnen Person auf bestimmte Staatsleistungen handelt (vgl. OVG Lüneburg, U. v. 29.01.2018 - 10 LB 82/17 - juris).

Das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung in Art. 4 GRCh ist entsprechend Art. 52 Abs. 3 GrCh unter Berücksichtigung von Art. 3 EMRK und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auszulegen (vgl. EuGH, U. v. 16.02.2017 - C-578/16 PPU (C.K. u.a.) -, juris).

Art. 4 GrCh steht der Abschiebung einer Person, der internationaler Schutz gewährt worden ist, in einen anderen Mitgliedstaat entgegen, sofern im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte festzustellen ist, dass sie in diesem Mitgliedstaat einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren.

Dies gilt aufgrund des allgemeinen und absoluten Charakters des Art. 4 GrCh in allen Situationen, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass eine Person infolge ihres Aufenthaltes in dem Mitgliedsstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfährt. Dementsprechend ist es für die Anwendung des Art. 4 GrCh unerheblich, ob systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen des Asylsystems in dem anderen Mitgliedstaat vorliegen oder ob es unabhängig vom Vorliegen solcher Schwachstellen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommt.

Ein Verstoß gegen Art. 4 GrCh liegt aber nur dann vor, wenn die drohende Behandlung eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht, die von sämtlichen Umständen des Einzelfalles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle ist vor dem Hintergrund der auch international als schutzberechtigt anerkannten Personen abzuverlangenden Eigeninitiative (vgl. OVG LSA, B. v. 31.08.2016 - 3 L 94/16 -, juris) grundsätzlich erst dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden ("Fehlen von Bett, Brot, Seife") und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. BVerwG, U. v. 08.08.2018 - 1 B 25718 -; VGH Baden-Württemberg, U. v. 29.07.2019 - A 4 S 749/19 -, beide juris). Bereits ein relativ kurzer Zeitraum, während dessen sich eine Person in einer Situation extremer materieller Not befindet, reicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 4 GrCh zu begründen. Dabei ist auch zu beachten, dass den Rechten, die die Richtlinie2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 einräumen, die tatsächlichen Wirkungen genommen würden, wenn sie selbst während einer relativ kurzen Zeitspanne nicht mit einer Befriedigung ihrer elementarsten Bedürfnisse einhergingen.

Aus diesem Grunde reichen allein große Armut, eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse oder der Umstand, dass im abschiebende Mitgliedstaat höhere Sozialleistungen gewährt werden und/oder dort die Lebensverhältnisse günstiger sind als in dem Zielstaat der Abschiebung, allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 4 GrCh zu begründen. Dasselbe gilt für Mängel bei der Integration von anerkannten Schutzbedürftigen und den Umstand, dass Personen, die internationalen Schutz gewährt bekommen haben, in dem Mitgliedstaat anders als Einheimische in der Regel über familiäre Verbindungen nicht verfügen (vgl. EuGH, Urteile v. 19.03.2019, a. a. O.).

Bei der Frage, wann die oben aufgezeigte Schwelle erreicht ist, ist deshalb zwingend auch auf persönliche Umstände abzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich auch bei anerkannt Schutzberechtigten um eine Gruppe handelt, die zumindest in einer Übergangszeit auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Gleiches gilt für vulnerable Personen im Sinne von Art. 20 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie, weshalb die oben aufgezeigte Erheblichkeitsschwelle bereits früher erreicht sein kann, da ihren Bedürfnissen in besonderer Weise Rechnung zu tragen ist (vgl. BVerfG, B. v. 29.08. 2017 - 2 BvR863/17 -, juris). Dies liegt darin begründet, dass die Frage, ob eine Behandlung als unmenschlich oder erniedrigend und damit als gegen Art. 4 GrCh verstoßend einzustufen ist, von sämtlichen Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie in einigen Fällen auch vom Geschlecht, dem Alter und dem Gesundheitszustand der betroffenen Person abhängt (vgl. EGMR, U. v. 28.02.2008 - 37201/06 (Saadi/ Italien) -; v. 28.06.2011 - 8319/07 u.a. (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich) - sowie v. 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, alle juris).

Einer drohenden Verletzung von Art. 4 GRCh kann im konkreten Einzelfall dadurch vorgebeugt werden, dass der abschiebende Staat die Überstellung im Zusammenwirken mit dem anderen Mitgliedstaat so organisiert, dass eine solche Verletzung nicht eintreten kann. Es kann daher sowohl verfassungsrechtlich als auch konventionsrechtlich geboten sein, dass sich die zuständigen Behörden und Gerichte vor einer Abschiebung in den Drittstaat über die dortigen Verhältnisse informieren und gegebenenfalls Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen (vgl. EGMR, U. v. 21.01.2011, a. O. sowie v. 04.11.2014, a. a. O.; BVerfG, B. v. 17.04.2015 - 2 BvR 602/15 - sowie v.08.05.2017 - 2 BvR 157/17 -; beide juris).

Bei der Feststellung, ob einem anerkannt Schutzberechtigten in einem Mitgliedstaat eine Art. 4 GRCh widersprechende Behandlung droht, haben die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung dem hohen Wert des Rechts auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG Rechnung zu tragen. In Fällen, in denen es um die Beurteilung der Existenzbedingungen in einem Drittstaat als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die gerichtliche Beurteilung möglicherweise gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh verstoßender Lebensbedingungen muss daher, jedenfalls wenn diese ernsthaft zweifelhaft sind, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage, die zudem stetig zu aktualisieren ist, erfolgen (vgl. BVerfG, B. v. 08.05.2017, a. a. O.; v. 25.04.2018 - 2 BvR 2435/17 - sowie 31.07.2018 - 2 BvR 714/18 -, beide juris).

Vor diesem Hintergrund ist eine aktuelle Gesamtwürdigung der zur jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen geboten, wobei regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, B. v. 21.04.2016 - 2 BvR 273/16 -, juris). Das gilt insbesondere für die Stellungnahmen des UNHCR angesichts der Rolle, die diesem in Hinblick auf die Überwachung der Einhaltung der GFK (vgl. dort Art. 35) übertragen worden ist (vgl. EuGH, U. v. 30.05.2013 - C-528/11 -, juris)

a. Nach den dargestellten Maßstäben droht der Klägerin bei einer Abschiebung nach Griechenland zur Überzeugung des Gerichts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche Behandlung. Denn ihr droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit (vgl. u.a. auch: VG Berlin, B. v. 12.06.2018 - 23 L 287.18 A -; VG Bremen, B. v. 28.05.2018 - 5 V 813/18 -, VG Magdeburg, U. v. 26.04.2018 - 8 A 101/18 -, alle juris).

aa. Das Gericht hat bereits mit Urteil vom 23.10.2017 (Az. 9 A 113/17 MD) unter Berücksichtigung der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnismittel das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG im Hinblick auf Griechenland für einen Schutzstatusinhaber bejaht und hierzu ausgeführt:

"Das Gericht hält es unter Beachtung dieser Vorgaben für hinreichend wahrscheinlich, dass die allgemeinen Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge in Griechenland einen solchen Ausnahmefall zu begründen vermögen. Dieser Bewertung liegen neben der einzig auffindbaren aktuellen Quelle zu den Lebensbedingungen der Inhaber eines internationalen Schutzstatus in Griechenland vom 23.06.2017 (Stiftung Pro Asyl & RSA: Legal Note on the living conditions of beneficiaries of international protection in Greece, abrufbar unter: https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/2017-07-28-Legal- note-RSA-BR-final.pdf) Bewertungen zu den allgemeinen Lebensumständen in dem Mitgliedsstaat zugrunde (...).

