VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.03.2019 - A 4 S 335/19
Fundstelle
openJur 2020, 34310
  • Rkr:

1. Im Falle wehrdienstflüchtiger Männer aus Syrien liegen weiterhin regelmäßig Gründe für die Annahme vor, dass ihnen ernsthafter Schaden aufgrund unmenschlicher Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG droht.

2. Dieser Personengruppe steht deshalb grundsätzlich internationaler Subsidiärschutz zu.

3. Für Erwägungen, syrischen wehrdienstflüchtigen Männern aufgrund der mit russischer und iranischer Unterstützung durchgeführten Machtkonsolidierung des Assad-Regimes nunmehr nur noch den sogenannten nationalen Komplementärschutz als bloßes Verbot der Abschiebung gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zuzuerkennen, besteht derzeit kein Raum.

4. Auch nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 13.11.2018 besteht heute in keinem Teil Syriens interner Schutz und es gibt nirgendwo Rechtssicherheit bzw. Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Folter.

5. Subsidiärschutz wird primär wegen der besonderen Schwere der drohenden Rechtsgutverletzung gewährt. Internationaler Flüchtlingsschutz hingegen kann nur gewährt werden, wenn eine Verletzung fundamentaler Rechte in diskriminierender Weise gegeben ist, weil Verfolgung bzw. Ausgrenzung individuell droht gerade wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

6. Bei wehrdienstflüchtigen Männern aus Syrien kann derzeit nicht angenommen werden, ausnahmslos jeder Mann werde als "Oppositioneller" mit regimekritischer Meinung oder Grundhaltung verfolgt (im Anschluss an VGH Mannheim, Urteil vom 23.10.2018 - A 3 S 791/18 -, Juris).

7. Internationaler Flüchtlingsschutz kann dieser Personengruppe regelmäßig auch nicht pauschal im Hinblick auf die illegale Ausreise aus Syrien und das Stellen eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland, auf die Religion bzw. Ethnie oder die regionale Herkunft etwa aus einer (zeitweiligen) Rebellenhochburg gewährt werden.

8. Auch einer Person dieser Gruppe kann die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG nur dann zuerkannt werden, wenn in einer Einzelfallprüfung, gestützt auf entsprechende Erkenntnisquellen besondere, individuell gefahrerhöhende Umstände aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe feststellbar sind.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 21. November 2018 - A 4 K 5383/17 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der subsidiär schutzberechtigte Kläger begehrt die Zuerkennung auch der Flüchtlingseigenschaft.

Der am ... 1971 in Aleppo geborene Kläger ist nach seinen Angaben syrischer Staatsangehöriger, Araber und Sunnit. 2015 reiste er von seiner Heimatstadt Aleppo zunächst nach Latakia und weiter mit dem Flugzeug nach Damaskus. Mit Hilfe eines russischen Touristen-Visums flog er von dort zunächst nach Moskau und weiter nach Murmansk. Von dort fuhr er mit dem Bus an die norwegische Grenze und ließ sich registrieren. Er wurde in eine Sammelunterkunft eingewiesen und erhielt monatlich rund 2.700 Kronen. Über Oslo und Kopenhagen reiste er mit dem Flugzeug weiter nach Hamburg, wo er am 18.01.2016 einreiste und sogleich mit dem Bus weiter zu einem Freund nach Emmendingen fuhr. Am 01.04.2016 beantragte er förmlich Asyl.

Bei seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Kläger am 24.11.2016 im Wesentlichen an, dass seine Frau mit den gemeinsamen vier Kindern in die Türkei gezogen sei, wo die Familie heute lebe. Er habe von 1989 bis 1992 bei der Militärpolizei Wehrdienst geleistet. Nach dem Wehrdienst sei er in einer kulturellen Musikgruppe als Sänger aufgetreten, 1998 einmal in Deutschland. Hernach habe er in Aleppo auch als angestellter Verkäufer in einem Sanitär-Geschäft gearbeitet. Politisch sei er nie aktiv gewesen; er habe immer neutral bleiben wollen. Nach Ausbruch des Krieges sei die Sicherheitslage in seinem Viertel aufgrund von Kämpfen mit Scharfschützen immer schwieriger geworden. Auch als Sänger habe er immer weniger verdienen können und die Lebensunterhaltskosten seien extrem gestiegen. Da er als Künstler im Krieg nicht überlebensfähig gewesen sei und Angst vor dem Krieg und um seine Familie gehabt habe, sei er nach Deutschland gereist. Bei einer Rückkehr in seine Heimat fürchte er als Künstler Verfolgung durch religiöse Konfliktparteien; eine direkte Bedrohung durch die Regierung oder die Freie Syrische Armee habe nicht bestanden. Er vermisse Frau und Kinder sehr.

Mit Bescheid vom 29.05.2017 gewährte das Bundesamt dem Kläger internationalen Subsidiärschutz (Ziffer 1) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Ziffer 2), weil kein Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG vorliege.

Auf seine am 30.06.2017 erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 21.11.2018 Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides auf und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, denn er habe wegen Wehrdienstflucht politische Verfolgung zu befürchten.

Auf Antrag der Beklagten hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 05.02.2019 die Berufung zugelassen. Die Beklagte macht zur Begründung ihrer Berufung insbesondere geltend, die Wehrdienstflucht führe nicht zu politischer Verfolgung, auch nicht im Zusammenhang mit der sunnitischen Religionszugehörigkeit bzw. der Herkunft aus einer zeitweiligen Rebellenhochburg.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 21.11.2018 - A 4 K 5383/17 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und beruft sich auf seine Aktivitäten als Künstler sowie Referenzfälle aus jüngster Zeit, nach denen laut Medienberichten Rückkehrer in Syrien ohne jegliche Grundlage verhaftet worden und verschwunden seien.

Der Senat konnte den Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht informatorisch anhören, weil er zu seiner Familie in die Türkei gereist war.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verfahrensakten des Verwaltungsgerichts und des Bundesamtes sowie die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Dem Senat liegen des Weiteren die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat ist der Überzeugung, dass dem Kläger zwar zu Recht der subsidiäre Schutz gemäß § 4 AsylG zuerkannt wurde (hierzu I.), ihm jedoch nicht darüberhinausgehend auch gemäß § 3 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (hierzu II.).

