VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.12.2019 - 4 S 1105/19
Fundstelle
openJur 2020, 34629
  • Rkr:

Eine Beamtin, der wegen einer Risikoschwangerschaft und der hiermit verbundenen Veränderungen ihres individuellen Gesundheitszustands durch ein ärztliches Attest wegen der konkreten Möglichkeit der Gefährdung ihrer Gesundheit oder der ihres Kindes jede Tätigkeit vollumfänglich verboten wurde, befindet sich schwangerschaftsbedingt in einer Situation, die auf der Grundlage einer schweren Erkrankung oder einer Behinderung als besonderer Härtefall anzuerkennen wäre. In einem solchen Fall stellt die Verneinung eines besonderen Härtefalls, weil weder eine schwere Erkrankung noch eine Behinderung vorliegt, eine Diskriminierung dar.

Es ist nicht Zweck der Elternzeit, dem Dienstherrn Belastungen des Landeshaushalts zu ersparen, die er hinnehmen müsste, wenn eine erneut schwangere Beamtin die Elternzeit nicht in Anspruch genommen hätte.

Tenor

Der Antrag des beklagten Landes auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18. März 2019 - 16 K 6639/18 - wird abgelehnt.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des beklagten Landes auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18. März 2019 - 16 K 6639/18 - hat keinen Erfolg.

A.

Die Klägerin ist Polizeioberkommissarin im Dienst des beklagten Landes. Zur Betreuung ihrer am ... 2016 geborenen Tochter T.M. gewährte das Polizeipräsidium S. der Klägerin antragsgemäß für die Zeit vom 14.09.2016 bis zum 22.07.2018 Elternzeit ohne Dienstbezüge nach § 40 Abs. 1 und Abs. 2 Arbeitszeit- und Urlaubsverordnung (AzUVO). Mit Schreiben vom 22.03.2018 - beim Polizeipräsidium S. eingegangen am selben Tag - teilte die Klägerin mit, dass sie erneut schwanger sei, und beantragte die sofortige Aufhebung der ihr gewährten Elternzeit, weil mit Wirkung vom 20.03.2018 durch ärztliches Attest vom 21.03.2018 ein individuelles Beschäftigungsverbot für jede Tätigkeit ausgesprochen worden sei. Mit Bescheid vom 20.04.2018 lehnte das Polizeipräsidium den Antrag der Klägerin ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass die Beendigung der Elternzeit nach § 44 Abs. 1 Satz 3 AzUVO nicht möglich sei. Eine vorzeitige Beendigung der Elternzeit sei auch nicht gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 AzUVO möglich, weil solche Gründe nicht vorgebracht worden seien. Die vorzeitige Beendigung der Elternzeit könne schließlich auch nicht nach § 44 Abs. 1 Satz 1 AzUVO erfolgen, weil die danach erforderliche Interessenabwägung ergeben habe, dass keine Gründe vorlägen, die eine vorzeitige Beendigung ausnahmsweise rechtfertigten. Der Widerspruch der Klägerin hiergegen blieb erfolglos. Auf ihre Klage hat das Verwaltungsgericht das Land unter Aufhebung des Bescheids des Polizeipräsidiums S. vom 20.04.2018 und dessen Widerspruchsbescheids vom 04.06.2018 verpflichtet, das Ende der für die am ... 2016 geborenen Tochter der Klägerin gewährten Elternzeit auf den 22.03.2018 festzusetzen.