Den rechtlichen Hinweisen ("legal note") der griechischen Refugee Support Aegean (RSA) ist zu entnehmen, dass die aktuellen Lebensbedingungen der Schutzstatusinhaber in Griechenland alarmierend seien, neben den fehlenden Integrationsperspektiven gestalte es sich für diese bereits als schwierig, ihr bloßes Überleben zu sichern. Die Schutzstatusinhaber würden unter der bereits existierenden Systemlücke des Sozialhilfesystems in Griechenland ebenso leiden wie unter der Verschlechterung dieses Systems infolge der Finanzkrise und der Einsparmaßnahmen im Land. So habe das Griechische Nationalkomitee für Menschenrechte 2017 festgestellt, dass drastische Einschnitte in den Sozialausgaben den Sozialstaat zerstört und die Lebensbedingungen im Land derart verschlimmert hätten, dass es zur Verarmung und Verelendung eines steigenden Anteils der Bevölkerung gekommen sei, was insbesondere für die Randgruppen gelte (vgl. S. 3 m. w. N.). Zwar habe die griechische Regierung die Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU betreffend die sozialen Rechte Schutzsuchender in nationales Recht umgesetzt; die Praxis betreffend den Zugang und die Ausübung gestalte sich tatsächlich hingegen als sehr schwierig bis hin zur Unmöglichkeit (vgl. S. 8, 10). So sei es für den Zugang zu einer Unterkunft, Arbeit, Bildung, sozialer Unterstützung und medizinischer Behandlung erforderlich, eine Steuernummer zu haben und eine Steuererklärung abzugeben. Hierfür seien die Angabe einer Anschrift und die Vorlage eines Mietvertrages oder einer Wohnbestätigung oder einer Obdachlosigkeitsbescheinigung erforderlich; die griechischen Behörden würden diese Bescheinigungen aber ebenso wenig ausstellen wie z. B. Geburtsurkunden, Familienurkunden etc. Auch die Eröffnung eines Bankkontos, welches notwendige Voraussetzung für den Zugang zu Sozialleistungen und Arbeit sei oft nicht machbar, weil die Betreffenden die notwendigen Dokumente wie Steuererklärung, Wohnbescheinigung etc. nicht vorlegen könnten (vgl. S. 12 f.). Soweit das Gesetz den Schutzstatusinhabern gesetzlich denselben Anspruch wie anderen Drittstaatenangehörigen betreffend den Zugang zu Unterkunft gewährt, sei der Zugang tatsächlich erschwert. Die vom Nationalen Zentrum für soziale Solidarität sowie dem UNHCR vorgehaltenen sowie in den 30 Übergangsunterkünften zur Verfügung stehenden Plätze seien nicht für Schutzstatusinhaber vorgesehen, auch wenn sie in der Praxis jedenfalls inoffiziell zum Teil nach ihrer Anerkennung vorübergehend dort wohnen bleiben können; dies gelte aber nicht für Rückkehrer aus anderen EU-Staaten (vgl. S. 13 f.). Die Möglichkeit, in griechischen Obdachlosenunterkünften unterzukommen, stelle sich ebenfalls als quasi nicht möglich dar, denn deren Kapazitäten seien unzureichend und es gäbe Wartelisten; die vom Roten Kreuz betriebenen Einrichtungen seien zudem nur denjenigen vorbehalten, die bereits seit mehreren Jahren in Griechenland leben und sämtliche Grundvoraussetzungen der sozialen und beruflichen Integration erfüllen (S. 15). Die Quote der Obdachlosen und derjenigen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, sei in Griechenland mangels eines entsprechenden staatlichen Unterstützungssystems für vulnerable Gruppen und Obdachlose signifikant angestiegen, laut NGOs würden rund 17.000 Menschen in der Attica-Region ohne Obdach sein. Den so Betroffenen sei damit auch der Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen im Übrigen abgeschnitten, denn es gäbe kein staatliches System der Registrierung solcher Personen und die örtlichen Sozialstellen würden die Obdachlosen meistens nicht registrieren und bescheinigen; ohne eine solche Bescheinigung hätten sie aber keinen Zugang zu vielen staatlichen Leistungen (z. B. die Registrierung bei der Steuerbehörde) und Sozialleistungen, für die - unter anderem - eine Meldebescheinigung notwendig seien (S. 16). Dem gesetzlich verankerten Anspruch der Schutzberechtigten auf freie medizinische (Notfall-)Behandlung stünden tatsächliche Defizite - auch als Folge der Einsparmaßnahmen nach der Finanzkrise - entgegen, denen aber die gesamte Bevölkerung ausgesetzt sei (S. 18 f.), wobei die Flüchtlinge besonders wegen der oft prekären finanziellen Situation nicht in der Lage seien, Medikamente zu kaufen. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit sei laut RSA für Schutzstatusinhaber fast unmöglich; dies läge zum einen daran, dass die Betreffenden nicht dieselben Voraussetzungen wie die Griechen mitbrächten (Sprache, Fähigkeiten, soziales Netzwerk, geografisches und kulturelles Wissen, psychologische Konstitution), zum andern an einem fehlenden staatlichen Programm zur Vermittlung dieser Fähig- und Fertigkeiten sowie der Anerkennung ausländischer Abschlüsse; daneben spiele die ohnehin hohe Arbeitslosenquote in Griechenland eine tragende Rolle (S. 20 f.). Obdachlosen Schutzstatusinhabern sei zudem die Anmeldung bei der Arbeitsagentur unmöglich; dadurch erhielten sie auch keine Arbeitslosenkarte, da sie oft die erforderlichen Unterlagen (Steuerbescheinigung, Rentenvereinbarung, Betriebskostenabrechnung etc.) nicht beibringen könnten, Obdachlosigkeitsbescheinigungen würden dort nicht akzeptiert. (...).

