AG Göttingen, Beschluss vom 18.06.2002 - 74 IN 156/02
Fundstelle
openJur 2012, 38268
  • Rkr:

1. Der Eigenantrag eines nicht antragspflichtigen Schuldners ist bei unterlassener Auskunftserteilung als unbegründet abzuweisen, ohne dass der Schuldner zuvor erneut anzuhören oder die Anhörung zwangsweise durchzusetzen ist (Bestätigung von AG Göttingen ZInsO 2001, 865 = NZI 2001 670).

2. Dem steht der Amtsermittlungsgrundsatz des § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht entgegen (a. A. LG Köln NZI 2001, 559 = ZInsO 2001, 1017). Dies folgt aus der dem Schuldner oblie-genden Substantiierungspflicht und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

3. Ein mit dem Eigenantrag verknüpfter Stundungsantrag ist in diesen Fällen regelmäßig deshalb abzuweisen, weil unklar ist, ob das Vermögen des Schuldners die Kosten des Ver-fahrens decken wird (§ 4 a Abs. 1 Satz 1 InsO). Welche Auswirkung ein unzulässiger oder unbegründeter Antrag auf einen Stundungsantrag gem. § 4 a Abs. 1 InsO hat, kann in die-sem Zusammenhang dahinstehen.

Tenor

Dem Schuldner wird für die Durchführung des Eröffnungsverfahrens Stundung bewilligt.

Gründe

I. Der Schuldner hat am 20.05.2002 die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt. In dem beigefügten Antrag auf Stundung und Restschuldbefreiung hat er die Versicherung geschwärzt, wonach er nicht wegen einer Straftat nach den §§ 283 bis 283 c StGB verurteilt worden ist. Ergänzend hat er ausgeführt, dass die Schulden aus einer 1999 erfolgten "Verurteilung" stammen sollten. Auf eine gerichtliche Anfrage hin hat er mitgeteilt, dass die Verurteilung im Jahre 1999 wegen Betruges zu Lasten von Banken erging. Im Jahre 1989 sei eine Verurteilung unter Strafaussetzung zur Bewährung erfolgt wegen mangelnder Führung der Geschäftsbücher und verspäteter Konkursanmeldung; die Urteile habe er nicht mehr zur Hand.

Dem Schuldner ist auf seinem Antrag hin gem. § 4 a InsO Stundung für die Durchführung des Insolvenzverfahrens zu bewilligen.

II. Eine im Jahre 1989 im Zusammenhang mit einem damaligen Konkursverfahren erfolgte Verurteilung wegen Verletzung der Buchführungspflicht gem. § 283 b StGB stellt keinen Versagungsgrund gem. § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar. Eine Stundung der Verfahrenskosten gem. ist daher § 4 a Abs. 1 Satz 4 InsO nicht ausgeschlossen. Im Hinblick auf die besondere Sachlage ist es auch angezeigt, dass über den Stundungsantrag des Schuldners nicht erst zum Abschluss des Eröffnungsverfahrens nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, sondern schon zu Beginn des Eröffnungsverfahrens entschieden wird.

1) Auszugehen ist davon, dass die vom Schuldner angeführte Verurteilung im Jahr 1989 wegen "mangelnder Führung der Geschäftsbücher" eine Verurteilung gem. § 283 b StGB wegen Verletzung der Buchführungspflicht darstellt. Diese Verurteilung steht erkennbar nicht im Zusammenhang mit dem vorliegenden Insolvenzverfahren bzw. bezieht sich nicht darauf. In der Rechtsprechung der Literatur ist allerdings streitig, ob eine Versagung der Restschuldbefreiung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch dann möglich ist, wenn die Verurteilung wegen einer Insolvenzstraftat nicht in einem konkreten Zusammenhang mit dem aktuellen Insolvenzverfahren steht.

a) Der Diskussionsentwurf hatte noch darauf abgestellt, ob eine der in § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO erwähnten Straftaten begangen worden sei (Nerlich/Römermann, InsO, § 290 Rz. 30). Der Regierungsentwurf führte sowohl eine rechtskräftige Verurteilung als auch ein laufendes strafrechtliches Verfahren als Versagungsgrund an. In der Begründung (BT-Drucks. 12/2443 Seite 190) ist ausgeführt, das Insolvenzgericht solle nicht mit der Aufgabe belastet werden, selbst die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer solchen Straftat nachzuprüfen. Angeknüpft wurde an die entsprechenden Formulierungen in § 175 Nr. 2, 3 KO und in § 17 Nr. 3, § 79 Nr. 2 VerglO. Aufgrund der Stellungnahme des Bundesrates, allein der Verdacht entsprechender Taten reiche nicht aus (BT-Drucks. 12/2443 Seite 256), wurde die vorgesehene Regelung in § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO dahin eingeschränkt, dass eine rechtskräftige Verurteilung vorliegen müsse. Um eine bei nachträglichen Verurteilungen entstehende Lücke zu schließen, wurde sodann die Vorschrift des § 297 InsO eingefügt.

