LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 07.01.2020 - 5 Sa 128/19
Fundstelle
openJur 2020, 12201
  • Rkr:

1. Die Verletzung der in § 165 Satz 3 SGB IX geregelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung.

2. „Offensichtlich” fachlich nicht geeignet ist, wer unzweifelhaft nicht dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht. Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen es nicht, von einer Einladung abzusehen, weil sich Zweifel im Vorstellungsgespräch ausräumen lassen können. Der schwerbehinderte Mensch soll nach § 165 Satz 3 SGB IX die Chance haben, sich in einem Vorstellungsgespräch zu präsentieren und den öffentlichen Arbeitgeber von seiner Eignung zu überzeugen.

3. Auf Rechtsmissbrauch kann nicht bereits daraus geschlossen werden, dass eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat oder führt.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 17.04.2019 – 4 Ca 1283/18 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung wegen Benachteiligung aus Gründen einer Behinderung, insbesondere wegen der unterbliebenen Einladung zum Vorstellungsgespräch.

Das Amt K. W. schrieb im April 2018 über das Portal „Interamt.de“ für die beklagte amtsangehörige Gemeinde die – zunächst auf 1 Jahr befristete – Vollzeit-Stelle einer/eines Betriebsleiter/in für das Projekt "minimare" mit einer Eingruppierung nach Entgeltgruppe 11 TVöD aus. Die beklagte Gemeinde liegt unmittelbar an der Ostseeküste und hat rund 1.800 Einwohner. Sie plante die Einrichtung eines Freizeit- und Erlebnisparks unter der Bezeichnung "minimare", der in einem wirtschaftlich selbstständigen Betrieb geführt werden sollte. In der Ausschreibung heißt es:

"...

Der Tätigkeitsbereich umfasst folgende Aufgaben:

- Leitung und wirtschaftliche Führung des Projektes minimare

- Entwicklung und Umsetzung von Marketingstrategien

- Organisation von Werbung, Veranstaltungen und PR-Tätigkeit (Öffentlichkeitsarbeit)

- Zusammenarbeit mit den touristischen Dienstleistern, Gewerbetreibenden, Agenturen, Vereinen sowie den Einwohnern

- Personalmanagement, Personalführung und Personaleinsatzplanung

- Haushalts- und Wirtschaftsplanung

Von den Bewerbern/Bewerberinnen erwarten wir:

- abgeschlossenes Studium (FH / Bachelor oder Master) in der Fachrichtung Betriebswirtschaft, Tourismus, Marketing oder Kommunikation bzw. einen vergleichbaren Abschluss,

- Erfahrungen in den Bereichen Betriebswirtschaft/Marketing/Tourismus sind wünschenswert,

- Kommunikationsfähigkeit sowie Kunden- und Serviceorientierung,

- Hohes Maß an Eigeninitiative und Durchsetzungsvermögen sowie eine strukturierte, sorgfältige und selbständige Arbeitsweise,

- Kenntnisse sowie routinierter Umgang mit Office- und Internetanwendungen sind wünschenswert,

- Reisebereitschaft (Führerschein Klasse B).

..."

Auf diese Stelle bewarb sich der Kläger mit dem per E-Mail übersandten Schreiben vom 26.04.2018, das mit Anlagen insgesamt 53 Seiten umfasste. Unter den Anlagen befand sich ein eingescannter Gleichstellungsbescheid der Agentur für Arbeit C. vom 17.10.2016. Eine Wohnanschrift teilte der Kläger in der Bewerbung nicht mit, sondern gab lediglich eine Postfachadresse in Z. an. In dem Bewerbungsanschreiben heißt es u. a.:

"...            Den von Ihnen dargestellten Aufgaben bin ich gewachsen und würde mich freuen, sie bewältigen zu dürfen. Meine Gleichstellung mit Schwerbehinderten hat keinen Einfluss auf meine Arbeitsleistung bei dieser Stelle. Auf eine persönliche Vorstellung freue ich mich sehr und verbleibe,        mit freundlichen Grüßen        ...“    

