LG Detmold, Urteil vom 07.09.2017 - 9 O 181/16
Fundstelle
openJur 2019, 21656
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. I-20 U 163/17
Tenor

1.)

Die Beklagte wird verurteilt, die Kostenübernahme für die

Versorgung des Klägers mit einem Hilfsmittel des Typs

Genium X3 (Artikel-Nr. 3 B 5) nebst Prothesenfuß des Typs

Triton (Artikel-Nr. 1 C 63) des Herstellers Ottobock gem.

Kostenvoranschlag vom 04.07.2016 des Sanitätshauses in Höhe von

56.884,85 € abzüglich eines Eigenanteils in Höhe von

350,-- € zu erklären.

2.)

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 2.251,48 €

mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins

satz seit dem 01.09.2016 zu zahlen.

3.)

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4.)

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

5.)

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 62.000,-- €

vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einem privaten Krankenversicherungsvertrag in Anspruch. Dem Krankheitskostenversicherungsvertrag für ambulante Heilbehandlung nach Tarif A 80 liegen u.a. die aus der Kopie Bl. 17 d. A. ersichtlichen Bedingungen zugrunde.

Dem Kläger wurde im Jahr 2013 infolge eines Motorradunfalls der linke Oberschenkel amputiert. Er wurde Ende 2013 mit einer Prothese des Typs Genium Bionik Prosthetic System 3 E 1 versorgt. Die Kosten für die Anschaffung dieser Prothese übernahm die Beklagte. Im Juli 2014 empfahl das Sanitätshaus des Klägers die Anschaffung der aus dem Tenor ersichtlichen Prothese des Typs Genium X3. Nach einem Kostenvoranschlag vom 03.07.2014 (Bl. 15 d. A.) sollten sich die Kosten auf 56.765,55 € belaufen. Nach einem weiteren Kostenvoranschlag vom 04.02.2016 (BL. 21 d. A.) hat sich der Preis auf 56.884,85 € erhöht. Die Beklagte lehnte eine Kostenübernahme für eine neue Prothese ab.

Der Kläger trägt vor, die neue Prothese sei medizinisch notwendig im Sinne der Versicherungsbedingungen. Sie biete gegenüber dem vorhandenen Modell neben verschiedenen anderen Verbesserungen insbesondere die Möglichkeit, sich in Feuchträumen aufzuhalten und ins Wasser zu gehen. Das sei für ihn bedeutsam, weil er zusammen mit seiner Familie und seinen Kindern gern schwimmen gehe. Sofern in den Bedingungen nur eine Kostenübernahme in Höhe von 80 % vorgesehen sei, sei diese Regelung unwirksam. Insbesondere sei nicht klar definiert, was unter großen und kleinen Hilfsmitteln zu verstehen sei.

Der Kläger beantragt,

              die Beklagte zu verurteilen, die Kostenübernahme für seine

              Versorgung mit einem Hilfsmittel des Typs Genium X3 (Artikel-

              Nr. 3 B 5) nebst Prothesenfuß des Typs Triton (Artikel-Nr. 1 C 63)

              des Herstellers Ottobock gem. Kostenvoranschlag vom 04.07.2016

              des Sanitätshauses,

              in Höhe von 56.884,85 € zu erklären,

              die Beklagte weiter zu verurteilen, an ihn 2.251,48 € vorge-

              richtliche Anwaltskosten mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten

              über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

              die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Anschaffung der neuen Prothese sei nicht notwendig, weil der Kläger mit der vorhandenen Prothesen ausreichend versorgt sei. Zum Baden oder Schwimmen könne ihm eine sogenannte Badeprothese zur Verfügung gestellt werden, deren Kosten sie übernehmen werde. Die begehrte Versorgung mit der neuen Prothese stelle auch einen Verstoß gegen das sogenannte Übermaßverbot dar. Wenn der Kläger ein Hilfsmittel mit besonderen Funktionen wünsche, z. B. zur Ausübung bestimmter Sportarten, müsse er die Kosten dafür selbst tragen.