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung des angegriffenen Urteils im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe Anspruch auf Beendigung der für ihr erstes Kind gewährten Elternzeit zum 22.03.2018 nach § 44 Abs. 1 Satz 2 AzUVO a.F. bzw. dem wortgleichen § 44 Abs. 1 Satz 2 AzUVO n.F. Nach dieser Vorschrift könne die vorzeitige Beendigung der Elternzeit wegen der Geburt eines weiteren Kindes oder wegen eines besonderen Härtefalles nur innerhalb von vier Wochen nach der Antragstellung aus dringenden dienstlichen Gründen abgelehnt werden. Dabei müsse die Geburt des weiteren Kindes nicht - wie der Beklagte meine - vor der Antragstellung am 22.03.2018 und auch nicht während der für das ältere Kind gewährten Elternzeit erfolgt sein. Diese Auffassung lasse sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift (Diskriminierungsverbot) herleiten. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sei vielmehr maßgeblich darauf abzustellen, dass der Geburt des zweiten Kindes der Klägerin ein individuelles Beschäftigungsverbot vorausgegangen sei, welches noch innerhalb der für das erste Kind gewährten Elternzeit gelegen habe. Wäre lediglich der Zeitpunkt der Geburt maßgeblich, könnte ein individuelles Beschäftigungsverbot, das noch in die Elternzeit für das ältere Kind falle, nicht berücksichtigt werden, wenn die Geburt des jüngeren Kindes erst nach Ablauf der für das ältere Kind gewährten Elternzeit erfolge. Dies würde aber zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Benachteiligung von Beamtinnen führen, die sich auf individuelle Beschäftigungsverbote während der Elternzeit beriefen, gegenüber solchen Beamtinnen, die sich lediglich auf reguläre Beschäftigungsverbote während der Elternzeit beriefen und für die die Elternzeit nach den obigen Ausführungen ohne Zustimmung der Bewilligungsbehörde vorzeitig beendet werden könne, wenn das reguläre Beschäftigungsverbot noch in die Elternzeit für das ältere Kind falle. Denn auch hier sei es nach § 44 Abs. 1 Satz 3 AzUVO nicht erforderlich, dass die Geburt des jüngeren Kindes noch in die für das ältere Kind gewährte Elternzeit falle. Würde man verlangen, dass die Geburt des jüngeren Kindes innerhalb der für das ältere Kind gewährten Elternzeit erfolge, hätte dies nicht nur die oben geschilderte, sachlich nicht begründete Ungleichbehandlung zur Folge, sondern es würde der Klägerin zudem ihr Recht genommen, wegen der weiteren Schwangerschaft auf Antrag eine Änderung des Zeitraums ihrer Elternzeit zu erwirken und ihre Ansprüche aus dem Mutterschaftsurlaub (individuelles Beschäftigungsverbot) geltend zu machen. Dies würde aber einen Verstoß gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs darstellen. Der Europäische Gerichtshof habe hierzu ausgeführt, dass es einer Frau ermöglicht werden müsse, wegen der Schwangerschaft den Zeitraum des Erziehungsurlaubs zu ändern, weil in der Endphase der Schwangerschaft die Betreuung des ersten Kindes zu einer Doppelbelastung führe, die derjenigen einer weiteren Ausübung des Berufs entspreche. Da eine solche Doppelbelastung mit dem Zweck des Elternurlaubs (Elternzeit) nicht im Einklang stehe, müsse eine Änderung des Zeitraums des Erziehungsurlaubs (Elternzeit) gestattet werden. Das müsse auch für den hier vorliegenden Fall einer Risikoschwangerschaft mit der Folge eines individuellen Beschäftigungsverbots gelten. Denn durch das verhängte individuelle Beschäftigungsverbot komme zum Ausdruck, dass die Klägerin in der Zeit des individuellen Beschäftigungsverbots durch die Risikoschwangerschaft in einer Weise belastet sei, dass die weitere Betreuung des ersten Kindes ebenfalls zu einer Doppelbelastung führte, die mit dem Zweck der Elternzeit für dieses Kind nicht in Einklang stehe, so dass es auch hier rechtlich geboten sei, ihr die Möglichkeit zu geben, den Zeitraum der Elternzeit zu ändern. Da die Vorschrift somit im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal "wegen der Geburt eines anderen Kindes" anwendbar sei, komme es auf das Vorliegen eines besonderen Härtefalls nicht an. Deshalb komme es auch nicht darauf an, dass die Klägerin keinen der in der Vorschrift im Einzelnen bezeichneten Härtefälle geltend gemacht habe. Damit habe die Ablehnung des Antrags nur innerhalb von vier Wochen nach der Antragstellung und nur aus dringenden dienstlichen Gründen erfolgen können. Die Frist von vier Wochen nach der Antragstellung habe das Polizeipräsidium S. aber nicht eingehalten. Denn der Antrag der Klägerin sei am Donnerstag, den 22.03.2018 dort eingegangen. Die Frist habe damit am Donnerstag, den 19.04.2018 geendet, so dass die Ablehnung des Antrags mit Bescheid vom 20.04.2018 bereits verspätet gewesen sei. Zudem seien dringende dienstliche Gründe, die einer vorzeitigen Beendigung der der Klägerin gewährten Elternzeit entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich. Insbesondere könne das Polizeipräsidium S. sich insoweit nicht mit Erfolg auf die damalige Stellensituation im gehobenen Polizeivollzugsdienst berufen, die im Falle einer vorzeitigen Beendigung der Elternzeit eine stellentechnische Umbuchung von einer Leer- auf eine volle Planstelle erfordert hätte. Da der entsprechende Antrag der Klägerin am 22.03.2018 beim Polizeipräsidium S. eingegangen sei, bestehe der Anspruch auf vorzeitige Beendigung der ihr für das erste Kind gewährten Elternzeit ab diesem Tag; sie habe den Antrag unverzüglich nach Erhalt des ärztlichen Attests vom 21.03.2018 gestellt.