In dem beigefügten Lebenslauf gab der Kläger an, im November 1987 geboren und ledig zu sein und die Schulausbildung im Juli 2007 mit dem Abitur in der Fachrichtung Informations- und Kommunikationstechnologie beendet zu haben. Seinen Angaben zufolge nahm er nach Ableistung des Grundwehrdienstes am 01.09.2008 eine Laufbahnausbildung im gehobenen Dienst der Bundespolizei auf. Nach den Bewerbungsunterlagen bestand er im August 2011 die Laufbahnprüfung des gehobenen Polizeivollzugsdienstes in der Bundespolizei mit der Note "befriedigend“ und erwarb den akademischen Grad "Diplom-Verwaltungswirt (FH)". Anschließend war er seinen Angaben nach bis zum 13.05.2012 als Polizeikommissar bei der Bundespolizei Inspektion Flughafen M. tätig. Des Weiteren teilte er mit, vom 14.05.2012 bis zum 31.12.2012 im Straßenverkehrsamt des Landkreises Z. als Sachbearbeiter Großraum-/Schwerverkehr gearbeitet zu haben. Dem übersandten Lebenslauf zufolge nahm er am 01.10.2012 an der Universität K., Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, ein Studium zum Master of Public Administration auf. Der Kläger teilte mit, vom 01.01.2013 bis zum 30.06.2014 beim Vogtlandkreis als Sachbearbeiter für Personalangelegenheiten beschäftigt gewesen zu sein und ab 01.07.2014 bei der Stadt Z. befristet als Organisator gearbeitet zu haben. Nach dem vorgelegten Master-Zeugnis der Universität K. bestand er im Mai 2015 die Masterprüfung zum Master of Public Administration. Seinen Angaben nach war er vom 21.03.2016 bis zum 07.07.2017 bei der Stadt Z. befristet zunächst als Leiter des Bürgerbüros und vom 08.07.2017 bis zum 31.01.2018 als Wirtschaftsförderer tätig. Seit dem 01.02.2018 arbeitet der Kläger laut Bewerbung bei einem privaten Sicherheitsunternehmen.

Mit Schreiben vom 30.05.2018 teilte das Amt dem Kläger mit, eine andere Person für die Stelle ausgewählt zu haben. Eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhielt der Kläger nicht. Daraufhin forderte der Kläger mit Schreiben vom 23.07.2018 eine Entschädigung in Höhe von € 19.875,60 (6-faches monatliches Entgelt von € 3.312,60).

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Klage sowohl zulässig als auch begründet sei. Er führe den Rechtsstreit entgegen der beklagtenseitig aufgestellten Behauptung nicht aus dem Verborgenen. An der angegebenen Anschrift in A-Stadt sei er mit Nebenwohnsitz gemeldet. Er verfüge dort über eine abgeschlossene, möblierte Wohneinheit mit Bett, Schlafzimmerschrank, Dusche, Toilette, Einbauküche, Sofa, Fernseher usw. Er sei regelmäßig, nämlich mehrmals in der Woche, dort anzutreffen. Unabhängig davon sei beim Einwohnermeldeamt zu seinem Hauptwohnsitz eine Auskunftssperre gemäß § 51 BMG eingetragen, da durch eine Melderegisterauskunft eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen erwachsen könne. Er habe deshalb ein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung seines Hauptwohnsitzes.

Die Beklagte habe ihn wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Es sei ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt, wie sich aus dem abschriftlich vorgelegten Bescheid des Vogtlandkreises vom 22.09.2016 ergebe. Eine Nachprüfung sei für August 2019 vorgesehen. Ein öffentlicher Arbeitgeber sei nach § 165 Satz 3 SGB IX verpflichtet, einen schwerbehinderten Bewerber, sofern er nicht offensichtlich ungeeignet sei, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Der Gesetzgeber habe sich bewusst für eine Besserstellung der schwerbehinderten Bewerber gegenüber den anderen Bewerbern entschieden, um die Chancen am Arbeitsmarkt für diesen benachteiligten Personenkreis zu erhöhen. Ausgehend von den Anforderungen der Stellenausschreibung sei der Kläger keinesfalls offensichtlich ungeeignet, sodass die Beklagte auf eine Einladung nicht habe verzichten können. Er erfülle das Anforderungsprofil in vollem Umfang, wobei die lediglich wünschenswerten Kenntnisse und Erfahrungen nicht einmal notwendig gewesen wären. Es handele sich nicht um eine Scheinbewerbung. Der Kläger sei ohne weiteres zu einem Ortswechsel bereit, wie er auch in der Bewerbung angegeben habe, zumal er sein ehrenamtliches Engagement für den vogtländischen Verein problemlos in elektronischer Form weiterführen könne. Soweit die Beklagte einwende, dass der Kläger nicht zu Vorstellungsgesprächen anreise, treffe das nicht zu. Er habe zahlreiche Urlaubstage aufgewandt, um an Vorstellungsgesprächen teilnehmen zu können. Wie sich aus den jeweiligen, in Kopie zur Akte gereichten Absageschreiben oder sonstigen Dokumenten ergebe bzw. unter Zeugenbeweis gestellt werde, habe er bei den folgenden potentiellen Arbeitgebern Vorstellungstermine wahrgenommen:

- BStU, Bewerbung vom 24.08.2017

- Sächsische Bildungsagentur in C., Bewerbung vom 13.09.2017

- Stadt J., Vorstellungsgespräch am 02.11.2017

- Bundespolizeidirektion H., Vorstellungsgespräch am 19.12.2017

- Bischoff LS Luft- und Klimatechnik in L., Absage vom 29.12.2017

- Landkreis Z., Absage vom 05.01.2018

- Fachhochschule Z., Bewerbung Oktober 2017

- Bayrische Staatsgemäldesammlung in M., Absage vom 02.02.2018

- Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg in S., Absage vom 19.01.2018

- Landkreis Z., Bewerbung vom 20.11.2017 auf Stelle im Gewerberecht

- Landkreis Z., Bewerbung vom 27.11.2017 auf Stelle im Waffenrecht

- Landesamt für Schule und Bildung, Bewerbung vom 27.11.2017 auf mehrere Stellen für Bereich Vogtland/Z.