Das Gericht hat den Kläger nach § 141 ZPO gehört und Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens.

Auf das Protokoll vom 10.01.2017 (Bl. 69 d. A.) und auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. I2 (Bl. 88 – 91 d. A.) wird Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zum ganz überwiegenden Teil begründet.

Der Kläger kann von der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Anschaffung der Prothese Genium X3 abzüglich eines Eigenanteils vom 350,-- € verlangen. Diese Prothese ist medizinisch notwendig im Sinne der Versicherungsbedingungen. Maßstab für die medizinische Notwendigkeit ist der gesunde bzw. nicht behinderte Mensch. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, ein Hilfsmittel zu erhalten, durch das er einem Nichtbehinderten im täglichen Leben möglichst gleichgestellt ist. Es genügt nicht, die Versorgung mit irgend einem Hilfsmittel. Ansonsten würde auch eine einfache mechanische Prothese ausreichend sein.

Der maßgebliche Unterschied zwischen der Prothese, über die der Kläger zurzeit verfügt und dem begehrten Hilfsmittel besteht nach den Ausführungen des Sachverständigen, die insoweit nicht angegriffen worden sind, darin, dass die neue Prothese wasserdicht ist, so dass sie auch in Feuchträumen sowie beim Baden und Schwimmen verwendet werden kann. Die vorhandene Prothese muss dagegen vorher abgenommen werden, weil die Gefahr besteht, dass die Elektronik durch Feuchtigkeit beschädigt wird. Hierdurch wird eine wesentlichen Angleichung an das Leben eines Nichtbehinderten erreicht, weil auch dieser seine Beine beim Kontakt mit Feuchtigkeit nicht besonders schützen muss. Die von der Beklagten angebotene Badeprothese erfüllt diesen Zweck nicht. Sie besitzt zum Einen, anders als die Gehprothese, keine elektronischen Regelungen. Zum Anderen ist ein Wechsel von der einen zu der anderen Prothese erforderlich, was mit zusätzlichem Aufwand und in der Öffentlichkeit möglicherweise auch weiteren Unannehmlichkeiten verbunden ist.

Ob auch die weiteren Verbesserungen des neuen Modells, z. B. der walk to run-Modus, eine Neuanschaffung erforderlich machen würden, kann dahinstehen.

Dem Kläger kann auch nicht angelastet werden, dass er zuerst das jetzt vorhandene Modell beantragt und nach nunmehr recht kurzer Zeit eine andere Ausführung verlangt. Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Klägers ist das neue Modell erst im Mai 2014 auf den Markt gekommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er das vorhandene Modell schon bekommen.

Die Beklagte hat auch nicht dargetan, dass ein Fall der sogenannten Übermaßversorgung vorliegt. Das Baden oder Schwimmen in Freibädern oder Seen ist Teil des alltäglichen Lebens und stellt keine ausgefallene Sportart dar. Dass es ein günstigeres Modell gebe, das auch den Vorteil der Wasserverträglichkeit biete, hat die Beklagte nicht dargetan.

Soweit nach den Bedingungen der Beklagten bei großen Hilfsmitteln nur eine Erstattung in Höhe von 80 % stattfindet, ist diese Regelung wirksam. Es handelt sich nicht um allgemeine Geschäftsbedingungen, sondern um eine Festlegung des Leistungsumfangs. In dem folgenden Satz ist jedoch bestimmt, dass der darüber liegende Teil zu 100 % erstattet wird, wenn die Aufwendungen in einem Kalenderjahr 1.750,-- € übersteigen. Da die hier in Rede stehende Prothese in jedem Fall über diesem Betrag liegt, kann die Begrenzung auf 80 % nur bis zu einer Höhe von 1.750,-- € erfolgen. Der vom Kläger selbst zu tragende Betrag beläuft sich somit auf 350,-- €.

Zinsen und Nebenkosten: §§ 286, 288 BGB.

Nebenentscheidungen: §§ 91, 92 Abs. 2, 709 ZPO.

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