B.

Der zulässige Antrag des beklagten Landes auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat keinen Erfolg.

I.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats dann gegeben, wenn neben den für die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sprechenden Umständen gewichtige dagegensprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatsachenfragen bewirken, beziehungsweise wenn der Erfolg des Rechtsmittels, dessen Eröffnung angestrebt wird, zumindest ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg (vgl. Senatsbeschluss vom 25.02.1997 - 4 S 496/97 -, VBlBW 1997, 263). Dies ist bereits dann ausreichend dargelegt, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, VBlBW 2000, 392, und Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77, 83).

Werden im dargelegten Sinne Zweifel an der tragenden Begründung des Verwaltungsgerichts aufgezeigt, kann der Senat einen Zulassungsantrag gleichwohl ablehnen, wenn sich das Urteil aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig erweist, ohne dass es deswegen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. So liegt der Fall hier. Die Beteiligten wurden hierzu schon mit Verfügung vom 05.07.2019 angehört.

2. Im Ergebnis hat das Verwaltungsgericht die Klage zu Recht als zulässig und begründet erachtet. Dem Vortrag des Beklagten, dass eine Auslegung des § 44 Abs. 1 Satz 2 AzUVO dahingehend, dass die Tatbestandvoraussetzung "wegen der Geburt eines weiteren Kindes" schon dann erfüllt ist, wenn aufgrund einer erneuten Schwangerschaft ein ärztliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen worden ist, mit Wortlaut und Systematik der Norm nicht vereinbar ist, ist zwar zuzustimmen. Auch ist das vom beklagten Land zitierte Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 08.05.2018 (9 AZR 8/18, Juris) zum gleichlautenden § 16 Abs. 3 Satz 2 BEEG hier insoweit einschlägig. Das Verwaltungsgericht hat damit zu Unrecht das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung "wegen der Geburt eines weiteren Kindes" bejaht. Es liegt jedoch ein "besonderer Härtefall" vor, der zur gleichen Rechtsfolge führt.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 AzUVO kann die vorzeitige Beendigung der Elternzeit wegen der Geburt eines weiteren Kindes oder wegen eines besonderen Härtefalls, insbesondere bei Eintritt einer schweren Krankheit, Schwerbehinderung oder Tod eines Elternteils oder eines Kindes der berechtigten Person oder bei erheblich gefährdeter wirtschaftlicher Existenz der Eltern nach Inanspruchnahme der Elternzeit, nur innerhalb von vier Wochen nach der Antragstellung aus dringenden dienstlichen Gründen abgelehnt werden. Schon das der Aufzählung in Satz 2 der Vorschrift vorangestellte Wort "insbesondere" macht deutlich, dass es sich nachfolgend um nicht abschließende Beispielfälle handelt. Diese erfassen Fallgestaltungen, in denen eine unerwartete Zweckverfehlung eingetreten ist. Hiervon ausgehend ist eine Schwangerschaft, deren Auswirkungen schon vor Beginn des allgemeinen Beschäftigungsverbots dazu führen, dass der Beamtin uneingeschränkt die Ausübung jeder Tätigkeit ärztlich verboten ist, weil sie hierdurch sich und/oder ihr Kind erheblich gefährden würde, als besonderer Härtefall zu werten. Denn eine solche Situation führt in gleicher Weise zu einer nicht vorhersehbaren Zweckverfehlung der zur Betreuung und Erziehung eines Kindes in Anspruch genommenen Elternzeit, wie etwa auch eine schwere Krankheit oder Behinderung. Dies ergibt sich im Einzelnen aus Folgendem:

a) Die Ereignisse, die nach § 44 Abs. 1 Satz 2 AzUVO als besonderer Härtefall angesehen werden, spiegeln allesamt unvorhersehbare wesentliche Änderungen in der Familie und in den Beziehungen zwischen den Eltern oder zwischen Eltern und Kindern wider; sie sind gekennzeichnet durch den Wegfall oder die erhebliche Einschränkung der ursprünglichen Verfügbarkeit eines Familienmitglieds oder der zunächst gegebenen Möglichkeit des betreffenden Elternteils, das Kind zu erziehen, oder des Kindes, erzogen zu werden. Insoweit zieht die Schwangerschaft an sich zwar nicht grundsätzlich wesentliche Änderungen nach sich, die in gleicher Weise dem Eintritt der Bedingungen entgegenstünden, die der Stellung des Antrags auf Erziehungsurlaub für die Betreuung des Kindes zugrunde lagen. Jedoch verändert diese Schwangerschaft die Beziehungen innerhalb der Familie bzw. beeinträchtigt bei mit dieser verbundenen Risiken für Mutter und ungeborenes Kind die Verfügbarkeit der Betreffenden und ihre Möglichkeiten, ein Kind im Rahmen des Erziehungsurlaubs zu erziehen. Die mit der Schwangerschaft einhergehenden Änderungen machen es dabei der betreffenden Frau - jedenfalls - in der Endphase vor der Entbindung und in den ersten Wochen regelmäßig unmöglich, sich um ihr erstes Kind zu kümmern (vgl. EuGH, Urteil vom 20.09.2007 - C-116/06 - <Sari Kiiski>). Vor diesem Hintergrund bedeutet das hier ärztlich attestierte Beschäftigungsverbot, das der Klägerin schwangerschaftsbedingt bereits sechs Monate vor der Geburt bis voraussichtlich zum Beginn des Mutterschutzes jegliche Tätigkeit verbietet, nichts Anderes, als dass die für die Endphase der Schwangerschaft regelmäßig zu erwartende Situation bei der Klägerin bereits vorzeitig eingetreten ist.

b) Auch das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot streitet für dieses Normverständnis. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs darf das nationale Recht, wenn es die Voraussetzungen strikt festlegt, unter denen der Zeitpunkt des Elternurlaubs geändert werden kann, dabei Frauen nicht wegen ihrer Schwangerschaft diskriminieren (EuGH, Urteil vom 20.09.2007 - C - 116/06 <Sari Kiiski>). Im vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Fall lag insoweit eine Diskriminierung vor, weil zwar Gründe für eine Änderung des einmal fixierten Elternurlaubs vorgesehen waren (z.B. schwere Erkrankung oder Tod des Kindes oder des anderen Ehegatten oder Scheidung), die fortgeschrittene Schwangerschaft, die ähnliche Auswirkungen zeitigt, aber dabei nicht genannt war (vgl. auch EuArbR/Risak, 2. Aufl. 2018, RL 2010/18/EU § 3 Rn. 10).

Der Senat verkennt dabei nicht, dass der Europäische Gerichtshof sich in dieser Entscheidung ausschließlich mit normativen Beschäftigungsverboten befasst hat. Er hat hierzu festgestellt, dass Art. 2 der Richtlinie 76/207/EWG, der hinsichtlich der Arbeitsbedingungen jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts verbietet, und die den Mutterschaftsurlaub betreffenden Art. 8 und Art. 11 der Richtlinie 92/85/EWG nationalen Vorschriften zur Regelung des Erziehungsurlaubs entgegenstehen, die es der betreffenden Frau nicht gestatten, auf Antrag eine Änderung des Zeitraums des Erziehungsurlaubs in dem Moment zu erwirken, in dem sie ihre Ansprüche auf Mutterschaftsurlaub geltend macht, und ihr so mit dem Mutterschaftsurlaub verbundene Rechte nehmen. Aufgrund dieser Rechtsprechung wurde die Regelung des § 16 Abs. 3 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) mit Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs vom 10.09.2012 (BGBl. I, S. 1876, 1882) neu gefasst. Dieser Regelung wiederum ist § 44 Abs. 1 AzUVO nachgebildet, der nun in der ab 01.01.2014 gültigen Fassung der EuGH-Entscheidung aus dem Jahre 2007 gerecht wird, indem Satz 3 bestimmt, dass die Elternzeit zur Inanspruchnahme der sich aus der Verordnung ergebenden allgemeinen Beschäftigungsverbote vor und nach der Entbindung auch ohne Zustimmung der Bewilligungsbehörde vorzeitig beendet werden kann.