I.

Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht gemäß § 4 AsylG internationalen Subsidiärschutz zuerkannt. Für Erwägungen, syrischen wehrdienstflüchtigen Männern aufgrund der mit russischer und iranischer Unterstützung durchgeführten Machtkonsolidierung des Assad-Regimes nunmehr nur noch den sogenannten nationalen Komplementärschutz als bloßes Verbot der Abschiebung gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zuzuerkennen, sieht der Senat derzeit keinen Raum. Auf Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen ist vielmehr weiterhin davon auszugehen, dass Flüchtlinge aus dieser Personengruppe regelmäßig Anspruch auf internationalen Subsidiärschutz haben.

1. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Gemäß Satz 2 der Norm gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Ein drohender ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG erfordert stets eine erhebliche individuelle Gefahrendichte. Diese kann nur angenommen werden, wenn dem Schutzsuchenden ein ernsthafter Schaden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dieser Prüfungsmaßstab folgt aus dem Tatbestandsmerkmal "...tatsächlich Gefahr liefe ..." in Art. 2 lit. f der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU. Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des EGMR, der bei Prüfung von Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"), was im Wesentlichen dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, Juris Rn. 18 ff., Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, Juris Rn. 20, je unter Bezugnahme auf EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - <Saadi/Italien> -, NVwZ 2008, 1330). Ein "real risk" in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn bei zusammenfassender Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für die Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Für den Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht entscheidend ist, ob bereits eine Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG tatsächlich eingetreten war oder ist (vgl. Art. 15 RL 2011/95/EU und EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 Rn. 84 <Salahadin Abdulla>). Für alle Anträge auf internationalen Schutz, mithin auch des Subsidiärschutzes (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), gilt zudem die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder Schaden erlitten hat bzw. von Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. er tatsächlich Gefahr läuft, einen gravierenden Schaden zu erleiden. In diesem Fall besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer tatsächlichen Vermutung setzt voraus, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder damals unmittelbar drohenden Schaden (Vorschädigung) und dem befürchteten künftigen Schaden fortbesteht. Denn die Wiederholungsvermutung beruht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt. Die Vermutung gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kann widerlegt werden. Hierfür ist jedoch erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungen beziehungsweise des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, Juris Rn. 20 ff.).

2. Nach diesen Maßstäben liegen im Falle wehrdienstflüchtiger Männer aus Syrien auch aus den inzwischen vom Assad-Regime kontrollierten Gebieten weiterhin regelmäßig Gründe für die Annahme vor, dass ihnen dort jedenfalls ernsthafter Schaden aufgrund unmenschlicher Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG droht. Diese Norm setzt Art. 15 lit. b RL 2011/95/EU um und orientiert sich an Art. 3 EMRK (vgl. Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, AsylG § 4 Rn. 9 ff, m.w.N.). Hiernach darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Eine Behandlung ist unmenschlich, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über einen gewissen Zeitraum hinweg zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives psychisches oder physisches Leid verursacht hat. Erniedrigend ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, die geeignet sind, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - 30696/09 <M.S.S.>, NVwZ 2011, 413). In beiden Fällen muss die Behandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie in einigen Fällen auch vom Geschlecht, dem Alter und dem Gesundheitszustand der betroffenen Person (vgl. EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 u.a. - <Sufi und Elmi>, NVwZ 2012, 681). Die Verantwortlichkeit eines Konventionsstaates kann dann begründet sein, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich die menschenrechtliche Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (EGMR, Urteil vom 07.07.1989 - 1/1989/161/217 - <Soering>, NJW 1990, 2183 und Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - <Saadi>, NVwZ 2008, 1330; BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, Juris).

a. Diese Gefahr besteht insbesondere für syrische Männer, die ihr Land verlassen haben, obwohl sie der Wehrpflicht unterlagen, was beim Kläger trotz seines Alters von über 42 Jahren nicht mit der notwendigen Sicherheit auszuschließen ist. Gemäß Art. 46 der syrischen Verfassung ist Militärdienst eine heilige Pflicht. Der 3. Senat des erkennenden Verwaltungsgerichtshofs hat hierzu im Urteil vom 23.10.2018 (- A 3 S 791/18 -, Juris Rn. 26 ff.) im Einzelnen treffend ausgeführt:

"In Syrien besteht Militärdienstpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Gruppe gilt (vgl. zu alledem ausführlich SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, Auskunft vom 28.3.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, Auskunft vom 30.7.2014; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting Syrian Regime and armed Opposition vom 23.8.2016). Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren. Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von 42 Jahren; mehrere Auskünfte verweisen allerdings auf Quellen, wonach die Wehrpflicht in der Praxis gegenwärtig bis zum 50. bzw. sogar bis zum 52. Lebensjahr ausgeweitet worden sei (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 2.1.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 2.3.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.7.2014; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 8). Ebenso geraten zunehmend auch noch nicht 18 Jahre alte Jugendliche vornehmlich an den zahlreichen im ganzen Land verstreuten Checkpoints in den Blick der Sicherheitskräfte und des Militärs und laufen Gefahr, Repressalien ausgesetzt zu werden.

Ausnahmen von der Wehrpflicht werden - von Bestechungen abgesehen - nur in eng begrenzten Fällen gemacht, so etwa bei Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit. Gesetze und Regelungen über Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes etwa für Einzelkinder oder Studenten gelten wohl teilweise formal weiter, in der Praxis finden sie allerdings aufgrund des stark zunehmenden Personalbedarfs nur mehr sehr eingeschränkt und zunehmend willkürlich Anwendung (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 3; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als "einziger Sohn"; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 9).

Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Düsseldorf vom 2.1.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.7.2014). Entlassungen aus dem Militärdienst sind seit dem Jahre 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung eher zur Ausnahme geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals ist Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (BFA, Länderinformationsblatt vom 25.1.2018, S. 24; Finnish Immigration Service, a.a.O, S. 12.).

Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdiensts als Reservisten jederzeit abrufbar sein (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Düsseldorf vom 2.1.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.3.2015 zu Syrien; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.3.2015). In der Vergangenheit wurden alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren als Reservisten geführt; aufgrund der prekären Personalsituation gibt es gegenwärtig kein festgesetztes Höchstalter für die Aktivierung von Reservisten mehr, vielmehr werden nach den vorliegenden Auskünften im Einzelfall - je nach Ausbildung und bisheriger Tätigkeiten für die Armee - Männer im Alter von bis zu 50 oder sogar 60 Jahren erneut zum Dienst verpflichtet (Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 8; SFH, "Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion" vom 23.3.2017, S. 5).

