LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.12.2014 - L 10 SF 11/14 EK
Fundstelle
openJur 2020, 26525
  • Rkr:

1. Im Rahmen einer Klage nach § 198 GVG ist die Höhe der verlangten Entschädigung zu beziffern (ebenso: Thüringer OVG, 8.1.2014, Az 2 SO 182/12; OLG Hamm, 7.5.2014, Az I-11 EK 22/13, 11 EK 22/13; aA ohne Begründung: LSG Berlin-Brandenburg, 25.6.2014, Az L 38 SF 304/13 EK AS; LSG Baden-Württemberg, 27.5.2014, Az L 2 SF 3228/13 EK).

2. Trotz Unzulässigkeit der Leistungsklage ist eine Wiedergutmachung durch die Feststellung der Überlänge möglich (aA: OLG Hamm, 7.5.2014, Az I-11 EK 22/13, 11 EK 22/13).

3. Es ist zweckmäßig, insbesondere bei Zweifeln an einem Rechtsschutzbedürfnis längere Zeit zu warten, ob hierzu noch Aspekte vorgetragen werden und die Klage nicht vorschnell abzuweisen.

4. Eine missbräuchliche Klage auf Wiedergutmachung kann regelmäßig keinen Erfolg haben.

5. Eine Wiedergutmachung ist nur möglich, wenn zumindest ein immaterieller Schaden vorstellbar ist.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 1.200 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen einer seiner Ansicht nach überlangen Verfahrensdauer.

In dem Ausgangsverfahren erhob der Kläger am 1. September 2012 Klage am Sozialgericht Magdeburg gegen einen Träger von Leistungen nach dem SGB II und trug vor, die Klage begründe sich in dem "Widerspruchsverfahren wegen Kostenübernahme der Betriebskosten (Heizkosten) vom 24.02.2011". Hier sei die Behörde bisher untätig geblieben. Das dort beklagte Jobcenter teilte mit einem am 20. September 2012 am Gericht eingegangenen Schreiben mit, dass man den Widerspruch bereits mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2011 als unzulässig verworfen habe. Damit könne die Untätigkeitsklage keinen Erfolg mehr haben. Das Sozialgericht leitete dem Kläger diesen Schriftsatz mit Schreiben vom 24. September 2012 zur Kenntnis- und Stellungnahme zu. Nachdem der Kläger darauf nicht reagiert hatte, wurde er mit Schreiben vom 13. November 2012 erneut um eine Stellungnahme gebeten. Hierauf trug der Kläger mit einem am 17. November 2012 eingegangenen Schreiben vor, die Behauptung des Jobcenters, dass bereits über den Widerspruch entschieden worden sei, werde angezweifelt. Mit Schreiben vom 26. November 2012 hörte das Sozialgericht die Beteiligten zu einer angedachten Entscheidung mittels Gerichtsbescheid an. Mit Gerichtsbescheid vom 21. Dezember 2012 wies das Sozialgericht sodann die Klage ab und führte aus, eine Untätigkeit des beklagten Jobcenters liege nicht vor, da dieses über den Widerspruch des Klägers bereits entschieden habe.

Gegen die ihm am 28. Dezember 2012 zugestellte Entscheidung legte der Kläger am 18. Januar 2013 Berufung am Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (im Weiteren LSG) ein und machte geltend, der Widerspruchsbescheid sei ihm nicht zugestellt worden. Das beklagte Jobcenter erklärte sich daraufhin bereit, den Widerspruchsbescheid nochmals an den Kläger zu übersenden. Mit Schreiben vom 27. Februar legte das LSG dar, mit der erneuten Übersendung des Widerspruchsbescheides dürfte sich das Untätigkeitsverfahren erledigt haben. Der Kläger werde Mitteilung gebeten, ob das vorliegende Verfahren für erledigt erklärt werde. Mit Schreiben vom 9. Juli 2013 und 8. August 2013 wurde der Kläger an die Beantwortung des gerichtlichen Schreibens erinnert. Mit Schreiben vom 11. August 2013 rügte der Kläger die überlange Verfahrensdauer, ohne die Anfrage des LSG zu beantworten.

