OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 01.12.2014 - 13 U 122/13
Fundstelle
openJur 2019, 37264
  • Rkr:
Tenor

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt,

1.)

die Berufung des Beklagten gegen das am 8.08.2013 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen,

2.)

den Gegenstandswert des zweiten Rechtszuges auf 22.968,40 € festzusetzen.

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegen den Beklagten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich zwischen den Parteien als Fahrradfahrern am ....07.2010 auf dem ...weg in Stadt1 zugetragen hat. Die Klägerin begehrt ferner die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis zu ersetzen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 8.08.2013, auf dessen Inhalt (Bl. 183 - 187 d. A.) vollinhaltlich Bezug genommen wird, das gegen den Beklagten am 13.07.2011 erlassene Versäumnisurteil (Bl. 33, 34 d. A.) weitgehend aufrechterhalten.

Mit seiner zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten Berufung wendet sich der Beklagte gegen die erstinstanzliche Entscheidung und verfolgt seinen ursprünglichen Antrag auf vollständige Klageabweisung in vollem Umfang weiter.

Zur Begründung seines Rechtsmittels führt der Beklagte im Wesentlichen aus, das Landgericht sei aufgrund einer unzutreffenden Beweiswürdigung in fehlerhafter Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass ihn ein alleiniges Verschulden am Zustandekommen des streitgegenständlichen Unfalls treffe. Entgegen der landgerichtlichen Annahme habe jedoch die Klägerin im Rahmen ihres Überholvorganges "gröblichst gegen ihre Pflichten als Verkehrsteilnehmerin verstoßen", sodass ihr "jedenfalls ein überwiegendes Mitverschulden" anzulasten sei. Darüber hinaus entbehre die Höhe des der Klägerin zugesprochenen Schmerzensgeldbetrages "jeglicher Grundlage". Schließlich seien die landgerichtlichen Erwägungen und Berechnungen zu dem der Klägerin zugesprochenen entgangenen Gewinn aus deren selbständiger Tätigkeit als ... bereits deshalb als fehlerhaft anzusehen, weil das Landgericht insoweit nicht zwischen Umsatz und Gewinn differenziert habe.

II.

Der Senat ist in seiner Beratung zu der einstimmigen Überzeugung gelangt, dass sich die Berufung des Beklagten nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand als offensichtlich unbegründet erweist, weshalb sie im Beschlusswege nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen sein wird.

Das angefochtene Urteil ist berufungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat der Klage im Wege der - weitgehenden - Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils in der ausgeurteilten Höhe zu Recht stattgegeben.

Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO, noch liegen konkrete Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen zu begründen vermögen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten würden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 842, 249 Abs. 2, 252, 253 Abs. 2 BGB in Höhe von 18.968,40 € zu. Der Beklagte hat auch für zukünftige materielle und immaterielle Schäden der Klägerin aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis einzustehen.

Die vom Beklagten mit der Berufungsbegründung gegen die Verurteilung erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.

Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme auch nach seiner eigenen tatrichterlichen Würdigung von der alleinigen schuldhaften Verursachung des streitgegenständlichen Fahrradunfalls durch den Beklagten überzeugt. Für die Klägerin hingegen war das Unfallereignis nicht vermeidbar. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst auf die zutreffende Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Urteil (dort Seite 3 und 4; Bl. 185, 186 d. A.) Bezug.

