OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.08.2019 - 8 B 409/18
Fundstelle
openJur 2019, 31044
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 L 192/18

Setzt die Behörde bei der Genehmigung von Windenergieanlagen Maßnahmen zum Schutz von Vögeln in geringerem Umfang fest als solche, die im nordrheinwestfälischen Leitfaden "Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen" vom 10.11.2017 empfohlen werden, muss sie plausibel erläutern, aus welchen Gründen die von ihr vorgesehenen Schutzmaßnahmen nach ihrer Einschätzung ausreichen, damit das Tötungsrisiko i. S. v. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG durch den Betrieb der Windenergieanlagen nicht signifikant erhöht wird.

Wenn ein Genehmigungsbescheid für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen vorsieht, dass für Vögel, die vertikale Strukturen meiden, alternative Rastflächen angelegt werden müssen, muss die Behörde nachvollziehbar begründen, warum diese Flächen nach Größe, Lage und Art naturschutzfachlich geeignet sind, eine erhebliche Störung der Vögel i. S. v. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG durch die Windenergieanlagen auszuschließen.

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 28. Februar 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 30.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Beigeladenen hat keinen Erfolg. Die im Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO i. V. m. § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO gebotene gerichtliche Interessenabwägung fällt zu ihren Lasten aus.

Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, der gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO bei Drittanfechtungen entsprechend gilt, kann jeder Beteiligte bei dem Gericht der Hauptsache die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

Veränderter Umstand i. S. v. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist hier der Abhilfebescheid des Antragsgegners vom 23. Januar 2018. Mit diesem hat er Nebenbestimmungen zum Schutz von Vögeln in dem der Beigeladenen erteilten Genehmigungsbescheid vom 9. Februar 2016 teilweise neu gefasst. Das Verwaltungsgericht hat in seinem angefochtenen Beschluss unter Hinweis auf sein Urteil im Hauptsacheverfahren (4 K 459/16, als Berufungsverfahren beim Senat unter dem Aktenzeichen 8 A 1884/18 anhängig) ausgeführt, dieser Abhilfebescheid ändere die relevante Sach- und Rechtslage nicht zugunsten der Beigeladenen.

Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt diese Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage. Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 28. Februar 2018 ist weder ganz (dazu I.) noch teilweise (dazu II.) abzuändern.

I. Bei der im Beschwerdeverfahren allein möglichen summarischen Prüfung spricht viel dafür, dass die Genehmigung vom 9. Februar 2016 auch in der Fassung des Abhilfebescheides vom 23. Januar 2018 rechtswidrig ist, weil sie voraussichtlich hinsichtlich des Rotmilans nicht mit § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG vereinbar ist (dazu 1.) und in Bezug auf den Mornellregenpfeifer gegen § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG verstößt (dazu 2.).

1. Es bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Betrieb der Windenergieanlagen das Tötungsrisiko i. S. v. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG für den Rotmilan bei dessen Nutzung von Gemeinschaftsschlafplätzen signifikant erhöht, was durch die Nebenbestimmungen des Abhilfebescheides nur unzureichend abgefangen wird.

a) Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören.

Dieser Verbotstatbestand ist individuenbezogen und setzt kein zielgerichtetes Handeln voraus. Damit das Tötungsverbot nicht zu einem unverhältnismäßigen Planungshindernis für Vorhaben wie Straßen, Windenergieanlagen oder Hochspannungsleitungen wird, weil sich die Gefahr von Kollisionen mit Tieren nie vollständig ausschließen lässt, legt das Bundesverwaltungsgericht § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG in ständiger Rechtsprechung einschränkend aus: Der Tatbestand des Tötungsverbotes ist dann nicht erfüllt, wenn ein Vorhaben jedenfalls aufgrund von Vermeidungsmaßnahmen kein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste von Einzelexemplaren verursacht, also unter der Gefahrenschwelle in einem Risikobereich bleibt, der mit einem solchen Vorhaben im Naturraum immer verbunden ist; ein Nullrisiko ist nicht zu fordern. Das anhand einer wertenden Betrachtung auszufüllende Kriterium der Signifikanz trägt dem Umstand Rechnung, dass für Tiere bereits vorhabenunabhängig ein allgemeines Tötungsrisiko besteht. Dieses ergibt sich nicht nur aus dem allgemeinen Naturgeschehen, sondern kann auch dann sozialadäquat sein und ist deshalb hinzunehmen, wenn es zwar vom Menschen verursacht ist, aber nur einzelne Individuen betrifft. Denn tierisches Leben existiert nicht in einer unberührten, sondern in einer vom Menschen gestalteten Landschaft. Diese birgt aufgrund ihrer Nutzung durch den Menschen ein spezifisches Grundrisiko, das nicht nur mit dem Bau neuer Verkehrswege, sondern z. B. auch mit dem Bau von Windenergieanlagen oder Hochspannungsleitungen verbunden ist. Nur innerhalb dieses Rahmens greift der Schutz des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Das bedeutet nicht, dass gerade in einem Umfeld, in dem bereits aufgrund anderweitiger Vorbelastungen ein erhöhtes Tötungsrisiko besteht, eine umso größere Gefährdung zulässig wäre. Andernfalls würde das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG etwa durch immer größere Windparks nach und nach ausgehöhlt. Umstände, die für die Beurteilung der Signifikanz eine Rolle spielen, sind insbesondere artspezifische Verhaltensweisen, häufige Frequentierung des durchschnittenen Raums und die Wirksamkeit vorgesehener Schutzmaßnahmen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2018 - 9 B 25.17 -, juris Rn. 11; OVG NRW, Beschlüsse vom 1. April 2019 - 8 B 1013/18 -, juris Rn. 10 f., 25, und vom 27. April 2018 - 8 B 418/18 -, juris Rn. 5 f., jeweils m. w. N.