Aus den weiteren, vom Gericht zugrunde gelegten Erkenntnissen ergibt sich, dass - was als allgemein bekannt vorauszusetzen ist - sich Griechenland seit mehreren Jahren in einer anhaltenden Rezession befindet. Die Staatsverschuldung lag im 1. Quartal 2017 bei 176,2% des Bruttoinlandsproduktes (vgl. statista.com, abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163692/umfrage/staatsverschuldung-in-der- eu-in-prozent-des-bruttoinlandsprodukts/). Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen beträgt 23.000,00 Euro/Jahr - in Deutschland 42.400,00 Euro. Der Mitgliedsstaat verhandelt seit mehreren Jahren ständig mit der EU über neue Hilfsprogramme, deren Gewähr seitens der EU und den Gläubigern von der Vornahme einschneidender Einsparmaßnahmen abhängig gemacht wurde und wird. So nahm Griechenland im Mai 2016 Gesetzesänderungen vor, wonach die Renten gekürzt und die Mehrwertsteuer für viele Lebensmittel von 23% auf 24% angehoben wird wie auch die Einkommenssteuer erhöht wird. Benzin, Diesel, Heizöl und Strom haben sich entsprechend ebenfalls verteuert. Diese Einsparmaßnahmen waren von den Gläubigern zur Voraussetzung weiterer finanzieller Unterstützung (3. Hilfspaket) gemacht. Für soziale Hilfsprogramme fehlt das Geld, wobei es in Griechenland ohnehin keine Grundsicherung vergleichbar der deutschen Sozialhilfe oder der sog. Hartz IV-Leistungen gibt. Zwar besteht in Griechenland die Möglichkeit des Bezuges von Arbeitslosengeld; Voraussetzung hierfür ist, dass der Betreffende zuvor mindestens zwei Jahre in die Sozialkasse eingezahlt hat. Die Bezugsdauer dieser Transferleistung wurde im Rahmen der Sparmaßnahmen durch die Regierung nunmehr auf ein Jahr reduziert und auch die Höhe der Leistung hat sich auf 322,00 Euro bzw. 340,00 Euro halbiert. Ohne Einkommen, auch durch Transferleistungen, erlischt der Versicherungsschutz in der Krankenversicherung. Der Träger für die Gesundheitsleistungen (EOPYY), der für die meisten Menschen in Griechenland die Krankenversicherung darstellt, ist selbst hochverschuldet mit der Folge, dass selbst diejenigen, die entsprechenden Versicherungsschutz durch monatlich erzieltes Einkommen und entsprechende Beitragszahlung haben, vielfach die Rechnungen für Medikamente und ärztliche Versorgung selbst zahlen müssen. Griechenland ist zudem der einzige Mitgliedsstaat, der das minimal garantierte Mindesteinkommen nicht gewährleistet. Zwar hatte der Staat Ende 2014 ein Pilotprogramm gestartet, wonach pro Kopf ein Betrag in Höhe von 200,00 Euro für Ledige ohne Kinder (für Paare ohne Kinder: 300,00 Euro; für Paare mit Kindern: 300,00 Euro + 50,00 Euro je minderjährigem Kind + 100,00 Euro je wirtschaftlich abhängigem volljährigen Kind; für Alleinerziehende mit Kindern: mit einem minderjährigen oder volljährigen Kind 300,00 Euro + 50,00 Euro für jedes weitere minderjährige Kind + 100,00 Euro für jedes weitere volljährige Kind) gezahlt wurde. Diese Leistungen waren jedoch geografisch auf 13 ausgewählte Kommunen beschränkt und im Mai 2016 wurde beschlossen, das "Soziale Grundeinkommen" einzuführen, das ab Januar 2017 auf die Gesamtheit der unterhalb der Armutsgrenze lebenden Bevölkerung zur Anwendung kommen soll, dann aber nur in Höhe von 100,00 Euro. Dabei liegen die Lebenshaltungskosten in Griechenland nur geringfügig unter denen in Deutschland. Es gibt zudem auch in Griechenland formal das Recht für die anerkannten Schutzberechtigten, sich eine Beschäftigung zu suchen. In der Realität ist dies aufgrund der wirtschaftlichen Situation im Land nicht möglich. Die Arbeitslosenquote in Griechenland lag zwar 2013 mit 27,48% am höchsten, allerdings beträgt sie auch 2017 immer noch 21,2%. Seit Beginn der Finanzkrise ist der Anteil der Langzeitarbeitslosen auf 74% gestiegen. Seit 2008 sind aufgrund der anhaltenden Bedingungen nach Schätzungen 1 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, besonders im Baugewerbe und im verarbeitenden Gewerbe und dem Handel. Die Jugendarbeitslosigkeit ist im europäischen Vergleich in Griechenland weiterhin mit am höchsten. Konkrete Integrationsprogramme für die anerkannten Schutzberechtigten sind nicht vorhanden; die Mittel, die Griechenland von der EU zufließen, werden für die Verbesserung bzw. Gewährleistung des Asylsystems benötigt. Staatliche Mittel für entsprechende Programme sind nicht vorhanden. So reichen bereits die Aufnahmekapazitäten für die Asylsuchenden nicht aus, für anerkannte Schutzberechtigte gibt es kein staatliches Unterstützungsverfahren insoweit.

Diese Erkenntnisse zu den Lebensbedingungen anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland bieten unter Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen, die anders als bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland nicht auf Sprachkenntnisse und ein soziales Netz in Gestalt der (Groß-)Familie zurückgreifen können, im Einzelnen hinreichende Anhaltspunkte für eine Verletzung der aus Art. 3 EMRK folgenden Schutzpflichten des griechischen Staates. Es herrschen derart handgreiflich eklatante Missstände, dass der Schluss gerechtfertigt ist, dass anerkannte Schutzberechtigte einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt und dem Kläger, auch wenn es sich hierbei um einen 35-jährigen Mann handelt, unabweisbar Schutz vor einer Abschiebung nach Griechenland zu gewähren ist. Auch unter Beachtung des Umstandes, dass Art. 3 EMRK nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weder einen Anspruch auf ein Obdach noch eine allgemeine Pflicht der Mitgliedsstaaten begründet, Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen, muss für die besondere Situation in Griechenland berücksichtigt werden, dass dort den international Schutzberechtigten, auch wenn der Anspruch rechtlich besteht, jedenfalls faktisch der Zugang zu staatlichen Sozialleistungen sowie zum Arbeitsmarkt fast unmöglich ist; der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit stehen zum einen fehlende Sprachkenntnisse entgegen, die auch nicht mittels staatlicher Integrationsprogramme oder ähnlichem, weil solche fehlen, erlernt werden können. Zum anderen bietet der Arbeitsmarkt - wie mit den oben genannten Arbeitslosenquoten belegt wird - nicht einmal hinreichend Arbeitsplätze für die griechische Bevölkerung. Auf die - den Erkenntnisquellen zu entnehmende - Möglichkeit der Schwarzarbeit, die gerade unter Flüchtlingen weit verbreitet ist (vgl. Pro Asyl & RSA, a. a. O., S. 3, 21), muss der Kläger sich dabei nicht verweisen lassen. Als Folge dieses fehlenden Zugangs zum Arbeitsmarkt ist auch die Absicherung der Gesundheitsversorgung für anerkannte Schutzberechtigte nicht sichergestellt, denn ohne Zahlung der monatlichen Beiträge an die Sozialkasse wird keine Gesundheitsversorgung gewährt; wobei auch die Versicherten selbst in Griechenland die Behandlungskosten wegen der Überschuldung des Versicherungsträgers selbst zu tragen haben. Zwar hat der griechische Staat die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch anerkannter Schutzberechtigter auf eine medizinische Grundversorgung geschaffen, strukturelle Defizite und die Folgen der Finanzkrise erschweren hingegen in der täglichen Praxis den tatsächlichen Zugang zu diesen Leistungen. (...).