Die im angefochtenen Urteil enthaltenen tragenden Gründe der Beweiswürdigung zeugen von einer sachentsprechenden Beurteilung der maßgeblichen Beweisfragen und entsprechen damit den Anforderungen, die der Bundesgerichtshof an eine fehlerfreie Beweiswürdigung stellt (BGH NJW 92, 2082). Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung erweist sich als widerspruchsfrei (BGH NJW-RR 92, 920 [BGH 25.03.1992 - IV ZR 54/91]), läuft den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen nicht zuwider und lässt keinen Teil des - entscheidungserheblichen - Beweisergebnisses ungewürdigt (BGH WM 92, 767; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 546, Rz. 13 m. w. N.). Die erstinstanzlich vernommenen Zeugen Z1, Z2 und Z3 haben im Wesentlichen im Kern und teilweise sogar detailliert übereinstimmend bekundet, der Beklagte sei mit seinem Fahrrad, in einer Hand ein Eis haltend, versetzt vor der Klägerin gefahren, und in dem Moment, als die Klägerin an ihm vorbeigefahren sei, plötzlich und völlig unvermittelt (abrupt) nach links gefahren, ohne zuvor nach hinten geschaut und seinen Richtungswechsel nach links durch Hand- oder sonstige Zeichen angekündigt zu haben.

Nach ebenfalls übereinstimmender Schilderung der vorgenannten Zeugen hatte die Klägerin aufgrund des Fahrverhaltens des Beklagten keine Möglichkeit, ihrerseits auf das Fahrmanöver des Beklagten noch rechtzeitig zu reagieren und so das Unfallereignis zu vermeiden.

Durch sein Fahrverhalten hat der Beklagte in mehrfacher Hinsicht gegen die ihn als Verkehrsteilnehmer treffenden Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten verstoßen. Isoliert betrachtet stellt bereits die aufgrund des in der rechten Hand gehaltenen Eises praktizierte einhändige Fahrweise einen Verstoß gegen die Generalklausel des § 1 StVO dar. Danach erfordert die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht; derjenige, der am Verkehr teilnimmt, muss sich so verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Schwerer noch wiegt der Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz StVO, wonach derjenige, der seine Fahrtrichtung ändert bzw. abbiegen will, dies rechtzeitig und deutlich zuvor ankündigen muss. Dies hat der nach links abbiegende bzw. ausscherende Beklagte unstreitig nicht getan. Auch einen Schulterblick nach links, der ihm auch bei einhändiger Fahrweise jedenfalls grundsätzlich möglich gewesen wäre, hat der Beklagte unterlassen.

Demgegenüber trifft die Klägerin kein (Mit-)Verschulden am Zustandekommen des Unfalls. Insbesondere kann der Klägerin kein Verstoß gegen § 5 StVO angelastet werden. Die vom Beklagten für sich reklamierte unklare Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO war nicht gegeben. Eine unklare Verkehrslage folgt weder aus der einhändigen Fahrweise des Beklagten, noch aus dem Umstand, dass nach dem "Eindruck" der Zeugin Z3 die Klägerin während des Vorbeifahrens "zögernd" gewirkt habe und auch der Beklagte einen "suchenden und zögerlichen Eindruck" gemacht habe. Es lag nach Überzeugung des Senats vielmehr eine klare Verkehrslage vor. Die Parteien fuhren seitlich versetzt mit geringer Geschwindigkeit in gleicher Fahrtrichtung geradeaus hintereinander her, als die Klägerin unter leichter Erhöhung ihrer Geschwindigkeit zum Überholen ansetzte und an dem Beklagten - in ausreichendem Seitenabstand - vorbeifahren wollte.

Die Angaben der Zeugen Z1, Z2 und Z3 zum seitlichen Abstand der Parteien während des kurzen Augenblicks des nebeneinander Herfahrens differieren zwar leicht, wobei die Zeugin Z1 den Abstand zwischen den Fahrrädern als "nicht sehr groß", der Zeuge Z2 ihn auf "etwa einen Meter oder ein 1,50 Meter" und die Zeugin Z3 als "nicht riesengroß" bezeichneten. Gleichwohl ist danach für den Senat jedenfalls belegt, dass die Klägerin nicht in einem zu geringen und damit als sorgfaltswidrig anzusehenden Abstand am Beklagten vorbeifahren wollte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Aussagen der Zeugen Z4 und Z5. Die Aussage des Zeugen Z4 ist bereits insgesamt als unergiebig anzusehen. Der Zeuge hat angegeben, nicht mehr konkret zu wissen, wie der Unfall tatsächlich passiert sei, und im Verlaufe seiner Vernehmung hierzu nochmals bestätigend ausgeführt- "Ich weiß tatsächlich nicht mehr, wie es sich wirklich zugetragen hat. Es könnte so und es könnte auch so gewesen sein." Danach sind die Angaben des Zeugen Z4 nicht geeignet, diejenigen der Zeugen Z3, Z2 und Z1 auch nur ansatzweise in Zweifel zu ziehen. Weshalb der Zeuge Z4 unter Berücksichtigung seiner sonstigen Angaben, sich ausgerechnet konkret daran erinnert haben sollte, dass "die Lenker etwa einen halben Meter auseinander" waren, erschließt sich dem Senat nicht.