Am 3. Mai 2014 hat er dann Klage am LSG auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer erhoben und eine Entschädigung beantragt. Auf Aufforderung des Senats hat der Kläger die Gerichtskosten entrichtet.

Mit Urteil vom 25. Juni 2014 verwarf das LSG die Berufung des Klägers im Ausgangsverfahren als unzulässig und führte aus, es fehle an einem Rechtsschutzbedürfnis. Nachdem das beklagte Jobcenter eine Entscheidung getroffen habe und diese auch dem Kläger bekannt geworden sei, sei nicht ersichtlich, welche rechtlichen Vorteile dem Kläger die Fortführung des Berufungsverfahrens bringen könnten.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung wegen der unangemessenen Dauer des von ihm unter dem Az. L 5 AS 163/13 beim LSG Sachsen Anhalt geführten Berufungsverfahrens zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage für unbegründet.

Der Berichterstatter hat den Kläger darauf hingewiesen, dass ein bezifferter Antrag zu stellen sei (also eine Summe anzugeben sei, die mindestens gefordert werde). Der Kläger hat daraufhin gebeten, die gesetzliche Vorgabe anzuwenden.

Der Berichterstatter hat diesen erneut aufgefordert, wenigstens annähernd die Größenordnung der begehrten Forderung anzugeben oder die Größenordnung des Klagebegehrens durch einen Mindestbetrag oder einen ungefähren Betrag zu kennzeichnen. Der Kläger hat daraufhin die Ansicht vertreten, diese Größenordnung sei bereits in § 198 Abs. 2 GVG geregelt. Daher werde eine "Entschädigungshöhe" von 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung beantragt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akte des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

Gründe

Der Senat konnte den Rechtsstreit verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger zum Termin weder erschienen noch vertreten gewesen ist. Hierauf ist er mit der ihm am 30. Oktober 2014 zugestellten Ladung hingewiesen worden.

Die Klage ist nur teilweise zulässig und im Übrigen unbegründet.

A. I.

Für die Entscheidung über die Klage ist das LSG zuständig. Dies ergibt sich aus §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sowie §§ 183, 197a und 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Denn die grundsätzlich in § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG vorgesehene Zuweisung der Entschädigungsklage an das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde, wird für sozialgerichtliche Verfahren in § 202 Satz 2 SGG modifiziert. Nach dieser Regelung sind die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198-201) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das LSG, an die Stelle des Bundesgerichtshofs (BGH) das Bundessozialgericht (BSG) und an die Stelle der Zivilprozessordnung (ZPO) das SGG tritt.

II.

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben. Die gemäß § 90 SGG für die Klage vorgeschriebene Schriftform ist eingehalten. Auch die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG ist jedenfalls eingehalten worden.

III.

1) Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage grundsätzlich statthaft. Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i. V. m. § 202 Satz 2 SGG sind die Vorschriften des SGG über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen. Gemäß § 54 Abs. 5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Der Kläger macht angesichts der Regelung des § 198 GVG geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung i. S. d. § 54 Abs. 5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben. Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl. § 198 Abs. 5 GVG). Vielmehr lässt die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 17/3802, S. 22 zu Abs. 5 Satz 1), nach der der Anspruch nach allgemeinen Grundsätzen auch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger geltend gemacht und außergerichtlich befriedigt werden kann, erkennen, dass es sich hierbei um eine Möglichkeit, nicht jedoch eine Verpflichtung handelt.

Jedoch ist die Leistungsklage unzulässig.