Es gibt somit hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Griechenland seine internationalen Verpflichtungen nicht erfüllen kann, auch wenn dies seiner besonderen finanziellen Situation geschuldet sein dürfte. (...) Waren die humanitären (Lebens-)Bedingungen in Griechenland über mehrere Jahre hinweg als die Schutznorm des Art. 3 EMRK verletzend anzusehen, bedarf es tragfähiger Anhaltspunkte, dass sich diese Bedingungen tatsächlich zum Besseren geändert haben."

bb) Die vorstehenden Ausführungen macht sich das Gericht auch für das vorliegende Verfahren zu eigen.

Auch unter Berücksichtigung der nunmehr vorliegenden Erkenntnisse lässt sich eine abweichende rechtliche Würdigung hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungs-Verbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht rechtfertigen. Insbesondere nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.12.2018 an das Verwaltungsgericht Stade, der Stellungnahme von Pro Asyl vom 30.08.2018 (deutsche Fassung vom 04.01.2019) und dem Country Report der Asylum Information Database (AIDA) aus 2018 stellen sich die Verhältnisse in Griechenland hinsichtlich der Sicherung des Existenzminimums von rückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten wie folgt dar:

aaa) Bei der Umsetzung der Rückführung eines Schutzstatusinhabers stimmt der griechische Staat der Rückführung zu, bestätigt am Flughaften in Athen die Ankunft der betreffenden Person und gibt ihr Informationen zur nächsten Ausländerbehörde, um dort den Aufenthaltstitel zu verlängern, sowie die Information, dass sie sich beim Bürgerservice-Center melden muss. Zu weitergehenden Maßnahmen des griechischen Staates kommt es bei der Umsetzung einer Rückführung nicht. Bei Familien mit kleinen Kindern gibt es diesbezüglich keine Unterschiede. Vereine und Nichtregierungsorganisationen unterstützen bei der Wohnungsfindung und der Orientierung im griechischen System.

Der UNHCR führt in Griechenland das durch die EU finanzierte Hilfsprogramm "ESTIA" (Emergency Support to Integration and Accommodation) durch. Dieses beinhaltet insbesondere die Unterbringung von Asylbewerbern in Gebäuden, Wohnungen, Gastfamilien und Hotels. (Homepage von ESTIA, http://estia.13ten.net/en/home/) Mit Stand vom 24.09.2019 belief sich die Gesamtzahl der Plätze dieses Programms auf 21.964, von denen 21.451 (ca. 97,7 %) belegt waren, davon 14.079 von Asylbewerbern und 7.362 von anerkannten Schutzberechtigten. (Population breakdown in ESTIA Accommodati- on Scheme, Stand 24.09.2019) Das Programm ist auf Asylbewerber ausgerichtet. Nach der Anerkennung des Schutzstatus werden die Betreffenden aufgefordert, die Unterkünfte zu verlassen. In der Praxis können sie dort auf informeller Basis nach ihrer Anerkennung einige Monate weiter wohnen. Anerkannte Schutzberechtigte, die von anderen Ländern nach Griechenland abgeschoben werden, erhalten jedoch durch das ESTIA-Programm keine Unterkunft. (Stellungnahme Pro Asyl vom 23.06.2017)

Es gibt in Griechenland der gesamten Bevölkerung offenstehende Obdachlosenunterkünfte. In Athen und den unmittelbaren Nachbarstädten gibt es 12 solcher Unterkünfte: Die Unterkunft "KEELPNO" ist nur für HIV-positive Obdachlose vorgesehen. Die Unterkunft der Stadt Piräus (34 - 40 Plätze) steht Flüchtlingen nicht offen. Die Unterkunft des Roten Kreuzes für Familien (80 Plätze) ist seit Mai 2018 geschlossen und sollte bis August 2018 geräumt werden. Die kirchliche Unterkunft "Galini" beherbergte im Juli 2018 zehn Personen und nahm auf unbestimmte Zeit aufgrund einer Sanierung des Gebäudes keine weiteren Personen mehr auf. Der Schlafsaal der UNESCO (65 Plätze), der Schlafsaal der Ärzte der Welt (55 Plätze) die Frauen-Unterkunft "Fivi" (8 - 10 Plätze) und die Unterkunft "EKKA" (65 Plätze) nehmen nur Personen auf, die Englisch oder Griechisch beherrschen. Die Unterkunft des Erzbistums (10 Plätze) nimmt Flüchtlinge nur auf, die eine übliche Sprache beherrschen. Die Unterkunft der "Sozialen Solidarität" (100-150 Plätze) nimmt keine Familien auf. Das Soziale Zentrum für Erwachsene in Vouliagmeni (34 Plätze) beherbergt Familien nur in Ausnahmefällen und verlangt eine aktuelle Steuerbescheinigung.

Sämtliche Obdachlosenunterkünfte sind meist voll belegt oder führen Wartelisten. Nur zwei der oben aufgeführten Unterkünfte nehmen auch Personen mit psychischen Erkrankungen auf.

Eine private Anmietung von Wohnungen durch Flüchtlinge ist schwierig, da Vorurteile und das bevorzugte Vermieten an Studenten, Familienmitglieder und Bekannte den Zugang zu Wohnraum für andere Bevölkerungsgruppen erschweren (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 22.08.2017).

Pro Asyl führt, aus, dass Personen, die nicht genügend Geld haben, um eine Unterkunft zu mieten, obdachlos werden oder in verlassenen Gebäuden leben. In diesen gibt es oftmals keinen Zugang zu Wasser oder gar Strom. Fälle, bei denen eine nach Griechenland abgeschobene, international schutzberechtigte Person nach ihrer Rückkehr von den Behörden eine Wohnung des UNHCR-Unterbringungsprogramms ESTIA erhalten hat oder offiziell an ein Flüchtlingslager verwiesen wurde, sind nicht bekannt. Kein Rücküberstellter Flüchtling hat Informationen über Unterbringungsmöglichkeiten oder eine Bargeldunterstützung erhalten. Im Gegenteil sind lediglich Fälle bekannt, in denen Rückkehrer obdachlos geworden sind oder unter prekären Bedingungen in besetzten oder verlassenen Gebäuden ohne Zugang zu Strom oder Wasser leben mussten.