Ebenso hat das Landgericht völlig zu Recht und mit zutreffender Begründung der Aussage des Zeugen Z5 zum Unfallhergang keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen, da der Zeuge als einziger Zeuge einen "Auffahrunfall" beobachtet haben will. Die vom Beklagten erstmalig im zweiten Rechtszug - ohne Beweisangebot - aufgestellte pauschale Behauptung, der Abstand zwischen den Fahrrädern könne "bereits physikalisch" maximal einen halben Meter betragen haben, erfolgt erkennbar ins Blaue hinein und ist im Übrigen durch das Ergebnis der Beweisaufnahme als widerlegt anzusehen.

Die vom Beklagten - unabhängig von dem zur Überzeugung des Senats eindeutigen und für ein alleiniges Verschulden des Beklagten sprechenden Ergebnisses der Beweisaufnahme zum streitgegenständlichen Unfallhergang - offensichtlich auch im zweiten Rechtszug weiterhin vertretene Auffassung, dass nicht er, sondern die Klägerin "gröblichst gegen ihre Pflichten als Verkehrsteilnehmerin verstoßen habe" oder "jedenfalls ein überwiegendes Mitverschulden der Klägerin" vorliege, ignoriert die glaubhaften, in sich stimmigen und im wesentlichen übereinstimmenden Angaben der Zeugen Z1, Z3 und Z2 zum Unfallhergang.

Als unzutreffend erweist sich zudem die unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom 29.11.1989 (Az. 17 U 129/88, NJW-RR 1990, 466-467) aufgestellte Behauptung des Beklagten, dass bei Unterschreiten eines Sicherheitsabstandes von 1,5 bis 2 Metern der überholende Radfahrer seine Überholabsicht zuvor durch Klingelzeichen anzeigen müsse. Der vom Beklagten zitierten Entscheidung lag ein Überholvorgang auf einem insgesamt lediglich 1,70 Meter breiten Radweg zugrunde, weshalb bereits eine Vergleichbarkeit mit der vorliegenden Fallgestaltung nicht gegeben ist. Darüber hinaus hat das OLG Frankfurt in der vorzitierten Entscheidung keine grundsätzliche Aussage zu einem Mindestabstand für das Überholen unter Radfahrern bzw. über die sich bei einem Überholen mit geringem Seitenabstand hieraus ergebenden Verhaltensmaßregeln festgelegt, sondern vielmehr festgestellt, dass ein Radfahrer zu seinem Schutz nicht des gleichen (Seiten-)Sicherheitsabstandes bedürfe, wenn er statt von einem Kraftfahrzeug von einem anderen Radfahrer überholt werde. In diesem Falle genüge ein erheblich geringerer Seitenabstand.

In der konkreten Verkehrssituation war daher die Ankündigung des Überholvorgangs durch die Klägerin durch Klingeln zwar grundsätzlich möglich und zulässig, jedoch entgegen der Annahme des Beklagten keineswegs zwingend geboten.