Es fehlt an einem sachdienlichen (bestimmten) Klageantrag im Sinne von § 92 SGG und dem hierzu erforderlichen Tatsachenvortrag (vgl. zur Bezifferung des Kostenerstattungsantrags: BSG, 20.4.2010, B 1/3 KR 22/08 R, BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr. 3, juris Rn. 27; BSG, 30.6.2009, B 1 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 15, juris Rn. 14; BSG, 26. Januar 2006, B 3 KR 4/05 R, SozR 4-2500 § 37 Nr. 7, SozR 4-2500 § 92 Nr. 4). Im Falle einer Leistungsklage nach § 198 GVG ist daher grundsätzlich ein bezifferter Zahlungsantrag zu stellen und in der Klageschrift darzulegen, wie sich dieser Betrag im Einzelnen zusammensetzt (vgl. BSG, 28.1.1999, B 3 KR 4/98 R, BSGE 83, 254, 263 = SozR 3-2500 § 37 Nr. 1 S 10, juris Rn. 27; BSG, 6.8.2014, B 4 AS 37/13 R, juris).

Allerdings steht nach gefestigter Rechtsprechung des BGH der insoweit vergleichbare § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, der die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag verlangt, der Zulässigkeit eines unbezifferten Klageantrags dann nicht entgegen, wenn zugleich die tatsächlichen Grundlagen für die Ermessensausübung des Gerichts mitgeteilt werden. Wenn der Umfang der Leistung im richterlichen Ermessen steht, muss danach kein konkreter Betrag geltend gemacht werden. Das Bestimmtheitsgebot verlangt aber nach dieser Rechtsprechung des BGH die Angabe wenigstens der ungefähren Größenordnung des begehrten Betrages, um das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang letztlich der Streitgegenstand haben soll (BGH, 7.4.2009, KZR 42/08, juris; 10.10.2002, III ZR 205/01, Rn. 11 und 12, juris; 13.10.1981, VI ZR 162/80, Rn. 6 und 7, juris; 9.07.1974, VI ZR 236/73, Rn. 9, juris). Deshalb fehlt es danach an der von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geforderten Bestimmtheit des unbezifferten Klageantrags, wenn der Kläger keine verbindlichen Angaben zur Größenordnung des begehrten Schmerzensgeldes macht (BGH, 28.2.1984, VI ZR 70/82, Rn. 21, juris).

Diese Grundsätze gelten auch für Entschädigungsklagen gem. § 198 GVG (a.A. jeweils ohne Begründung LSG Berlin-Brandenburg, 25.6.2014, L 38 SF 304/13 EK AS, juris; LSG Baden-Württemberg, 27.5.2014, L 2 SF 3228/13 EK, juris). Zwar besteht hier die Schwierigkeit, dass es dem Kläger in der Regel kaum möglich sein dürfte, hinsichtlich des geltend gemachten immateriellen Schadens einen zutreffenden Betrag zu beziffern (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, 12.9.2012, OVG 3 A 2.12, Rn. 19, juris). Angesichts der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG geregelten Entschädigungspauschale für immaterielle Nachteile ist es aber möglich, wenigstens annähernd die Größenordnung der begehrten Forderung anzugeben (ebenso: Thüringer OVG, 8.1.2014, 2 SO 182/12, juris Rn. 37).

Gemessen daran fehlt es vorliegend an einem bestimmten und damit zulässigen Leistungsantrag. Der Kläger hat die Größenordnung seines Klagebegehrens nicht durch einen Mindestbetrag oder einen ungefähren Betrag gekennzeichnet. Der Umfang des Entschädigungsanspruchs kann auch nicht der Klagebegründung entnommen werden. Es bleibt offen, für welchen Zeitraum der Kläger eine Entschädigung beanspruchen möchte (vgl. OLG Hamm, 7.5.2014, I-11 EK 22/13, 11 EK 22/13, juris). Denkbar wäre eine Entschädigung ab Erhebung der Klage, ab Erhebung der Berufung oder auch erst ab Erhebung der Verzögerungsrüge, unter Umständen jeweils unter Abzug eines angemessenen Zeitraumes für die notwendige Terminierung und Entscheidung oder eventuell auch aufgrund der durch den Kläger selbst verursachten Verzögerung.