Um solche, von individuellen Umständen unabhängige, an den Zeitpunkt der bevorstehenden oder erfolgten Geburt des weiteren Kindes anknüpfende Rechte geht es hier nicht. Maßgeblich für den vorliegenden Fall sind aber die der Entscheidung zugrundeliegenden Überlegungen des Gerichtshofs, dass die dort beanstandeten nationalen Regelungen nicht die Änderungen berücksichtigten, die sich aus der Schwangerschaft für die betreffende Arbeitnehmerin in dem auf mindestens vierzehn teils vor, teils nach der Entbindung liegenden Wochen begrenzten Zeitraum ergeben. Der Gerichtshof hat insoweit eine Diskriminierung bejaht, weil aufgrund des nationalen Rechts die Schwangerschaft u.a. nicht mit einer schweren Erkrankung gleichbehandelt wurde und hierdurch ein Sachverhalt, ohne dass dies objektiv gerechtfertigt wäre, anders behandelt werde, obwohl er in Bezug auf den Zweck des Elternurlaubs im Sinne der Rahmenvereinbarung und auf die Hindernisse, die die Erreichung dieses Zwecks gefährden können, dem Sachverhalt gleiche, der aus einer schweren Erkrankung oder dem Tod des Kindes oder des Ehegatten oder aus einer Scheidung resultiere (vgl. EuGH, Urteil vom 20.09.2007 - C - 116/06 <Sari Kiiski>). Wenn aber mit dieser Begründung eine Diskriminierung darin zu sehen war, dass die generelle Annahme einer Gefährdung der Gesundheit der Schwangeren und/oder des Kindes im Falle der Beschäftigung - unabhängig von der individuellen Situation der Schwangeren - während des allgemeinen Mutterschutzes im nationalen Recht nicht als Grund für die Beendigung der Elternzeit anerkannt wurde, liegt eine Diskriminierung wegen der - erneuten - Schwangerschaft hier erst recht vor. Denn die Klägerin, der wegen einer Risikoschwangerschaft und der hiermit verbundenen Veränderungen ihres individuellen Gesundheitszustands durch ein ärztliches Attest jede Tätigkeit vollumfänglich wegen der konkreten Möglichkeit der Gefährdung ihrer Gesundheit oder der ihres Kindes verboten wurde, befindet sich schwangerschaftsbedingt in einer Situation, die auf der Grundlage einer schweren Erkrankung oder einer Behinderung als besonderer Härtefall anerkannt würde.

c) Soweit das beklagte Land - bezüglich des nicht zutreffenden Normverständnisses des Verwaltungsgerichts - noch vorgetragen hatte, es werde hierdurch ein Anreiz geschaffen, die Elternzeit mittels eines individuellen Beschäftigungsverbotes zu beenden, um finanzielle Vorteile zu erhalten, ist nur darauf hinzuweisen, dass es nicht Zweck der Elternzeit ist, dem Dienstherrn Belastungen seines Haushalts zu ersparen, die er hinnehmen müsste, wenn die schwangere Beamtin diese Elternzeit nicht in Anspruch genommen hätte. Entsprechendes gilt, soweit das beklagte Land wohl die Ansicht vertritt, dass ein ärztliches Beschäftigungsverbot nicht in Betracht komme, solange die schwangere Beamtin Elternzeit in Anspruch nehme (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 3 AzUVO und EuGH, Urteil vom 20.09.2007 - C - 116/06 <Sari Kiiski>).

d) Auch der Einwand des Beklagten, im vorliegenden Fall lasse sich weder aus dem Antrag noch aus dem ärztlichen Attest eine ausreichende Darlegung eines Härtefalls im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 AzUVO a.F. herleiten, überzeugt nicht.