Ergänzend weist der Senat im vorliegenden Zusammenhang noch auf die Entscheidung des OLG München vom 24.4.2013 (10 U 3820/12, NJW-RR 2013, 1185 - 1187, recherchiert nach Juris) hin. Der genannten Entscheidung liegt eine - auch in 2. Instanz abgewiesene - Klage einer Radfahrerin auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall zugrunde, die abgebogen war, ohne dies zuvor durch Handzeichen anzukündigen, sodass ein sie im Moment des Abbiegens überholender anderer Radfahrer mit ihr kollidierte, wodurch sie stürzte und sich erheblich verletzte. Auch das OLG München hat insoweit ein Verschulden des überholenden Radfahrers verneint und ist von einem alleinigen Verschulden der dortigen Klägerin aufgrund des Abbiegens ohne Handzeichen ausgegangen.

Aus den dargelegten Gründen begegnet die landgerichtliche Annahme einer hundertprozentigen Haftung des Beklagten dem Grunde nach keinen Bedenken.

Den Einwendungen des Beklagten gegen die Höhe des vom Landgericht als angemessen angesehenen und zuerkannten Schmerzensgeldes bleibt ebenfalls der Erfolg versagt.

Der Senat teilt auch zur Höhe des der Klägerin zugesprochenen Schmerzensgeldbetrages in Höhe von 12.500,00 € die erstinstanzliche Bewertung. Sinn und Zweck des Schmerzensgeldes gemäß § 253 BGB ist es, den vom Verletzten erlittenen immateriellen Schaden angemessen auszugleichen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das Schmerzensgeld eine doppelte Funktion (BGH GrZS, NJW 55, 1675, 95 [BGH 06.07.1955 - GSZ 1/55], 781). Danach soll der Verletzte zum einen einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten, wobei ihn das Schmerzensgeld in die Lage versetzten soll, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, die die erlittenen Beeinträchtigungen jedenfalls teilweise ausgleichen sollen. Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld dem Verletzen Genugtuung für das verschaffen, was ihm der Schädiger angetan hat. Nach der im Vordringen befindlichen Rechtsprechung ist hierbei allerdings der Genugtuungsfunktion nur noch bei vorsätzlichen Taten (Saarbrücken, NJW 08, 1166/68 [OLG Saarbrücken 27.11.2007 - 4 U 276/07]) und grob fahrlässigen Schädigungen (Frankfurt a. M., ZfS 05, 597) eine eigenständige Bedeutung zuzusprechen (vgl. hierzu auch Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl. 2014, § 253, Rz. 4).

Die Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes hat unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgeblichen Umstände zu erfolgen und muss in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzung stehen. Hierbei ist zu beachten, dass für vergleichbare Verletzungen, unabhängig vom Haftungsgrund, ein möglichst annähernd gleiches Schmerzensgeld zu gewähren ist (BGH, VersR 70, 281, [BGH 19.12.1969 - VI ZR 111/68] Hamm, NJW-RR 93, 537, KG, NJW-RR 03, 24 [KG Berlin 02.09.2002 - 12 U 1969/00]), weshalb den Schmerzensgeldtabellen bei der Bemessung des Schmerzensgeldes eine wichtige und unverzichtbare Bedeutung zukommt.

