OLG Hamm, Beschluss vom 13.11.2018 - 3 Ws 462/18
Fundstelle
openJur 2020, 3692
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageerzwingungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.

Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 10. Oktober 2018, bei dem Oberlandesgericht eingegangen am selben Tag, wendet sich der Antragsteller gegen den Bescheid der Generalstaatsanwältin in Hamm vom 16. August 2018, mit dem die Beschwerde des Antragstellers vom 18. April 2018 gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 10. Januar 2018 zurückgewiesen worden ist. Gleichzeitig beantragt der Antragsteller die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwalts.

Die Generalstaatsanwältin in Hamm beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung und den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe als unzulässig bzw. unbegründet zu verwerfen.

II.

1.

Der nicht unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig, weil er nicht den gesetzlichen Formerfordernissen des § 172 Abs. 3 S. 1 und 2 StPO entspricht.

a) Die Bestimmung des § 172 Abs. 3 S. 1 StPO wird vom erkennenden Senat in ständiger Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit einer gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung dahingehend ausgelegt, dass das Vorbringen in der Antragsschrift so vollständig sein muss, dass der Senat in die Lage versetzt ist, ohne Rückgriff auf die Akten der Staatsanwaltschaft eine Schlüssigkeitsprüfung hinsichtlich der Erfolgsaussicht des Antrags auf Erhebung der öffentlichen Klage in formeller und materieller Hinsicht vorzunehmen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 172, Rdnr. 27 ff. m. umfangr. Rechtsprechungsnachweisen; KK-StPO/Moldenhauer, 7. Auflage, § 172, Rdnr. 34). Diese Anforderungen an den Klageerzwingungsantrag sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Beschluss vom 16. April 1992 - 2 BvR 877/89, NJW 1993, 382; BVerfG, Beschluss vom 28. November 1999 - 2 BvR 1339/98, NJW 2000, 1027). Danach muss der Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Tatsachen und Beweismittel angeben, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen. Verlangt wird ein substantiierter Vortrag, der nicht nur eine in sich geschlossene und aus sich heraus verständliche Sachverhaltsschilderung zu enthalten, sondern darüber hinaus den Streitgegenstand nach Maßgabe des bisherigen Ermittlungsverfahrens und der von der Staatsanwaltschaft erteilten Bescheide zu erfassen hat.

b) Diesen Anforderungen genügt die Antragsschrift unabhängig von der Frage, ob deutsches Strafrecht gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB überhaupt anwendbar ist, nicht.

aa) Der Antragsteller legt den Beschuldigten in Bezug auf den Vorwurf der fahrlässigen Tötung und der unterlassenen Hilfeleistung im Kern zur Last, man habe den Verstorbenen trotz seines Zustandes nicht in ein gut organisiertes Krankenhaus verlegt und er sei an seinem Todestag (00.10.2017) zwischen 01:00 Uhr und 05:45 Uhr ohne jegliche Beobachtung geblieben.

(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unterfällt eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdeliktes, wenn sich das vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher in der Regel nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdeliktes verurteilt werden. Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch für die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung einschließlich der Selbsttötung (vgl. BGH, BGH, Urteil vom 16. Mai 1972 - 5 StR 56/72, juris; Urteil vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, juris; Urteil vom 28. Januar 2014 - 1 StR 494/13, juris, Rdnr. 71 m.w.N.; Fischer, StGB, 65. Auflage, § 222, Rdnr. 28). Eine Strafbarkeit kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes jedoch dann in Betracht, wenn es an der Eigen- bzw. Freiverantwortlichkeit des Entschlusses, sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit selbst zu gefährden oder zu verletzten, fehlt (vgl. BGH a.a.O.). Vorliegend hat der Antragsteller Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass es aufgrund einer psychischen Erkrankung des Verstorbenen an einer solchen Eigenverantwortlichkeit fehlte, zumal dieser sich gerade zur Behandlung seiner Erkrankung freiwillig in die Obhut der Klinik begeben hat (OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Februar 1997 - 4 Ws 230/96, NJW 1997, 3103; Senat, Beschluss vom 21. Juni 2016 - III-3 Ws 134/16, n.v).

(2) Die von dem Antragsteller mitgeteilten Tatsachen erlauben gleichwohl keine Schlüssigkeitsprüfung hinsichtlich der Erfolgsaussichten des Antrags. Es fehlt ein konkreter Vortrag, in welchem Umfang die Beschuldigten in die Behandlung des Verstorbenen eingebunden waren und welche Organisationstrukturen das M Hospital vorsah. Offen bleibt auch, wer in Bezug auf die Behandlung des Verstorbenen, insbesondere an seinem Todestag, die maßgeblichen Einzelanordnungen traf bzw. zu treffen hatte. Dass die Beschuldigte zu 1.) die einzige vor Ort tätige Psychiaterin war und der Beschuldigte der Leiter der Klinik, genügt für sich genommen nicht für die Herleitung einer strafrechtlichen Verantwortung. Zudem ist nicht dargetan, dass der Beschuldigte zu 2.) nach Eintreffen der Beschuldigten zu 1.) überhaupt noch in die Behandlung des Verstorbenen eingebunden war.