Die griechische Polizei hat seit August 2019 und zuletzt am 30.09.2019 wiederholt illegal besetzte Gebäude gewaltsam geräumt. Zuletzt war ein altes Schulgebäude im Stadtzentrum von Athen geräumt worden, in welchem sich seit mehreren Jahren u. a.

Familien mit Kindern außerhalb des offiziellen Unterkunftssystems ein Obdach geschaffen hatten (vgl. AL JAZEERA NEWS, Art. v. 20.09.2019 sowie Art. v. 14.09.2019 der Nachrichten-Seite ekathimerini.com).

Das Auswärtige Amt führt aus, dass Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen ist, was auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzungen innerhalb der jeweiligen Landsmannschaften zurückzuführen ist, über welche auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann.

bbb) Die Sprachbarriere und die generell hohe Arbeitslosigkeit in Griechenland erschweren Drittstaatsangehörigen den Zugang zum Arbeitsmarkt. Griechenland verzeichnete im Juli 2019 eine Arbeitslosenquote von 17,2 Prozent. Dies ist zwar deutlich weniger als im Jahre 2017, ist jedoch noch immer die höchste Arbeitslosenquote in der Europäischen Union. (https://de.statista.com) Die wenigen Flüchtlinge, die dennoch Arbeit finden, sind meist illegal beschäftigt.

Die griechische Arbeitsagentur ODEA stellt seit Juni 2018 für alle anerkannten Schutzberechtigten eine Arbeitslosenkarte aus. Diese berechtigt zur kostenlosen Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, zu kostenlosem Eintritt in Museen, sie enthält Ermäßigungen für Gas-, Wasser-, und Stromrechnungen und einige ermäßigte berufliche Fortbildungsmaßnahmen. Die Registrierung bei der griechischen Arbeitsagentur für anerkannte Schutzberechtigte verläuft nicht ohne Schwierigkeiten, da die hierfür nötigen Bescheinigungen über eine Obdachlosigkeit oder eine Unterbringung in einem Lager oftmals nicht ausgestellt werden.

Es existiert mittlerweile prinzipiell eine nationale Integrationsstrategie, welche im Juli 2018 verabschiedet wurde. Dieses Strategiepapier wurde noch nicht veröffentlicht, hat keine rechtlich bindende Wirkung und setzt keine finanziellen Verpflichtungen fest. Vorhandene Maßnahmen und Projekte des Ministeriums für Arbeit und Sozialfürsorge sind nicht für Personen vorgesehen, die kein Griechisch beherrschen.

ccc) Gesetzlich haben bedürftige anerkannte Schutzberechtigte seit Februar 2017 einen Anspruch auf die Sozialleistung "KEA", welche 200 Euro pro Monat für einen Erwachsenen, 100 Euro für jeden weiteren Erwachsenen und 50 Euro für jedes Kind pro Monat beträgt und eine soziale Grundsicherung darstellt. Hierzu muss ein aktueller Steuerbescheid, ein Mietvertrag oder die Bescheinigung über eine Beherbergung und eine Bankverbindung vorgelegt werden. Für einen großen Teil der Betroffenen ist es nicht möglich, einen Steuerbescheid zu erhalten, da diesen die nötigen Nachweise über ihre Unterbringung fehlen. Ein Steuerbescheid wird meist nicht erteilt, wenn die Betroffenen nicht nachweisen können, wie sie untergebracht sind oder dass sie obdachlos sind. Eine Obdachlosigkeitsbescheinigung ist nur schwer zu erlangen, da das Verfahren hierzu noch nicht geregelt ist und die Sozialbehörde mangels Dolmetscher oft nur diejenigen unterstützt, die Englisch oder Griechisch sprechen. Antragsteller müssen die Dauerhaftigkeit ihres legalen Aufenthalts in Griechenland nachweisen können, was im Regelfall durch die Einreichung der Steuererklärung des Vorjahres geschieht. Schutzberechtigte sind auch nicht in der Lage, ein Konto zu eröffnen, weil hierfür ebenfalls eine Bescheinigung über den Wohnsitz und ein Steuerbescheid erforderlich sind. Der Antrag auf Sozialleistungen ist zudem in griechischer Sprache einzureichen. Dolmetscher werden staatlicherseits nicht gestellt.

Für Schutzberechtigte ist es so gut wie unmöglich, alle für die Sozialhilfe erforderlichen Dokumente zu beschaffen, so dass sie die Sozialleistung im Endeffekt nicht erhalten. Die Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten bezieht daher tatsächlich auch bisher keine soziale Grundsicherung.

Zum 01.01.2019 sollte eine wohnungsbezogene Sozialleistung eingeführt werden, wonach ein Wohngeld von 70 Euro, maximal 210 Euro pro Haushalt monatlich gezahlt wird. Voraussetzung hierfür soll ein fünfjähriger dauerhafter und legaler Aufenthalt in Griechenland sein.

Für anerkannte Schutzberechtigte ist ein Neueintritt in das EU-finanzierte Cash-Card-Programm, welches Geldleistungen (150 Euro für allein reisende Männer pro Monat) für eine Übergangszeit von 6 bis 12 Monaten gewährt, nicht möglich.

Mit Unterstützung des griechischen Staates ist durch die Europäische Kommission zum 01.06.2019 das "HELIOS 2-Programm" (Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection) gestartet, welches für die Dauer von Juni 2019 - November 2020 ausgelegt ist. Das Projekt zielt auf die Unterstützung der Integration von Schutzstatusinhabern, die derzeitig in Übergangsunterkünften leben, in die griechische Gesellschaft ab. Es beinhaltet Integrationskurse, Unterbringungsunterstützung, Unterstützung der Beschäftigungsfähigkeit, Integrationsüberwachung und Sensibilisierung der Gastgesellschaft. Die Zielgruppe des HELIOS-Projektes sind die nach dem 01.01.2018 anerkannten Schutzberechtigten. Das Projekt bietet dabei insbesondere finanzielle Hilfen zur Anmietung eigenen Wohnraums. Die Teilnehmer erhalten Informationen und Unterstützung bei der Wohnungssuche und eine allgemeine finanzielle Starthilfe (einmalige Auszahlung von 440 € für Alleinstehende und bis zu 1.490 € für Familien mit sechs oder mehr Personen). Das Programm beinhaltet einen monatliche Zuschuss zu den Mietkosten von 162 € für Alleinstehende und bis zu 630 € für Familien mit sechs oder mehr Personen. Voraussetzung ist insbesondere die offizielle Registrierung und Unterbringung in einem offenen Unterbringungszentrum, Aufnahme- und Identifikationszentrum (RIC), einem Hotel des IOM-FILOXENIA-Projekts oder des ESTIA-Programms. Erforderlich ist insbesondere die Vorlage eines über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten laufenden Mietvertrages und eines Dokuments über ein Konto bei einer griechischen Bank, ferner eines Kontoauszuges mit der IBAN des Vermieters. Das derzeitig vorgesehene Ende des Projektes ist der November 2020. ("Project regulations handbook" von HELIOS, Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection)

cc) Unter Gesamtwürdigung der zum Zeitpunkt der Entscheidung zugrunde liegenden Erkenntnislage steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass anerkannten Schutzberechtigten im Falle ihrer Abschiebung unmenschliche Lebensverhältnisse in Griechenland drohen, denn für diese besteht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ("real risk") bei einer Rückkehr nach Griechenland die tatsächliche Gefahr der Verelendung.

