Hamburgisches OVG, Beschluss vom 01.06.2018 - 1 Bs 126/17
Fundstelle
openJur 2020, 2037
  • Rkr:

1. Art. 21 Abs. 1 SDÜ erlaubt einem Drittstaatsangehörigen, der Inhaber eines von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels und eines Reisedokuments ist, die Einreise in das Bundesgebiet nur, wenn die geplante Aufenthaltsdauer bei der Einreise lediglich bis zu 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen betragen soll; geht die bei der Einreise beabsichtigte Aufenthaltsdauer darüber hinaus, so ist die Einreise i. S. v. § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unerlaubt und der sich anschließende Aufenthalt nicht rechtmäßig i. S. v. § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG.

2. Die Einreise ist außerdem nicht gemäß Art. 21 Abs. 1 SDÜ rechtmäßig, wenn der Ausländer bei der Einreise nicht über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügt oder in der Lage ist, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben (vgl. Art. 21 Abs. 1 SDÜ i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c) Alt. 2 SGK a.F. [jetzt: Art. 6 Abs. 1 Buchst. c) Alt. 2 SGK]).

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. Mai 2017 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz im Hinblick auf die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Der ... geborene Antragsteller ist burkinischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben „ungefähr am 29.9.2015“ aus Italien kommend in das Bundesgebiet ein. Dabei war er im Besitz einer italienischen Aufenthaltserlaubnis („Permesso di soggiorno“) und eines italienischen Reiseausweises für Ausländer („Titolo di viaggio per stranieri“), die beide bis zum 8. Juli 2017 gültig waren.

Am 16. Dezember 2015 schloss der Antragsteller in Dänemark die Ehe mit dem deutschen Staatsangehörigen .... Nach seiner erneuten Einreise in das Bundesgebiet beantragte er am 21. Dezember 2015 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Mit Bescheid vom 25. August 2016 lehnte die Antragsgegnerin durch das Einwohnerzentralamt den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ab. Den dagegen am 15. September 2016 erhobenen Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2016 zurück.

Am 12. Januar 2017 hat der Antragsteller dagegen Klage (5 K 345/17) erhoben und Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt.

Mit Beschluss vom 18. Mai 2017, der Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 29. Mai 2017, hat das Verwaltungsgericht Hamburg den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt: Der Antrag sei nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO statthaft. Der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet habe nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aufgrund seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als erlaubt gegolten. Der Antragsteller habe sich im Zeitpunkt der Antragstellung auf der Grundlage des Art. 21 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens wegen seines italienischen Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. In der Sache habe der Antrag keinen Erfolg. Der Antragsteller erfülle zwar die besonderen Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 27 Abs. 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 AufenthG. Ihm könne der Titel jedoch gemäß § 5 Abs. 2 AufenthG nicht ohne Durchführung des Visumverfahrens erteilt werden. Die Voraussetzungen des § 39 Nr. 6 AufenthV zur Einholung des Aufenthaltstitels ohne die Durchführung eines Visumverfahrens seien mangels Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht erfüllt. Hierzu müssten alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erfüllt sein und der Behörde kein Ermessen mehr zustehen. Im vorliegenden Fall reichten jedoch die Angaben und Belege des Antragstellers nicht aus, um von einer Sicherung seines Lebensunterhalts im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auszugehen. Auch die Voraussetzungen für ein Absehen vom Erfordernis der Durchführung des Visumverfahrens gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG lägen nicht vor. Insbesondere sei die Durchführung des Visumverfahrens auch unter Berücksichtigung der zu erwartenden verfahrensbedingten vorübergehenden Trennung von seinem Lebenspartner zumutbar.

Dagegen hat der Antragsteller am 12. Juni 2017 Beschwerde eingelegt. Außerdem hat er die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt.

Ebenfalls am 12. Juni 2017 hatte der Antragsteller noch vor Erhebung der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auf Abänderung des Beschlusses vom 18. Mai 2017 gestellt (5 E 6175/17). Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Oktober 2017 ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist ebenfalls beim Oberverwaltungsgericht anhängig (1 Bs 260/17).

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass der Antragsteller kurz vor ihrer Erhebung am 12. Juni 2017 beim Verwaltungsgericht auch einen Antrag gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auf Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 18. Mai 2017 gestellt hat. Der Abänderungsantrag begründet weder eine anderweitige Rechtshängigkeit im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG noch nimmt er der Beschwerde das Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Beschwerde hat nicht denselben Streitgegenstand wie das Abänderungsverfahren: Sie unterliegt nicht den Beschränkungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO (veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände) und mit ihr können – wenn auch grundsätzlich nur innerhalb der Beschwerde- und Begründungsfrist nach §§ 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO – neben diesen Umständen alle Rechtsanwendungsfehler des Gerichts geltend gemacht werden, aufgrund deren der Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO im Ergebnis falsch sein soll (vgl. auch OVG Hamburg, Beschl. v. 23.7.2014, 2 Bs 111/14, juris Rn. 19). Deshalb kommt lediglich umgekehrt die Unzulässigkeit des parallel gestellten Abänderungsantrags in Betracht, über die im vorliegenden Verfahren jedoch nicht zu entscheiden ist (vgl. hierzu den Beschluss des Senats vom heutigen Tage in dem gegen die Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gerichteten Beschwerdeverfahren 1 Bs 260/17).