Der Kläger wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass eine solche Bezifferung notwendig ist. Grundsätzlich kann das Verfahren erst durchgeführt werden, nachdem gemäß §§ 12,12a GKG ein entsprechender Kostenvorschuss vom Kläger eingezahlt wurde. Da dieser abhängig von der Höhe des Streitwerts ist, lässt sich überhaupt nicht verbindlich feststellen, ob der eingezahlte Vorschuss ausreichend und das Verfahren überhaupt durchzuführen ist. Auch im Rahmen der vom Kläger begehrten Entscheidung kann nicht festgestellt werden, ob der Senat eventuell rechtswidrig über den Antrag des Klägers hinausgeht bzw. ein Teil der Klage abgewiesen werden muss, weil der Kläger eine zu hohe Entschädigung beantragt. Die Bildung einer Quote für die Tragung der Gerichtskosten ist vor diesem Hintergrund unmöglich.

2) Jedoch ist eine Klage auf Feststellung der überlangen Verfahrensdauer zulässig. Nach § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG ist eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Dies setzt nach Satz 2 dieses Absatzes keinen Antrag voraus. Die Feststellung kann ebenso ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des § 198 Abs. 3 GVG nicht erfüllt sind.

Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung (zusätzlich zur Entschädigung) trifft, ist nach der Rspr. mehrerer Bundesgerichte in sein Ermessen ("kann") gestellt (BGH, 5.12.2013, III ZR 73/13, BGHZ 199, 190-207; ähnlich BVerwG, 11.7.2013, 5 C 23.12 D, BVerwGE 147, 146 ff, Rn. 63, 68 f; Schenke, NVwZ 2012, 257, 264). Der Kläger hat insoweit ein subjektives Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Gerichts (so auch BVerwG a.a.O.; a.A. scheinbar BGH, a.a.O.). Der Senat lässt offen, ob und welchem Bundesgericht insoweit zu folgen ist. Zumindest übt er sein Ermessen dahingehend aus, inhaltlich über die Feststellungsklage zu entscheiden. Gerade weil die Leistungsklage hier unzulässig ist, besteht nach Ansicht des Senats ein besonderes Interesse hinsichtlich der Feststellungsklage.

Diese Feststellung stellt einen eigenständigen Streitgegenstand dar, so dass sich die Unzulässigkeit der Leistungsklage nicht auf diese Feststellungsklage erstreckt (wie hier OVG Thüringen, 8.1.2014, 2 SO 182/12, Rn. 57, juris). Die Ausübung der dem Entschädigungsgericht in § 198 Abs. 4 GVG eingeräumten Befugnis zum Erlass eines Feststellungsausspruchs setzt keine zulässig erhobene Entschädigungsklage voraus. Nach dem klaren Wortlaut des § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG ist die Feststellung eine andere Form der Wiedergutmachung. Ausdrücklich ist diese nach § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG auch möglich, wenn die Voraussetzungen für eine Entschädigung in Geld mangels Erfüllung der Voraussetzungen nach § 198 Abs. 3 GVG nicht möglich ist. Der Senat kann keinen Grund erkennen, warum die Unzulässigkeit der Leistungsklage sich auf eine daneben mögliche Feststellungsklage auswirken sollte (a.A. OLG Hamm, 7.5.2014, I-11 EK 22/13, 11 EK 22/13, juris).

B.

Allerdings ist die zulässige Feststellungsklage zur Überzeugung des Senats nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens. Die Voraussetzungen für eine Wiedergutmachung (hier im Sinne einer Feststellung) liegen nicht vor.

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG (z.B. durch die hier noch allein zu beurteilende Feststellung) ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 S. 2 GVG).

I.

