LG Berlin, Urteil vom 16.01.2018 - 55 S 128/17 WEG
Fundstelle
openJur 2020, 39878
  • Rkr:

Zur Verjährung des Anspruch eines Wohnungseigentümers gegen die Gemeinschaft auf Auszahlung eines Abrechnungsguthabens; Verjährungshemmung durch Klageerhebung.

Haben die Wohnungseigentümer nach § 21 Abs. 7 WEG beschlossen, dass Guthaben der Wohnungseigentümer ausgezahlt werden, so ist es dem Verwalter verwehrt, den Guthabenbetrag mit offenen Beitragsansprüchen aufzurechnen.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 12.7.2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wedding - 15a C 289/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes in tatsächlicher Hinsicht sowie der Anträge der Parteien wird nach Maßgabe der §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erforderlich ist (§ 543 Abs. 2 ZPO). Damit ist ein weiteres Rechtsmittel unzweifelhaft nicht gegeben, denn der Berufungskläger kann die Nichtzulassung der Revision auch nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 Abs. 1 ZPO angreifen. Gemäß § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO, zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und zur Änderung des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3147), ist § 544 ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) bis einschließlich 30. Juni 2018 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht nur zulässig ist, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 EUR übersteigt. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

II.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat einen Zahlungsanspruch des Klägers zu Recht bejaht. Die Beklagte ist weder zur Leistungsverweigerung nach § 214 Abs. 1 BGB berechtigt noch ist der Klageanspruch aufgrund der von ihr erklärten Aufrechnungen erloschen (§ 387 BGB).

1.

Der Zahlungsanspruch ist nicht verjährt. Dabei kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob dieser Anspruch unmittelbar auf dem Beschluss der Gemeinschaft über die Jahresabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2013 und den in den jeweiligen Einzelabrechnungen ausgewiesenen Guthaben beruht oder ob er aus bereicherungsrechtlichen oder anderen Anspruchsgrundlagen herzuleiten ist. Gegenstand der Zahlungsklage ist das gesamte, in der Jahresabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2013 ausgewiesene Abrechnungsguthaben. Die Einreichung der Zahlungsklage hat die Verjährung dieses Anspruchs gehemmt.

a)

Die Erhebung einer Klage hemmt die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB für Ansprüche in der Gestalt und in dem Umfang, wie sie mit der Klage geltend gemacht werden (BGH v. 10.1.2016 - VIII ZR 77/15, Tz. 19). Maßgebend ist der den prozessualen Leistungsanspruch bildende Streitgegenstand, der bestimmt wird durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger begehrte Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt, aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; BGH a.a.O.). Wer eine Leistungsklage erhebt, muss insbesondere die streitige Rechtsfolge bezeichnen, die er durchsetzen will; er braucht dagegen nicht vorzutragen, auf welche materiellen subjektiven Rechte er seinen Anspruch stützt. Vielmehr hat das Gericht unter jedem denkbaren Gesichtspunkt zu prüfen, ob es dem Antrag stattgeben kann (BGH v. 25.10.2012 - IX ZR 207/11, NJW 2013, 540 Tz.16). Nimmt ein Wohnungseigentümer die Gemeinschaft daher auf Auszahlung eines in der Jahresabrechnung ausgewiesenen Abrechnungsguthabens in Anspruch, ist eine Begrenzung des Streitgegenstandes entgegen der Annahme der Beklagten nicht deshalb anzunehmen, weil die klagende Partei ihren Anspruch vordergründig auf eine bestimmte Beschlussfassung der Gemeinschaft stützt. Die vollständige Subsumtion des vorgetragenen Sachverhalts unter die in Betracht kommenden gesetzlichen Tatbestände bleibt auch in einem solchen Fall Sache des Gerichts (vgl. BGH a.a.O). Da maßgeblich für die Bestimmung des Streitgegenstandes in erster Linie der vom Kläger zur Begründung des Zahlungsanspruchs vorgetragene Lebenssachverhalt ist, muss das angerufene Gericht auch das Zahlungsverlangen eines Wohnungseigentümers unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten prüfen und dann entscheiden, ob der klagenden Partei ein Anspruch auf Auszahlung des ausgewiesenen Guthaben zusteht.

Das Klagevorbringen des Klägers erfasst zum einen die sog. Abrechnungsspitze, also die Differenz zwischen den nach dem Wirtschaftsplan für die Wohnungseigentumseinheiten zu zahlenden Soll-Vorschüssen und den auf das Wohnungseigentum entfallenden Ausgaben (Becker in Bärmann, WEG, 13. Aufl, § 28 Rz. 146). Es erfasst aber zugleich auch diejenigen Ansprüche, die nicht Teil der Abrechnungsspitze sind. Dies ergibt sich daraus, dass der Kläger nicht lediglich die Rückzahlung einer Abrechnungsspitze, sondern ausdrücklich die Auszahlung des gesamten Abrechnungsguthabens verlangt. Streitgegenständlich ist aufgrund des Klagevorbringens somit auch der Betrag, der sich aus der Differenz zwischen den im Jahr 2013 tatsächlich geleisteten und den nach dem Wirtschaftsplan geschuldeten Soll-Beiträgen ergibt.