Mittlerweile hat der Gesetzgeber den Signifikanzansatz durch das Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 15. September 2017 (BGBl. I S. 3434) in die Neufassung des § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG aufgenommen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2018 - 9 B 25.17 -, juris Rn. 13.

Bei der Beurteilung der Frage, ob das Tötungsrisiko signifikant erhöht ist, steht der Genehmigungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu, weil die behördliche Beurteilung sich auf außerrechtliche Fragestellungen richtet, für die weithin allgemein anerkannte fachwissenschaftliche Maßstäbe und standardisierte Erfassungsmethoden fehlen. Die behördliche Einschätzungsprärogative bezieht sich sowohl auf die Erfassung des Bestands der geschützten Arten als auch auf die Bewertung der Gefahren, denen die Exemplare der geschützten Arten bei Realisierung des zur Genehmigung stehenden Vorhabens ausgesetzt sein würden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2018 - 9 B 25.17 -, juris Rn. 12, sowie Urteile vom 21. November 2013 - 7 C 40.11 -, juris Rn. 14, und vom 27. Juni 2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschlüsse vom 1. April 2019 - 8 B 1013/18 -, juris Rn. 14 f., und vom 23. Mai 2017 - 8 B 1303/16 -, juris Rn. 15 f.; zum naturschutzfachlichen Einschätzungsspielraum im Rahmen von § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG siehe auch BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14 -, juris.

Ist einer Behörde eine solche Einschätzungsprärogative eingeräumt, beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle darauf zu überprüfen, ob die Behörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen der Einschätzungsprärogative eingehalten und allgemeine Bewertungsgrundsätze beachtet hat und ob sonst keine sachfremden Erwägungen für die Entscheidung bestimmend geworden sind. Das Gericht prüft, ob im Gesamtergebnis die artenschutzrechtlichen Untersuchungen sowohl in ihrem methodischen Vorgehen als auch in ihrer Ermittlungstiefe ausreichen, um die Behörde in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände sachgerecht zu überprüfen. Die Behörde muss ihre Entscheidung im Rahmen einer Einschätzungsprärogative so begründen, dass die (beschränkte) verwaltungsgerichtliche Überprüfung ermöglicht wird. Dazu gehört auch, dass sie die tatsächlichen und rechtlichen Beurteilungsmaßstäbe erkennen lässt, die sie ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Juni 2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 16, vom 16. Januar 1986 - 3 C 66.84 -, juris Rn. 36, vom 25. Juni 1981 - 3 C 35.80 -, juris Rn. 35, und vom 16. Dezember 1971 - I C 31.68 -, juris Rn. 23; OVG NRW, Beschlüsse vom 1. April 2019 - 8 B 1013/18 -, juris Rn. 16 f., und vom 23. Mai 2017 - 8 B 1303/16 -, juris Rn. 15 f.

Nach diesen Maßstäben sind nicht alle behördlichen naturschutzfachlichen Einschätzungen, die nicht wissenschaftlich widerlegt sind, ohne Weiteres zu akzeptieren. Vielmehr müssen Gerichte auch in solchen Fällen prüfen, ob sich die Einschätzung auf nachvollziehbare Überlegungen stützt. Die von der Beigeladenen angeführten Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts,

Beschluss vom 8. März 2018 - 9 B 25.17 -, juris Rn. 17 ("Auch bei der Festsetzung von Schadensvermeidungsmaßnahmen hat die Planfeststellungsbehörde einen fachwissenschaftlichen Beurteilungsspielraum. Dieser ist erst verletzt, wenn die behördlich getroffenen Annahmen fachlich nicht mehr vertretbar sind, weil sich in der Wissenschaft die gegenteilige Meinung als Stand der Wissenschaft durchgesetzt hat."),

sind aus dem Zusammenhang gerissen. Das Bundesverwaltungsgericht geht auch in dieser Entscheidung von den oben angeführten Maßstäben zur Überprüfung naturschutzfachlicher Entscheidungen aus, wonach "jede naturschutzfachliche Annahme auf einer nachvollziehbaren Grundlage beruhen" muss (Rn. 18).

Die Ausübung der naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative und Offenlegung der dabei leitenden Erwägungen muss die Behörde selbst leisten. Das Vorbringen des Vorhabenbetreibers kann dies nicht ersetzen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. April 2019 - 8 B 1013/18 -, juris Rn. 18.

b) Ausgehend von diesen Maßstäben dürfte die angefochtene Genehmigung voraussichtlich gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verstoßen.