Ob die Verfahrensdauer angemessen ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Vielmehr regelt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausdrücklich, dass es auf die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten ankommt. Diese Umstände sind darüber hinaus in einen allgemeinen Wertungsrahmen einzuordnen (vgl. dazu BSG, Urteile vom 21.2.2013, B 10 ÜG 1/12 und 2/12 KL, zitiert nach juris, jeweils Rn. 25 ff. m.w.N.). Denn schon aus der Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an den als Grundrecht nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) qualifizierten Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit wird deutlich, dass es auf eine gewisse Schwere der Belastung ankommt. Ferner sind das Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 Abs. 1 GG) sowie das Ziel, inhaltlich richtige Entscheidungen zu erhalten, zu berücksichtigen. Dabei muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Sachen zu behandeln hat, so dass ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten ist. Insgesamt reicht daher zur Annahme der Unangemessenheit der Verfahrensdauer nicht jede Abweichung vom Optimum aus, vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen vorliegen. Schließlich verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich sorgfältige und umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes durch das Gericht; dabei kann es auch sachgerecht sein, die Bearbeitung ersichtlich aussichtsloser oder querulatorischer Anträge (jedenfalls) zugunsten erkennbar besonders eilbedürftiger Verfahren zurückzustellen (OLG Frankfurt, 30.1.2013, 4 EntV 9/12, juris).

Es ist bereits nicht feststellbar, dass das Verfahren durch das Ausgangsgericht verzögert bearbeitet worden ist. Der Kläger hätte es in der Hand gehabt, durch eine Beantwortung der gerichtlichen Schreiben dem Verfahren einen Fortgang zu geben. Es ist zweckmäßig, insbesondere bei Zweifeln an einem Rechtsschutzbedürfnis längere Zeit zu warten, ob hierzu noch Aspekte vorgetragen werden. Denn an einer Abweisung der Klage als unzulässig (wegen des Fehlens eines Rechtsschutzbedürfnisses) kann der Kläger objektiv gesehen kein Interesse haben.

II.

Die Klage auf Wiedergutmachung kann zudem keinen Erfolg habe, weil sie missbräuchlich ist. Dies folgt aus dem nicht erkennbaren Rechtsschutzbedürfnis des Klägers im Ausgangsverfahren. Der Kläger hat im Rahmen des vorliegenden Klageverfahrens in seinem Schriftsatz vom 7. Oktober 2014 selbst ausdrücklich ausgeführt, es habe sich um ein "bedeutungsloses Verfahren" gehandelt. Dem schließt sich der Senat an.

Weitergehend kann der erkennende Senat in Übereinstimmung mit dem Ausgangsgericht nicht feststellen, wozu das Berufungsverfahren überhaupt durchgeführt wurde. Dem Kläger war bekannt, dass der Widerspruchsbescheid ergangen war. Er war auch bereits darauf hingewiesen worden, dass er - soweit er mit der Entscheidung an sich nicht einverstanden sein sollte - dagegen gesondert Klage erheben konnte. Soweit ersichtlich, scheint er nicht an dem Inhalt jenes Widerspruchsbescheides interessiert gewesen zu sein. Insgesamt liegt es nahe, dass der Kläger eine lediglich formal bestehende Position auf Entscheidung über seine Berufung in missbräuchlicher Weise dafür genutzt, durch bewusste Nichtbeantwortung der gerichtlichen Schreiben das Verfahren selbst zu verzögern und auf eine längere Verfahrensdauer zu hoffen, um so letztlich einen Entschädigungsanspruch zu erlangen. Dies ist missbräuchlich.

Dies steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR). Dieser hat im Urteil vom 19.01.2010 - 22051/07 - ausgeführt (hierzu auch LSG Baden-Württemberg, 20.02.2013, L 2 SF 1495/12 -; LSG Nordrhein-Westfalen, 4.12.2013, L 11 SF 398/13 EK AS, juris; Heine, MDR 2013, 1091, 1083, 1084):

"Der Gerichtshof erinnert daran, dass eine Beschwerde wegen Missbrauchs nach Artikel 35 Abs. 3 der Konvention abgewiesen werden kann, der soweit einschlägig, wie folgt lautet:

"Der Gerichtshof erklärt eine nach Artikel 34 erhobene Individualbeschwerde für unzulässig, wenn er sie ... für einen Missbrauch des Beschwerderechts hält."