2. In der Sache hat der Antragsteller mit den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht zunächst grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), die tragenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung erfolgreich in Zweifel gezogen (unten 2.1.). Die hiernach zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das Beschwerdegericht führt indes zu keiner Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht abgelehnt (unten 2.2.).

2.1. Der Antragsteller trägt mit der Beschwerde vor, das Einwohnerzentralamt sei sachlich unzuständig gewesen. Grundsätzlich seien die Bezirksämter nach Teil I Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 der Anordnung über Zuständigkeiten im Ausländer- und Asylverfahrensrecht vom 17. Dezember 2004 (Amtl. Anz. 2004, S. 2621 mit nachf. Änd., im Folgenden: Zuständigkeitsanordnung) für die Durchführung des Aufenthaltsgesetzes und der Aufenthaltsverordnung zuständig. Ein Fall des Teils II der Zuständigkeitsanordnung, wonach die Behörde für Inneres und Sport zuständig wäre, liege hier nicht vor. Zwar sei die Behörde für Inneres und Sport nach Teil II Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Buchst. b) Zuständigkeitsanordnung zuständig für die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 27 bis 30 AufenthG an Ausländer, deren Abschiebung nach § 60a AufenthG vorübergehend ausgesetzt sei. Der Antragsteller habe im Zeitpunkt der Entscheidung auch formal eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a AufenthG besessen. Er sei aber tatsächlich nicht vollziehbar ausreisepflichtig gewesen, weil sein Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 AufenthG ausgelöst habe. Auch das Verwaltungsgericht sei von einer rechtmäßigen Einreise und einem für die folgenden drei Monate rechtmäßigen Aufenthalt des Antragstellers ausgegangen. Die Antragsgegnerin habe die Zuständigkeit der Behörde für Inneres und Sport insoweit unter unzutreffender Beurteilung der Sach- und Rechtslage angenommen. Eine anderweitige Zuweisung der Zuständigkeit an die Behörde für Inneres und Sport sei nicht ersichtlich.

Damit zieht der Antragsteller die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zumindest ernsthaft in Zweifel. Das Verwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgelöst, weil der Antragsteller sich zu diesem Zeitpunkt aufgrund seines italienischen Aufenthaltstitels gemäß Art. 21 Abs. 1 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000 Nr. L 239 S. 19, Schengener Durchführungsübereinkommen – SDÜ) in seiner gemäß Art. 2 der VO (EU) 610/2013 geänderten Fassung (ABl. L 182 S. 1) rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. In seiner weiteren Begründung setzt sich das Verwaltungsgericht nicht mit dem Bestehen der sachlichen Zuständigkeit des Einwohnerzentralamts auseinander. Diese Frage ist jedoch jedenfalls problematisch, wenn der Ausländer – wovon das Verwaltungsgericht ausgegangen ist – nicht vollziehbar ausreisepflichtig ist. Teil II Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Buchst. b) Zuständigkeitsanordnung setzt voraus, dass die Abschiebung des Ausländers nach § 60a AufenthG vorübergehend ausgesetzt ist. Es ist zumindest begründungsbedürftig, die sachliche Zuständigkeit der Behörde für Inneres und Sport nach dieser Vorschrift auch dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde zu Unrecht von der vollziehbaren Ausreisepflicht des Ausländers ausgeht und ihm aufgrund dieser Annahme (formal) die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung bescheinigt.

2.2. Der damit durch das Beschwerdegericht vollständig zu prüfende Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

a) Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist der Antrag nicht als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO statthaft. Denn der Antragsteller wurde nicht erst durch die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 25. August 2016 gemäß §§ 58 Abs. 2 Satz 2, 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Er hielt sich im Zeitpunkt der Antragstellung am 21. Dezember 2015 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, so dass sein Aufenthalt nicht gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aufgrund der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt galt. Der Antragsteller war bei seiner Einreise nicht im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels im Sinne von §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist für längerfristige Aufenthalte ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Der Antragsteller, der nach der Eheschließung im Dezember 2015 in Dänemark in der Absicht in das Bundesgebiet einreiste, mit seinem Ehepartner dauerhaft im Bundesgebiet zusammen zu leben, war nicht im Besitz eines zu diesem Aufenthaltszweck berechtigenden Visums.