Seit dem Herbst 2014 werden Reservisten in großem Stile eingezogen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.3.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Die syrische Armee hat nach mehreren Quellen mit örtlichen Generalmobilmachungen begonnen, neue Checkpoints etabliert und Razzien im privaten und öffentlichen Bereich intensiviert, um Reservisten zu finden, die sich bislang dem Dienst entzogen haben. Die Vorgehensweise wird als zunehmend aggressiv beschrieben (vgl. UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 5). In wenigen Monaten wurden zehntausende Personen (zwangs-)rekrutiert und es existieren Berichte, wonach im Frühjahr 2015 Listen mit über 70.000 Namen von Personen, die als Reservisten eingezogen werden sollen, an den Checkpoints der syrischen Armee zirkulierten (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, "Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion" vom 23.3.2017, S. 6 f.; Danish Refugee Council, August 2017). Bei der Einberufung von Reservisten, die auf Grundlage des Kriegsrechts innerhalb weniger Tage erfolgen kann, wird offenbar keine Unterscheidung zwischen Anhängern bzw. Unterstützern des Regimes und potentiellen Oppositionellen gemacht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.7.2014).

Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie vom Militärdienst freigestellt sind, das Land verlassen; seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.3.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, Auskunft vom 28.3.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, Auskunft vom 30.7.2014; UNHCR, "Illegal Exit" from Syria and Relates Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria, February 2017). Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres wird die Ausreise erschwert, indem Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt werden (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 4 f.; BFA, Länderinformationsblatt vom 5.1.2017, S. 24).

Wehrdienstverweigerung wird nach dem syrischen Militärstrafgesetzbuch geahndet (vgl. Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 2.1.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 2.3.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.7.2014; SFH, "Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion", Auskunft vom 23.3.2017, S. 8 f.). Nach dessen Art. 98 wird, wer sich der Einberufung entzieht, mit Haft zwischen einem und sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion im eigentlichen Sinn werden in Art. 101 fünf Jahre Haft angedroht bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Art. 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Bereits die nicht genehmigte und somit unerlaubte Ausreise wird wie ein Wehrdienstentzug geahndet (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Düsseldorf vom 2.1.2017).

Syrer, die sich der Einberufung oder Mobilisierung entzogen haben, müssen nach ihrer Ergreifung mit Untersuchungsmaßnahmen rechnen, an die sich eine auch längere Haft mit Folterungen anschließen kann (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, Auskunft vom 28.3.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 16 f.). Es gibt Quellen, wonach Rekruten, denen das Regime nicht traut, mitunter in den Kampfeinsatz an die Front geschickt werden, um ihre Motivation zu kämpfen zu erhöhen (Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 10). Männer, die von Sicherheitsdiensten aufgegriffen werden, werden meistens vom militärischen Sicherheitsdienst oder dem Luftwaffensicherheitsdienst verhaftet. Das Office of United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) hat bei beiden Sicherheitsdiensten Fälle von Folter dokumentiert. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt. Viele Männer, die im Rahmen dieser Maßnahmen einberufen werden, sollen eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung erhalten und zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt worden sein (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.3.2015, S. 3 f.)."

b. Auch der Bericht des Auswärtigen Amtes vom 13.11.2018 über die Lage in Syrien gibt keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass sich die Gefährdungssituation für wehrdienstflüchtige Männer aufgrund der mit russischer und iranischer Unterstützung durchgeführten Machtkonsolidierung des Assad-Regimes inzwischen rechtserheblich abgeschwächt haben könnte. Im Gegenteil führt der Bericht im Wesentlichen aus, dass trotz Abflauens der Bürgerkriegskämpfe und teilweiser Stabilisierung der militärischen Lage zugunsten der syrischen Regierung nach wie vor ein im dargestellten Sinne bestehendes "real risk" für Leib und Leben anzunehmen ist. In keinem Teil Syriens bestehe interner Schutz und es gebe keine Rechtssicherheit bzw. Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Folter. Hinsichtlich der Repressionen durch den syrischen Staat bestätigt der Bericht eindrucksvoll, dass jener gegen jedermann allgemein willkürlich auch mit unumschränkter Gewalt vorgeht. Der Krieg in Syrien hat zwar die Wirtschaft stark geschwächt, das Assad-Regime faktisch jedoch gestärkt. Das Regime hat heute wohl die volle Unterstützung des Militärs sowie aller militärischen und zivilen Geheimdienste. Diese werden von engen Vertrauten oder Verwandten des Präsidenten geleitet. Die Geheimdienste unterhalten eigene Gefängnisse und zum Teil auch Krankenhäuser sowie Verhöreinrichtungen, bei denen es sich de facto um weitgehend rechtsfreie Räume handelt (AA, Bericht vom 13.11.2018, S. 8 ff., 15 ff.).

c. Syrien ist wie andere arabische Staaten im Mittleren Osten ein historisch gewachsener totalitärer Staat, bekannt als "mukhabarat" (hierzu: A. Rathmell, Syria’s Intelligence Services, Journal of Conflict Studies 16/2, 1996, S. 65). Unter den Assad-Regierungen konnten sich die Geheimdienste in sämtlichen politischen Gebieten etablieren und spielen heute eine führende Rolle in der syrischen Innen- und Außenpolitik. Ihre Praktiken weisen Ähnlichkeiten mit denen des KGB unter Stalin auf (Überfüllung von Zellen, Bedrohung von nahen Familienmitgliedern, etc.). Viele Folterpraktiken wurden jedoch mit arabischen Namen (dulab, falaqa, bisat al-rih, shabeh) versehen und sind den Menschen inzwischen als Praktiken der syrischen Geheimdienste bekannt (M. Hayed, Syrian Society is Failing Female Survivors of Torture and Detention, 05.10.2018). Syrien hat heute vermutlich 15 separate und mitunter konkurrierende Geheim- und Informationsdienste. Es liegt in der Natur dieser Institutionen, dass sie nur wenige Informationen über sich selbst preisgeben. Schätzungen zufolge arbeiten seit längerem zwischen 50.000 und 70.000 Sicherheitsbeamte für die Geheimdienste, was vor 2011 bedeutete, dass etwa ein Geheimdienstmitarbeiter auf 240 Bürger kam (D. Lesch, Syria: The fall of the house of Assad, Yale University Press 2012).