Die von der Klägerin anlässlich des streitgegenständlichen Unfallereignisses erlittenen Verletzungen und Beeinträchtigungen sind weitgehend unstreitig und im Übrigen durch die ärztlichen Atteste vom 23.11.2010 (Anlage K 14, Bl. 20 d. A.) und 17.10.2011 (Anlage K 25, Bl. 85 d. A.) sowie dem Klinikbericht vom 25.07.2010 (Anlage K 24, Bl. 83 d. A.) belegt. Danach hat die Klägerin eine offene Unterschenkelfraktur zweiten Grades am linken Bein mit Durchspießung der Haut im distalen Drittel des Unterschenkels erlitten. Die Klägerin wurde noch am Unfalltag (...07.2010) operiert und am 25.07.2010 in die weitere ambulante Behandlung entlassen. Aufgrund des Unfalles war sie für einen Zeitraum von 5 1/2 Monaten (...07. bis 31.12.2010) nach dem ärztlichen Attest arbeitsunfähig und auch in ihrer Erwerbstätigkeit als selbständige ... erheblich eingeschränkt. Noch ca. 1 1/2 Jahre nach dem Unfallereignis bestand nach dem Attest vom 17.10.2011 weiterhin ein leichter Belastungsschmerz beim Laufen. Das Abknien verursachte zum maßgeblichen Untersuchungszeitpunkt noch starke Schmerzen. Des Weiteren lag noch eine Kraftminderung, Gefühlsminderung im Bereich des Unterschenkels und am Fußrücken/Narben vor. Darüber hinaus wurde am linken Bein eine geringe Muskelmassenminderung im Bereich des Oberschenkels, mehr noch im Bereich des Unterschenkels festgestellt, wobei diese zum Teil durch Knochennarbenbildung überdeckt war. Schließlich wurden Narben am linken Knie und Unterschenkel mit teilweiser Minderung der Hautsensibilität festgestellt. Aus dem letztgenannten Attest ergibt sich zusätzlich die noch anstehende Metallentfernung aus dem linken Bein, die zwischenzeitlich erfolgt sein müsste, wozu die Klägerin jedoch nicht weiter vorgetragen hat.

Zur Überprüfung des vom Landgericht - jedenfalls nach dem Inhalt des Urteils ohne vergleichende Betrachtung anderer Schadensfälle und Verletzungsmuster nach den einschlägigen Schmerzensgeldtabellen - festgesetzten Schmerzensgeldbetrages hat der Senat zum einen die von den Parteien zitierten Entscheidungen auf ihre Ähnlichkeit bzw. Vergleichbarkeit mit der vorliegenden Fallgestaltung überprüft und zusätzlich anhand der Schmerzensgeldtabelle Hacks/Ring/Böhm 2009, 27. Auflage, weitere vergleichbare Entscheidungen recherchiert.

Hierbei ist festzustellen, dass die von der Klägerin in der Berufungserwiderung zur Stützung des zugesprochenen Schmerzensgeldbetrages angeführten Entscheidungen des Amtsgerichts Ravensburg, der Oberlandesgerichte Köln und Stuttgart sowie des Landgerichts Koblenz (vgl. Ergebnisausdrucke aus der Schmerzensgeldtabelle Bl. 250 - 253 d. A.) mit den von der Klägerin erlittenen Verletzungen, der Beschwerdedauer und Dauer der Arbeitsunfähigkeit weitgehend vergleichbar sind. So haben die Geschädigten in allen genannten Entscheidungen offene Unterschenkelfrakturen erlitten und waren über einen längeren - zumeist mehrmonatigen - Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt. Vergleichbar sind die Entscheidungen auch im Hinblick auf die zwangsläufig bei Verletzungen der vorliegenden Art - so auch bei der Beklagten - nach den durchgeführten Operationen verbleibenden Narbenbildung. Im Rahmen der vergleichenden Betrachtung verkennt der Senat nicht, dass den Entscheidungen des Amtsgerichts Ravensburg und des Landgerichts Koblenz offenbar noch schwerwiegendere Unterschenkelfrakturen und im Falle der Entscheidung des Amtsgerichts Ravensburg auch weitere multiple erhebliche Verletzungen zugrunde lagen, wobei allerdings auch zu beachten ist, dass die zuerkannten Schmerzensgeldbeträge deutlich über dem vorliegend der Klägerin zuerkannten Schmerzensgeld lagen.

Des Weiteren hat das Landgericht Gießen im Jahre 1987 für eine Unterschenkelfraktur - allerdings bei eingetretenen Dauerschäden in Form der Minderung der Gebrauchsfähigkeit des Beines um ein Drittel und der Minderung der Erwerbsfähigkeit um 25 % - ein Schmerzensgeld in Höhe von umgerechnet 15.000,00 € zugesprochen (vgl. Tabelle Hacks/Ring/Böhm, lfd. Nr. 1858).