Die Rechtmäßigkeit der Einreise und des Aufenthalts des Antragstellers folgte auch nicht wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts aus Art. 21 Abs. 1 SDÜ. Danach können Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einem der Mitgliedstaaten ausgestellten Aufenthaltstitels sind, sich aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments bis zu 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen frei im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten bewegen, sofern sie die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a), c) und e) der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (ABl. L 105 S. 1) in der durch Art. 1 der Verordnung (EU) 610/2013 geänderten Fassung (ABl. L 182 S. 1, Schengener Grenzkodex – SGK a. F.) aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste des betroffenen Mitgliedstaats stehen. Der Antragsteller war bei seiner Einreise aus Dänemark im Dezember 2015 zwar im Besitz eines gültigen italienischen Aufenthaltstitels und eines italienischen Reiseausweises für Ausländer. Jedoch gilt zum einen die Privilegierung des Art. 21 Abs. 1 SDÜ von vornherein nicht, wenn der Ausländer bereits mit der Absicht eines Daueraufenthalts in das Bundesgebiet einreist (unten aa). Zum anderen erfüllte der Antragsteller bei seiner Einreise auch nicht die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 1 SDÜ i. V. m. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c) SGK a. F. (unten bb).

aa) Einreise und Aufenthalt ohne nationales Visum sind nicht gemäß Art. 21 Abs. 1 SDÜ rechtmäßig, wenn der Drittstaatsangehörige bereits in der Absicht einreist, sich dauerhaft und nicht nur für maximal 90 Tage in einem Zeitraum von 180 Tagen im Bundesgebiet aufzuhalten (ebenso VGH Kassel, Beschl. v. 4.6.2014, 3 B 785/14, InfAuslR 2014, 435, juris Rn. 7; VGH München, Beschl. v. 14.2.2018, 10 CS 18.350, 10 C 18.351, juris Rn. 26; VG Stuttgart, Beschl. v. 7.5.2014, 5 K 4470/13, juris Rn. 6 f.; ebenso für die Einreise eines von der Visumspflicht befreiten Ausländers nach Art. 20 SDÜ: OVG Hamburg, Beschl. v. 23.9.2013, 3 Bs 131/13, NVwZ-RR 2014, 490, juris; OVG Magdeburg, Beschl. v. 7.10.2014, 2 L 152/13, juris Rn. 7; VGH Mannheim, Beschl. v. 14.9.2011, 11 S 2438/11, InfAuslR 2011, 443, juris Rn. 8; OVG Münster, Beschl. v. 11.11.2015, 18 B 387/15, NVwZ-RR 2016, 354, juris Rn. 3; zum Streitstand bei sog. „Positivstaatern“ Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 2018, § 14 Rn. 17 m. w. N.; anders noch zu Art. 21 Abs. 1 SDÜ OVG Hamburg, Beschl. v. 9.1.2014, 1 Bs 320/13 und 1 So 137/13; anders auch VG Karlsruhe, Urt. v. 6.3.2018, 1 K 2902/16, juris Rn. 44 ff.; VG Freiburg, Urt. v. 13.5.2016, 4 K 1497/15, juris Rn. 54).

Dies ergibt sich systematisch aus dem Verweis von Art. 21 Abs. 1 SDÜ auf Art. 5 Abs. 1 SGK a. F., der bereits im Einleitungssatz von einem „geplanten“ Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen spricht. Ebenso bezieht sich Art. 5 Abs. 1 Buchst. c) SGK a. F. ausdrücklich auf einen „beabsichtigten“ Aufenthalt, dessen Zweck und Umstände belegt und für dessen Dauer ebenso wie für die Rückreise ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts vorliegen müssen. Nach Art. 5 Abs. 2 SGK a. F. enthält zudem der Anhang I eine nicht abschließende Liste von Belegen, die sich der Grenzschutzbeamte von dem Drittstaatsangehörigen vorlegen lassen kann, um zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c) erfüllt sind. Zu diesen Belegen gehören bei touristischen oder privaten Reisen etwa Belege betreffend den Reiseverlauf und die Rückreise (Anhang I, Buchst. c) ii) und iii)). Art. 5 Abs. 3 Satz 1 SGK a. F. sieht zudem eine Berechnung des notwendigen Lebensunterhalts anhand der Dauer des Aufenthalts, insbesondere der „Zahl der Aufenthaltstage“ vor. Diese Regelungen ergeben nur Sinn, wenn sie sich auf einen von vornherein als solchen beabsichtigten Aufenthalt von begrenzter Dauer beziehen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 23.9.2013, 3 Bs 131/13, juris Rn. 8).

Auch Sinn und Zweck der durch Art. 21 Abs. 1 SDÜ gewährten Privilegierung von Drittausländern, die Inhaber eines mitgliedstaatlichen Aufenthaltstitels sind, gebieten ihre Beschränkung auf Fälle, in denen die Einreise nicht von vornherein zum Zweck des Daueraufenthalts erfolgt. Art. 21 Abs. 1 SDÜ dispensiert lediglich für Kurzaufenthalte vom Erfordernis des Visumverfahrens; bei derartigen Aufenthalten ist das Interesse der Mitgliedstaaten an einer präventiven Einreisekontrolle nicht in dem Maße betroffen wie bei einem längerfristigen Aufenthalt im Sinne von § 6 Abs. 3 AufenthG. Beabsichtigt der Ausländer indes bereits bei der Einreise einen Daueraufenthalt, so ist das Interesse des Mitgliedstaates, mit dem Instrument des Visumverfahrens die Zuwanderung in sein Gebiet wirksam zu steuern und zu begrenzen, bereits zum Zeitpunkt der Einreise und nicht erst nach Ablauf eines Aufenthalts von 90 Tagen berührt. Denn das nationale Visumverfahren kann seine Kontrollfunktion nur erfüllen, wenn es vor der Einreise des Ausländers durchgeführt wird.

