OLG Köln, Beschluss vom 28.08.2019 - 7 U 26/19
Fundstelle
openJur 2019, 38160
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 12 O 478/17
Tenor

Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

Gründe

I.

Die zulässige Berufung hat nach der einstimmigen Überzeugung des Senates keine Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht, § 546 ZPO, oder nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen, § 513 Abs. 1 ZPO. Die Sache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Senats durch Urteil zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weswegen der Senat beabsichtigt, eine Entscheidung durch Beschluss zu treffen, § 522 Abs. 2 ZPO.

Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die auf Zahlung von Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung gerichtete Klage abgewiesen. Mit seinen hiergegen in der Berufungsinstanz erhobenen Einwänden hat der Kläger nach übereinstimmender Auffassung des Senates keinen Erfolg.

Im Einzelnen:

1.Der Kläger beanstandet mit der Berufungsbegründung zunächst die Beweiswürdigung durch das Gericht, welches es nach der Anhörung des Klägers und der von ihm benannten Zeugin als fraglich bezeichnet hat, wo der Kläger tatsächlich gestürzt sei.

Unabhängig davon, dass die Ausführungen des Klägers Rechts- oder Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts im Rahmen der Beweiswürdigung nicht erkennen lassen, insbesondere das Gericht nicht gehalten ist, das abschließende Ergebnis seiner Beweiswürdigung den Parteien bereits im Rahmen der Beweisaufnahme oder der sich anschließenden mündlichen Verhandlung mitzuteilen, kommt es hierauf nicht an. Denn wie sich der Urteilsbegründung entnehmen lässt (S. 7, 4. Absatz, am Ende; S. 8, 2. Absatz, am Ende) hat das erkennende Gericht zu Gunsten des Klägers als wahr unterstellt, dass er an der von ihm behaupteten Stelle gestürzt ist und hat eine Haftung der Beklagten nicht aus tatsächlichen, sondern aus Rechtsgründen verneint.

Der Berufung ist auch nicht allein deshalb stattzugeben, weil das Landgericht zwar zunächst die Zeugin vernommen, anschließend jedoch die Klage bereits dem Grunde nach ausschließlich aus Rechtsgründen abgewiesen hat. Eine Selbstbindung des Gerichts dahingehend, dass es sich späterer besserer rechtlicher Erkenntnis allein deshalb verschließen muss, weil bereits eine Beweisaufnahme stattgefunden hat, tritt durch eine Zeugenvernehmung nicht ein. Das erstinstanzliche Gericht war mithin nicht gehindert, im Rahmen der Entscheidungsfindung nach der mündlichen Verhandlung die Sach- und Rechtslage anders zu beurteilen als im Zeitpunkt der Ladung vom 26.09.2018 und der Vernehmung der Zeugin vom 06.12.2018. Zwar kann dies eine Hinweispflicht des Gerichts nach § 139 ZPO begründen. Nachdem die vorliegende Klage jedoch auch nach Auffassung des Senates in der Sache keinen Erfolg hat, beruht das erstinstanzliche Urteil jedenfalls nicht auf einem solchen Verfahrensfehler.

2.

Dem Kläger stehen entgegen der von ihm in der Berufungsbegründung vertretenen Auffassung keine Ansprüche gegen die Beklagte nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG i.V.m. §§ 9 Abs. 1 S. 2, 2 Abs. 1 StrWG NRW wegen einer Verletzung der der Beklagten im Rahmen ihrer Straßenbaulast obliegenden Verkehrssicherungspflicht zu.

Eine solche hat das Landgericht aus rechtlich zutreffenden Gründen verneint. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die insgesamt zutreffende, sich auf die ständige Rechtsprechung auch des erkennenden Senats stützende Begründung des Landgerichts im angefochtenen Urteil, Ziff. 1), S. 7 ff., Bl. 243 ff. GA, Bezug genommen, der sich der Senat vollumfänglich anschließt.