aa) Hierzu hat das beklagte Land ausgeführt, im Antrag komme lediglich zum Ausdruck, dass eine Risikoschwangerschaft bestehe und ein individuelles Beschäftigungsverbot aufgrund des Eintritts eines gesundheitlichen Zustandes, der bei Fortdauer der Beschäftigung das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind gefährde, ausgesprochen worden sei. Das bloße Vorliegen einer Risikoschwangerschaft bedeute aber nicht automatisch, dass immer auch eine akute Gesundheitsgefahr für die Schwangere und das Ungeborene bestehe, sondern normalerweise nur, dass es Grund dazu gebe, die Schwangerschaft besonders intensiv zu überwachen. Auch das per ärztlichem Attest ausgesprochene Beschäftigungsverbot sage nur aus, dass bei der Klägerin ein Gesundheitszustand eingetreten sei, der eine Fortdauer der Beschäftigung nicht zulasse. Bei Anwendung der Auslegungsregel des § 133 BGB lasse sich nur erkennen, dass die Aufhebung der bestehenden Elternzeit begehrt werde, nicht jedoch, dass dieses Begehren auf das Vorliegen eines besonderen Härtefalls gestützt werde. Hierfür wäre ein Mindestmaß an wörtlicher Begründung (Beschreibung des eigenen Gesundheitszustandes als Härtefall bzw. Vorlage eines entsprechend detaillierten ärztlichen Attestes) notwendig gewesen. In dem Hinweisschreiben des Senats vom 09.07.2019 werde darauf abgestellt, dass es dafür, ob im Falle des § 34 AzUVO bzw. § 32 Abs. 1 AzUVO a.F. die ärztlich attestierte Gefährdung im Falle der Weiterbeschäftigung der schwangeren Beamtin durch einen Gesundheitszustand bedingt sei, der einer schweren Erkrankung vergleichbar sei, oder ob die wesentliche Ursache für die Gefährdung in dem bisherigen Aufgabenbereich der Beamtin liege, immer auf die Umstände des Einzelfalles ankomme. Gerade eine solche differenzierte Prüfung sei hier aufgrund des unzureichend formulierten Antrags der Klägerin und des sehr allgemein formulierten Attests nicht möglich gewesen. Es gehöre jedoch zur Obliegenheit der Beamtin, einen entsprechend fundierten Antrag zu stellen oder einen zunächst abgelehnten Antrag zu wiederholen und bei der ersten Entscheidung nicht vorhandene Unterlagen nunmehr vorzulegen. Nach dem Beschleunigungsgebot des § 44 Abs. 1 Satz 2 AzUVO sei für den Dienstherrn auch kein Raum für eigene Recherchen zum Gesundheitszustand der Klägerin.

bb) Richtig ist insoweit lediglich, dass nicht jede Risikoschwangerschaft und jedes ärztliche Beschäftigungsverbot zur Annahme eines Härtefalls führen muss. Hingegen muss eine Beamtin, wenn sie sich mit einem - hier klar erkennbaren - Begehren an ihren Dienstherrn wendet, nicht die ihrer Ansicht nach für dessen Beurteilung einschlägige Rechtsgrundlage und damit auch nicht deren Alternativen oder Tatbestandsmerkmale, die sie als erfüllt ansieht, benennen.

Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich auch wesentlich von dem, der der von dem Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.01.2016 (- 2 B 13.15 -, Juris) zugrunde lag. Dort konnte - wie sich der Ausgangsentscheidung entnehmen lässt (OVG NRW, Urteil vom 17.12.2014 - 6 A 2162/12 -, Juris) - der Dienstherr seiner fristgerechten Ablehnung der vorzeitigen Beendigung der Elternzeit zunächst nur den Antrag des Beamten, in dem dieser angegeben hatte, die Betreuungsarbeit sei ihm wegen Eintritts einer schweren Krankheit nicht möglich und eine Bescheinigung hierüber werde in Kürze nachgereicht, zugrunde legen. Aus der nachgereichten ärztlichen Bescheinigung ging sodann lediglich hervor, dass der Beamte sich vom 11. bis 22.10.2011 in stationärer Behandlung in einer Klinik für Innere Medizin befunden hatte und es ihm wegen seiner Erkrankung nicht möglich war, die Betreuung seiner Kinder zu gewährleisten oder die Elternzeit wahrzunehmen. Es fehlte an Angaben über die Art der Erkrankung sowie deren voraussichtliche Dauer und an Darlegungen, inwiefern und für wie lange die Krankheit die Betreuung der Kinder voraussichtlich verunmögliche.

