LG Köln, Urteil vom 09.06.2020 - 5 O 32/20
Fundstelle
openJur 2020, 31586
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger macht Entschädigungsansprüche von Teilnehmern einer Demonstration am 07.01.2017 geltend.

An diesem Tag fand in Köln eine angemeldete Versammlung in Form eines Aufzuges der Partei "ProNRW" statt, in deren Rahmen unter anderem auf dem Pastor-Könn-Platz vor der Kirche St. Aposteln eine Zwischenkundgebung geplant war.

Nachdem die Polizei zunächst eine Sitzblockade von ca. 30 Personen auf der Apostelnstraße aufgelöst hatte, versammelten sich etwa 200 Gegendemonstranten auf dem Pastor-Könn-Platz, die ab 15.15 Uhr von den eingesetzten Polizeikräften umstellt und eingekesselt wurden. Um 16.15 Uhr wurde die Versammlung der Gegendemonstranten mittels Lautsprecherdurchsage der Polizei aufgelöst, die um 16.20 Uhr wiederholt wurde. Zugleich wurde die Identitätsfeststellung angekündigt. Die Identitäten der insgesamt 228 eingeschlossenen Personen wurden anschließend festgestellt. Die Maßnahmen wurden um 19 Uhr beendet. In der Zwischenzeit wurden mobile Toilettenhäuschen aufgestellt. Außerdem wurden den Demonstranten warme Getränke und Decken angeboten, und einige hatten die Möglichkeit, die nahegelegenen Geschäftsräume der Firmen Nordsee und Tchibo aufzusuchen.

Der Zeuge T erstritt vor dem Verwaltungsgericht Köln am 16.05.2019 ein Urteil, mit dem festgestellt wurde, dass die Einkesselung ab ca. 15.15 - 17.30 Uhr, die Auflösung der Versammlung aufgrund der polizeilichen Durchsagen um 16.15 und 16.20 Uhr sowie die nachfolgende Einkesselung bis 17.30 Uhr rechtswidrig waren.

Die 57 in der Klageschrift aufgeführten Zedenten traten ihre etwaigen Entschädigungsansprüche aufgrund der Einschließungsmaßnahme an den Kläger ab.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die polizeilichen Maßnahmen betreffend alle Zedenten rechtswidrig gewesen seien. Alle Zedenten hätten an der Gegendemonstration teilgenommen und seien von den polizeilichen Maßnahmen betroffen gewesen. Sie hätten bis zu 4,5 Stunden bei Kälte und eintretender Dunkelheit ausharren müssen und teilweise trotz Bedürfnisses keine Toilette aufsuchen können. Die Mobiltoiletten seien erst zwischen 17 und 17.15 Uhr benutzbar gewesen, ebenso wie erst ab diesem Zeitpunkt Decken und warme Getränke ausgegeben worden seien.

Je nach Art und Umfang der Betroffenheit seien Entschädigungsbeträge zwischen 100,-- und 300,-- € angemessen. In ihren Berichten in sozialen Medien habe die Polizei nicht eingeräumt, dass der Einsatz rechtswidrig gewesen sei.

Auch die Zedenten X und S seien eingekesselt worden.

Der Kläger beantragt,

1. das A zu verurteilen, an ihn 10.700,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.01.2020 zu zahlen;

2. das A zu verurteilen, ihn in Höhe von 958,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit von seinen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen.

Das A beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es behauptet, keiner der 57 Zedenten habe durch die Einkesselung Beeinträchtigungen erlitten, die die Zahlung einer Geldentschädigung rechtfertigen würden. Bis die mobilen Toiletten aufgestellt worden seien, hätten alle Demonstranten, die einen entsprechenden Wunsch geäußert hätten, die Toiletten in den Geschäftsräumen der Firmen Nordsee und Tchibo aufsuchen können. Dort hätten sie sich auch aufwärmen sowie mit Lebensmitteln und Getränken versorgen können, bis die Polizei ebenfalls Heißgetränke zur Verfügung gestellt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Die Akten VG Köln 20 K 5133/17 und StA Köln 121 Js 50/17 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Den Zedenten standen die an den Kläger abgetretenen Ansprüche unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu, insbesondere nicht aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes können durch schuldhafte Amtspflichtverletzungen verursachte Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf Geldentschädigung begründen. Ein solcher Anspruch kommt allerdings nur in Betracht, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht handelt und die Beeinträchtigung des Betroffenen nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, ist aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und hängt insbesondere von der Bedeutung und der Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 - III ZR 9/03 -, Rn. 44 m.w.N., juris).

Zwischen der Feststellung einer Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG einerseits und der Zuerkennung einer Geldentschädigung andererseits besteht kein zwingendes Junktim (BGH, Urteil vom 04. November 2004 - III ZR 361/03 -, BGHZ 161, 33-38, Rn. 12). Es begegnet jedenfalls keinen durchgreifenden Bedenken, einen Anspruch auf Geldentschädigung von dem weiteren Erfordernis abhängig zu machen, dass die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (BGH, aaO, Rn. 14).

Dies ist auch vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligt worden (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Februar 2017 - 1 BvR 2639/15 -, Rn. 15, juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze rechtfertigen es die Umstände des hier zu entscheidenden Falles - bei Wahrunterstellung des klägerischen Sachvortrages - nicht, den Zedenten die geltend gemachten Entschädigungsansprüche in Geld zuzuerkennen.