Aufgrund der vorstehend dargelegten und der Entscheidung zugrunde gelegten Erkenntnisquellen ist das Gericht davon überzeugt, dass die vor Ort bestehenden Möglichkeiten der Erlangung eines Obdachs - selbst bei hoher Eigeninitiative - tatsächlich nicht ausreichen, um flächendeckend und für den Großteil der zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten ein solches zu gewährleisten. Dies ergibt sich schon daraus, dass zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte nach der derzeitigen Erkenntnislage zum Großteil auf der Straße oder in besetzten oder verlassenen Gebäuden leben.

Wenn die nach Griechenland zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten am Flughafen ankommen, unterstützt der griechische Staat sie nicht bei der Suche nach einer Unterkunft. Diesbezüglich werden sie sich selbst überlassen. Ihnen wird lediglich mitgeteilt, bei welchen Behörden sie sich melden müssen. Dies gilt selbst für eine Familie mit kleinen Kindern. Zwar besteht kein Anspruch der anerkannten Schutzberechtigten auf eine solche Unterstützung. Würde eine solche jedoch stattfinden, könnte dies die Wahrscheinlichkeit, dass die rückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten bereits direkt nach ihrer Ankunft am Flughafen obdachlos werden, verringern.

Gesetzlich haben anerkannte Schutzberechtigte zwar nach dem Präsidialdekret PD 141/2013, Art. 33, Zugang zu Unterbringungen unter den gleichen Bedingungen wie Drittstaatsangehörige, die sich legal in Griechenland aufhalten. Da zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte jedoch zum Großteil unter den Personenkreis fallen, die sich die eigene Anmietung einer Wohnung nicht leisten können, müssen sie auf andere Möglichkeiten zurückgreifen.

Aus den Erkenntnismitteln ergibt sich, dass es - abgesehen von Obdachlosenheimen - keine staatlichen Unterkünfte für anerkannte Schutzberechtigte gibt. Generell existieren keine Unterkünfte speziell für anerkannte Schutzberechtigte.

Eine Möglichkeit der Unterbringung wären theoretisch Obdachlosenheime, welche in Griechenland auch vorhanden sind. Die Kapazitäten der zur Verfügung stehenden Obdachlosenunterkünfte sind jedoch nicht ausreichend und die meisten Obdachlosenunterkünfte nehmen nur Personen auf, die die griechische Sprache beherrschen, so dass in der Realität hier kein Obdach zu erlangen ist.

Eine weitere Möglichkeit wäre eine Unterbringung durch Nichtregierungsorganisationen. Das UNHCR-Unterbringungsprogramm ESTIA steht den zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten jedoch nicht offen. Das ESTIA-Programm ist auf Asylbewerber ausgerichtet. Sobald ein Schutzstatus zuerkannt wird, müssen die Betreffenden mit einer Räumungsaufforderung rechnen. Vor diesem Hintergrund werden aus dem Ausland zurückkehrende Schutzstatusinhaber im ESTIA-Programm nicht aufgenommen. In den Flüchtlingslagern können die rückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten ebenfalls nicht unterkommen.

Die letzte Möglichkeit wäre es, in verlassenen oder besetzten Gebäuden unterzukommen. Die zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten hierauf zu verweisen, ist jedoch unzumutbar. Soweit das Verwaltungsgericht Osnabrück in seinem Urteil vom 02.09.2019 (Az. 5 A 326/19) dies ausreichen lässt, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Denn diese Art des Unterkommens ist illegal, es bestünde die jederzeitige Gefahr der Räumung oder sogar der Strafbarkeit. Es bestünde auch kein Schutz vor dem unerwarteten Eintreten Dritter, es könnten jederzeit andere Personen die "Unterkunft" betreten. Hierdurch würden die anerkannten Schutzberechtigten noch schutzloser und angreifbarer, als sie eh schon sind. Es bestünde bei einer solchen "Unterkunft" auch kein Zugang zu Wasser oder sanitären Einrichtungen. Aufgrund des Fehlens von Wasser, der Illegalität und des fehlenden Schutzes vor Dritten ist hierbei immer noch von Obdachlosigkeit im weiteren Sinne auszugehen. Es besteht hierbei kaum ein qualitativer Unterschied, als zu einem Leben "unter der Brücke". Allein der Umstand, dass die anerkannten Schutzberechtigten hier ein Dach über dem Kopf hätten, ist nicht ausreichend. Dies wäre auch der Fall beim Übernachten unter einer Brücke oder einer Parkbank.

Soweit das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 06.12.2018 ausführt, dass Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen sei, was auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzungen innerhalb der jeweiligen Landsmannschaften zurückzuführen sei, über welche auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden könne, dürfte dies nach der Überzeugung des Gerichts lediglich darauf zurückzuführen sein, dass die Flüchtlinge illegal in verlassenen Gebäuden leben, so dass sie nicht direkt auf der Straße sichtbar sind. Hinzu kommt, dass es nach der Ankunft in Griechenland einige Zeit in Anspruch nehmen dürfte, ein solches informelles Netzwerk zu finden und Kontakt hierzu aufzunehmen.

Es ist den anerkannten Schutzberechtigten in der Realität mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch nicht möglich, an finanzielle Mittel für eine Unterkunft zu gelangen:

Es ist für anerkannte Schutzberechtigte nach der derzeitigen Erkenntnislage noch immer extrem schwierig, eine Arbeit zu finden, so dass sie eine Unterkunft nicht durch Arbeit finanzieren könnten. Sie stehen in Griechenland bei einer hohen Arbeitslosigkeitsrate in Konkurrenz zur gut ausgebildeten, vernetzten, der Sprache mächtigen einheimischen Bevölkerung. Es ist selbst für die griechische Bevölkerung schwer, eine Arbeitsstelle zu finden. Ein Verweis auf sog. "Schwarzarbeit" ist unzumutbar, da sie hierdurch in die Illegalität verwiesen würden.