Im vorliegenden Fall war dagegen dem eindeutig formulierten Antrag, mit dem die Klägerin die Beendigung der Elternzeit mit sofortiger Wirkung wegen einer Risikoschwangerschaft begehrte, bereits das Attest einer Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe vom 21.03.2018 beigefügt, in dem mit Wirkung vom 20.03.2018 bis voraussichtlich zum Beginn des Mutterschutzes ein vollständiges Beschäftigungsverbot für jede Tätigkeit ausgesprochen wird. Damit war für das beklagte Land hinreichend erkennbar, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin in der Weise verändert hatte, dass sie schwangerschaftsbedingt bereits seit dem 20.03.2018 - unabhängig von Art und Umfang der Aufgaben und der zeitlichen Belastung - keine Tätigkeit ausüben durfte. Hieraus ergab sich, wie dargelegt, wiederum das Vorliegen einer unvorhergesehenen Zweckverfehlung, die einen besonderen Härtefall im Sinne der Vorschrift darstellt.

Im Übrigen kommt dem hier vorgelegten schriftlichen Beschäftigungsverbot ein hoher Beweiswert zu (C. W. Hergenröder in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 8. Aufl. 2018, § 16 MuSchG, Rn. 5). Auch insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem, der der vom beklagten Land zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde lag. Ebenso wie der private Arbeitgeber muss sich auch der Dienstherr an dieses Beschäftigungsverbot halten. Er kann eine Nachuntersuchung verlangen, wenn er begründete Zweifel an dem ärztlichen Attest hat. Insoweit hat das beklagte Land im Widerspruchsbescheid zu erkennen gegeben, dass solche Zweifel nicht bestehen, sondern das "sich auf jede Tätigkeit beziehende individuelle Beschäftigungsverbot selbstverständlich beachtet" werde. Schließlich kann offenbleiben, ob sich der Dienstherr auch dann, wenn er - wie hier - die Vier-Wochen-Frist des § 44 Abs. 1 Satz 2 AzUVO hat verstreichen lassen, auf das Beschleunigungsgebot und die hieraus zu Lasten des Beamten abgeleiteten Darlegungsobliegenheiten überhaupt noch berufen kann.

II.

1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn das erstrebte weitere Gerichtsverfahren zur Beantwortung von entscheidungserheblichen konkreten Rechtsfragen oder im Bereich der Tatsachenfragen nicht geklärten Fragen mit über den Einzelfall hinausreichender Tragweite beitragen könnte, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts höhergerichtlicher Klärung bedürfen. Die Darlegung dieser Voraussetzungen verlangt vom Kläger, dass er unter Durchdringung des Streitstoffs eine konkrete Rechtsfrage aufwirft, die für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund gibt, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll (vgl. Senatsbeschluss vom 05.06.1997 - 4 S 1050/97 -, VBlBW 1997, 420 m.w.N.).

2. Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Der Beklagte hat keine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage formuliert, sondern bezieht sich lediglich auf die streitige Auslegung des § 44 Abs. 1 Satz 2 AzUVO. Insoweit ist die Auslegung der Tatbestandvoraussetzung "wegen der Geburt eines weiteren Kindes", wie dargelegt, hier nicht entscheidungserheblich. Sie ist im Übrigen auch nicht klärungsbedürftig, sondern ergibt sich im Sinne des beklagten Landes aus der Norm selbst.

Grundsätzliche Bedeutung kommt auch der hier entscheidungserheblichen Auslegung der Härtefallregelung des § 44 Abs. 1 Satz 2 AzUVO nicht zu, weil hier immer die Umstände des Einzelfalls relevant sind, ob im Falle des § 34 AzUVO bzw. § 32 AzUVO a.F. die ärztlich attestierte Gefährdung im Falle der Weiterbeschäftigung der schwangeren Beamtin durch einen Gesundheitszustand bedingt ist, der einer schweren Erkrankung oder Behinderung vergleichbar ist, oder ob die wesentliche Ursache für die Gefährdung in dem bisherigen Aufgabenbereich und/oder der Dauer und/oder der Lage der Dienstzeit der Beamtin zu sehen ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

IV.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

V.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO sowie § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG hinsichtlich der Streitwertfestsetzung).

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