Aus den Gründen des Urteils des Verwaltungsgerichts Köln vom 16.05.2019, das auf die Klage des Zeugen T ergangen ist, der nicht zu den 57 Zedenten gehört, deren Ansprüche der hiesige Kläger geltend macht, mag von einer Rechtswidrigkeit der Einkesselung und der Fertigung von Bildaufnahmen der Versammlung ausgegangen werden. Diese wurde damit begründet, dass ein Recht zur Identitätsfeststellung gemäß § 163b Abs. 1 StPO nicht bestanden habe und auch die Voraussetzungen für eine Auflösung der Versammlung der Gegendemonstranten aus § 15 VersG nicht erfüllt waren.

Soweit der Ausspruch der Rechtswidrigkeit der Einkesselung in dem Urteil auf die Zeit bis 17.30 Uhr beschränkt wurde, beruhte dies darauf, dass der Zeuge T die Einschließung zu diesem Zeitpunkt verlassen konnte. Hinsichtlich derjenigen Demonstranten, die länger - spätestens bis 20.00 Uhr - festgehalten wurden, gelten die Ausführungen des Verwaltungsgerichts entsprechend.

Unter den gegebenen Umständen sowie unter Berücksichtigung der rechtlichen Bewertung des verwaltungsgerichtlichen Urteils stellt sich das Verhalten der Polizeibeamten einschließlich der Einsatzleitung, die die Maßnahmen angeordnet hat, allenfalls als fahrlässig dar.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt ein Amtsträger vorsätzlich, wenn er sich bewusst über die verletzte Amtspflicht hinwegsetzt. Zum Vorsatz gehört die Kenntnis der Tatsachen, aus denen die Pflichtverletzung sich objektiv ergibt, und das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit, d.h. das Bewusstsein, gegen die Amtspflicht zu verstoßen. Zumindest muss der Amtsträger mit der Möglichkeit eines solchen Verstoßes rechnen und diesen billigend in Kauf nehmen (BGH, Urteil vom 20. Juni 2000 - IX ZR 434/98 -, Rn. 29, juris).

Hierfür hat der Kläger weder Anhaltspunkte vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich. Insbesondere muss berücksichtigt werden, dass es seinerzeit darum ging, ein Aufeinandertreffen der Teilnehmer des genehmigten Aufzuges mit den Gegendemonstranten zu verhindern, bei dem nicht auszuschließen war, dass es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen konnte, und dass die für die Einschätzung der Lage und Entscheidung über die zu treffenden Maßnahmen zur Verfügung stehenden Zeitspanne sehr kurz war.

Die gleichen Gründe stehen überdies der Annahme einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung entgegen.

Auch die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs erreichen kein solches Ausmaß, dass die Zuerkennung einer Geldentschädigung geboten wäre. Ausgehend von der Auflistung des Klägers mussten die Zedenten maximal 4 ¾ Stunden bis zu ihrer Entlassung aus der Einkesselung bei Temperaturen, die unter den Gefrierpunkt sanken, ausharren, wobei ihnen erst nach zwei Stunden Decken und warme Getränke zur Verfügung gestellt wurden. Diejenigen Zedenten, die bis 17.15 Uhr warten mussten, um eine Toilette aufsuchen zu können, blieben längstens 3 ¾ Stunden in der Umschließung. Zu berücksichtigen war schließlich, dass die Polizei in ihren Berichten in sozialen Medien nicht eingeräumt hat, dass der Einsatz rechtswidrig gewesen sei.

Der bereits zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Februar 2017 - 1 BvR 2639/15 -) lag der Fall einer Demonstrantin zugrunde, die insgesamt 10 Stunden unter freiem Himmel und bei einsetzendem Regen festgehalten worden war. Die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts, mit denen eine Entschädigung versagt worden war, hat das Bundesverfassungsgericht aufgehoben. Allerdings kam im dortigen Fall noch hinzu, dass die Klägerin gegen ihren geäußerten Wunsch keinem Richter vorgeführt wurde, der über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheiden konnte.

Der Bundesgerichtshof hat in dem ebenfalls oben zitierten Fall (Urteil vom 04. November 2004 - III ZR 361/03 -, BGHZ 161, 33-38) einem Gefangenen, der zwei Tage lang mit vier weiteren Insassen in einer 16 m² großen Zelle untergebracht worden war, in der die Toilette nur mit einem Sichtschutz abgetrennt war, keine Entschädigung zuerkannt, weil die Möglichkeit, die Rechtsverletzungen mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen des Strafvollzugsgesetzes anzugreifen, als ausreichende Wiedergutmachung angesehen wurde.

Die Zedenten, deren Ansprüche der Kläger vorliegend geltend macht, hätten wie der Zeuge T sämtlich ebenfalls die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen durch das Verwaltungsgericht überprüfen lassen können. Unter den gegebenen Umständen und unter Zugrundelegung der wiedergegebenen Rechtsprechung stellte dies eine ausreichende Genugtuung dar, so dass eine - zusätzliche - Geldentschädigung nicht zuzuerkennen war.

Die Klageforderung lässt sich auch nicht auf §§ 67 PolG NRW i.V.m. 39 Abs. 1 b) OBG NRW stützen, da gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 OBG NRW Entschädigung nur für Vermögensschäden gewährt wird.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

Streitwert: 10.700,-- €