Die zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten erhalten in der Realität größtenteils auch keine Sozialleistungen. Daher können Sie auch nicht eine Unterkunft mit solchen finanzieren. Soweit sich aus den Erkenntnismitteln ergibt, dass zum 01.01.2019 eine wohnungsbezogene Sozialleistung eingeführt werden sollte, wonach ein Wohngeld von 70 Euro, maximal 210 Euro pro Haushalt monatlich gezahlt werde und Voraussetzung hierfür jedoch ein fünfjähriger dauerhafter und legaler Aufenthalt in Griechenland sein soll, fällt auf, dass anerkannte Schutzberechtigte, die nach Griechenland zurückkehren, diese Voraussetzung die ersten fünf Jahre naturgemäß nicht erfüllen können. Sie haben Griechenland durch ihre Ausreise verlassen und können nun keinen dauerhaften Aufenthalt in Griechenland vorweisen.

Dies gilt ebenso für die neu eingeführt Grundsicherung "KEA", da hierfür ebenfalls Voraussetzung ein dauerhafter Aufenthalt in Griechenland ist, welche die zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten nicht erfüllen können. Hinzu kommen Voraussetzungen wie das Vorweisen einer Bankverbindung, eines Nachweises über die Unterkunft oder eine Steuernummer, welche die zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten meist nicht erfüllen können. Die theoretische, gesetzliche Inländergleichbehandlung bei den Sozialleistungen läuft deswegen diesbezüglich in der Realität ins Leere.

Rückkehrende anerkannte Schutzberechtigte erhalten auch keine finanziellen Mittel durch Nichtregierungsorganisationen. Für diese Personengruppe ist ein Neueintritt in das EU-finanzierte Cash-Card-Programm nicht möglich. Das HELIOS 2-Programm stellt Voraussetzungen auf, die zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte größtenteils nicht erfüllen können. Voraussetzung sind insbesondere die offizielle Registrierung und Unterbringung in einem offenen Unterbringungszentrum, Aufnahme- und Identifikationszentrum (RIC), einem Hotel des IOM-FILOXENIA-Projekts oder des ESTIA-Programms. Zudem muss ein über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten laufender Mietvertrag vorgelegt werden. Diese Voraussetzungen dürften nur anerkannte Schutzberechtigte erfüllten, die in Griechenland geblieben sind, nicht aber die Zurückkehrenden.

Gibt es - wie oben ausgeführt - mangels ausreichender Kapazitäten tatsächlich keine Möglichkeit, ein Obdach zu erlangen, so kann auch eine hohe Eigeninitiative nicht zu einem solchen führen.

Es ist nach Würdigung all dessen noch immer von einem hohen Risiko auszugehen, dass nach Griechenland zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte obdachlos werden. Besteht bei Würdigung der (vorstehenden) Erkenntnislage somit für den Großteil der anerkannten Schutzberechtigten regelmäßig kein effektiver Zugang zu einer Unterkunft, rechtfertigt dies die Annahme des Bestehens einer tatsächlichen Gefahr der Verelendung im Falle der Rückkehr von anerkannten Schutzberechtigten nach Griechenland.

Der Gefahr der Verelendung begegnet der griechische Staat weitgehend mit behördlicher Gleichgültigkeit. Soweit das Verwaltungsgericht Cottbus in seinem Beschluss vom 21.03.2019 (Az. VG 5 L 540/19.A, juris) die Auffassung vertritt, dass von einer Gleichgültigkeit keine Rede sein kann, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Denn die gesetzliche Struktur des griechischen Staates erfasst die zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten lediglich nach dem Wortlaut des Gesetzes. In der Praxis ist es diesen jedoch faktisch unmöglich, eine existenzsichernde Arbeitsstelle zu finden oder staatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen, um einer drohenden langfristigen Obdachlosigkeit zu entgehen. Anerkannte Schutzberechtigte fallen vielmehr in eine "Lücke" des Gesellschaftssystems. Der griechische Staat hält keine Auffangmechanismen bereit, um einer Verelendung zu begegnen, dies sehenden Auges, dass Nichtregierungsorganisationen und andere nichtstaatliche Träger offensichtlich nicht ausreichend Kapazitäten zur Verfügung haben, um den Großteil der Schutzberechtigten im Existenzminimum zu versorgen (vgl. die Auslastung der Obdachlosenunterkünfte, Stellungnahme von Pro Asyl, deutsche Fassung vom 04.01.2019, S. 6 - 8). Er stellt nur wenige, unzureichende Anstrengungen an, um zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte unterzubringen - wenn dies auch vor allem darauf zurückzuführen sein dürfte, dass Griechenland noch immer in einer wirtschaftlich prekären Lage ist. Die Gleichgültigkeit des griechischen Staates zeigt sich auch beispielhaft darin, dass er Rückkehrern nicht einmal direkt nach ihrer Ankunft am Flughafen darüber informiert, wo sie die Möglichkeit haben, ein Obdach zu erlangen oder wo sie irgendeine Form der Unterstützung erlangen können, sondern diese Aufgabe Vereinen und Nichtregierungsorganisationen überlässt.

Zwar gibt es mittlerweile einige Reformbewegungen in Griechenland, beispielsweise die Einführung des sozialen Grundeinkommens, die Einführung einer wohnungsbezogenen Sozialleistung, die Erstellung eines unverbindlichen Strategiepapieres zur Integration von Flüchtlingen und die Ausstellung einer Arbeitslosigkeitsbescheinigung für Flüchtlinge. Diese Reformen sind jedoch noch nicht ausreichend, um die tatsächlichen humanitären Bedingungen der nach Griechenland zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten zu verbessern. Verbessert werden diese lediglich auf dem Papier. Die Sozialleistungen stellen Voraussetzungen (mehrjähriger dauerhafter Aufenthalt in Griechenland) auf, die sie nicht erfüllen können. Sie erfassen die Personengruppe der zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten tatsächlich nicht, sondern nur theoretisch. Auch das HELIOS 2-Programm erfasst aufgrund seiner Voraussetzungen die nun zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten nicht. Bei der Ausstellung der Arbeitslosigkeitsbescheinigung gibt es erhebliche Schwierigkeiten. Die Integrationsstrategie ist unverbindlich und setzt keine Verpflichtungen fest. Ein funktionierendes, umgesetztes Integrationskonzept, welches tatsächlich helfen würde, die Schutzberechtigten zu integrieren und dadurch Zugang zum Arbeitsmarkt zu schaffen, gibt es nicht.

Besteht die Gefahr der Verelendung - wie hier - nicht nur in Einzelfällen, sondern regelmäßig für den überwiegenden Teil der zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten, handelt es sich hierbei gerade nicht (mehr) um unvorhersehbare Einzelfälle.