- Landkreis Z., Bewerbung vom 29.01.2018 auf Stelle als Controller

- Gemeinde S., Sachsen, Bewerbung vom 02.02.2018

- Stadt W., Sachsen, Bewerbung vom 10.02.2018

- Stadt F., Absage vom 17.10.2018

- Bayrisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege in M., Vorstellungsgespräch am 01.10.2018

- Staatliches Schulamt für den Landkreis B. und den Odenwaldkreis, Vorstellungsgespräch am 08.10.2018

- Stadt F., Vorstellungsgespräch am 17.10.2018, Absage vom 05.11.2018

- Stadt M., Assessment Center am 13.11.2018

- Landkreis Ostalbkreis A., Vorstellungsgespräch am 14.11.2018, Absage vom 19.11.2018

- Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, Absage vom 18.12.2018

- Freistaat Bayern, Dienstsitz A., Absage vom 19.12.2018

- Landkreis Saalekreis, Absage vom 02.01.2019

- Stadt R., Absage vom 07.12.2018

- Paul-Ehrlich-Institut in L., Hessen, Absage vom 14.01.2019

- Stadt A., Vorstellungsgespräch am 04.01.2019, Absage vom 07.01.2019

- Landkreis E., Absage vom 31.01.2019

- Stadt P., Vorstellungsgespräch am 25.01.2019, Absage vom 30.01.2019.

Der Kläger habe auch außerhalb von Sachsen an zahlreichen Vorstellungsgesprächen teilgenommen, um einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine angemessene Entschädigung in Geld, welche einen Betrag von € 3.312,60 nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2018 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Klage sei schon unzulässig. Der Kläger führe den Prozess aus dem Verborgenen. Die in der Klageschrift angegebene Anschrift sei nicht seine Wohnanschrift. Er wohne dort nicht. Der Kläger gebe seine tatsächliche Wohnanschrift nur deshalb nicht an, damit die Beklagte keine weiteren Anhaltspunkte für die fehlende Ernsthaftigkeit der Bewerbungen ermitteln könne. Darüber hinaus sei die Klage aber auch unbegründet. Der Kläger erfülle offensichtlich nicht die Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle, da er kein abgeschlossenes Studium in der Fachrichtung Betriebswirtschaft, Tourismus, Marketing oder Kommunikation bzw. einen vergleichbaren Abschluss vorweisen könne. Die im Anschluss an das Auswahlverfahren zum 01.08.2018 eingestellte Bewerberin verfüge hingegen über ein abgeschlossenes Fachhochschulstudium im Studiengang Tourismusmanagement. Der Kläger hätte auch dann nicht eingeladen werden müssen, wenn sein versteckter Hinweis auf seine angebliche Gleichstellung nicht übersehen worden wäre. Das gesamte Vorbringen des Klägers werde bestritten. Seiner Vita nach zu urteilen, erfülle er überhaupt nicht die Voraussetzungen für eine Gleichstellung. Es sei nicht zu erkennen, dass der Kläger infolge seiner angeblichen Behinderung ohne eine Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen oder behalten könne. Die Behörde hätte einen evtl. Gleichstellungsbescheid längst widerrufen müssen. Jedenfalls könne sich der Kläger auf eine formale, materiell aber nicht gerechtfertigte Gleichstellung nicht berufen.