Der Gesetzesbegründung lässt sich folglich nicht entnehmen, ob eine die Restschuldbefreiung ausschließende Verurteilung gem. §§ 283 bis 283 c StGB mit dem konkreten Insolvenzverfahren in Zusammenhang stehen muss.

b) Die in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 12/2443 Seite 190) in Bezug genommen §§ 175 Nr. 2, 3 KO und 17 Nr. 3, 79 Nr. 2 VerglO stellten darauf ab, ob gegen den Gemeinschuldner eine gerichtliche Untersuchung oder ein wiederaufgenommenes Strafverfahren anhängig oder eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt war. Im Rahmen der Vorschrift des § 175 KO (Unzulässigkeit eines Zwangsvergleiches) war anerkannt, dass die Straftat im Zusammenhang mit dem schwebenden Konkursverfahren stehen musste (Jäger/Weber, KO § 175 Rz. 8, 10; Kuhn/Uhlenbruck KO, § 175 Rz. 5; Hess KO, § 175 Rz. 14; Kilger/Kasten Schmidt KO, § 175 Rz. 3). Lediglich von der Nachprüfung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer solchen Straftat wollte der Gesetzgeber der InsO das Insolvenzgericht entlasten und eine Änderung der Gesetzeslage herbeiführen.

Die Rechtsprechung (OLG Celle ZInsO 2001, 414, 416 = NZI 2001, 314; zustimmend Fuchs EWiR 2001, 735; dem folgend AG Duisburg ZInsO 2001, 1020, 1021 = NZI 2001, 669) stellt demgegenüber darauf ab, der Gesetzgeber habe trotz Kenntnis der Kommentierung zur Vorschrift des § 175 Nr. 3 KO die Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht dahin eingeschränkt, dass es sich um eine Insolvenzstraftat handeln müsse, die ein Bezug zum konkreten Insolvenzverfahren habe. Eine entsprechende Einschränkung war allerdings auch nicht in der Vorschrift des § 175 Nr. 3 KO enthalten. Wenn der Gesetzgeber in Kenntnis der zu dieser Vorschrift vorhandenen einhelligen Kommentarliteratur zu § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO keinen einschränkenden Zusatz anbrachte, lässt sich daraus nicht zwingend folgern, dass er die bestehende Gesetzeslage abändern wollte; eine Vermutung spricht sogar für das Gegenteil. Für die Auffassung des OLG Celle lässt sich auch nicht anführen, dass nach der Gesetzesbegründung die Insolvenzgerichte nicht mit der Aufgabe belastet werden sollten, selbst die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer solchen Straftat nachzuprüfen. Diese Ausführungen dienten lediglich zur Begründung dafür, dass im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur rechtskräftige Verurteilungen zu berücksichtigen sind; zum Ausgleich wurde die Vorschrift des § 297 Abs. 1 InsO geschaffen.

c) Allerdings obliegt dann dem Insolvenzgericht eine gewisse Prüfungspflicht dahin, ob ein Zusammenhang zwischen strafrichterlicher Verurteilung und vorliegendem Insolvenzverfahren besteht. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein derartiger Zusammenhang zu bejahen ist, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Auch wenn sich Abgrenzungsprobleme ergeben können, folgt daraus nicht, dass diese Auffassung abzulehnen ist.