Diesem Verständnis der Reichweite des Art. 21 Abs. 1 SDÜ steht nicht § 39 Nr. 6 AufenthV entgegen. Zwar ermöglicht diese Vorschrift einem Drittstaatsangehörigen, aus einem durch Art. 21 Abs. 1 SDÜ gewährten "Besuchsaufenthalt" heraus einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu stellen. Dies impliziert, dass es Fälle geben kann, in denen nach der Einreise die Erlaubnis auch für einen längerfristigen Aufenthalt erstrebt werden darf (vgl. insoweit auch OVG Hamburg, Beschl. v. 9.1.2014, 1 Bs 320/13 und 1 So 137/13). Daraus folgt jedoch nicht, dass Art. 21 Abs. 1 SDÜ auch dann eine rechtmäßige Einreise und einen rechtmäßigen Aufenthalt ermöglicht, wenn der längerfristige Aufenthalt bereits bei der Einreise beabsichtigt war. Zum einen kann die Reichweite einer nationalen Vorschrift wie § 39 Nr. 6 AufenthV schon im Ansatz nicht den Anwendungsbereich einer Vorschrift des SDÜ, das zum unionsrechtlichen Schengen-Besitzstand zählt, bestimmen. Zum anderen verbleibt für die Regelung des § 39 Nr. 6 AufenthV auch dann ein hinreichender Anwendungsbereich, wenn der Aufenthalt bei von vornherein beabsichtigtem Daueraufenthalt nicht aufgrund des Art. 21 Abs. 1 SDÜ „berechtigt“ im Sinne von § 39 Nr. 6 AufenthV ist. Dieser erfasst insbesondere die Fälle eines nachträglichen Wechsels des Aufenthaltszwecks (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.1.2011, 1 C 23/09, BVerwGE 138, 353 ff., juris Rn. 20 a. E.).

Auch die nationalen Regelungen in § 15 AufenthG über die Zurückweisung an der Grenze gebieten kein anderes Ergebnis. Der dritte Senat des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts hat hierzu in seinem Beschluss vom 23. September 2013 (3 Bs 131/13, juris Rn. 12 ff.) im Zusammenhang mit der Einreise gemäß Art. 20 Abs. 1 SDÜ ausgeführt:

„Soweit in § 15 Abs. 1 AufenthG die zwingende Zurückweisung eines Ausländers vorgesehen ist, der unerlaubt einreisen will, und in § 15 Abs. 2 AufenthG mehrere lediglich fakultative Zurückweisungsgründe normiert sind, die teilweise Berührungspunkte zur unerlaubten Einreise aufweisen, ändert dies nichts an der unerlaubten Einreise von Drittstaatsangehörigen, die deshalb missbräuchlich die Visaerleichterung nach der EG-Visa-VO in Anspruch nehmen, weil sie bei der Einreise einen nicht bloß kurzfristigen Aufenthalt beabsichtigen.

Soweit nach § 15 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG der Ausländer an der Grenze zurückgewiesen werden kann, wenn der begründete Verdacht besteht, dass der Aufenthalt nicht dem angegebenen Zweck dient, hat diese Bestimmung gegenüber der in § 15 Abs. 1 AufenthG geregelten zwingenden Zurückweisung bei gewollter unerlaubter Einreise einen eigenen Anwendungsbereich, wenn der beabsichtigte zweckwidrige Aufenthalt nicht feststeht, sondern hierfür lediglich begründete Verdachtsmomente vorliegen [...].

Soweit nach § 15 Abs. 2 Nr. 2 a AufenthG der Ausländer an der Grenze zurückgewiesen werden kann, wenn er nur über ein Schengen-Visum verfügt oder für einen kurzfristigen Aufenthalt von der Visumpflicht befreit ist und beabsichtigt, entgegen § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eine Erwerbstätigkeit auszuüben, sollte diese mit dem Richtlinien-Umsetzungsgesetz 2007 eingeführte Bestimmung nach der Begründung des betreffenden Gesetzentwurfs im Hinblick auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 27.4.2005, BGHSt 50, 105) „klarstellen“, dass ein Ausländer auch unter den genannten Voraussetzungen zurückgewiesen werden kann (BT-Drs. 16/5065 vom 23.4.2007, S. 164). Die Regelung betrifft aber ohnehin nicht die hier interessierenden Fälle, in denen sich die Missbräuchlichkeit der Inanspruchnahme der Visaerleichterungen nach EG-Visa-VO gerade aus der von vornherein bestehenden Absicht eines Daueraufenthalts ergibt.