Der durch diese Vorschrift geschützte Rotmilan ist entgegen der Zweifel der Beigeladenen nach derzeitigem Kenntnisstand eine kollisionsgefährdete und windenergieempfindliche Art. Dies ist nach der Einschätzung des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen und des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (LANUV) im Leitfaden "Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen" vom 10. November 2017 (im Folgenden: Leitfaden 2017), der auf umfangreichen fachwissenschaftlichen und empirischen Erkenntnissen zu den Gefährdungen von u. a. Rotmilanen durch Windenergieanlagen beruht, in Fachkreisen allgemein anerkannt und durch Untersuchungen belegt (S. 11 oben, 13).

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. April 2019 - 8 B 1013/18 -, juris Rn. 22.

Davon geht auch der Antragsgegner im Abhilfebescheid vom 23. Januar 2018 und im gerichtlichen Verfahren aus.

Nach Aktenlage bestand im Zeitpunkt des Erlasses des Abhilfebescheides im Januar 2018 im 1.000 m-Umkreis der geplanten Windenergieanlagen weiterhin ein Gemeinschaftsschlafplatz für Rotmilane. Von einem solchen Schlafplatz war der Antragsgegner zunächst bei Erlass des Genehmigungsbescheides vom 9. Februar 2016 ausgegangen. In der Begründung zum Bescheid (S. 42) hat er ausgeführt, im Umfeld der geplanten Windenergieanlagen befinde sich im nördlichen Teil des an das Vorhaben angrenzenden Waldbereichs u. a. ein regelmäßig genutzter Gemeinschaftsschlafplatz, welcher ca. 600 m bis 1.000 m von den Anlagen WEA 01 und 02 entfernt liege. Nach Aktenlage spricht alles dafür, dass der Gemeinschaftsschlafplatz weiterhin besteht. In der Begründung des Abhilfebescheides finden sich zwar dazu keine Ausführungen. Von einem im 1.000 m-Umkreis der geplanten Windenergieanlagen liegenden regelmäßig genutzten Gemeinschaftsschlafplatz im Zeitpunkt des Erlasses des Abhilfebescheides geht allerdings das diesem Bescheid zugrunde liegende fachgutachterliche Maßnahmenkonzept des Ingenieurbüros T. + S. vom 27. Juli 2017 (S. 2) aus. Auch der Vermerk zum Windpark-Projekt Himmelreich vom 27. März 2018 (im Folgenden: Vermerk vom 27. März 2018) derselben Gutachter führt einen Gemeinschaftsschlafplatz des Rotmilans im 1.000 m-Radius der Windenergieanlagen 01, 02 und 09 auf (S. 1 f.). Im Widerspruch dazu stellen dieselben Gutachter in einer unter dem 26. März 2018 verfassten Stellungnahme zum Urteil des VG Arnsberg vom 20. Februar 2018 zum Windpark-Projekt Himmelreich (im Folgenden: Stellungnahme vom 26. März 2018; S. 7) fest, zum Zeitpunkt des Abhilfebescheides im Januar 2018 habe kein bedeutender Schlafplatzkomplex des Rotmilans im 1.000 m-Radius vorgelegen. Auf welche konkreten, neuen Feststellungen sich diese Angabe stützen soll, ist der Stellungnahme allerdings nicht zu entnehmen. Soweit auf eine Anmerkung auf Seite 25 Abs. 1 des Leitfadens 2017 zur Entbehrlichkeit der Berücksichtigung zwei Jahre unbesetzter Wechselhorste verwiesen wird, betrifft dies nicht die Berücksichtigungsfähigkeit von Gemeinschaftsschlafplätzen.

Die Angaben zum Gemeinschaftsschlafplatz werden bestätigt durch die Feststellungen des Dipl.-Biologen J. von der Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis T. e. V. in dessen Schreiben vom 5. Februar 2018 an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers. Dem Anhang b zu diesem Schreiben ist zu entnehmen, dass der nordöstliche Teil des Waldstücks westlich des Anlagenbereichs und nordöstlich von Gut X. in den Jahren 2016 und 2017 als Gemeinschaftsschlafplatz für Rotmilane diente. Da Dipl.-Biologe J. dort ausweislich seines Schreibens an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 17. August 2018 am 15. August 2018 abends um 20:20 Uhr 13 Rotmilane aus ihren Schlafbäumen hat auffliegen sehen, spricht einiges dafür, dass dieser Schlafplatz weiter genutzt wurde. Die Beobachtungen im August 2018 erfolgten zwar nach dem hier entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Erlasses des Abhilfebescheides im Januar 2018, liefern aber ein weiteres Indiz für die fortdauernde jährliche Nutzung dieses Schlafplatzes.