Zudem habe sich der Kläger nur zum Schein beworben. Er habe niemals die Absicht gehabt, seinen Lebensmittelpunkt in das mehr als 530 km entfernte K. zu verlegen. Dagegen spreche schon das von ihm hervorgehobene Engagement für seinen Verein, bei dem er der Ansprechpartner für etwa 120 Vereinsmitglieder, Behörden, die Presse usw. sei. Nach Form und Inhalt der Bewerbung gehe es dem Kläger offensichtlich nicht darum, einen potentiellen Arbeitgeber für sich einzunehmen. Konsequenterweise sei er einer Einladung des Amtes K. W. zu einem Vorstellungsgespräch wegen seiner Bewerbung auf die Stelle einer/eines Standesbeamten nicht nachgekommen und habe die Bewerbung sogleich zurückgezogen, statt um eine Verlegung des Termins zu bitten.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von € 3.312,60 (eine Bruttovergütung) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2018 verurteilt. Die Beklagte habe den Kläger wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt, da sie ihn nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe. Eine Einladung sei nicht entbehrlich gewesen, da der Kläger für die Stelle nicht offensichtlich ungeeignet sei. Der Kläger erfülle das Anforderungsprofil in der Stellenausschreibung. Zwar verfüge er nicht über einen Studienabschluss in den Fachrichtungen Betriebswirtschaft, Tourismus, Marketing oder Kommunikation. Nach der Stellenausschreibung genüge aber auch ein hiermit vergleichbarer Abschluss. Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers, der eine Vielzahl von Entschädigungsklagen nach erfolglosen Bewerbungen betreibe, gebe es nicht. Für Rechtsmissbrauch gelte ein strenger Maßstab. Ein Rechtsmissbrauch liege nur dann vor, wenn der Bewerber von vornherein nicht gewillt sei, die Stelle anzutreten, sondern ausschließlich an einer Entschädigung interessiert sei.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer frist- und formgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Sie hält daran fest, dass die Klage bereits unzulässig sei, da der Kläger den Prozess aus dem Verborgenen führe. Des Weiteren bestreitet sie weiterhin die vom Kläger behaupteten Tatsachen zu seiner Vita und seiner Schwerbehinderung respektive Gleichstellung. Der Kläger habe sich rechtsmissbräuchlich aus einer besser dotierten Position auf die befristete Stelle bei der Beklagten beworben. Wenn er eingeladen werde, sage er aus fadenscheinigen Gründen ab. Der Kläger sei offensichtlich nicht geeignet für die ausgeschriebene Stelle. Die Ausschreibung richte sich gerade nicht an Personen mit einem vermeintlichen Abschluss in Verwaltungswissenschaft/-kunde.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Schwerin vom 17.04.2019 – 4 Ca 1283/18 – die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Das pauschale Bestreiten der tatsächlichen Angaben des Klägers sei unzulässig. Im Übrigen habe das Arbeitsgericht den Bescheid zur Schwerbehinderung in der Kammerverhandlung im Original in Augenschein genommen. Die Berufungsbegründung enthalte nichts substantiell Neues. Soweit die Beklagte die Schwerbehinderung des Klägers übersehen haben mag, ändere das nichts an dem Entschädigungsanspruch, da es auf ein Verschulden nicht ankomme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit der zutreffenden Begründung eine Entschädigung von € 3.312,60 festgesetzt. Das Berufungsgericht macht sich die Ausführungen der Vorinstanz zu eigen.

I. Zulässigkeit der Klage

Nach § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO muss die Klageschrift die Bezeichnung der Parteien enthalten. Die Parteien sind so genau zu bezeichnen, dass kein Zweifel an der Person besteht (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 253, Rn. 8). Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Klageschrift anzuwenden (§ 253 Abs. 4 ZPO). Vorbereitende Schriftsätze sollen u. a. eine Angabe zum Wohnort enthalten (§ 130 Nr. 1 ZPO). Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift des Klägers ist zwingendes Erfordernis einer ordnungsgemäßen Klageerhebung, und zwar jedenfalls dann, wenn die Angabe ohne weiteres möglich ist (BGH, Urteil vom 09. Dezember 1987 – IVb ZR 4/87 – Rn. 8, juris = NJW 1988, 2114). Der Kläger kann einen Prozess nicht aus dem Verborgenen führen, um sich dadurch einer möglichen Kostenpflicht zu entziehen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 – XI ZR 398/04 – Rn. 11, juris = MDR 2006, 283; BGH, Urteil vom 09. Dezember 1987 – IVb ZR 4/87 – Rn. 8, juris = NJW 1988, 2114; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. Juli 2015 – I-21 U 199/14 – Rn. 59, juris = BauR 2018, 1028). Erforderlich ist die Mitteilung einer ladungsfähigen Anschrift. Damit ist die Angabe des tatsächlichen Wohnortes einer Partei gemeint, also derjenigen Anschrift, unter der eine Partei tatsächlich und persönlich zu erreichen ist. Entscheidend im Sinne der Zustellungsvorschriften der ZPO ist dabei nicht die Anmeldung eines Wohnsitzes, sondern die tatsächliche Benutzung der Wohnung zum Aufenthalt; eine ständige Anwesenheit des Zustellungsempfängers an diesem Ort ist aber nicht erforderlich (OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. Juli 2015 – I-21 U 199/14 – Rn. 63, juris = BauR 2018, 1028).

Der Kläger hat seinen Wohnort angegeben. Ob es sich dabei um den Haupt- oder einen Nebenwohnsitz handelt, ist nicht ausschlaggebend, solange die Partei dort regelmäßig zu erreichen ist. Für eine rechtsmissbräuchliche Prozessführung aus dem Verborgenen liegen keine Anhaltspunkte vor. Die Zustellungen an den Kläger unter der angegebenen Anschrift in A-Stadt waren jedenfalls erfolgreich. Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, die auf eine falsche Adressangabe hindeuten, um sich dadurch einer möglichen Kostentragungspflicht zu entziehen. Zwar ist der Vater des Klägers unter derselben Adresse wohnhaft (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23.12.2019 – 2 Sa 224/18 –). Eine regelmäßige Anwesenheit des Klägers an diesem Ort ist deshalb aber nicht ausgeschlossen.