Hiergegen wird in der Berufungsbegründung nichts rechtlich Erhebliches erinnert. Insbesondere verkennt der Kläger, dass auch nach dem von ihm zitierten § 9 StrWG NRW die Belange der im Straßenverkehr besonders gefährdeten Personengruppen "angemessen" zu berücksichtigen sind und eine weitgehende Barrierefreiheit "möglichst" zu erreichen ist. In Anbetracht des Umfangs der der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten unterliegenden Örtlichkeiten und der beschränkten öffentlichen Finanzmittel besteht, worauf auch das Landgericht in seiner Entscheidung bereits zutreffend hingewiesen hat, kein Anspruch des Straßenbenutzers auf absolute Gefahrlosigkeit bzw. jederzeit und allerorts ohne jede Einschränkung benutzbare Straßen und Wege.

Für den bedauerlicherweise in seiner Mobilität eingeschränkten Kläger gelten insoweit keine hiervon abweichenden Grundsätze. Denn auch der Kläger war - das Loch in der Asphaltdecke rechts neben dem Kanaldeckel als Unfallörtlichkeit unterstellt - unter Berücksichtigung seiner Mobilitätseinschränkung weder gezwungen noch auch nur durch die Örtlichkeit besonders veranlasst ("hingelenkt", hierzu vergl. Senat, Beschluss vom 22.03.2017 - 7 U 176/16 -, juris) gerade im Bereich des in der Straßenoberfläche befindlichen Kanaldeckels die Straße zu überqueren. Ausweislich der von ihm selbst zu den Akten gereichten Lichtbilder ist der Bordstein über die gesamte Breite zweier nebeneinanderliegenden Einfahrten und damit über einen Bereich von ca. 5 m abgesenkt. Die Kläger hätte mithin auch unter Berücksichtigung seiner Mobilitätseinschränkung die Gefahrenstelle unschwer vermeiden und einen neben dem Kanaldeckel liegenden Bereich des abgesenkten Bordsteins für die Straßenüberquerung nutzen können. In Anbetracht der hierfür erforderlichen, lediglich äußerst geringfügig weiteren Wegstrecke (weniger als ein halber Meter) war dies dem Kläger auch unter Berücksichtigung seiner Mobilitätseinschränkung ohne weiteres zumutbar. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger sich in der Lage sah, an diesem Abend seine geplanten Wegstrecken sämtlich zu Fuß zurückzulegen, diese Wegstrecke durch ihn daher offensichtlich zu leisten gewesen wäre.

3.

Nachdem das Landgericht zutreffend eine Haftung der Beklagten gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG bereits wegen des Fehlens einer Verkehrssicherungspflichtverletzung verneint hat, kommt es auf die Ausführungen des Landgerichts zu einem (überwiegenden) Mitverschulden des Klägers aus Rechtsgründen nicht an.

4.

Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht auch eine Haftung der Beklagten nach § 2 Abs. 1 S. 2 HaftpflG verneint.

Im Grundsatz zutreffend legt der Kläger in der Berufung allerdings dar, dass die Kanalisationsanlage als solche zu den unter § 2 HaftpflG fallenden Rohrleitungen gehört und bei einer Abwasserleitung auch die Kanalschächte und Kanaldeckel Teile dieser Anlage sind (vergleiche Filthaut, 9. Aufl. 2015, HaftpflG § 2 Rn. 13; OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.02.2010 - 1 U 137/0 9 -, beckonline). Ebenfalls zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass sich die Frage der Reichweite der Haftungsnorm nicht allein durch eine isolierte Betrachtung der Beschaffenheit der Anlage als solcher bzw. ihrer Teile beantworten lässt, sondern hierbei auch die jeweiligen örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind. Insofern kann nach allgemeiner Auffassung die Zustandshaftung des Inhabers einer Kanalisationsanlage auch dann eintreten, wenn zwar ein schadensursächlicher Kanaldeckel als solcher ordnungsgemäß und auch ordnungsgemäß in seine Umfassung eingesetzt war, Schadensursache jedoch ein gefährlicher Hochstand dieses Kanaldeckels im Verhältnis zu dem ihn umgebenden, nach Einbau des Kanaldeckel abgesackten Erdreich war (vergleiche BGH, Urteil vom 29.06.1995, -III ZR 196/94 -, = NJW-RR 1995, 1302). Im vorliegenden Fall ist auf der Grundlage des Vortrages des Klägers auch von einer (Mit-)Ursächlichkeit des Kanaldeckels für den Sturz des Klägers auszugehen. Denn der Kanaldeckel bildete auf der linken Seite des Lochs in der Asphaltdecke eine höhenmäßige Begrenzung, die nach dem Vortrag des Klägers dazu führte, dass er mit dem Fuß in dem Loch "steckenblieb". Ohne die seitliche Begrenzung durch den Kanaldeckel wäre ein solches "Steckenbleiben" des Klägers nicht möglich gewesen.