Für Rotmilane, die im 1.000 m-Umkreis einer Windenergieanlage einen bekannten, traditionellen Gemeinschaftsschlafplatz nutzen, besteht durch deren Betrieb grundsätzlich ein erhöhtes Tötungsrisiko durch Kollisionen mit der Anlage auch außerhalb der Brutzeit, weil eine erhöhte Anzahl von Individuen diesen Raum nutzt. Diese Einschätzung ergibt sich aus dem Leitfaden 2017 (S. 48 Fußnote 17), wonach u. a. für den Rotmilan entsprechende Schlafplätze berücksichtigt werden sollen. Die Behauptung des Antragsgegners im Schriftsatz vom 3. September 2018, das Tötungsrisiko sei nicht signifikant erhöht, weil Rotmilane solche Schlafplätze nur in einem sehr engen Zeitfenster nutzten, widerlegt das Tötungsrisiko nicht. Wie sich aus der Formulierung der Empfehlung in Fußnote 17 und aus dem Literaturverweis auf Brune u. a., Gemeinschaftsschlafplätze des Rotmilans im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde im Spätsommer/Herbst 2013 (vgl. Anhang 8 des Leitfadens 2017) ergibt, war der übliche Zeitraum der Schlafplatznutzung bei der Abfassung des Leitfadens 2017 bekannt.

Der Umstand, dass nach der eben genannten Empfehlung diese Gemeinschaftsschlafplätze berücksichtigt werden sollen [und nicht: "müssen"], bedeutet entgegen den Ausführungen des Antragsgegners in dessen Schriftsatz vom 3. September 2018 nicht, dass eine nähere Untersuchung dieser Schlafplätze ohne Weiteres entbehrlich ist. Eine "Soll-Vorgabe" verlangt vielmehr grundsätzlich, dass für ein Abweichen vom Regelfall plausible naturschutzfachliche Gründe vorliegen und spätestens auf substantiierte Rügen hin von der Behörde nachvollziehbar erläutert werden müssen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Februar 2019- 8 B 973/18 -, juris Rn. 9.

Daran fehlt es hier aus den nachstehenden Gründen.

Die in der Nebenbestimmung Nr. 8.2.3 des Abhilfebescheides vorgesehenen Abschaltungen der Windenergieanlagen zugunsten des Rotmilans dürften das erhöhte Tötungsrisiko nur unzureichend abfangen. Nach Satz 1 der genannten Nebenbestimmung sind die Windenergieanlagen im Zeitraum von Anfang März bis Ende September gemäß den Detaillierungen im Maßnahmenkonzept bei der Grünlandmahd oder bei der Ernte auf den Feldern im Umkreis des doppelten Rotorradius vom Erntebeginn bis zum Ende der Stoppelbrache im Zeitraum zwischen der morgendlichen und der abendlichen bürgerlichen Dämmerung abzuschalten. Im Maßnahmenkonzept (S. 2) finden sich insoweit vergleichbare Formulierungen.

Diese Vorgaben weichen von den im Leitfaden 2017 (Nr. 8 Punkt 2) vorgesehenen Abschaltalgorithmen zum Schutz von Rotmilanen ab. Der Leitfaden 2017 sieht bei der Grünlandmahd ab dem Tag des Mahdbeginns und an den drei darauf folgenden Tagen sowie bei der Ernte auf Ackerflächen ab dem Tag des Erntebeginns bis zum Ende der Stoppelbrache eine Abschaltung jeweils in einem Umkreis von mindestens 100 m um die Anlage vor. Diese 100 m werden hier nicht bei allen Anlagen eingehalten. Ausweislich des Genehmigungsbescheides vom 9. Februar 2016 beträgt der Rotorradius der Windenergieanlage 09 (Typ Enercon E-92) nur 46 m, der doppelte Rotorradius damit nur 92 m. Im Übrigen erfasst die Karte zur temporären Abschaltung der geplanten Windenergieanlagen während der Ernte aus dem fachgutachterlichen Maßnahmenkonzept des Ingenieurbüros T. + S. vom 27. Juli 2017 mit den dort grün markierten jeweiligen Ernteflächen nicht alle Teilflächen im Umkreis der doppelten Rotorradien der Anlagen; ob alle Acker- und Grünlandflächen im 100 m-Umkreis um die jeweilige Anlage erfasst sind, lässt sich anhand der Karte nicht feststellen. Zudem sieht die Nebenbestimmung Nr. 8.2.3 des Abhilfebescheides lediglich vor, dass die Windenergieanlagen bis zum Ende der Stoppelbrache abgeschaltet werden. Dies entspricht hinsichtlich der Ernte zwar der im Leitfaden 2017 unter Nr. 8 Punkt 2 beschriebenen Vermeidungsmaßnahme als Maßnahmentyp, nicht aber der insoweit (Anhang 6 Nr. 2 des Leitfadens 2017) empfohlenen konkreten Muster-Nebenbestimmung ("bis zwei Tage nach Umbruch der Stoppelbrache"). Für eine Grünlandmahd ist entgegen den Empfehlungen des Leitfadens 2017 auch nicht hinreichend deutlich vorgegeben, dass die Anlagen auch an den drei auf den Mahdbeginn folgenden Tagen abgeschaltet werden. Mit der Anordnung zur Stoppelbrache ist nicht gesichert, dass die Anlagen bei einer Grünlandmahd an insgesamt vier Tagen abgeschaltet werden.