II. Begründetheit der Klage

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG auf Zahlung einer Entschädigung, da er wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde.

Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann ein Beschäftigter bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, vom Arbeitgeber eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Als Beschäftigte gelten auch die Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AGG).

Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, also aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität, benachteiligt werden (§ 7 Abs. 1 AGG). Arbeitgeber dürfen schwerbehinderte Beschäftigte nach § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des AGG (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX).

Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Soweit es um eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG geht, ist hierfür nicht erforderlich, dass der betreffende Grund im Sinne von § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG an einen Grund im Sinne von § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt. Geht es hingegen um eine mittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG, ist der Kausalzusammenhang dann gegeben, wenn, ohne dass es einer direkten Anknüpfung an einen Grund im Sinne von § 1 AGG oder eines darauf bezogenen Motivs bedarf, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Halbs. 1 AGG erfüllt sind (BAG, Urteil vom 18. September 2018 – 9 AZR 20/18 – Rn. 38, juris = AP Nr. 16 zu § 22 AGG; BAG, Urteil vom 23. November 2017 – 8 AZR 372/16 – Rn. 19, juris = NZA-RR 2018, 287).

Für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen sieht § 22 AGG im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (BAG, Urteil vom 23. November 2017 – 8 AZR 372/16 – Rn. 21 f., juris = NZA-RR 2018, 287).

Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 8 AZR 73/16 – Rn. 24 ff., juris = NZA-RR 2017, 342; BAG, Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 375/15 – Rn. 24, juris = NZA 2017, 43; BAG, Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 406/14 – Rn. 28, juris = AP Nr. 22 zu § 15 AGG).

Die Verletzung der in § 165 Satz 3 SGB IX geregelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Diese Pflichtverletzung ist nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an einer Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein (BAG, Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 375/15 – Rn. 25, juris = NZA 2017, 43; BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 8 AZR 384/14 – Rn. 35, juris = NZA 2016, 625).

Lädt der öffentliche Arbeitgeber den sich bewerbenden schwerbehinderten Beschäftigten nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein, kann darin allerdings nur dann eine unmittelbare Benachteiligung wegen der Behinderung liegen, wenn ihm die Schwerbehinderung des Stellenbewerbers zum Zeitpunkt der benachteiligenden Maßnahme bekannt ist oder er diese kennen muss. Deshalb muss ein Bewerber, der seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen will, den (potentiellen) Arbeitgeber über die vorhandene Schwerbehinderung rechtzeitig in Kenntnis setzen, soweit dieser nicht bereits aus anderem Zusammenhang über diese Information verfügt. Andernfalls ist dem öffentlichen Arbeitgeber ein Verstoß gegen die bei der Bewerbung schwerbehinderter Menschen nach § 165 Satz 3 SGB IX auferlegte Verpflichtung objektiv nicht zurechenbar und es fehlt an der (Mit-)Ursächlichkeit der Behinderung für die benachteiligende Maßnahme (BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 8 AZR 384/14 – Rn. 30, juris = NZA 2016, 625).

Ein hinreichender Hinweis auf eine Schwerbehinderung liegt vor, wenn die Mitteilung in einer Weise in den Empfangsbereich des Arbeitgebers gelangt ist, die es diesem ermöglicht, die Schwerbehinderung des Bewerbers zur Kenntnis zu nehmen. Eine Information im Bewerbungsanschreiben oder an gut erkennbarer Stelle im Lebenslauf ist regelmäßig ausreichend (BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 8 AZR 384/14 – Rn. 31, juris = NZA 2016, 625). Eine Pflicht zur Vorlage des Schwerbehindertenausweises besteht nicht (BAG, Urteil vom 18. September 2014 – 8 AZR 759/13 – Rn. 33, juris = ZTR 2015, 216). Der Grad der Behinderung muss nicht angegeben werden (BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 8 AZR 384/14 – Rn. 40, juris = NZA 2016, 625). Der Arbeitgeber ist gehalten, bei jeder Bewerbung das eigentliche Bewerbungsschreiben zur Kenntnis zu nehmen (BAG, Urteil vom 18. September 2014 – 8 AZR 759/13 – Rn. 35, juris = ZTR 2015, 216).

Bei dem Kläger wurde ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt. Das ergibt sich aus dem vorliegenden Bescheid des Vogtlandkreises vom 22.09.2016. Die Gleichstellung erfolgte mit dem ebenfalls vorliegenden Bescheid der Agentur für Arbeit C. vom 17.10.2016. Der Kläger hat dem Arbeitsgericht laut Sitzungsprotokoll vom 17.04.2019 die Bescheide über die Gleichstellung und den Bescheid über das Vorliegen der Behinderung entsprechend §§ 420, 435 Satz 1 ZPO im Original vorgelegt. Die von einer Behörde ausgestellten, eine amtliche Anordnung, Verfügung oder Entscheidung enthaltenden öffentlichen Urkunden begründen vollen Beweis ihres Inhalts (§ 417 ZPO). Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Solche Zweifel bestehen nicht. Ob die Voraussetzungen einer Gleichstellung bei Erlass des Bescheides vorlagen und weiterhin vorliegen, unterliegt nicht der Prüfung der Arbeitsgerichtsbarkeit.