Soweit nach § 15 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG der Ausländer an der Grenze zurückgewiesen werden kann, wenn er die Voraussetzungen für eine Einreise in das Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten nach Art. 5 des Schengener Grenzkodexes nicht erfüllt, hat diese Vorschrift jedenfalls in den Fällen, in denen der Drittstaatsangehörige erkennbar über den tatsächlichen Einreisezweck des Daueraufenthalts zu täuschen versucht, keine eigenständige Bedeutung, da dann die Einreise ohnehin zwingend nach der anwendungsvorrangigen Regelung in Art. 13 Abs. 1 des Schengener Grenzkodexes zu verweigern ist [...].“

Diesen auch auf die Bestimmung der Reichweite der Einreisemöglichkeit nach Art. 21 Abs. 1 SDÜ zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat im vorliegenden Fall an.

Die hier angenommene Beschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 21 Abs. 1 SDÜ widerspricht zuletzt auch nicht der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, ein Ausländer mit einem Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG reise nicht unerlaubt im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in das Bundesgebiet ein, auch wenn er schon im Zeitpunkt der Einreise einen längerfristigen Aufenthalt anstrebte (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.1.2011, 1 C 23/09, BVerwGE 138, 353 ff., juris Rn. 20). Denn in diesem Fall existiert mit dem Schengen-Visum eine wirksame verwaltungsbehördliche Erlaubnis zur Einreise, von der bis zu ihrer Aufhebung Tatbestandswirkung ausgeht (vgl. auch BGH, Urt. v. 27.4.2005, 2 StR 457/04, BGHSt 50, 105 ff., juris Rn. 23 im Kontext der strafrechtlichen Beurteilung der Einreise und des Aufenthalts). Eine solche Erlaubnis fehlt bei der hier zu beurteilenden visumfreien Einreise unter Inanspruchnahme der Privilegierung des Art. 21 Abs. 1 SDÜ gerade (die Strafbarkeit der Einreise in derartigen Fällen deshalb bejahend LG Hof, Urt. v. 20.4.2017, 5 KLs 354 Js 1442/16, juris Rn. 77 f., 82 ff.; nachgehend BGH, Beschl. v. 25.10.2017, 1 StR 426/17, juris).

bb) Der Antragsteller erfüllte bei seiner Einreise außerdem die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 1 SDÜ i. V. m. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c) Alt. 2 SGK a. F. nicht. Danach gilt für den Aufenthalt die Einreisevoraussetzung, dass der Drittstaatsangehörige über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein muss, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben. Nach Art. 5 Abs. 3 SGK a. F. werden die Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts nach der Dauer und dem Zweck des Aufenthalts und unter Zugrundelegung der Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung in dem/den betreffenden Mitgliedstaat(en) nach Maßgabe eines mittleren Preisniveaus für preisgünstige Unterkünfte bewertet, die um die Zahl der Aufenthaltstage multipliziert werden. Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission entsprechende festgesetzte Richtbeträge. Die Feststellung ausreichender Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts kann anhand von Bargeld, Reiseschecks und Kreditkarten erfolgen, die sich im Besitz des Drittstaatsangehörigen befinden. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Kommission hierzu mitgeteilt (vgl. ABl. C 247 vom 13.10.2006, S. 21), dass insoweit keine verbindlichen Tagessätze bestünden. Es seien die jeweiligen persönlichen Umstände wie Art und Zweck der Reise, Dauer des Aufenthalts, etwaige Unterbringung bei Angehörigen oder Freunden sowie Kosten für Verpflegung zu berücksichtigen. Könne der Drittstaatsangehörige für diese Umstände keine Belege vorweisen oder zumindest glaubhafte Angaben machen, so müssten für jeden Tag 45 Euro zu seiner Verfügung stehen. Außerdem müsse sichergestellt sein, dass die Rückreise bzw. Weiterreise des Drittstaatsangehörigen möglich sei. Der Nachweis könne zum Beispiel durch Vorlage eines Weiter- oder Rückreisetickets erfolgen.

Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er im Zeitpunkt der Einreise aus Dänemark im Dezember 2015 über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts in diesem Sinne verfügte. Seine eigenen Angaben in der Anhörung durch die Antragsgegnerin am 15. März 2016 legen den Schluss nahe, dass er selbst über keine ausreichenden derartigen Mittel verfügte. Auf die Frage, ob er Geld von zu Hause oder anderes Vermögen mitgebracht habe, antwortete er, kein Vermögen dabei zu haben. Er habe nur von einem Freund Geld für die Reise bekommen. Er habe mit seinem Lebenspartner und Freunden den Lebensunterhalt gesichert. Auf Nachfrage, ob er bei der Einreise mittellos gewesen sei, antwortete er, Geld für den Transport bekommen zu haben, von dem ca. 50 oder 60 Euro übrig geblieben seien. Auf die Frage, wie er beabsichtige, seinen Lebensunterhalt in Deutschland sicherzustellen, antwortete er, es hänge von seinem Ehemann ab, er sei ja jetzt verheiratet. Der Antragsteller hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass sein Lebensunterhalt im Zeitpunkt seiner Einreise durch seinen Lebenspartner ausreichend gesichert war. Er hat zu den Einkommensverhältnissen seines Lebenspartners im Dezember 2015 überhaupt keine Angaben gemacht. Im Schriftsatz vom 17. August 2017 im Verfahren 5 E 6175/17 (1 Bs 260/17) finden sich lediglich Angaben zu dem durch den Lebenspartner erzielten Einkommen im Jahr 2016. Dieses setze sich „zusammen aus verschiedenen Einkommensquellen“ und eine Aufstellung sei „deshalb nicht ohne weiteres beizubringen“. Der Lebenspartner habe als Student BAföG-Leistungen erhalten, sei nebenbei in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen abhängig beschäftigt und habe zudem Nebeneinkünfte aus selbständiger Tätigkeit. Die Höhe der BAföG-Leistungen habe 649 € monatlich betragen. Außerdem habe er durchschnittlich ca. 400 € monatlich aus abhängigen Beschäftigungsverhältnissen hinzu verdient und im gesamten Jahr einen Gewinn von 635 € aus selbständiger Tätigkeit erzielt. Diese Angaben für das Jahr 2016 beziehen sich jedoch zum einen nicht auf die Verhältnisse im Dezember 2015 bzw. auf den Zeitraum eines sich daran anknüpfenden Kurzaufenthalts. Der vorgelegte Arbeitsvertrag für Hilfskräfte mit der Jugendhilfe e. V. galt erst ab dem 26. September 2016. Zum anderen ist das behauptete Einkommen – mit Ausnahme der BAföG-Leistungen, die für eine Sicherung des gemeinsamen Lebensunterhalts nicht ausreichten – hinsichtlich der genauen Höhe der tatsächlich ausgezahlten Mittel unsubstantiiert und ohne jeglichen Nachweis geblieben. In einem solchen Fall, in dem die tatsächlichen Einkommensverhältnisse trotz der aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. c), Abs. 3 SGK a. F. folgenden Nachweispflicht ohne jeden Beleg bleiben, genügt allein das bloße Indiz, dass keine öffentlichen Leistungen beantragt werden (vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschl. v. 9.1.2014, 1 Bs 320/13 und 1 So 137/13), für die Annahme der Sicherung des Lebensunterhalts nicht. Da der Antragsteller bei seiner Einreise auch nicht über eine Beschäftigungserlaubnis verfügte, war er auch nicht in der Lage, die Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c), 2. Alt. SGK a. F. rechtmäßig zu erwerben.

b) Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist allerdings als Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) zu verpflichten, einstweilen aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller zu unterlassen, statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Ein Anspruch darauf, von der Antragsgegnerin einstweilen zur Sicherung eines möglichen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geduldet zu werden, ist nicht ersichtlich. Denn dem Antragsteller ist aller Voraussicht nach keine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (unten aa und bb). Auch die Voraussetzungen eines originären Duldungsanspruchs nach § 60a Abs. 2 AufenthG sind nicht glaubhaft gemacht worden (unten cc).

aa) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 27 Abs. 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zur Wahrung der Lebensgemeinschaft mit seinem Lebenspartner.

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die sachliche Zuständigkeit der Behörde für Inneres und Sport zur Entscheidung über die Erteilung dieses Aufenthaltstitels nach Teil II Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Buchst. b) Zuständigkeitsanordnung nach dem Obenstehenden nicht mehr zweifelhaft ist. Die Antragsgegnerin hatte die Abschiebung des Antragstellers nach § 60a AufenthG vorübergehend ausgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt galt der Aufenthalt des Antragstellers entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch nicht gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG als erlaubt (s. o. 2.2.a).

Im Übrigen sind unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 27 Abs. 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG jedenfalls die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen der Passpflichterfüllung (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) und der Einreise mit dem erforderlichen Visum (§ 5 Abs. 2 AufenthG) nicht erfüllt.

(1) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass die Passpflicht nach § 3 AufenthG erfüllt wird. Nach § 3 Abs. 1 AufenthG dürfen Ausländer nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung befreit sind. Der Antragsteller ist derzeit nicht im Besitz eines anerkannten und gültigen Passes. Bei der am 5. Mai 2017 von der burkinischen Botschaft in Berlin ausgestellten „Carte d’identité consulaire“ handelt es sich nicht um einen anerkannten Pass. Die Anerkennung eines Passes ist ein souveräner Akt des anerkennenden Staates (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8.3.2013, OVG 7 N 91.13, juris Rn. 12; Urt. v. 17.3.2016, OVG 7 B 24.15, juris Rn. 31; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 3 AufenthG Rn. 8). Die Zuständigkeit für die Anerkennung liegt gemäß § 71 Abs. 6 AufenthG beim Bundesministerium des Innern oder der von ihm bestimmten Stelle. Nach der auf dieser Grundlage erlassenen Allgemeinverfügung über die Anerkennung eines ausländischen Passes oder Passersatz des Bundesministeriums des Innern vom 6. April 2016 (BAnz. AT 25.4.2016 B 1, S. 1) gehört die von dem Antragsteller vorgelegte „Carte d’identité consulaire“ nicht zu den anerkannten Pässen und Passersatzpapieren aus Burkina Faso (vgl. Ziffer I. Nr. 2 i. V. m. Anlage 1, Rubrik „Burkina Faso“ der Allgemeinverfügung). Der Antragsteller ist auch nicht im Besitz eines anerkannten und gültigen Passersatzes im Sinne von § 3 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 3 AufenthV. Sein italienischer Reiseausweis für Ausländer („Titolo di viaggio per stranieri“) ist am 8. Juli 2017 abgelaufen; maßgeblich ist insoweit auf die aktuelle Sach- und Rechtslage abzustellen.