Es wird davon ausgegangen, dass in den berüchtigten Untergrundgefängnissen der Geheimdienste seit Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 mindestens 60.000 syrische Gefangene festgehalten wurden, die entweder weiter einsitzen oder bereits verstorben sind (ECCR, HBS-Konferenz Berlin, 02.03.2017). Rund 30.000 Personen werden noch vermisst. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen fehlt sogar von 118.000 Syrern, die bis 2018 verhaftet wurden, jedwede Spur (BAMF, Briefing Notes Syrien, 06.08.2018), obwohl im "formalen Staat Syrien" regelmäßig Todeslisten an örtliche Meldeämter übermittelt werden. Die geheimdienstlichen Verhaftungskampagnen gegen Zivilisten unterscheiden nicht zwischen Dissidenten und neutralen Bürgern. Auch Alter oder Geschlecht sind meist irrelevant. Wer nicht verhaftet wird, hat oftmals einfach Glück (M. Hayed, Syrian Society is Failing Female Survivors of Torture and Detenti-on, 05.10.2018). Offenbar erstellten syrische Geheimdienste zuletzt eine Liste von rund 3 Mio. Syrern, die als Regimegegner registriert wurden. Eine oppositionelle Nachrichtenseite stellte Namen von 1,5 Mio. Syrern online, die vom Regime mit Haftbefehl gesucht werden sollen (https://en.zamanalwsl.net/news/article/33629 und /18573). Durch die Sammlung eines syrischen abtrünnigen Militärangehörigen mit dem Decknamen "Caesar" wurden 2014 die Bilder von etwa 6.700 dokumentierten Opfern aus zwei Militärkrankenhäusern in der Nähe von Damaskus bekannt. Sie wurden durch Folter und Verhungern getötet; Ermittler sprechen von "Töten in industriellem Ausmaß" (B. Scheller, Syriens Verschwundene, HBS, 18.07.2017; ZDF, Syriens Folterhölle, 12.12.2018). Mit den gesammelten Beweismitteln auch des von der UN gegründeten IIIM (https://iiim.un.org/) führte dies im Juni 2018 zu einem ersten Verfahren mit internationalem Haftbefehl gegen den Chef des syrischen Luftwaffengeheimdienstes durch die Bundesanwaltschaft. Wird das Verfahren weitergeführt und erhält es zunehmende Aufmerksamkeit, dann besteht die Möglichkeit, dass das syrische Regime Rückkehrer gerade aus Deutschland tatsächlich als Oppositionelle wahrnehmen könnte bzw. als Personen, die mit Oppositionellen in Europa in Verbindung stehen. Sicher ist derzeit, dass mit dem Rückgang der Kampfhandlungen der Einfluss der Sicherheits- und Geheimdienste wieder steigt. Neuere Fälle sind dokumentiert, in denen Rückkehrer aus Europa verhaftet wurden und dauerhaft "verschwunden" sind (S. Hayden/Z. Ghandour, Die Zeit vom 10.12.2017; The Syrian Times vom 24.03.2018).

Sicherheit vor willkürlicher Verhaftung und Folter durch die syrischen Sicherheits- und Geheimdienste gibt es damit auch heute in keinem Teil des Landes, was insbesondere für Gebiete unter Regimekontrolle gilt (AA, Bericht vom 13.11.2018, S. 23). Willkür bedeutet allerdings nicht wahlloses Handeln, sondern das Abstellen auf unvorhersehbare bzw. unkalkulierbare Umstände (Einreise aus einem europäischen Land, Aufgreifen an einem Checkpoint, Eintrag auf einer Geheimdienstliste, Verlust von Dokumenten bzw. die fehlende Ausweismöglichkeit, Verwandtschaftsverhältnis mit gesuchten Personen, bestimmter Herkunftsort, etc.). Willkür ist insoweit im Sinne eines Patrimonialismus zu begreifen, d.h. als Teil eines totalitären politischen Herrschaftsprinzips, das bewusst Angst und Unvorhersehbarkeit produziert. Konkret für Syrien bedeutet dies, dass jemand auch ohne jeglichen Grund bei der Einreise festgehalten werden kann und erst im Laufe der Verhaftung ein "politischer Fall" konstruiert wird. Sicher ist, dass gerade auch syrische Männer im wehrdienstfähigen Alter - weil der Staat an ihnen ein besonderes militärisches bzw. strafrechtliches Interesse hat - heute an sämtlichen Landgrenzübergängen und Flughäfen festgehalten und verhört werden und dadurch der unmittelbaren Gefahr ausgesetzt sind, ganz unabhängig von einer Einstufung als Regimegegner willkürliche Verhaftung und auch Folter zu erleiden (vgl. UNHCR, Herkunftslandinformationen Syrien, 2/2017, S. 5 ff.).

Damit aber bestehen für den Senat derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, die Gefährdungssituation in Syrien für wehrdienstflüchtige Männer hätte sich dergestalt verbessert, dass die Voraussetzungen des internationalen Subsidiärschutzes weggefallen wären. Denn subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, die stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren ausgehender ernsthafter Schaden droht und sie den Schutz ihres Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen können oder wegen der Bedrohung nicht in Anspruch nehmen wollen. Die Europäische Union hat im Jahr 2004 im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems mit Art. 15 der Anerkennungsrichtlinie gefährdete Menschen, die nicht individuell wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt, ausgegrenzt oder diskriminiert werden, gerade vor solchen Gefahren schützen wollen, wie sie oben beschrieben wurden und innerstaatlich in § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG definiert sind (vgl. Dörig, Handbuch Migrationsrecht, 2018, § 13 Rn. 74). Internationaler Schutz wird insoweit im Sinne eines den Flüchtlingsschutz wegen individueller politischer Verfolgung ergänzenden zusätzlichen Schutzes auch unabhängig von den fünf anerkannten Verfolgungsgründen gewährt allein wegen der besonderen Schwere der drohenden Rechtsgutverletzung.