Der Kläger hat in seinem Bewerbungsschreiben ausreichend deutlich auf seine anerkannte Schwerbehinderung und Gleichstellung hingewiesen. Das Schreiben hat den Umfang einer DIN-A4-Seite und entspricht damit einem üblichen Anschreiben. Die Erwähnung der Schwerbehinderung und Gleichstellung im vorletzten Satz des Anschreibens ist klar zu erkennen. Der Satz betrifft ausschließlich die Gleichstellung mit Schwerbehinderten. Diese Information erfolgt weder beiläufig im Zusammenhang mit anderen Angaben noch befindet sie sich an einer Stelle, an der sie nicht zu erwarten war oder leicht überlesen werden kann. Der Arbeitgeber ist gehalten, das Bewerbungsschreiben – jedenfalls dann, wenn es wie im vorliegenden Fall einen üblichen Umfang hat – in Gänze zu lesen.

Eine Einladung ist allerdings entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt (§ 165 Satz 4 SGB IX).

Zur Beurteilung der fachlichen Eignung des Bewerbers ist auf das in der veröffentlichten Stellenausschreibung enthaltene Anforderungsprofil abzustellen. Mit der Bestimmung eines Anforderungsprofils für die zu vergebende Stelle legt der Arbeitgeber die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest; an ihm werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber gemessen. Der öffentliche Arbeitgeber hat im Anforderungsprofil die formalen Voraussetzungen, fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie außerfachlichen Kompetenzen zu beschreiben, die ein Bewerber für eine erfolgreiche Bewältigung der künftigen Tätigkeit benötigt und die dementsprechend der leistungsbezogenen Auswahl zugrunde zu legen sind. Mit der Festlegung des Anforderungsprofils wird ein wesentlicher Teil der Auswahlentscheidung vorweggenommen. Zugleich bestimmt der öffentliche Arbeitgeber mit dem Anforderungsprofil den Umfang seiner – der eigentlichen Auswahlentscheidung vorgelagerten – verfahrensrechtlichen Verpflichtung nach § 165 Satz 3 und Satz 4 SGB IX (BAG, Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 375/15 – Rn. 35, juris = NZA 2017, 43).

„Offensichtlich” fachlich nicht geeignet ist, wer unzweifelhaft nicht dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht. Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen es nicht, von einer Einladung abzusehen, weil sich Zweifel im Vorstellungsgespräch ausräumen lassen können. Der schwerbehinderte Mensch soll nach § 165 Satz 3 SGB IX die Chance haben, sich in einem Vorstellungsgespräch zu präsentieren und den öffentlichen Arbeitgeber von seiner Eignung zu überzeugen (BAG, Urteil vom 11. August 2016 –8 AZR 375/15 – Rn. 36, juris = NZA 2017, 43; BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 8 AZR 384/14 – Rn. 29, juris = NZA 2016, 625; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28. September 2017 – 4 Sa 93/17 – Rn. 27, juris = öAT 2018, 87). Insoweit ist der schwerbehinderte Bewerber im Bewerbungsverfahren bessergestellt als ein nicht schwerbehinderter Konkurrent (BAG, Urteil vom 20. Januar 2016 – 8 AZR 194/14 – Rn. 32, juris = ZTR 2016, 403). Schwerbehinderte Bewerber/innen müssen auch dann zwingend zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, wenn die Sichtung der Bewerbungsunterlagen ergibt, dass andere Bewerber deutlich besser geeignet sind (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. August 2017 – 3 Sa 479/16 – Rn. 90, juris).

Der Kläger ist nach den eingereichten Bewerbungsunterlagen nicht offensichtlich ungeeignet für die Tätigkeit eines Betriebsleiters des geplanten Freizeit- und Erlebnisparks (Entgeltgruppe 11 TVöD). Er erfüllt ohne weiteres das Anforderungsprofil, soweit es zwingend ist und nicht nur wünschenswerte Kenntnisse oder Fähigkeiten enthält. Selbst wenn die Erfüllung der Ausbildungsanforderung zweifelhaft sein sollte, so reichen diese Zweifel jedenfalls nicht so weit, dass eine Eignung des Klägers für die Tätigkeit offensichtlich ausgeschlossen ist, der Kläger also für die Stelle auf keinen Fall und ohne hierüber überhaupt ernsthaft streiten zu können in Frage kommt.

Die Beklagte fordert in der Stellenausschreibung ein abgeschlossenes Fachhochschul-, Bachelor- oder Masterstudium in den Fachrichtungen Betriebswirtschaft, Tourismus, Marketing oder Kommunikation bzw. einen vergleichbaren Abschluss. Vergleichbare Studienabschlüsse sind solche, die ähnliche Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln und dementsprechend ebenso wie die genannten Studiengänge für das vorgesehene Aufgabenspektrum befähigen.