Soweit die Beklagte ausführt, die Klägerin sei hinsichtlich der Teilhabe an Rechten griechischen Staatsangehörigen gleichgestellt, rechtfertigt dies keine andere rechtliche Beurteilung. Zwar mag den anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland nach der nationalen Gesetzeslage ein Anspruch auf Gleichbehandlung zustehen. Dieser erweist sich indes unter Berücksichtigung der dargestellten Erkenntnislage als faktisch nicht bzw. nicht in zumutbarer Zeit durchsetzbar. Dies wird insbesondere an den Zugangsvoraussetzungen zu Sozialleistungen sichtbar hinsichtlich der Forderung eines mehrjährigen legalen Aufenthalts in Griechenland. Nach Griechenland zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte können sich auch nicht - so wie die meisten Griechen - auf ein Netzwerk von Familie, Freunden oder Bekannten verlassen, welches ihnen in einer Notlage zur Seite stehen würde. Hinzu kommt die Sprachbarriere, die die Erlangung von Informationen erschwert.

Soweit die Beklagte sich darauf beruft, Griechenland habe allgemein zugesichert, die europarechtlichen Vorgaben für Schutzstatusinhaber zu beachten und einzuhalten, ist vorliegend mit der aufgezeigten Erkenntnislage das tatsächliche Einhalten der "Zusage” widerlegt.

Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung Abschiebungsschutz mit der Begründung verneint wird, die aus Griechenland ausreisenden anerkannten Schutzberechtigten hätten sich mit ihrer Ausreise freiwillig und bewusst ihres Unterkunfts- und Sozialleistungsanspruchs begeben (vgl. bsph. VG Osnabrück, Urt. v. 02.09.2019 - 5 A 326/18 -, juris), steht dies zur Überzeugung des Gerichts der Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK nicht entgegen. Denn das Gericht hat nach § 77 Abs. 1 AsylG auf die Lage im Zielstaat der Abschiebung im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen. Bestehen nach der Erkenntnislage für das Gericht in diesem Zeitpunkt für rückkehrende anerkannte Schutzberechtigte Anhaltspunkte dafür, dass sie - wie aufgezeigt - einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt wären, ist nicht darauf abzustellen, ob bzw. dass ihre Lage eine andere wäre, wenn sie in dem Aufnahmestaat geblieben wären. Denn die Regelungen des gemeinsamen europäischen Asylsystems sowie Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GRCh sehen nicht vor, das anti-konzeptionelle Weiterwandern der Schutzberechtigten in einen anderen Mitgliedstaat durch einen solchen (anderen) Entscheidungsmaßstab zu sanktionieren. Hinzu kommt, dass dieses Argument nur auf solche Schutzberechtigte zutreffen kann, die in Griechenland vor ihrer Ausreise einen Unterkunfts- oder Sozialleistungsanspruch hatten, denen also nicht vor ihrer Ausreise mitgeteilt wurde, dass sie ihre Unterkunft demnächst räumen müssen.

Nach einer Gesamtwürdigung der aktuellen Erkenntnislage ist zur Überzeugung des Gerichts wegen der tatsächlichen Lage in Griechenland für anerkannte Schutzberechtigte die Vermutung, dass die Behandlung der Schutzberechtigten in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EuGrCH, der GFK und der EMRK steht, für Griechenland als widerlegt anzusehen. Anerkannten Schutzberechtigten droht im Falle der Abschiebung nach Griechenland über einen langen Zeitraum die Gefahr der Obdachlosigkeit sowie die daraus resultierende Gefahr, in eine existenzielle Notlage zu geraten, und damit "auf der Straße" sich selbst überlassen zu sein.

dd) Im vorliegenden Fall kommen die persönlichen Umstände der Klägerin hinzu. Sie hat lediglich einen syrischen Schulabschluss der sechsten Klasse. Dies verringert die Chance der Klägerin, bei der hohen Arbeitslosigkeitsrate in Griechenland - und in Konkurrenz zur teilweise gut ausgebildeten griechischen Bevölkerung - eine ihre Existenz sichernde Arbeitsstelle zu finden. Das Gericht ist davon überzeugt, dass eine Rückführung nach Griechenland für die Klägerin aus diesem Grund erst recht eine Existenzbedrohung darstellen würde.

ee) Die zumindest in der Anfangszeit nach der Rückkehr bestehende Gefahr der Obdachlosigkeit sowie die daran anknüpfende Gefahr, in eine existenzielle Notlage zu geraten, ist zwar ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn das Bundesamt durch individuelle Zusicherungen griechischer Behörden sichergestellt hat, dass dem anerkannten Schutzberechtigten eine Unterkunft in Griechenland für einen angemessenen Zeitraum gestellt wird (vgl. im Falle Bulgariens: OVG Saarland, U. v. 13.12.2016 - 2 A 260/16 -, Rn. 28 und 32, juris). Allerdings ist im vorliegenden Einzelfall eine solche Sicherstellung weder dem angegriffenen Bescheid noch dem beigezogenen Verwaltungsvorgang zu entnehmen.

ff) Da die Klägerin demnach einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Griechenlands aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hat, bedarf es keiner Entscheidung mehr über das Vorliegen der Voraussetzungen von § 60Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bilden einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Streitgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (vgl. BVerwG, U.v. 31.01.2013 - BVerwG 10 C 15.12 -, juris Rn. 11).

2. Vor dem Hintergrund eines bestehenden Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG für die Klägerin erweist sich Ziffer 2 des Bescheids, in welcher festgestellt wird, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen, als rechtswidrig.

Ebenso ist die in Ziffer 3 S. 2 des Bescheids enthaltene Abschiebungsandrohung nach Griechenland rechtswidrig, da die Voraussetzungen für deren Erlass nach § 34 AsylG (hier: § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) nicht vorliegen.

Die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4 des Bescheids nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist ebenfalls rechtswidrig, da hierfür nach § 11 Abs. 7 AufenthG Voraussetzung ist, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vorliegt.

Insoweit ist der Bescheid aufzuheben.

3. Soweit die Beklagte in Ziffer 3 Satz 1 des Bescheides eine Ausreisefrist von 30 Tagen gemäß § 38 AsylG festgesetzt hat, obwohl im Rahmen des Erlasses eines Drittstaatenbescheides im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG - wie hier - gemäß § 36 AsylG eine Ausreisefrist von einer Woche anzuordnen ist, liegt hier jedenfalls kein Aufhebungsanspruch vor. Zwar steht diese Praxis des Bundesamtes nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts objektiv nicht im Einklang mit dem Asylgesetz (vgl. BVerwG, U. v. 15.1.2019 - BVerwG 1 C 15.18 -, juris). Jedoch verletzt das Setzen der längeren 30-Tage-Frist einen Kläger nicht im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in eigenen subjektiven Rechten, da dies ihn nur begünstigt, sodass die Aufhebung der Ausreisefrist im Klageweg nicht in Frage kommt (vgl. hierzu im Einzelnen: BayVGH, B.v. 03.05.2019 - 20 ZB 18.32363 -, juris m.w.N.).

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO, da der zurückgenommene Teil des Klageantrags nur einen geringfügigen Teil des Klageantrags ausmacht und die Klägerin im Übrigen obsiegt hat.

Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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