15.000,00 € hat das Landgericht Regensburg für eine Luxationstrümmerfraktur des rechten oberen Sprunggelenks und einer Schienbeinfraktur mit mehreren mehrwöchigen Krankenhausaufenthalten - infolge von Wundheilungsstörungen - und einer Arbeitsunfähigkeit von 100 % für den Zeitraum eines Jahres zugesprochen (lfd. Nr. 1885).

Mit Urteil vom 04.05.2006 hat das Kammergericht Berlin für eine erstgradige offene Schienbeinfraktur, eine Luxation des Daumengelenks sowie Prelllungen und Schürfwunden - allerdings mit mehrmonatigen Krankenhausaufenthalten - ebenfalls 15.000,00 € Schmerzensgeld zugesprochen.

Schließlich ist eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 20.12.2007 anzuführen, nach der für eine offene Unterschenkelfraktur mit beginnendem Kompartmentsyndrom bei einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt und einer erforderlich werdenden Hauttransplantation sowie einer Verkürzung des Unterschenkels um 1 cm sowie Operationsnarben und einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % bei einem Mitverschulden von einem Drittel auf einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe 15.000,00 € erkannt worden ist

Die im Rahmen der vergleichenden Betrachtung herangezogenen Urteile bestätigen die beim Senat bereits vorhandene Erkenntnis, dass nahezu identische Verletzungen und Verletzungsfolgen, die vollständig mit den streitgegenständlichen Verletzungen verglichen werden könnten, in der Regel nicht aufzufinden sind.

Darüber hinaus zeigt der Vergleich im vorliegenden Fall, dass der vom Landgericht der Klägerin zuerkannte Schmerzensgeldbetrag zwar an der oberen Grenze eines angemessenen Ausgleichs für die erlittenen Verletzungen liegen dürfte, er jedoch keinesfalls überhöht oder gar unvertretbar erscheint.

Die Klägerin hat durch die Unaufmerksamkeit und Leichtfertigkeit des Beklagten eine schwere Verletzung erlitten, welche für einen erheblichen Zeitraum sowohl auf das Berufs- als auch auf das Privatleben der Klägerin massiv ausgestrahlt hat. Nach den nach Aktenlage festzustellenden Umständen erscheint der Schmerzensgeldbetrag auch für den Fall nicht zu hoch gegriffen, dass - mit Ausnahme der Narben - bei der Klägerin keine gravierenden Dauerschäden eingetreten sein sollten, wozu der Senat mangels entsprechendem Vortrags keine Feststellungen treffen konnte

Schließlich ist das angefochtene Urteil auch nicht hinsichtlich des der Klägerin zugesprochenen entgangen Gewinns für den Zeitraum vom ....07.2010 bis 31.12.2010 in Höhe von 3.250,00 € zu beanstanden.

Die vom Beklagten im zweiten Rechtszug als fehlerhaft angesehene "Gleichsetzung" von Umsatz und Gewinn im angefochtenen Urteil ist im konkreten Fall jedenfalls im Ergebnis ohne Belang.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 31.03.1992 zum Az. VI ZR 143/91 = VersR 1992, 973; Urteil vom 03.03.1998zum Az. VI ZR 385/96 = VersR 1998, 772 [BGH 03.03.1998 - VI ZR 385/96] f; Urteil vom 06.02.2001 zum Az. VI ZR 339/99 = NJW 2001, 1640 f - jeweils m. w. N.), der sich auch die Oberlandesgerichte angeschlossen haben (vgl. statt vieler OLG München, Urteil vom 29.10.2010 zum Az. 10 U 3255/10, zitiert nach Juris) ist bei selbständig Tätigen im Rahmen der Beantwortung der Frage, ob diese einen Verdienstausfall erlitten haben, zu prüfen, wie sich das von ihnen betriebene Unternehmen ohne den Unfall voraussichtlich entwickelt hätte.