Der Kläger verfügt über eine Fachhochschulausbildung zum Diplom-Verwaltungswirt. Des Weiteren hat er an der Universität K., Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, einen Masterstudiengang zum Master of Public Administration abgeschlossen. Gegenstand dieses Masterstudiums sind u. a. die Module Kundenorientierung, Verwaltungsmarketing und eGovernment, Controlling, Personalmanagement und Personalführung. Diese Studieninhalte überschneiden sich teilweise mit den in der Ausschreibung aufgelisteten Studiengängen, insbesondere Betriebswirtschaft, Marketing und Kommunikation. Die genannten Module vermitteln Kenntnisse und Fertigkeiten, um die in der Stellenausschreibung aufgeführten Aufgaben erfüllen zu können, also

- Entwicklung und Umsetzung von Marketingstrategien,

- Organisation von Werbung, Veranstaltungen und PR-Tätigkeit (Öffentlichkeitsarbeit),

- Zusammenarbeit mit den touristischen Dienstleistern, Gewerbetreibenden, Agenturen, Vereinen sowie den Einwohnern,

- Personalmanagement, Personalführung und Personaleinsatzplanung,

- Haushalts- und Wirtschaftsplanung.

Die Stellenausschreibung enthält mehrere Begriffe, die sich in den Modulbezeichnungen wiederfinden, ohne dass ihnen ein anderer Bedeutungsinhalt beizumessen ist, nämlich Personalmanagement, Personalführung, Marketing. Ob das Studium zum Master of Public Administration die bestmögliche Ausbildung für die vorgesehenen Aufgaben ist, bedarf keiner Erörterung. Das Studium vermittelt jedenfalls die nötigen Kenntnisse, um die anfallenden Aufgaben bewältigen zu können. Ein Bewerber mit diesem Studienabschluss ist nicht von vornherein ungeeignet für diese Aufgaben, schon gar nicht klar und eindeutig erkennbar ungeeignet.

Der Kläger hat die Studienabschlüsse zum Diplom-Verwaltungswirt und zum Master of Public Administration ausreichend belegt. Grundsätzlich wird der Urkundsbeweis bei öffentlichen Urkunden gemäß § 435 Satz 1 ZPO durch die Vorlage einer Urschrift oder einer beglaubigten Abschrift angetreten, damit die Echtheit und äußere Fehlerfreiheit geprüft werden kann. Das ist aber entbehrlich, wenn keine konkreten Einwände hiergegen erhoben worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 08. März 2006 – IV ZR 145/05 – Rn. 22, juris = NJW-RR 2006, 847; Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 420, Rn. 3). Die Beklagte hat zwar den gesamten Werdegang des Klägers pauschal bestritten. Mit den in Kopie vorgelegten Bescheinigungen der ausbildenden Körperschaften hat sie sich jedoch nicht auseinandergesetzt. Sie hat insbesondere nicht gerügt, dass der Kläger lediglich eine Kopie der Ausbildungszeugnisse zur Akte gereicht hat. Einwände oder Anzeichen, die eine Prüfung des Originals oder zumindest die Vorlage einer beglaubigten Abschrift veranlasst hätten, liegen nicht vor.

Die Beklagte hat die sich aus der Verletzung des § 165 Satz 3 SGB IX ergebende Kausalitätsvermutung nicht widerlegt.

Zur Widerlegung der Vermutung genügt es nicht, Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere Gründe als die Behinderung für die Benachteiligung des Klägers ausschlaggebend waren. Diese Gründe dürfen zudem nicht die fachliche Eignung des Bewerbers betreffen. § 165 Satz 4 SGB IX enthält insoweit eine abschließende Regelung, die bewirkt, dass sich der (potentielle) Arbeitgeber zur Widerlegung der infolge der Verletzung des § 165 Satz 3 SGB IX vermuteten Kausalität nicht auf Umstände berufen kann, die die fachliche Eignung des Bewerbers berühren. Die Widerlegung dieser Vermutung setzt daher den Nachweis voraus, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fachliche Eignung des Bewerbers berühren (BAG, Urteil vom 20. Januar 2016 - 8 AZR 194/14 - Rn. 45, juris = ZTR 2016, 403).

Solche Umstände hat die Beklagte nicht vorgetragen. Sofern die Beklagte den Hinweis des Klägers im Bewerbungsschreiben auf seine Gleichstellung mit Schwerbehinderten übersehen hat, handelt es sich gerade nicht um einen Umstand, der keinen Bezug zur Behinderung aufweist. Dieser Fehler vermag die Beklagte nicht zu entlasten, da es eben diese Behinderung ist, die im Auswahlverfahren berücksichtigt werden muss und die nicht zu einer Benachteiligung führen darf.

Der Anspruch des Klägers ist nicht wegen Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB ausgeschlossen.