Weiter ist im Abhilfebescheid von der Vorgabe aus Nr. 8 Punkt 2 a iii des Leitfadens 2017 abgesehen worden. Danach sollte die Ernte oder Mahd im Windpark möglichst später beginnen als in der Umgebung und sollten die Flächen im Windpark gleichzeitig bearbeitet werden. Dies soll jagende Greifvögel auf die zuerst abgeernteten Flächen in der Umgebung, also weg von den Windenergieanlagen locken. Aus welchen Gründen der Antragsgegner es für die angefochtene Genehmigung nicht für erforderlich hielt, diese "Soll-Vorgabe" zu übernehmen, ist nicht erkennbar.

Der von sachkundigen Fachbehörden erstellte Leitfaden ist grundsätzlich als maßgebliche Erkenntnisquelle für die Anforderungen an den Arten- und Habitatschutz bei der Genehmigung von Windenergieanlagen zugrundezulegen. Warum die im Leitfaden vorgeschlagenen Abschaltalgorithmen nicht erforderlich sein sollen, hat der Antragsgegner nicht begründet. Insbesondere hat er nicht plausibel dargelegt, warum die von ihm genehmigten Abweichungen dem Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ausreichend Rechnung tragen. Dazu genügt es grundsätzlich nicht, dass das LANUV in einem Telefonat mit dem Antragsgegner die vorgesehenen Maßnahmen gebilligt haben mag. Der Antragsgegner muss vielmehr in Ausübung seiner naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative die dabei leitenden Erwägungen offenlegen.

Soweit in Nebenbestimmung Nr. 8.2.3 des Abhilfebescheides schließlich eine Reduktion der für den gesamten Windpark getroffenen Abschaltanordnung auf die im Maßnahmenkonzept beschriebenen Anlagengruppen vorbehalten wird, bleibt unklar, wer in welcher Weise darüber zu befinden hat, ob dem Antragsgegner "durch eine sachkundige, geschulte Person nachgewiesen wird, dass das individuelle Tötungsrisiko von Rotmilanen auf diese Weise nicht signifikant erhöht wird, weil die Nahrungsflüge jeweils auf bestimmte Anlagengruppen beschränkt bleiben".

Die genannten Bedenken sprechen auch gegen Nr. 8.4.2 der Nebenbestimmungen, die unter denselben Voraussetzungen Abschaltungen zum Schutz von brütenden Wiesenweihen regelt.

2. Die Genehmigung verstößt voraussichtlich auch gegen das Störungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG in Bezug auf den Mornellregenpfeifer, weil dessen Rastplätze im örtlichen Schwerpunktvorkommen bedroht sind.

a) Nach dieser Vorschrift ist es u. a. verboten, wild lebende Tieren der europäischen Vogelarten während der Wanderungszeiten erheblich zu stören; dabei liegt eine erhebliche Störung vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert.

Letzteres ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Überlebenschancen, der Bruterfolg oder die Reproduktionsfähigkeit vermindert werden, wobei dies artspezifisch für den jeweiligen Einzelfall untersucht und beurteilt werden muss. Als Störhandlungen kommen die Verkleinerung der Jagdhabitate sowie die Unterbrechung von Flugrouten und Irritationen der Tiere durch den Anlagenbetrieb in Betracht. Störungen dieser Art müssen - um erheblich zu sein - nach den örtlichen Verhältnissen einen spezifischen Bezug zu den durch das Störungsverbot geschützten Lebensstätten haben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2008 - 9 A 3.06 -, juris Rn. 230, 258; OVG NRW, Beschluss vom 22. Mai 2017 - 8 B 927/16 -, juris Rn. 31 f., und Urteil vom 30. Juli 2009 - 8 A 2357/08 -, juris Rn. 178 ff., jeweils m. w. N.

Das Erscheinungsbild einer Anlage, das bei der hier in Rede stehenden Vogelart ein Meideverhalten auslöst, ist eine Störung i. S. d. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. November 2012 - 8 B 441/12 -, juris Rn. 26.

Auch bei der Beurteilung von Störungsverboten steht der Genehmigungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu, für die das zu § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG Ausgeführte entsprechend gilt.

b) Ausgehend vom Vorstehenden ist die angefochtene Genehmigung nicht mit § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG vereinbar.

Der Mornellregenpfeifer ist entgegen den Zweifeln der Beigeladenen nach derzeitigem Kenntnisstand eine windenergieempfindliche Art, dessen Ruhe-/Raststätten durch Windenergieanlagen erheblich gestört werden können, weil er vertikale Strukturen wie Windenergieanlagen meidet. Dies folgt aus dem auf fachkundigen Einschätzungen beruhenden Leitfaden 2017 (S. 13, 20, 45), den Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (im Folgenden: LAG VSW) von April 2015 ( Tabelle 1 Spalte 4) und dem Schreiben des LANUV an den Antragsgegner vom 19. Oktober 2015 (S. 6).