II.

In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) bestehen hingegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Begehren des Klägers, ihm zusätzlich zum Subsidiärschutz die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG zuzuerkennen. Der Senat ist sich bewusst, dass durch die Versagung der begehrten "Aufstockung" des internationalen Schutzes zugleich sowohl ein Familiennachzug gemäß Art. 9 bis 12 der Richtlinie 2003/86/EG erschwert als auch kein möglicherweise verstärkter Schutz im Rahmen eines eventuellen Widerrufsverfahrens gemäß §§ 73, 73b AsylG gewährt wird, sollte sich eines Tages die Gefährdungslage für Rückkehrer nach Syrien rechtserheblich geändert haben. Die Aspekte des Familiennachzugs bzw. verstärkten Widerrufsschutzes aber dürfen für den dem Gesetz unterworfenen Richter keinen Einfluss auf die Frage haben, ob die normativen Voraussetzungen des Flüchtlingsschutzes erfüllt sind.

Im Gegensatz zum Subsidiärschutz kann gemäß § 3 Abs. 1 AsylG internationaler Flüchtlingsschutz nur gewährt werden, wenn eine Verletzung fundamentaler Rechte in diskriminierender Weise gegeben ist, weil individuelle Verfolgung bzw. Ausgrenzung im Sinne eines "single out" im Herkunftsstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, gerade wegen der abschließenden fünf anerkannten Verfolgungsgründe des Refoulement-Verbots gemäß Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. § 3b AsylG, d.h. gerade wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss deshalb zwischen einer Verfolgungshandlung und einem oder mehreren Verfolgungsgründen eine Verknüpfung bestehen. Es muss eine erkennbare Gerichtetheit der Maßnahme gegeben sein, d.h. die Verfolgungshandlung oder das Fehlen vor Schutz vor solchen Handlungen muss gerade auf zumindest einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3b AsylG beruhen, und sei es auch nur in Form unberechtigter Zuschreibung dieser flüchtlingsschutzerheblichen Merkmale durch den Verfolger (vgl. Bergmann/Dienelt, a.a.O., AsylG § 1 Rn. 7 ff., § 3a Rn. 7, m.w.N.).

1. Der Kläger ist in diesem Sinne nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Er hat bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt vor allem angegeben, sich durch Kriegshandlungen bedroht gefühlt zu haben. Konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen hat der Kläger hingegen nicht benannt. Vielmehr gab er an, dass er weder politisch aktiv gewesen sei noch Probleme mit den staatlichen Behörden gehabt habe. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger vor seiner Ausreise unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung drohte wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe hat er weder substantiiert vorgetragen noch ist dies für den Senat sonst wie ersichtlich. Auch seine künstlerischen Aktivitäten als Sänger geben keine entsprechenden Anhaltspunkte. Es sind jedenfalls keine Erkenntnisquellen dafür ersichtlich, dass für Künstler in Syrien heute ein "real risk" besteht, von Sicherheitskräften oder religiösen Gruppen politisch verfolgt zu werden. Zudem könnte in diesem Zusammenhang problematisiert werden, ob es gerechtfertigt ist, in gleichem Maße wie bei der prognostischen Einschätzung der Eingriffswahrscheinlichkeit hier den dargelegten Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzuwenden, der spezifisch entwickelt wurde, um einen sachgerechten und effektiven Flüchtlingsschutz zu gewährleisten (vgl. Berlit, ZAR 2017, 110). Denn im Falle des Klägers, der internationalen Subsidiärschutz genießt, ist effektiver Menschenrechtsschutz bereits anderweitig gewährleistet (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.08.2017 - A 11 S 710/17 -, Juris Rn. 41), sodass insoweit bezüglich des Verfolgungsgrundes als Maßstab eine hinreichende Sicherheit gefordert werden könnte. Selbst wenn jedoch derselbe Maßstab anlegt werden müsste, ergäbe sich hier nichts Anderes.

2. Es ist mithin nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger bereits vor seiner Ausreise politische Verfolgung erlitten hätte noch, dass diese ihm unmittelbar bevorstand, er also bereits ins Visier potenzieller Verfolger geraten wäre. Zur Begründung einer bei Rückkehr drohenden Verfolgung kann sich der Kläger insbesondere nicht auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen. Hiernach können als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG gelten, "Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 fallen"; § 3 Abs. 2 AsylG erfasst Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im Falle des Klägers greift § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zum einen schon deshalb nicht ein, weil er den Wehrdienst nicht im Gesetzessinne "verweigert" hat und deswegen (vor-)verfolgt worden wäre, sondern sich einer möglichen Einziehung durch Flucht entzogen hat, es also an der erforderlichen expliziten Ablehnung fehlt. Zum anderen beruht § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unionsrechtlich auf Art. 9 Abs. 1 lit. e, 12 Abs. 2 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU (vgl. Bergmann/Dienelt, a.a.O., AsylG § 3a Rn. 6). Hierzu hat der EuGH im Urteil vom 26.02.2015 (Rs. C-472/13 <Shepherd>) hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs entschieden, dass dieser nur gegeben ist, wenn der Antragsteller mit hinreichender Plausibilität darlegt, dass von der militärischen Einheit, der er angehört, mit hoher Wahrscheinlichkeit als Kriegsverbrechen einzustufende Handlungen begangen worden seien oder begangen würden. Der Kläger jedoch war vor seiner Ausreise überhaupt noch keiner militärischen Einheit in Syrien zugeteilt und es ist völlig unklar, wann und wo und mit welchen Aufgaben er gegebenenfalls einmal eingesetzt worden wäre. Im Übrigen sprechen Quellen davon, die syrische Armee habe für Kampfeinsätze, die nach Berichten auch kriegsverbrecherisch den Einsatz von Fassbomben auf zivile Ziele und Chemiewaffen umfassten, vorrangig auf Elitetruppen, loyale Milizen und Unterstützung aus dem Ausland gesetzt. Wehrpflichtige Syrer seien hieran kaum beteiligt worden; diese würden vor allem für administrative und logistische Tätigkeiten verwendet (Danish Refugee Council, August 2017, S. 9, 67, 85). Damit aber fehlt es im Falle des Klägers in jeder Hinsicht am erforderlichen "real risk", Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung von Militäreinsätzen mit Kriegsverbrechen im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ausgesetzt zu werden.