Die Zustandshaftung des Anlagenbetreibers gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 HaftpflG tritt allerdings dann nicht ein, wenn die Anlage zum Zeitpunkt des Schadensfalles ordnungsgemäß war, § 2 Abs. 1 S. 2 und 3 HaftpflG. Bei der Beurteilung, ob sich die Anlage (insgesamt) noch in einem im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 und 3 HaftpflG ordnungsgemäßen Zustand befand, kann die Rechtsprechung in Bezug auf die Haftung wegen Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht herangezogen werden. Insofern ist erheblich, ob bei Fehlen sonstiger weiterer gefahrerhöhender Umstände die Unfallgefahr als so geringfügig zu bewerten ist, dass der Zustand der den Kanaldeckel umgebenden Örtlichkeit trotz der vorhandenen Bodenunebenheiten als (noch) verkehrssicher einzustufen ist (vergleiche BGH, Urteil vom 29.06.1995, - III ZR 196/94 - aaO.).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze befand sich die Kanalanlage noch in einem ordnungsgemäßen Zustand im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 3 HaftpflG. Ausweislich der vom Kläger vorgelegten Lichtbilder wies der Kanaldeckel lediglich auf der rechten Seite einen - auch nur teilweise - fehlenden Anschluss zur ihn umgebenden Asphaltdecke auf, wobei die Tiefe des dadurch entstehenden Loches ausweislich des vom Kläger vorgelegten Lichtbildes Anl. A8 ca. 7 cm betrug. Der Kanaldeckel befand sich, worauf bereits das Landgericht zu Recht hingewiesen hat, nicht auf dem Bürgersteig, sondern auf der Straße und damit auf einer vorrangig dem fließenden (Straßen-) Verkehr gewidmeten Verkehrsfläche.

Entsprechend der vom Landgericht zutreffend und ausführlich im angefochtenen Urteil dargelegten Grundsätze, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen auch an dieser Stelle Bezug genommen wird, trat durch die geringfügige Unebenheit rechts neben dem Kanaldeckel keine maßgebliche Erhöhung der Unfallgefahr ein. Insofern ist weiter ergänzend auszuführen, dass - wie sich ebenfalls aus den vom Kläger selbst vorgelegten Lichtbildern A 5 - A 8 ergibt - sich die Straßendecke insgesamt in einem gerade für den ortskundigen Kläger ohne weiteres erkennbaren schlechten Zustand befand. Die Straße warnte demgemäß sozusagen vor sich selber, so dass sich der Kläger auf Unebenheiten in der Straßendecke einrichten musste (st. Rspr. des Senats, vergleiche Senat, Beschluss vom 20.08.2015 - 7 U 189/14 - n. v.). In Anbetracht der Örtlichkeiten und insbesondere der Ausweichmöglichkeiten des Klägers wurde die Unfallgefahr des Klägers durch die nur auf einer Teilstrecke vorhandene und insgesamt für eine Straßendecke nur geringfügige Vertiefung rechts neben dem Kanaldeckel nicht maßgeblich erhöht.

II.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Hinweisen des Gerichts binnen der genannten Frist. Auf die Möglichkeit der Kosten sparenden Rücknahme der Berufung (KV Nr. 1220, 1222) zu § 3 Abs. 2 GKG) wird hingewiesen.

Berufungsstreitwert: 153.670,67 EUR

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