Nach § 242 BGB sind durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtsstellungen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Der Ausnutzung einer rechtsmissbräuchlich erworbenen Rechtsposition kann der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen. Dies ist der Fall, sofern der Kläger sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihm darum gegangen ist, nur den formalen Status als Bewerber im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den – rechtshindernden – Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend macht (BAG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 8 AZR 848/13 – Rn. 124 ff., juris = EzTöD 100 § 2 TVöD-AT Auswahlverfahren Nr. 71; BAG, Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 4/15 – Rn. 43 ff., juris = NJW 2017, 1409; BAG, Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 809/14 – Rn. 24 ff., juris; BAG, Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 406/14 – Rn. 48 ff., juris = AP Nr. 22 zu § 15 AGG).

Auf Rechtsmissbrauch kann nicht bereits daraus geschlossen werden, dass eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat oder führt (BAG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 8 AZR 848/13 – Rn. 145, juris = EzTöD 100 § 2 TVöD-AT Auswahlverfahren Nr. 71; BAG, Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 4/15 – Rn. 59, juris = NJW 2017, 1409; BAG, Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 809/14 – Rn. 43, juris; BAG, Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 406/14 – Rn. 64, juris = AP Nr. 22 zu § 15 AGG).

Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen lassen, dass der Kläger gar nicht bereit gewesen wäre, die Stelle eines Betriebsleiters des Freizeit- und Erlebnisparks anzutreten, sondern – dem Gesetzeszweck widersprechend – ausschließlich eine Entschädigung erstreiten wollte. Zwar bewarb sich der Kläger bundesweit auf eine Vielzahl von Stellenanzeigen. Das allein ist aber kein Anzeichen für eine mangelnde Bereitschaft, eine Stelle im Falle einer Zusage anzutreten. Mit welcher Intensität sich jemand um einen neuen Arbeitsplatz bemüht, bleibt ihm überlassen. Eine hohe Anzahl von Bewerbungen spricht grundsätzlich nicht für einen fehlenden Arbeitswillen, sondern kann vielmehr auf eine hohe Einsatzbereitschaft hindeuten.

Ebenso wenig spricht die Erfolglosigkeit der Bewerbungen dafür, dass der Kläger eine Ablehnung provoziert hat. Die vorliegende Bewerbung mag der Beklagten nach Form und Inhalt nicht zugesagt haben. Bewerbungen können sehr unterschiedlich verfasst sein und den Geschmack des Arbeitgebers mehr oder weniger treffen. Die Bewerbung des Klägers bei der Beklagten bewegt sich jedenfalls im Rahmen des Üblichen und enthält keine Aussagen und Formulierungen, die eine Ablehnung provozieren, sei es aus persönlichen oder aus fachlichen Gründen. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass der Kläger in einem anderen Fall ein Vorstellungsgespräch abgesagt und die Bewerbung auf die Stelle eines Standesbeamten zurückgezogen hat, ergeben sich daraus keine Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit der hier streitgegenständlichen Bewerbung. Die Absage eines Vorstellungstermins kann verschiedene, nachvollziehbare Gründe haben, beispielsweise eine Terminkollision. Gleiches gilt für die Rücknahme der Bewerbung. Diese kann damit zusammenhängen, dass die Aussichten auf eine Einstellung nur als gering zu bewerten sind oder nur ein geringeres Interesse an dieser konkreten Tätigkeit besteht. Aus der Rücknahme einer Bewerbung auf die Stelle eines Standesbeamten lässt sich nicht herleiten, dass der Kläger nicht gewillt war, die ausgeschriebene Tätigkeit des Betriebsleiters anzutreten, hätte er eine Zusage erhalten.

Die Entfernung zwischen seinem jetzigen Wohnort und der Beklagten steht einer Ernsthaftigkeit der Bewerbung ebenfalls nicht entgegen. Ein Arbeitsplatzwechsel verlangt häufig eine gewisse örtliche Mobilität, die zahlreiche Beschäftigte im eigenen, oft finanziellen Interesse hinnehmen und hinnehmen müssen. Eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes durch Umzug an den neuen Arbeitsort muss damit nicht zwangsläufig verbunden sein. Ebenso ist es möglich, zu dem auswärtigen Arbeitsort zu pendeln und den Wohnort nur am Wochenende aufzusuchen. Weshalb der Kläger hierzu nicht bereit gewesen sein sollte, hat die Beklagte nicht dargelegt. Das Pendeln zu einem weit entfernten Arbeitsort erschwert zwar eine ehrenamtliche Vereinstätigkeit, schließt sie aber nicht aus. Auch aus wirtschaftlichen Gründen scheidet eine Arbeitsaufnahme bei der Beklagten – unabhängig davon, ob der Kläger umzieht oder pendelt – nicht aus, da die ausgeschriebene Tätigkeit nach der Entgeltgruppe 11 TVöD-VKA mit einem Bruttoverdienst von mehr als € 3.000,- vergütet wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.