3. Zur Begründung einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgefahr kann sich der Kläger weiter nicht auf Wehrdienstflucht bzw. den Verfolgungsgrund des § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG berufen. Hiernach ist unter dem Begriff der Verfolgung wegen "politischer Überzeugung" insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Der 3. Senat des erkennenden Verwaltungsgerichtshofs hat im Urteil vom 23.10.2018 (- A 3 S 791/18 -, Juris Rn. 14 ff.) rechtsgrundsätzlich entschieden, dass nicht davon ausgegangen werden kann, ausnahmslos jeder Mann im wehrdienstpflichtigen Alter, der sich dem syrischen Wehrdienst entzogen hat, werde - bei hypothetischer Rückkehr in die Heimat - in diesem Sinne als "Oppositioneller" mit regimekritischer Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung beachtlich wahrscheinlich verfolgt. In Übereinstimmung mit der bundesweit inzwischen ganz überwiegenden neueren obergerichtlichen Rechtsprechung (zuletzt OVG NRW, Urteil vom 12.12.2018 - 14 A 847/18.A -; Nds. OVG, Beschluss vom 22.01.2019 - 2 LB 811/18 -; OVG Schl.-Hol., Urteil vom 07.03.2019 - 2 LB 29/18 -; alle Juris) schließt sich der Senat dieser Bewertung an. Denn es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte für die pauschale Annahme, eine Bestrafung wegen Wehrdienstflucht sei in Syrien nicht primär eine Sanktion wegen Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten, deren Erfüllung grundsätzlich auch totalitäre Staaten einfordern können (BVerwG, Urteile vom 24.04.2017 - 1 B 22.17 -, Juris Rn. 14, und vom 19.04.2018 - 1 C 29.17 -, Juris Rn. 8 ff.), sondern immer politische Verfolgung. Der 3. Senat hat diesbezüglich überzeugend ausgeführt:

"Die Zahl der im Ausland lebenden syrischen Flüchtlinge seit dem Beginn des Bürgerkriegs hat sprunghaft zugenommen und erreicht inzwischen (Stand: Juli 2018) mehr als 5,6 Millionen. Unter den Flüchtlingen befinden sich circa 33 % männliche Flüchtlinge im Alter zwischen 18 und 59 Jahren. Auch in Bezug auf diese Bevölkerungsgruppe ist davon auszugehen, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der zu ihr gehörenden Personen vor den unmittelbaren bzw. mittelbaren Folgen des Bürgerkriegs geflohen ist und nicht wegen einer drohenden Gefahr politischer Verfolgung. Die Annahme, dass das syrische Regime unterschiedslos alle Männer im wehrdienstpflichtigen Alter, die sich dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, als potentielle Regimegegner betrachtet, hält der Senat vor diesem Hintergrund auch in Anbetracht des jedenfalls für das Handeln der syrischen Sicherheitsorgane kennzeichnenden Freund-Feind-Schemas nicht für gerechtfertigt."

Dem schließt sich der Senat an, weil es sich bei der mit der Flucht aus Syrien verbundenen Wehrdienstentziehung potentiell wehrpflichtiger Männer offenkundig um ein Massenphänomen handelt und es an belastbaren Erkenntnissen fehlt, die den Schluss zuließen, dass das Assad-Regime unterschiedslos alle Männer, die sich dem Dienst in der syrischen Armee durch Flucht entzogen haben, als Oppositionelle ansieht und deswegen - allein in Anknüpfung daran gleichsam als Gruppe - verfolgt. Nicht zu übersehen ist in diesem Zusammenhang, dass es nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen - jedenfalls in Friedenszeiten - die Flucht vor Wehrdienst oder ein diesbezügliches Freikaufen schon immer gegeben hat. In Syrien war es offenbar durchaus nichts Ungewöhnliches, dass wehrpflichtige Männer während des kurzen Zeitfensters von meist maximal fünf Tagen zwischen Einberufung und Weiterleitung des Namens an die Grenzkontrollstellen versuchten, das Land zu verlassen. Andere bezahlten hohe Summen an Schmiergeldern, um ihren Namen kurzfristig von der Liste der Rekrutierenden streichen zu lassen und die Grenzen passieren zu können (vgl. UNHCR, Februar 2017, S. 4). Unabhängig davon, ob sich die hierin zeigende Bewertung der Wehrdienstentziehung als ein häufig anzutreffendes Phänomen auf die besondere Situation des Bürgerkriegs übertragen lässt, kann ohne entsprechende Anhaltspunkte, die für den Senat in den ausgewerteten Quellen nicht ersichtlich sind, nicht angenommen werden, sämtliche derzeit bis zu 2 Millionen Männer im wehrpflichtigen Alter, die das Land verlassen haben, würden vom Assad-Regime als politisch motivierte "Oppositionelle" bzw. "Feinde der Nation" betrachtet und - pauschal - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit verfolgt.

Dies illustriert schließlich der Umstand, dass unter den vor dem Bürgerkrieg Geflüchteten auch eine nicht bekannte Anzahl von regimetreuen Aktivisten ist, die teilweise offen pro Assad agieren und auftreten. Der diesbezüglich wohl bekannteste Fall dürfte derjenige des K.A. aus Aleppo sein, der sich selbst als "Propaganda-Krieger" für das syrische Regime sieht und mithilfe seiner Kontakte als Mitarbeiter eines AfD-Bundestagsabgeordneten in den Medien Assad aktiv unterstützt (https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_85321668/mitarbeiter-im-bundestag-der-gute-assad-fluechtling-der-afd.html). Exemplarisch wird an diesem Fall deutlich, dass ein Leitsatz, alle syrischen Wehrdienstflüchtigen im wehrpflichtigen Alter würden in Syrien als "Oppositionelle" wahrgenommen und individuell verfolgt, jedenfalls dann, wenn sie aus Rebellenhochburgen kommen, zu pauschal ist.