Nach den Informationen des LANUV,

abrufbar unter https://www.energieatlas.nrw.de/site/planungskarten/wind (in der Rubrik "Natur und Landschaft" unter "Schwerpunktvorkommen Zugvögel"),

befindet sich im Bereich der geplanten Windenergieanlagen ein Schwerpunktvorkommen von Mornellregenpfeifern, die dort auf dem Durchzug im Spätsommer rasten. Hierauf hat das LANUV nochmals mit Schreiben an den Antragsgegner vom 19. Oktober 2015 (S. 5) hingewiesen. Das Schwerpunktvorkommen umfasst nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Antragstellers etwa 150 ha.

Die vom Antragsgegner und der Beigeladenen geäußerten Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für die Bewertung dieses Gebiets als Schwerpunktvorkommen für den Mornellregenpfeifer weiterhin vorliegen, stellen die Angaben des LANUV nicht durchgreifend in Frage. Nach dem Vermerk zu den Vogelerfassungen 2017 des Ingenieurbüros T. + S. vom 25. Oktober 2017 und der Stellungnahme desselben Büros vom 26. März 2018 wurde in den Jahren 2016 und 2017 der herbstliche Durchzug dieser Vögel erfasst, ohne dass Mornellregenpfeifer beobachtet wurden. In den vorhergehenden Jahren seien von Dritten jeweils nur wenige Mornellregenpfeifer gesehen worden. Dies stellt die im Energieatlas veröffentlichte Bewertung des LANUV als Schwerpunktvorkommen schon deswegen nicht in Frage, weil nicht erkennbar ist, dass die genannten Beobachter (Ingenieurbüro und Dritte) sich an die in den Leitfäden vorgegebenen Erfassungsmethoden für Mornellregenpfeifer gehalten hätten. Der vom damaligen Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MKULNV) und dem LANUV erstellte und bis November 2017 geltende Leitfaden vom 12. November 2013 sah in Nr. 6.2 für Rast- und Zugvögel während der Hauptrastzeiten (u. a. vom 1. August bis 31. Oktober) in der Regel Erfassungen einmal wöchentlich vor. Nach Nr. 6.2 des Leitfadens 2017 sind Mornellregenpfeifer zwischen dem 15. August und dem 15. September sogar im dreitägigen Rhythmus bei möglichst guten Sichtbedingungen zu zählen. Demgegenüber fanden ausweislich der Stellungnahme des Ingenieurbüros T. + S. vom 26. März 2018 (S. 8) im Jahre 2016 nur drei Kartiertermine zur Avifauna ab August statt (8. August, 29. August, 10. September), die deutlich weiter als eine Woche oder gar drei Tage auseinander lagen. Die in dieser Stellungnahme (S. 27) genannten Beobachtungen Dritter aus den Jahren 2008 bis 2014 erfüllen diese zeitlichen Vorgaben ebenfalls nicht. Wie oft und an welchen Tagen im Spätsommer 2017 Mornellregenpfeifer gezählt worden sind, ist den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen.

Um rastenden Mornellregenpfeifern alternative Rastbereiche anzubieten, sieht Nr. 8.5.1 der Nebenbestimmungen des Abhilfebescheides vor, die im Maßnahmenkonzept des Ingenieurbüros T1. + S. vom 27. Juli 2017 beschriebene und im Bescheid näher bezeichnete Maßnahmenfläche nach der Getreideernte, aber spätestens bis zum 20. August eines jeden Jahres, zu grubbern und in diesem Zustand mindestens bis zum 10. September zu belassen. Nach Nr. 8.5.2 der Nebenbestimmungen sind die ordnungsgemäße Herstellung und Bewirtschaftung dieser Fläche der Unteren Naturschutzbehörde des Antragsgegners jeweils jährlich mitzuteilen, der sich vorbehält, ggf. weitere Flächen als Rastbereiche auszuweisen.

Die im genannten Maßnahmenkonzept vorgesehenen Ausweichflächen für rastende Mornellregenpfeifer umfassen 8,39 ha und können nach Maßgabe von Nr. 8.5.2 der Nebenbestimmungen ggf. auf insgesamt 12,49 ha erweitert werden. Die Maßnahmenflächen liegen nach der Karte in Abbildung 14 (S. 26) des Maßnahmenkonzepts sämtlich innerhalb des 1.000 m-Radius der geplanten Windenergieanlagen, teilweise sogar innerhalb des 500 m-Radius; nach den Erläuterungen im Maßnahmenkonzept (S. 25) befinden sie sich in einer Entfernung von mindestens 275 m, meist etwa 500 m von den Anlagen.

Es bestehen gewichtige Zweifel daran, dass die genannten Flächen im Hinblick auf ihre Entfernung von den Anlagen und von anderen Störquellen sowie im Hinblick auf die Zeiten, in denen sie nicht weiter bearbeitet werden sollen, genügen, um eine erhebliche Störung rastender Mornellregenpfeifer gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG durch die Windenergieanlagen in ausreichendem Maße auszuschließen.