Es liegen auch keine Gründe vor, aufgrund deren von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG abzusehen wäre. Dies ist nur geboten, wenn ein atypischer Sachverhalt gegeben ist, der sich von der Menge gleich liegender Fälle durch besondere Umstände unterscheidet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht des der Regelerteilungsvoraussetzung zugrunde liegenden öffentlichen Interesses beseitigen. Derartige Umstände hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Grundsätzlich ist er gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verpflichtet, an der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes mitzuwirken. Die ihm zumutbaren Initiativ- und Mitwirkungshandlungen zur Erlangung eines Passes richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Ihm ist insbesondere zumutbar, derart rechtzeitig vor Ablauf der Gültigkeit eines Passes oder Passersatzes bei den zuständigen Behörden im In- und Ausland die erforderlichen Anträge für die Neuerteilung oder Verlängerung zu stellen, dass mit der Neuerteilung oder Verlängerung innerhalb der Gültigkeitsdauer des bisherigen Passes oder Passersatzes gerechnet werden kann (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthV). Umstände, die einen Ausnahmefall begründen, sind vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 8.2.2018, 13 LB 45/17, juris Rn. 41). Dies hat der Antragsteller nicht getan. Er hat lediglich eine Bescheinigung der Konsularabteilung der burkinischen Botschaft in Berlin vom 25. Juli 2017 vorgelegt, in der bestätigt wird, dass die Botschaft seinen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses erhalten und diesen am 14. Juli 2017 zur Bearbeitung an die zuständigen Behörden in Burkina Faso weitergeleitet hat. Daraus folgt nicht, dass er alle zumutbaren Anstrengungen zur rechtzeitigen Erlangung eines Passes unternommen hat. Der Antragsteller hat den Antrag bei der burkinischen Botschaft bereits nicht mit dem gebotenen Vorlauf, sondern in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Ablauf der Gültigkeit seines italienischen Reisedokuments gestellt. Er hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass er mit der Antragstellung alle zumutbaren Mitwirkungshandlungen vorgenommen hat und die lange Bearbeitungszeit seines Antrags von ihm nicht zu vertreten ist. Aus der Bescheinigung vom 25. Juli 2017 ergibt sich nicht, dass die von ihm bei der Antragstellung beigebrachten Angaben und Unterlagen vollständig und für die Ausstellung des Passes ausreichend waren. Es wäre dem Antragsteller außerdem zumutbar gewesen, sich in den seit Antragstellung verstrichenen fast elf Monaten bei der burkinischen Botschaft nach dem Sachstand und den Gründen für die Verzögerung der Ausstellung zu erkundigen.

(2) Der Antragsteller ist außerdem nicht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit dem erforderlichen Visum eingereist. Für den zur Herstellung der Lebensgemeinschaft mit seinem Lebenspartner beabsichtigten längerfristigen Aufenthalt war gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG die Erteilung eines nationalen Visums vor der Einreise erforderlich, über das der Antragsteller bei der Einreise nicht verfügte.

Der Antragsteller kann den Aufenthaltstitel auch nicht ausnahmsweise gemäß § 39 Nr. 6 AufenthV im Bundesgebiet einholen. Dies würde voraussetzen, dass er einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und aufgrund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind. Nach dem Obenstehenden verfügte der Antragsteller zwar bei der Einreise und Antragstellung über einen gültigen italienischen Aufenthaltstitel, war jedoch wegen des beabsichtigten Daueraufenthalts nicht gemäß Art. 21 Abs. 1 SDÜ aufgrund dieses Aufenthaltstitels berechtigt, sich im Bundesgebiet aufzuhalten.