Ein Verdienstausfall lässt sich bei Selbstständigen und Freiberuflichen in der Regel nur nach §§ 252 S. 2 BGB, 287 ZPO ermitteln. Dabei gewähren sowohl § 252 S. 2 BGB als auch § 287 ZPO, der auf die Frage der haftungsausfüllenden Kausalität angewandt wird, eine Beweiserleichterung gegenüber dem allgemeinen Grundsatz, wonach für die Entstehung des Schadens der volle Beweis erforderlich ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dürfen dabei im Allgemeinen für die schwierige Darlegung der hypothetischen Entwicklung des Geschäftsbetriebs eines Selbständigen keine zu strengen Maßstäbe angelegt werden (vgl. z. B. das Urteil vom 23.02.2010 zum Az. VI ZR 331/08, veröffentlicht in Juris und in NJW 2010, 1532 [BGH 23.02.2010 - VI ZR 331/08]).

Für die Schätzung des Erwerbsschadens müssen allerdings hinreichende Anknüpfungstatsachen dargelegt werden. So bedarf es grundsätzlich der Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Ermittlung des Schadens, um eine ausreichende Grundlage für die sachlich-rechtliche Wahrscheinlichkeitsprognose des § 252 BGB und in der Folge für eine gerichtliche Schadensschätzung nach § 287 ZPO zu haben, weil sich der Ausfall oder die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sichtbar im Erwerbsergebnis konkret ausgewirkt haben muss (BGH a. a. O.).

Nach § 252 S. 2 BGB muss der Geschädigte deshalb die Umstände darlegen und ggf. beweisen, aus denen er nach dem gewöhnlichen Verlauf oder nach den besonderen Umständen des Falles seine Gewinnerwartung herleitet. Stehen diese Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts fest, so genügt es, wenn der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, wobei solche Tatsachen, die selbst zum gewöhnlichen Lauf der Dinge gehören, nicht bewiesen werden müssen (BGH in BGHZ 29, 393 ff, in NJW 1968, 661 ff, in WM 1986, 622 [BGH 06.02.1986 - I ZR 92/84] f und in NZV 2001, 210 [BGH 06.02.2001 - VI ZR 339/99] f; vgl. auch OLG München a. a. O.). Welche Tatsachen zum gewöhnlichen Lauf der Dinge gehören und welche Tatsachen so wesentlich sind, dass sie vom Kläger dargelegt und ggf. bewiesen werden müssen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und lässt sich daher nicht ein für alle Mal festlegen.

Es dürfen jedenfalls keine allzu strengen Anforderungen an das gestellt werden, was der Kläger vorbringen muss. Genaue Tatsachen, die zwingend auf das Bestehen und den Umfang eines Schadens schließen lassen, braucht er nicht anzugeben, denn §§ 252 S. 2 BGB, 287 ZPO mindern auch die Substantiierungslast (vgl. BGH in VersR 1968, 888 f sowie BAG in NJW 1972, 1437 f, KG VersR 2006, 794 und OLG München a. a. O.). Es genügt, wenn der Kläger hinreichend Anhaltspunkte für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO liefert ( BGH NJW 1988, 3017; 1993, 2673; 1998, 1633 [1635]; 2005, 3348]; KG VersR 2006, 794 [KG Berlin 20.10.2005 - 12 U 31/03]).

Steht - wie hier - fest, dass ein der Höhe nach nicht bestimmbarer, aber erheblicher Schaden entstanden ist, ergibt sich in der Regel aus den Umständen eine hinreichende Grundlage für die Schätzung eines Mindestschadens.

Dabei kann der entgangene Gewinn grundsätzlich nach der sogenannten Bruttolohnmethode berechnet werden (vgl. BGH, Urteil vom 6.02.2001 zum Az. VI ZR 339/99, veröffentlicht in Juris und in NJW 2001, 1640 ff [BGH 06.02.2001 - VI ZR 339/99]; vgl. auch OLG München a. a. O.), weil ein auf den Schaden anrechenbarer Steuervorteil grundsätzlich durch die den Geschädigten hinsichtlich der Schadensersatzleistung treffende Steuerpflicht ausgeglichen wird, ohne dass die Beträge im Einzelfall festgestellt zu werden brauchen.