Der Leitfaden 2017 sieht keine Maßnahmen für solche Fälle vor. Nach dem Schreiben des LANUV an den Antragsgegner vom 19. Oktober 2015 (S. 6) steht beim Mornellregenpfeifer die Meidewirkung bezüglich vertikaler Kulissen im Vordergrund, helfen Abschaltungen nicht und gibt es für diesen Vogel keine ausformulierten und hinsichtlich der Wirksamkeit bewerteten Artenschutzmaßnahmen. Im Schreiben vom 25. Januar 2016 (S. 4) an den Antragsgegner hat das LANUV zu den Ausgleichsmaßnahmen für den Mornellregenpfeifer ausgeführt, für artspezifische Maßnahmen auf Äckern seien eine Orientierung an den potentiell beeinträchtigten Flächen und ein 1:1-Ausgleich zielführender (als ein Analogieschluss zu Limikolen, die vorwiegend auf Feuchtgrünland rasteten). Die Lage der Maßnahmenfläche zum Vorhaben außerhalb der bekannten Rastvorkommen werfe fachliche Fragen auf. Im Schreiben des LANUV vom 2. Oktober 2017 (S. 3) an den Antragsgegner ist bemängelt, dass unklar sei, wie der Gutachter die Größe der Maßnahmenfläche für Mornellregenpfeifer begründe. Diese Herleitung habe das LANUV bereits in der Stellungnahme vom 25. Januar 2016 gefordert und eine Orientierung an den potentiell beeinträchtigten Flächen sowie einen 1:1-Ausgleich vorgeschlagen.

Der Umstand, dass die der Spalte 1 des Anhangs 2 zum Leitfaden 2017 zugrunde liegenden fachlichen Einschätzungen davon ausgehen, dass sich Mornellregenpfeifer in einem Umkreis von 1.000 m (nach LAG VSW sogar mindestens 1.200 m) um eine Windenergieanlage gestört fühlen können, weckt erhebliche Zweifel daran, dass Ersatzrastflächen, die (nur) zwischen 275 m und 500 m von den Anlagen entfernt sind, von den Vögeln angenommen werden.

Vgl. VG Saarland, Beschluss vom 14. Dezember 2016 - 5 L 2302/16 -, juris Rn. 53, wonach die für das dortige Verfahren beobachteten Mornellregenpfeifer sich bestehenden Windenergieanlagen bis auf etwa 500 m annäherten.

Weitere Zweifel ergeben sich daraus, dass - worauf Dipl.-Biologe J. in seinem Schreiben vom 5. Februar 2018 (S. 12) hingewiesen hat - ein Teil der Ersatzflächen bis an die mit Alleebäumen bewachsene K 69 heranreicht, obwohl Mornellregenpfeifer vertikale Strukturen meiden. Soweit T1. + S. in ihrem Vermerk zum Windpark-Projekt I. vom 12. Februar 2018 (S. 12 zu 4.1.5, betreffend Maßnahmeflächen für die Wachtel) ausführen, der lückige Baumbestand der K 69 sei nicht als geschlossene Vertikalkulisse zu werten, dürfte dies die Bedenken in Bezug auf Mornellregenpfeifer nicht entkräften, weil Windenergieanlagen, die von Mornellregenpfeifern gemieden werden, untereinander weitaus größere Abstände aufweisen als eine Baumallee.

Weiter ist nicht nachvollziehbar, warum Ersatzrastflächen nur im Zeitraum vom 20. August bis 10. September zur Verfügung stehen sollen, obwohl nach Nr. 6.2 des Leitfadens 2017 und nach Nr. 5.12.4 des Anhangs 4 im Leitfaden "Methodenhandbuch zur Artenschutzprüfung in Nordrhein-Westfalen - Bestandserfassung und Monitoring" des MKULNV vom 9. März 2017 die meisten Mornellregenpfeifer während eines größeren Zeitraums, nämlich vom 15. August bis zum 15. September, auf dem Herbstzug zu beobachten sind. Von einer möglichen Beeinträchtigung in diesem Zeitraum im Sinne einer "worstcase-Betrachtung" gehen übrigens auch T1. + S. in ihrem Vermerk vom 27. März 2018 (S. 4 unten) aus.

All diese Zweifel und Unstimmigkeiten hat der Antragsgegner nicht ausgeräumt und nicht in nachvollziehbarer Weise erläutert, mit welchen belastbaren Erwägungen er davon ausgeht, dass die Maßnahmen für den Mornellregenpfeifer ausreichen könnten, um eine erhebliche Störung zu vermeiden. Die bloß pauschale Bezugnahme auf "fachliche[n] Erkenntnisse" (so die Begründung zur Nebenbestimmung Nr. 8.5 im Abhilfebescheid) genügt nicht. Seine Behauptung auf S. 53 des Schriftsatzes vom 3. September 2018, aus dem im Leitfaden 2017 vorgesehenen Untersuchungsgebiet von 1.000 m lasse sich nichts für Mindestabstände von Maßnahmenflächen für Mornellregenpfeifer ableiten, weil die im Leitfaden in Bezug genommenen Quellen sich nicht zu diesem Vogel verhielten, entkräftet die Zweifel ebenfalls nicht. Der Leitfaden 2017 beruht auf einer Einschätzung von Fachbehörden. Es ist davon auszugehen, dass sich deren Bewertungen einschließlich der empfohlenen Mindestabstände auf fachliche Grundlagen stützen und nicht willkürlich gewählt sind. Auch der Verweis des Antragsgegners auf Anhang 4 des Leitfadens "Wirksamkeit von Artenschutzmaßnahmen für die Berücksichtigung artenschutzrechtlich erforderlicher Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen" des MKULNV vom 5. Februar 2013, der für andereLimikolen wie Kiebitz und Goldregenpfeifer Mindestabstände für Maßnahmenflächen zu Windenergieanlagen vorsieht, löst die Unklarheiten nicht auf. Entgegen der Darstellung des Antragsgegners ist dort für diese Vögel kein Mindestabstand von 200 m zwischen Maßnahmenflächen und Windenergieanlagen genannt. Vielmehr wird für Goldregenpfeifer und rastende Kiebitze ein Mindestabstand von 200 m zu Straßenverkehrsanlagen empfohlen. Der empfohlene Mindestabstand zu Windenergieanlagen beträgt dagegen für Goldregenpfeifer und für brütende Kiebitze jeweils 500 m.