Von dem Erfordernis der Einreise mit dem erforderlichen Visum ist auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abzusehen. Danach kann von dem Visumserfordernis abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Die Voraussetzungen eines Anspruchs, der auch in diesem Kontext als strikter Rechtsanspruch zu verstehen ist, liegen wie ausgeführt wegen der fehlenden Passpflichterfüllung nicht vor. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller die Nachholung des Visumverfahrens aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls unzumutbar wäre. Eine solche Unzumutbarkeit folgt insbesondere nicht aus einer mit der Nachholung des Visumverfahrens verbundenen Beeinträchtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit seinem Lebenspartner, wobei offen bleiben kann, ob der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, dass die Lebenspartnerschaft noch fortbesteht, obwohl er mit Frau ... eine Beziehung eingegangen ist, aus der ein gemeinsames Kind hervorgegangen ist. Dies gilt selbst für den Fall, dass er das Visumverfahren wegen des Ablaufs der Gültigkeit seiner italienischen Papiere in Burkina Faso nachholen müsste. Nach den auf der Webseite der deutschen Botschaft in Ouagadougou abrufbaren Informationen beträgt die Regelbearbeitungsdauer für einen Antrag auf Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung nach Eheschließung zwischen acht und zwölf Wochen (https://ouagadougou.diplo.de/blob/1909720/81bb1603a068bcf2f4435be1a5016c16/visa-mariage-03-2018-data.pdf). Die damit voraussichtlich mehrmonatige Trennung des Antragstellers von seinem erwachsenen Lebenspartner wäre angesichts der Möglichkeit, fernmündlich oder über das Internet Kontakt zu halten, und unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an der Wahrung der Kontroll- und Steuerungsfunktion des Visumverfahrens zumutbar.

Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz vom 31. Mai 2018 nunmehr außerdem vorträgt, Vater eines schwer erkrankten deutschen Kindes geworden zu sein, bei dessen Behandlung er ständig anwesend sei, so hat er eine aus Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK folgende Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat hierzu eine Geburtsurkunde vorgelegt, in der er neben der Mutter ... als Vater des am 12. Dezember 2017 geborenen Kindes ... eingetragen ist. Außerdem hat er eine ärztliche Bescheinigung vom 23. Februar 2018 eingereicht, wonach sich das Kind wegen einer schweren malignen Erkrankung zur Chemotherapie im Universitätsklinikum Eppendorf befinde und die ständige Begleitung des Kindes von einem Elternteil bei allen Behandlungsmaßnahmen aus medizinischen Gründen für dringend erforderlich gehalten werde. Der Antragsteller hat lediglich behauptet und in keiner Weise (insbesondere durch eine von ihm selbst oder der Kindesmutter abgegebene eidesstattliche Versicherung) gemäß § 123 Abs. 3, §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemacht, dass zwischen ihm und dem Kind eine schützenswerte Lebensgemeinschaft besteht und er die vorgetragenen eigenen Beiträge zur Betreuung des Kindes tatsächlich erbringt. In einem solchen Fall ist das Gericht nicht gehalten, den anwaltlich vertretenen Antragsteller auf die ersichtlich nicht erfüllten Voraussetzungen der Glaubhafthaftmachung hinzuweisen. Die vorgelegte ärztliche Bescheinigung ist im Übrigen mittlerweile über drei Monate alt und damit nicht mehr geeignet, den aktuellen Gesundheitszustand des Kindes glaubhaft zu machen.

bb) Wegen der fehlenden Glaubhaftmachung der schützenswerten Lebensgemeinschaft mit dem deutschen Kind scheidet auch ein Anordnungsanspruch zur Sicherung eines möglichen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG oder § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus. Ein solcher Anspruch könnte im Übrigen auch nicht im vorliegenden Verfahren geltend gemacht werden. Denn er stellt wegen des Wechsels des Aufenthaltszwecks einen neuen Streitgegenstand dar, mit dem die Antragsgegnerin bisher noch nicht durch einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis befasst wurde.

cc) Der Antragsteller hat auch nicht die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Aussetzung seiner Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht. Danach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Der Antragsteller hat insbesondere kein aus Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK folgendes rechtliches Abschiebungshindernis glaubhaft gemacht. Dies gilt sowohl hinsichtlich der familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Lebenspartner als auch hinsichtlich des neuen Vortrags des Antragstellers im Beschwerdeverfahren, Vater eines schwer erkrankten deutschen Kindes geworden zu sein. Zur Begründung wird auf die Ausführungen zur Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens verwiesen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG.

IV.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Hinreichende Aussicht auf Erfolg ist zwar bereits dann anzunehmen, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der beabsichtigten Rechtsverfolgung besteht. Denn die Prüfung der Erfolgsaussichten im Prozesskostenhilfeverfahren darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung seitens einer unbemittelten Partei unverhältnismäßig zu erschweren und die Gewährung von Prozesskostenhilfe von einem schon hoch wahrscheinlichen oder gar sicheren Prozesserfolg abhängig zu machen; die Rechtsverfolgung würde sonst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert (vgl. BVerwG, Beschl. v. 5.1.1994, 1 A 14/92, Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 33). Auch nach diesem Maßstab sind indes keine hinreichenden Erfolgsaussichten der Beschwerde gegeben. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, die im vorliegenden Fall frühestens am 1. Juni 2018 eingetreten ist, weil der Antragsteller vorher keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beschwerde jedenfalls wegen der fehlenden Erfüllung der Passpflicht keine hinreichenden Erfolgsaussichten im oben dargelegten Sinne.