Für die Bestimmung des Streitgegenstandes der Zahlungsklage kommt es daher auch nicht darauf an, dass der Beschluss über die Jahresabrechnung gem. § 28 Abs. 5 WEG nur insoweit anspruchsbegründend wirkt, soweit der in der Einzelabrechnung ausgewiesene Betrag die im Einzelwirtschaftsplan für das Abrechnungsjahr beschlossenen Sollvorschüsse übersteigt (BGH v. 1.6.2012 - V ZR 171/11, ZWE 2012, 373, 375). Die Frage, auf welchen materiell-rechtlichen Anspruch ein Kläger sein Begehren stützen kann, ist für die Frage, welcher prozessuale Anspruch streitgegenständlich ist, nicht vorgreiflich.

b)

Der Rückzahlungsanspruch des Klägers ist, selbst wenn er zum Teil bereits im Verlauf des Jahres 2013 entstanden sein sollte, durch die Zustellung der Klage gehemmt worden. Die Verjährungsfrist für den Zahlungsanspruch des Klägers beträgt drei Jahre. Sie begann nach § 199 Abs. 1 BGB frühestens mit dem Schluss des Jahres 2013. Zwar erfolgte die Zustellung der Zahlungsklage an die Beklagte erst am 10.1.2017. Die verjährungshemmende Wirkung ist aber bereits mit ihrer Einreichung am 1.12.2016 eingetreten, da die Zustellung "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO erfolgte.

Da bereits die Zustellung der Zahlungsklage den Eintritt der Verjährung gehemmt hat, kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte den streitgegenständlichen Zahlungsanspruch im Sinne von § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB anerkannt hat, weil der Beschluss über die Jahresabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2013 vom 8.7.2014 ein Abrechnungsguthaben in Höhe der Klageforderung ausweist und ob diese Beschlussfassung einen Neubeginn der Verjährung bewirkt hat.

2.

Die Aufrechnungserklärungen der Beklagten sind unzulässig. Aufgrund der Fassung des Beschlusstextes bzgl. der Genehmigung der Jahresabrechnung 2013 und der dort enthaltenen Bezugnahme auf die von der Verwalterin jeweils erstellten Einzelabrechnungen, die in zwei Fällen ausdrücklich eine Auszahlung des Guthabenbetrages ankündigen und in zwei weiteren Fällen die Bitte enthalten, die Guthabenbeträge bei zukünftigen Zahlungen einzubehalten (WE 59: 53,04 Euro und WE 69: 38,41 Euro) hat die Eigentümerversammlung am 8.7.2014 zugleich eine verbindliche Regelung zur Art und Weise der Zahlung im Sinne von § 21 Abs. 7 WEG getroffen (vgl. Becker a.a.O. § 28 Rz. 184; Merle in Bärmann, a.a.O., § 21 Rz. 176). Diese Beschlussfassung schließt es jedenfalls aus, dass die Gemeinschaft die in den Einzelabrechnungen für das Wirtschaftsjahr 2013 enthaltenen Guthabenbeträge mit solchen offenen Beitragsansprüchen aufrechnet, die zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Jahresabrechnung 2013 (also am 8.7.2014) bereits bestanden haben. Die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung mit den im ersten Halbjahr des Jahres 2014 entstandenen Beitragsansprüchen widerspricht damit der beschlossenen Zahlungsmodalität und bleibt daher wirkungslos.

3.

Es kann schließlich dahingestellt bleiben, ob die Beklagte an einer Aufrechnung auch dann noch gehindert war, nachdem sie am 16.3.2016 die Jahresabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2014 beschlossen hat. Jedenfalls ordnet der Beschluss zur Genehmigung der Jahresabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2014 ausdrücklich an, dass Fehlbeträge am 25.4.2016 im Lastschriftverfahren eingezogen werden bzw. diejenigen Eigentümer, die nicht am Lastschriftverfahren teilnehmen, selbst für einen Ausgleich zu sorgen haben. Von der Möglichkeit, etwaige Nachzahlungsbeträge mit noch offenen Guthabenbeträgen zu verrechnen, hat die Gemeinschaft anlässlich der Beschlussfassung über die Jahresabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2014 dagegen keinen Gebrauch gemacht. Aufgrund dieser Zahlungsregelung im Sinne von § 21 Abs. 7 WEG ist eine (nachträgliche) Aufrechnung mit den bis zum Zeitpunkt der Beschlussfassung noch offenen Forderungen durch die Verwalterin ausgeschlossen.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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