Zur Größe der Ausgleichsfläche hat der Antragsgegner vorgetragen, ein 1:1-Ausgleich sei aus fachlicher Sicht nicht gefordert, weil die Zahl der im Vorhabengebiet rastenden Mornellregenpfeifer gering sei (maximal elf Vögel) und diese deswegen keine sehr großen Flächen benötigten. Selbst wenn dies für die einzelne Rastfläche als solche zuträfe, bliebe immer noch die artenschutzrechtliche Forderung, dass auch diese Rastfläche Mindestabstände zu Windenergieanlagen und sonstigen die Vögel erheblich störenden Elementen einhalten muss und nicht erkennbar ist, dass dies ausreichend berücksichtigt worden wäre.

Die fehlende Erläuterung und Begründung wird nicht ersetzt durch eine von der Beigeladenen und vom Antragsgegner behauptete, hinsichtlich der Ersatzrastflächen inhaltlich aber nicht näher begründete telefonische Zustimmung des LANUV gegenüber dem Antragsgegner am 14. Oktober 2017.

Da der Abhilfebescheid vom 23. Januar 2018 es schon aus den genannten Gründen nicht rechtfertigt, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 28. Februar 2018 abzuändern, kann offen bleiben, ob er auch aus weiteren Gründen rechtswidrig ist.

II. Die von der Beigeladenen angeregte Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses hinsichtlich einzelner Anlagen mit ggf. unterschiedlichen Betriebszeiten kommt hier unabhängig von der Frage einer Teilbarkeit der angefochtenen Genehmigung nicht in Betracht.

Grundsätzlich ist es Sache des Anlagenbetreibers, zur Verwirklichung seines Vorhabens ein prüffähiges und schlüssiges Vermeidungskonzept vorzulegen, und Sache der Genehmigungsbehörde, dieses unter Ausübung ihrer Einschätzungsprärogative zu bewerten.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. April 2019 - 8 B 1013/18 -, juris Rn. 40; Bay. VGH, Urteil vom 27. Mai 2016 - 22 BV 15.1959 -, juris Rn. 38, 51.

Von einer teilweisen Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses für einzelne der geplanten elf Windenergieanlagen sieht der Senat schon deswegen ab, weil es der naturschutzfachlichen Einschätzung des Antragsgegners unterliegt zu entscheiden, ob mit Blick auf das Schwerpunktvorkommen der Mornellregenpfeifer im Vorhabengebiet und die einzuhaltenden Mindestabstände u. a. zu Windenergieanlagen dort überhaupt solche Anlagen errichtet werden dürfen, die schon durch ihr Vorhandensein die Rastplätze der Vögel auch ohne Betrieb erheblich stören können.

Der Senat kann offen lassen, ob der voraussichtlich vorliegende Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BNatSchG durch eine Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann (§ 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG); dies ist eine Frage des beim Senat unter dem Aktenzeichen 8 A 1184/18 anhängigen Hauptsacheverfahrens über die vom Beklagten und von der Beigeladenen eingelegte Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 20. Februar 2018 - 4 K 459/16 -. Auch wenn im Berufungsverfahren die Aufhebung der angegriffenen Genehmigung nicht in Betracht kommen sollte, würde dieser Verstoß jedenfalls zur Feststellung der Rechtswidrigkeit und Außervollzugsetzung der Genehmigung zum Zwecke der Durchführung eines ergänzenden Genehmigungsverfahrens führen. Die Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO, die auch Gegenstand des Abänderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO ist, entspricht der im Hauptsacheverfahren jedenfalls erreichbaren Feststellung der Nichtvollziehbarkeit.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. April 2019 - 8 B 1013/18 -, juris Rn. 47 f., m. w. N.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Der Senat orientiert sich in Fällen der vorliegenden Art an Nr. 19.2 i. V. m. Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs 2013 und setzt bis zum Erreichen einer Obergrenze in Höhe von 30.000 Euro im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für jede streitgegenständliche Windenergieanlage einen Streitwert in Höhe von 7.500 Euro fest.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 6 Satz 3 GKG).