(3) Geeignete Beweismittel sind ebenfalls nicht benannt. Der für die Beurteilung des Zustandes des Verstorbenen maßgebliche Bericht über den Zustand des Verstorbenen (Seite 23ff. der Antragsschrift) ist nicht übersetzt und in deutscher Sprache nur auszugsweise wiedergegeben. Abgesehen davon, dass dies - wie die Generalstaatsanwältin ausführt - zur Unzulässigkeit des Antrags führt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Februar 2007 - 1 Ws 470, juris), lässt die Antragsschrift eine Auseinandersetzung mit dem folgenden Teil des Berichts vermissen:

"He was then put on close monitoring to prevent suicide by institution a close 30 minute regular watch. He was under the care of the duty staff form the male ward, who was monitoring I every 30 minutes."

Diese Passage steht in unauflöslichem Widerspruch zu den Ausführungen im letzten Absatz auf Seite 25 der Antragsschrift. Ob die nach dem Bericht angeordneten 30-minütigen Kontrollen durchgeführt wurden, zu welchen Ergebnissen sie führten, oder ob weisungswidrig von ihnen abgewichen wurde - ggf. auf wessen Veranlassung - bleibt offen. Ansatzpunkte für eine Erfolg versprechende Aufklärung dieser Vorgänge, die für die Beurteilung einer etwaigen Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung oder unterlassener Hilfeleistung von zentraler Bedeutung wären, zeigt die Antragsschrift nicht auf. Sie setzt sich insbesondere nicht mit den Erfolgsaussichten weiterer Ermittlungen bezüglich eines mehr als ein Jahr zurückliegenden Todesfalles in Tansania auseinander.

bb) Auch die Voraussetzungen einer schweren Freiheitsberaubung in zwei Fällen sind nicht dargetan. Aus den Inhalten der auf Seite 17 der Antragsschrift beschriebenen Telefonate vom 20.09.2017 und vom 25.09.2017 kann nicht gefolgert werden, der Verstorbene sei anschließend gegen seinen Willen in der Klinik festgehalten worden. Im Übrigen bleibt auch insofern die konkrete Beteiligung der Beschuldigten offen.

cc) Die mitgeteilten Tatsachen ergeben auch keinen Tatverdacht hinsichtlich des Vorwurfs der vorsätzlichen Körperverletzung. Die Behauptung, der Tatbestand sei durch die Fortführung der Behandlung und die fortgesetzte Anwendung des sog. "Daily rigid Structured Schedule" erfüllt worden, genügt hierfür nicht. Es ist nicht dargetan, dass die Anwendung des Programms den Verstorbenen körperlich misshandelt oder an seiner Gesundheit geschädigt hat, zumal nicht ersichtlich ist, dass das Programm

körperliche Eingriffe vorsieht; im Grunde genommen handelt es sich um die Vorgabe einer bestimmten Tagesstruktur. Die allgemein gehaltenen Beschreibungen des Zustandes des Verstorbenen und des Behandlungsprogramms erlauben jedenfalls nicht den Rückschluss, die Behandlung des Betroffenen sei fehlerhaft gewesen.

2.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt nicht in Betracht, da die Antragsschrift auch nicht den Anforderungen des § 172 Abs. 3 S. 2 HS 2 StPO genügt.

a) Danach gelten für die Prozesskostenhilfe in Klageerzwingungsverfahren dieselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, so dass Prozesskostenhilfe u.a. nur dann gewährt werden kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolgt bietet (vgl. § 114 ZPO). Zur Prüfung der Erfolgsaussicht ist es erforderlich, dass in dem Antrag das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel dargestellt wird (vgl. § 117 Abs. 1 S. 2 ZPO). Das Gesuch muss danach zwar nicht den für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung geltenden strengen Anforderungen des § 172 Abs. 3 S. 1 StPO entsprechen; insbesondere sind Bezugnahmen zulässig (LR-Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 172, Rdnr. 167). Das Prozesskostenhilfegesuch muss jedoch den zugrunde liegenden Sachverhalt zumindest in groben Zügen verständlich schildern und die zur Verfügung stehenden Beweismittel nennen, so dass dem Senat die vorläufige Prüfung ermöglicht wird, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht als mutwillig erscheint (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, § 172, Rdnr. 21a; KK-StPO/Moldenhauer, 7. Auflage, § 172, Rdnr. 51; Kaster, MDR 1994, 1074). Ein derartiger Mindestvortrag ist bereits deshalb geboten, weil anderenfalls regelmäßig von Amts wegen eine sachliche Überprüfung des staatsanwaltlichen Ermittlungsergebnisses anhand der Akten erfolgen müsste, so dass ein armer Antragsteller besser gestellt wäre als ein vermögender Antragsteller, bei dem eine inhaltliche Überprüfung des Ermittlungsvorgangs erst erfolgt, wenn eine den strengen Anforderungen des § 172 Abs. 3 S. 1 StPO genügende Antragsschrift vorliegt (vgl. Senat, Beschluss vom 5. März 1998 - 3 Ws 39/98, NStZ-RR 1998, 279, 280).

b) Auch diesen Anforderungen wird der Antrag nicht gerecht. Es fehlt auch hier an der Mitteilung von konkreten Tatsachen, aus denen sich ein strafrechtlich relevantes Handeln der Beschuldigten ergeben soll, und an der Benennung geeigneter Beweismittel oder von Ansatzpunkten für weitere Ermittlungen.

3.Die Gegenerklärung des Antragstellers vom 26. Oktober 2018, mit der dieser seine Rechtsauffassung verteidigt, rechtfertigt keine andere Entscheidung.