Der Gerichtshof hat alle Umstände der vorliegenden Rechtssache sorgfältig geprüft. Insbesondere berücksichtigte er das Missverhältnis zwischen der Trivialität des Sachverhalts, also der Geringfügigkeit des in Rede stehenden Betrags und der Tatsache, dass es bei dem Verfahren um ein Nahrungsergänzungsmittel und nicht um ein Arzneimittel ging, und der ausgiebigen Inanspruchnahme gerichtlicher Verfahren - einschließlich der Anrufung eines internationalen Gerichts - vor dem Hintergrund der Überlastung dieses Gerichts und der Tatsache, dass eine große Anzahl von Beschwerden anhängig ist, in denen ernste Menschenrechtsfragen aufgeworfen werden. Darüber hinaus stellt der Gerichtshof fest, dass Verfahren wie das hier in Rede stehende auch zur Überlastung der Gerichte auf der innerstaatlichen Ebene und somit zu einem der Gründe für die überlange Dauer gerichtlicher Verfahren beitragen. Bei der Prüfung der Rechtssache berücksichtigte der Gerichtshof darüber hinaus die komfortable finanzielle Situation des Beschwerdeführers als Beamter sowie die Tatsache, dass es um keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung ging, was auch dadurch belegt wird, dass nach der erstinstanzlichen Abweisung der Klage des Beschwerdeführers kein Rechtsmittel eingelegt wurde. Schließlich hat der Gerichtshof auch Art und Umfang der behaupteten Konventionsverletzung geprüft. Diesbezüglich stellt der Gerichtshof fest, dass die Frage der überlangen Dauer gerichtlicher Verfahren vom Gerichtshof bereits in zahlreichen Fällen behandelt wurde - insbesondere auch gegen die beschwerdegegnerische Regierung, in denen die Grundsätze des Gebots der "angemessenen Frist" nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention niedergelegt wurden (siehe u.v.a., G. und P .../. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 29357/95, Rdnr. 70, ECHR 2000-II und Frydlender./. Frankreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 30979/96, Rdnr. 43, ECHR 2000-VII). Darüber hinaus hat der Gerichtshof die Verpflichtung, die der beschwerdegegnerischen Regierung bezüglich des Fehlens eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen überlange Gerichtsverfahren aus der Konvention erwächst, bereits festgestellt (siehe insbesondere S .../. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 75529/01, ECHR 2006-VII, und H .../. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 20027/02, 11. Januar 2007). Unter diesen außergewöhnlichen Umständen ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die Beschwerde als Missbrauch des Beschwerderechts angesehen werden muss (siehe sinngemäß Rehák./. Tschechische Republik (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 67208/01, 18. Mai 2004 und Stamoulakatos./. Vereinigtes Königreich (Entsch.), Individualbeschwerden Nr. 41117/98, 41119/98, 42204/98 und 42212/98, 18. Januar 2001). Daher ist es angezeigt, die Beschwerde als Missbrauch des Beschwerderechts nach Artikel 35 Abs. 3 und 4 der Konvention insgesamt zurückzuweisen." Dem ist nichts hinzuzufügen.

III.

Zudem kann eine Entschädigung nur gewährt werden, wenn zumindest ein immaterieller Schaden vorstellbar ist. Dafür gibt keinen Anhaltspunkt, da das Verfahren auch nach eigener Einschätzung des Klägers bedeutungslos war und er es auch bewusst nicht förderte. Selbst bei allenfalls geringfügiger Verzögerung ist in bedeutungslosen Verfahren eine Wiedergutmachung - auch im Sinne der Feststellung der Überlänge - mangels denkbaren Schadens nicht angezeigt.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Der Senat folgt wie dargestellt der Rechtsansicht der obersten Gerichtshöfe des Bundes.

Die Streitwertentscheidung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz. Der Senat musste diese Summe angesichts der fehlenden Angaben des Klägers von Amts wegen schätzen.

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