Ob ein allein an eine Wehrdienstentziehung anknüpfender flüchtlingsrechtsrelevanter Politmalus bei echten Deserteuren in Frage kommt, d.h. bei Männern im wehrpflichtigen Alter, die bereits in einer bestimmten militärischen Einheit aktiv gedient haben und dann aus ihrem Kriegseinsatz heraus geflohen sind, kann offenbleiben. Eine solche Desertion als aktiver Militärangehöriger war seit Ausbruch des Bürgerkrieges allerdings regelmäßig nur mit Hilfe der Opposition möglich (Danish Refugee Council, August 2017, S. 33). Bei Rückkehr nach Syrien könnte es beachtlich wahrscheinlich sein, dass solche Deserteure als Gefahr wahrgenommen und auch nicht mehr in die Armee wiedereingegliedert werden. Sie nahmen deshalb auch regelmäßig ihre gesamte Familie mit auf die Flucht, weil sie befürchten mussten, dass die Armee aktiv nach ihnen suchen und auch ihre Familie unter Druck setzen wird bzw. im Sinne von Sippenhaft als Oppositionelle verfolgt. Hinreichende Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Sondersituation hat der Kläger jedoch nicht vorgetragen bzw. glaubhaft gemacht.

4. Wehrdienstflüchtigen Männern aus Syrien kann die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG damit nur dann zuerkannt werden, wenn bei ihnen zusätzliche individuell gefahrerhöhende Umstände feststellbar sind, die ihre Wahrnehmung als Regimefeind annehmen lässt. Hierfür genügt weder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Ethnie noch die Herkunft oder Abstammung aus einem aktuell oder ehemals von der Opposition beherrschten Gebiet. Vielmehr bedarf es insoweit einer sorgfältigen Prüfung gegebenenfalls gefahrerhöhender Umstände im jeweiligen Einzelfall. Solche individuell gefahrerhöhenden Umstände ergeben sich aus dem Vorbringen des Klägers zur Begründung seines Asylantrags indes nicht.

a. Die Religion bzw. Ethnie des Klägers ist für sich genommen nicht dergestalt individuell gefahrerhöhend, dass ein - als für ihn günstigsten Maßstab - "real risk" der Verfolgung gerade wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe angenommen werden könnte. Syrien besteht aus vielen Minderheiten, die sich voneinander durch unterschiedliche Religionen bzw. ethnische Zugehörigkeiten unterscheiden. Grundsätzlich versuchen Staat und Bevölkerung, Minderheitenkonflikte zu vermeiden, so dass diese Unterschiede bis zum Krieg im Alltag keine Rolle spielten. Erst mit den Demonstrationen ab 2011 wurde die Minderheitengröße zu einem gewissen Faktor. Die Alawiten (ca. 12% der Bevölkerung) stellen die Regierung und besetzen die meisten politischen Ämter, sahen sich bei den ersten Protesten aber einer deutlichen sunnitischen Mehrheit gegenüber (ca. 70% der Bevölkerung). Viele Minderheiten hatten sich den Protesten zunächst angeschlossen, bevor das Regime dann versuchte, die einzelnen Gruppen für sich zu gewinnen. Staatenlose Kurden erhielten die Staatsangehörigkeit und Christen (ca. 7% der Bevölkerung) wurden aktiv beworben oder bedroht. Die Kurden (ca. 10% der Bevölkerung) blieben vor allem an der Verteidigung ihres territorialen Gebietes interessiert und sind weiterhin bereit, mit gegensätzlichen Mächten zu kooperieren. Ihnen kam mit der Unterstützung der USA eine wesentliche Rolle im Kampf gegen die IS-Milizen zu. Die neue Allianz mit Assad dient dem Kampf gegen die von der Türkei unterstützten Kämpfer im Nordwesten und basiert auf der Hoffnung, für die kurdische Region eine Art Autonomie aushandeln zu können. Das Assad-Regime versucht die sunnitische Mehrheit zu isolieren und in die Nähe der islamistischen Milizen (IS, al-Nusra-Front, Faruq-Brigaden, etc.) zu rücken. Damit hat das Regime neue Diskriminierungskategorien kreiert, die es Sunniten bisweilen schwermachen, sich von islamistischen Milizen abzugrenzen. Sie konnten im Übrigen bereits vor dem Krieg nur mit Problemen etwa in den Beamtendienst eintreten, der grundsätzlich den Alawiten vorbehalten ist (SWP-Aktuell, 04.01.2019, S. 7). Dennoch ist derzeit davon auszugehen, dass die Tatsache, einer bestimmten Religion oder Ethnie anzugehören, auch bei der hier vorzunehmenden Beurteilung der Einreisesituation für sich genommen keine entscheidungserhebliche Relevanz hat. Entsprechende Berichte sind jedenfalls in den Erkenntnisquellen nicht ersichtlich. So wie die Zugehörigkeit insbesondere zur Minderheit der Alawiten sich derzeit eher gefahrmindernd bzw. die Zugehörigkeit zur Minderheit der Kurden sich derzeit wohl nicht gefahrerhöhend auswirken dürfte, könnte eine sunnitische Religionszugehörigkeit wie beim Kläger grundsätzlich ein gefahrerhöhendes Moment sein. Dies kann jedoch jeweils nicht pauschal und generell gelten, sondern muss im konkreten Kontext beurteilt werden. Hinsichtlich der sunnitischen Religionszugehörigkeit gilt dies schon aufgrund der Größe der betroffenen Gruppe, die rund zwei Drittel der Gesamtbevölkerung ausmacht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.08.2017 - A 11 S 710/17 -, Juris Rn. 48). Im Einzelfall des Klägers sprechen keine hinreichenden Anhaltpunkte für die Annahme, dass seine sunnitische Religion bzw. seine arabische Ethnie für sich genommen flüchtlingsrechtlich relevant gefahrerhöhend wirkt.