Lässt man nämlich jede strafrichterliche Verurteilung genügen, stellt sich die Frage, ob eine derartige Verurteilung zeitlich unbeschränkt verwertet werden kann. Dies wird nur vereinzelnd bejaht (Kübler/Pütting/Wenzel InsO, § 290 Rz. 8). Überwiegend wird hingegen auf die Tilgungsfristen der §§ 45 ff. Bundeszentralregistergesetz abgestellt (OLG Celle ZInsO 2001, 414 = NZI 2001, 312 = EWiR 2001, 735; AG Duisburg ZInsO 2001, 1020 = NZI 2001, 669; Nerlich/Römermann InsO, § 290 Rz. 34; Braun/Buck InsO § 290 Rz. 6). Bei dieser Auffassung ergeben sich jedoch Schwierigkeiten immer dann, wenn der Schuldner zu einer Gesamtstrafe verurteilt worden ist im Hinblick auf unterschiedliche Tilgungsfristen bei Verurteilung zu Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen (5 Jahre gem. § 46 Abs. 1 Nr. 1 a BZRG), 10 Jahre bei höherer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Monaten (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 BZRG) oder 15 Jahren (§ 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG). Das OLG Celle (ZInsO 2001, 414, 417 = NZI 2001, 312 = EWiR 2001, 735) stellt auf die Einzelstrafen ab. Ist eine Verurteilung wegen mehrerer Straftaten gem. §§ 283 bis 283 c StGB und sonstiger Straftaten erfolgt, so soll eine fiktive Gesamtstrafe gebildet werden. Dem hält das AG Duisburg (ZInsO 2001, 1020, 1021 - NZI 2001, 669) zutreffend entgegen, dass den Insolvenzgerichten die Aufgabe zugewiesen werden würde, die objektiven und subjektiven Umstände der in Frage kommenden Straftaten nachzuprüfen und zu bewerten. Deshalb stellt das AG Duisburg auf die Gesamtstrafe ab, selbst wenn darin eine nicht unter die Vorschriften der §§ 283 bis 283 c StGB fallende Vorschrift wie z.B. Untreue gem. § 266 StGB oder Verletzung der Konkursantragspflicht gem. § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG enthalten ist. Bei einer derartigen Betrachtungsweise würde aber - unzulässiger Weise - die abschließende Aufzählung der Versagungsgründe in § 290 InsO erweitert.

d) Auszugehen ist daher davon, dass im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 1 nur diejenigen Verurteilungen einer Versagung der Restschuldbefreiung rechtfertigen, die sich auf das konkrete Insolvenzverfahren beziehen oder mit diesen Verfahren zusammenhängen (FK-InsO/Ahrens § 290 Rz. 13; HK-InsO/Landwehrmann § 290 Rz. 4; Hess InsO §290 Rz. 15). In diesem Zusammenhang muss es ggf. auch hingenommen werden, dass ein - entsprechend beratener - Schuldner bei einem Gläubigerantrag keinen Restschuldbefreiungsantrag/Stundungsantrag stellt, sondern das Ende dieses Verfahrens abwartet und erst danach einen eigenen Insolvenzantrag stellt. Für eine Klärung der Rechtslage kann hier nur der Gesetzgeber sorgen.

2) Im Rahmen der Entscheidung über den Stundungsantrag gem. § 4 a InsO kommt folgendes hinzu: In die Vorschrift des § 4 a InsO sind als Versagungsgründe für eine Stundung lediglich die Vorschriften des § 290 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 InsO aufgenommen worden. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 14/5680) führt aus, die Stundung solle gewährt werden, sofern eine Restschuldbefreiung nicht offensichtlich zu versagen sei (Seite 12) dem Insolvenzgericht sei lediglich eine kursorische Prüfung zuzumuten ohne schwierige Abwägungen (Seite 20), die Tatsachen für die Versagungsgründe gem. § 290 Abs. 1 Nr. 1 und 3 seien leicht feststellbar und auch für den Schuldner offensichtlich (Seite 21). Der vorliegende Fall widerlegt dies. Für den Schuldner sind die Tatsachen alles andere als offensichtlich. Vielmehr wären entsprechende Ermittlungen des Insolvenzgerichtes - ggf. unter Zuhilfenahme des Schuldners - erforderlich. Es müsste eine Bundeszentralregisterauszug eingeholt werden, um die genaue Höhe der ausgeurteilten Freiheitsstrafe festzustellen. Folgte man der Auffassung des OLG Celle (ZInsO 2001, 414 = NZI 2001, 312 = EWiR 2001 735), wonach nicht auf die Gesamtstrafe, sondern auf die Einzelstrafen abzustellen ist, müsste das Urteil von der zuständigen Staatsanwaltschaft angefordert werden, um die Einzelstrafe für die Verurteilung gem. § 283 b StGB zu ermitteln.

III. Normalerweise entscheidet das Insolvenzgericht Göttingen aus Praktikabilitätsgründen über einen Antrag auf Stundung erst zusammen mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (AG Göttingen ZVI 2002, 69). Besteht jedoch die Möglichkeit, dass wegen Vorliegen eines Versagungsgrundes gem. § 290 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 InsO eine Stundung gem. § 4 a Abs. 1 Satz 4 InsO ausgeschlossen ist, ist es geboten, vor kostenauslösenden Maßnahmen wie der Beauftragung eines Sachverständigen zunächst über den Stundungsantrag zu entscheiden.