Gemessen an diesen Vorgaben ist der ausgeurteilte und auf den entgangenen Gewinn entfallende Betrag von 3.250,00 € letztlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat die von einer Steuerberatergesellschaft erstellten Einnahmenüberschussrechnungen für die Kalenderjahre 2008 und 2009 vorgelegt (vgl. Anlage K 21 und Anlage K 18 = Blatt 76 ff und Blatt 56 ff der Akten). Daraus ergibt sich in Ermangelung anderer Erkenntnisse zur Überzeugung des Senats, dass die Klägerin im Jahr 2008 als selbständige ... einen Jahresüberschuss von 8.459,05 € erwirtschaftet hat. Im Jahr 2009 betrug der Jahresüberschuss 10.745,74 €. Daraus ergibt sich ein monatlicher Durchschnittswert von 800,00 € (8.459,05 € + 10.745,74 = 19.204,79 € für zwei Jahre, geteilt durch 24 Monate). Wollte man diesen Durchschnittswert auf das Kalenderjahr 2010 übertragen, dann beliefe sich der entgangene Gewinn für die streitgegenständliche Zeit vom ....07.2010 bis 31.12.2010 nach der Bruttolohnmethode pro Monat auf 800,20 €, was bei 5 1/2 Monaten einem Betrag von 4.001,00 € entspräche.

Vorliegend kann zwar nicht übersehen werden, dass die Klägerin nach ihren eigenen Darlegungen im Schriftsatz vom 12.02.2013 und in der Bescheinigung der Steuerberatungsgesellschaft vom 6.02.2013 (vgl. Anlage K 27 = Blatt 159 d. A.) trotz der erlittenen Verletzungen in der zweiten Jahreshälfte 2010 einen geringen Umsatz (also vor Abzug der Allgemeinkosten) in Höhe von 4.561,00 € verbuchen konnte. Aber auch vor diesem Hintergrund ist die Schadensschätzung des Landgerichts jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden. Es kann nämlich nicht außer Betracht gelassen werden, dass die Klägerin ausweislich ihrer

Einnahmenüberschussrechnungen für die Jahre 2008 bis 2010 auch Allgemein- bzw. Generalkosten, also Betriebsausgaben in Form von Raumkosten, Versicherungsbeiträgen, Bürobedarf usw. hatte.

Es kann im Übrigen nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Landgericht bei seiner Schätzung statt - wie geboten - eines Zeitraums von 5 1/2 Monaten nur einen Zeitraum von fünf Monate berücksichtigt hat.

Da die weiteren, der Klägerin vom Landgericht im erstinstanzlichen Urteil zugesprochenen Schadensersatzpositionen (Verdienstausfall aus der Teilzeittätigkeit als Krankenschwester, Fahrtkosten, Fahrradreparaturkosten, Heilbehandlungskosten, beschädigte Kleidungsstücke und Haushaltshilfe) mit der Berufungsbegründung nicht angegriffen werden, konnten hierzu auch Ausführungen des Senats unterbleiben.

Der Senat beabsichtigt, den Gegenstandswert des zweiten Rechtszuges in Anlehnung an den Streitwertbeschluss erster Instanz vom 13.07.2011 auf 22.968,40 € (= ausgeurteilte Forderung von 18.968,40 € + 4.000,00 € für den Feststellungsantrag) festzusetzen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Berufungszurückweisung und Streitwertfestsetzung bis zum 17.12.2014 schriftsätzlich zu äußern.

Dem Beklagten wird zusätzlich auf die Möglichkeit einer kostenprivilegierten Berufungsrücknahme hingewiesen (zwei statt vier Gerichtsgebühren).