b. Auch die Herkunft aus einer "Rebellenhochburg" bzw. einem aktuell oder ehemals von der Opposition beherrschten Gebiet begründet für sich genommen kein "real risk" der Verfolgung gerade wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Nach den vorliegenden Erkenntnisquellen spricht nichts Hinreichendes für die Annahme, dass allein eine solche Herkunft, erst recht nicht der letzte Wohnort, dazu führt, dass das Assad-Regime jedem Rückkehrer eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und ihn deshalb verfolgt. Das entspricht auch der Einschätzung des UNHCR, der davon ausgeht, dass Personen aus solchen Gebieten nur abhängig von den Umständen des Einzelfalls aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung internationalen Schutz benötigen (UNHCR, November 2017, S. 40/43). Maßgeblich ist mithin auch insoweit nicht allein die Herkunft, sondern es kommt auf die individuellen Umstände des Einzelfalles, also auf individuelle Verfolgungsgründe an. Dabei ist im Sinne einer Gesamtschau auch die Herkunft des Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BFA vom 25.01.2018, S. 81 f.). Diese Einschätzung deckt sich mit der Beobachtung, dass zahlreiche ehemalige Oppositionsgebiete mittlerweile vom Assad-Regime zurückerobert wurden, ohne dass es dort zu flächendeckenden Verfolgungsmaßnahmen gekommen ist. Das Regime bietet vielmehr regelmäßig den Abschluss eines Versöhnungsabkommens an. Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen sollen. Derartige Abkommen sehen häufig eine "Evakuierung", also eine zwangsweise Umsiedlung oppositioneller Kämpfer sowie den Einzug der Männer zur syrischen Armee vor (BFA, August 2017, S. 35; vgl. auch SFH v. 23.03.2017, S. 7). Auch letzteres illustriert, dass das Regime allein anknüpfend an die Herkunft keine Regimegegnerschaft unterstellt. Versöhnungsabkommen schließen eine individuelle Verfolgung allerdings nicht aus. Im Gegenteil muss jede Person, die aufgrund individueller Umstände mit der Opposition bzw. mit bewaffneten Rebellen in Verbindung gebracht wird, weiterhin mit Inhaftierung, Folter, Verschwindenlassen und dem Tod rechnen (UNHCR, April 2017, S. 20). Solche individuellen Umstände müssen aber im Rahmen einer konkreten Prüfung des Einzelfalles festgestellt werden und können nicht sämtlichen Syrern mit Herkunft aus (ehemals) oppositionellen Gebieten unterstellt werden. Denn für jedermann und damit auch das Assad-Regime ist offensichtlich, dass es sich bei den vielen tausend betroffenen Personen um diejenigen handelt, die das Land in Anbetracht der Brutalität der Kriegsparteien aus begründeter Furcht um Leib und Leben verlassen und sich also gerade gegen ein aktives Tätigwerden als Oppositionelle entschieden haben. Im Falle des Klägers sieht der Senat nach alledem keine Anhaltspunkte für die Annahme einer Verfolgung nur deswegen, weil seine Herkunft bzw. sein letzter Wohnsitz in Aleppo waren. Solche Anhaltspunkte hat auch der Kläger nicht vorgebracht.

5. Eine Flüchtlingsanerkennung kommt auch nicht wegen Ereignissen und einer damit einhergehenden Furcht vor Verfolgung gemäß § 3 Abs. 1 AsylG in Betracht, die als Nachfluchttatbestände im Sinne von § 28 Abs. 1a AsylG durch die Ausreise eingetreten sind oder nachdem der Kläger sein Herkunftsland verlassen hat. Wie ausgeführt, kann internationaler Flüchtlingsschutz auch wehrdienstflüchtigen syrischen Männer nur zuerkannt werden, wenn individuell gefahrerhöhende Umstände vorliegen, die zu einem "real risk" der Verfolgung gerade wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe führen, was immer einer besonderen Würdigung des Einzelfalles bedarf. Im vorliegenden Fall sieht der Senat in diesem Sinne auch keine individuell gefahrerhöhenden Umstände im Hinblick auf die illegale Ausreise aus Syrien und das Stellen eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland, die Religion bzw. Ethnie des Klägers oder seine regionale Herkunft. Und auch bei gemeinsamer Betrachtung aller Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung ergibt sich im konkreten Einzelfall kein anderes Ergebnis.

Die Umstände der illegalen Ausreise, Stellung eines Asylantrags in Verbindung mit einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland (sog. Trias) sind für sich genommen nicht dergestalt individuell gefahrerhöhend, dass ein "real risk" der Verfolgung gerade wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe angenommen werden könnte. Soweit ersichtlich ist dies inzwischen die allgemeine Auffassung der obergerichtlichen Rechtsprechung. Bei mittlerweile über 5,6 Millionen Flüchtlingen und allein 2017 wohl mehr als 720.000 Rückkehrern insgesamt bzw. rund 66.000 Rückkehrern aus den benachbarten Ländern (AA, Bericht vom 13.11.2018, S. 21) wäre eine solche Annahme selbst in Anbetracht des für das Handeln der syrischen Sicherheitsorgane kennzeichnenden Freund-Feind-Schemas unrealistisch (ausführlich: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.08.2017 - A 11 S 710/17 -, Juris Rn. 42 ff.). Dafür, dass das Assad-Regime insoweit gerade mit einem längeren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland eine oppositionelle Gesinnung verknüpft, gibt es ungeachtet der zwischenzeitlich aufgenommen strafrechtlichen Ermittlungen gegen einzelne Funktionäre wegen des Verdachts der Beteiligung an Kriegsverbrechen bislang keine hinreichenden Anhaltspunkte.

6. Selbst, wenn beim Kläger alle vorgenannten Umstände zusammen in die zu treffende Prognoseentscheidung einbezogen werden, ergibt sich hieraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante politische Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG. In seinem Einzelfall sind für den Senat auch im Rahmen einer Gesamtschau jedenfalls keine hinreichend besonderen, individuell gefahrerhöhenden Umstände erkennbar. Dass Rückkehrer nach Syrien derzeit in einer gewissen, wenn auch nicht quantifizierbaren Anzahl von Fällen misshandelt und inhaftiert werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht vom 13.11.2018, S. 21 ff.; UNHCR, April 2017, S. 20 ff.; SFH, 21.03.2017, S. 10 f.), führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn bei jedem Kontakt mit syrischen Sicherheitskräften drohen willkürliche Gewalt und Inhaftierung. Jeder Rückkehrer ist daher grundsätzlich in einem gewissen Maße gefährdet. Dies führt dazu, dass jedenfalls für wehrdienstflüchtige Syrer, wie ausgeführt, derzeit regelmäßig ein Anspruch auf internationalen Subsidiärschutz besteht. Diese ernstliche Gefährdung knüpft aber gerade nicht an Verfolgungsgründe im Sinne von § 3b AsylG an, weshalb sie für sich genommen nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen kann.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.

IV.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).