VG Düsseldorf, Beschluss vom 20.09.2016 - 28 L 2532/16
Fundstelle
openJur 2019, 12047
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung der Klage 28 K 9928/16 gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 8. August 2016 zu Errichtung einer Asylbewerberunterkunft auf dem Grundstück Gemarkung Y1. ? Flur 11 ? Flurstücke 0000 und 0000 (L. 4 ? Y1. ) anzuordnen,

ist nach §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 1 und 3 VwGO zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die nach § 80a Abs. 3 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Ungunsten der Antragstellerin aus.

Bei einem begünstigenden Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung kann das Gericht die durch Gesetz (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 212 a Abs. 1 BauGB) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs auf Antrag des Drittbetroffenen ganz oder teilweise nach Maßgabe des § 80a Abs. 3 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO anordnen, wenn sein Interesse an der Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsaktes das Vollzugsinteresse des von dem Verwaltungsakt Begünstigten und / oder das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Maßgebliches Kriterium innerhalb dieser Interessenabwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als zu Lasten des Antragstellers offensichtlich rechtswidrig, überwiegt grundsätzlich das private Aussetzungsinteresse die gegenläufigen öffentlichen und/oder privaten Vollzugsinteressen. Stellt der Verwaltungsakt sich als offensichtlich rechtmäßig dar, überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse. Lässt sich hingegen bei summarischer Überprüfung eine Offensichtlichkeitsbeurteilung nicht treffen, kommt es entscheidend auf eine Abwägung zwischen den für eine sofortige Vollziehung sprechenden Interessen einerseits und dem Interesse des Betroffenen an einer Aussetzung der Vollziehung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren andererseits an. Die Erfolgsaussichten sind dabei auch unabhängig von einer fehlenden Offensichtlichkeit einzubeziehen. Je höher diese sind, umso größer ist das Interesse an der aufschiebenden Wirkung. Sind die Erfolgsaussichten demgegenüber gering, fällt das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts stärker ins Gewicht. Bei offenem Ergebnis der Prüfung der Erfolgsaussichten oder wenn mit Blick etwa auf die Kürze der dem Gericht zur Verfügung stehenden Zeit eine Abschätzung der Erfolgsaussichten nicht angezeigt erscheint, kann auf der Grundlage einer Interessenabwägung entschieden werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Oktober 2011 - 2 B 1037/11 -, Juris (Rdnr. 20), m.w.N.

Im Rahmen der sonach gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nicht erkennbar, dass die Baugenehmigung vom 8. August 2016 die Antragstellerin in subjektiven öffentlichen Rechten verletzt, sodass abweichend von der gesetzlichen Wertung des § 212 a BauGB die aufschiebende Wirkung der gegen die Baugenehmigung gerichteten Klage anzuordnen wäre.

Ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts ist nicht ersichtlich.

Zugleich verstößt die angefochtene Baugenehmigung nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts.

Die bauplanungsrechtliche Zulässig des Vorhaben beurteilt sich nach § 30 Abs. 1 BauGB, denn es liegt - wie das Grundstück der Antragstellerin - im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 18 der Stadt Y1. .

Der von der Antragstellerin bemühte Gebietsgewährleistungsanspruch scheidet aus, da der Gebietsgewährleistungsanspruch nur gegenüber Vorhaben eingreift, die in dem Baugebiet weder planungsrechtlich regelhaft zulässig sind noch im Wege der Ausnahme oder Befreiung zugelassen werden können.

Der Gebietsgewährleistungsanspruch ist darauf gerichtet, dass sich ein Nachbar in einem Baugebiet im Sinne von § 1 Abs. 3 und 2 BauNVO auch dann gegen die Zulassung einer in dem Baugebiet gebietswidrigen Nutzung wenden können soll, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat grundsätzlich nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet. Hauptanwendungsfall für diesen Grundsatz, der auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses beruht, sind die Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Nutzung öffentlichrechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundstückseigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Das dadurch geschaffene Austauschverhältnis darf nicht einseitig aufgehoben werden, weil der gewollte Interessenausgleich, der sowohl die Grenzen der Baufreiheit als auch den Wert der Grundstücke beeinflusst, sonst aus dem Gleichgewicht gebracht würde. Im Rahmen des durch eine Baugebietsfestsetzung begründeten nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können. Das nachbarschaftliche Austauschverhältnis, auf dem der Gebietsgewährleistungsanspruch beruht, muss sich nicht auf mögliche Bodennutzungskonflikte beziehen, die ihre Grundlage in unterschiedlichen Arten baulicher Nutzung haben. Auch eine Festsetzung eines Bebauungsplans, die eine bauliche Nutzung ausschließt, kann - je nach den Umständen des Falles - Teil eines Austauschverhältnisses sein, wenn mit der Festsetzung die spezifische Qualität des Plangebiets und damit dessen Gebietscharakter begründet werden soll. Der Gebietsgewährleistungsanspruch greift demnach gegenüber Vorhaben ein, die in dem betreffenden Baugebiet weder planungsrechtlich regelhaft zulässig sind noch nach § 31 Abs. 1 oder 2 BauGB im Wege einer Ausnahme oder Befreiung zugelassen werden können.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. Dezember 2010 - 2 A 1419/09 -, Juris, m. w. N.

Gleiches dürfte nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts NRW (summarischer Prüfung zufolge) für ein Vorhaben gelten, das nach Maßgabe des neben § 31 Abs. 2 BauGB tretenden zusätzlichen Befreiungstatbestands des § 246 Abs. 10 BauGB zugelassen werden kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Februar 2015 - 7 B 1343/14 -, Juris.

Die durch Bescheid vom 8. August 2016 auf der Grundlage des § 246 Abs. 10 BauGB erteilte Befreiung verletzt keine Recht der Antragstellerin.

§ 31 Abs. 2 BauGB hat mit dem Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen insoweit drittschützende Wirkung, als bei einer fehlerhaften Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben ist, dass also bei nachbarschützenden Festsetzungen jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung führen muss. Demgegenüber besteht Drittschutz des Nachbarn bei einer rechtswidrigen Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung nur, wenn seine nachbarlichen Interessen nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. Alle übrigen denkbaren Fehler einer Befreiung machen diese und die auf ihr beruhende Baugenehmigung zwar objektiv rechtswidrig, vermitteln dem Nachbarn aber keinen Abwehranspruch, weil seine eigenen Rechte nicht berührt werden. Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung die Rechte des Nachbarn verletzt, ist dabei nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum Gebot der Rücksichtnahme entwickelt hat.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Februar 2014 - 7 B 1416/13 -, Juris, m. w. N.

Dies muss zugleich in Bezug auf eine auf Grundlage des § 246 Abs. 10 BauGB erteilte Befreiung gelten. Dabei ist davon auszugehen, dass in der Regel jeder Fehler bei der Anwendung des § 246 Abs. 10 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung führen muss, da der Anwendungsbereich der Regelung die Art der gebietstypisch zulässigen Nutzung im festgesetzten Gewerbegebiet und sonach eine nachbarschützende Festsetzung betrifft.

So im Ergebnis auch VG Augsburg, Urteil vom 21. April 2016 - Au 5 K 15.1897 -, Juris.

Die Voraussetzungen des § 246 Abs. 10 BauGB sind erfüllt.

Nach den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 18 - wie es nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO die Regel ist - sind Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, sportliche und gesundheitliche Zwecke in dem Plangebiet - wie von § 246 Abs. 10 BauGB vorausgesetzt -ausnahmsweise zulässig.

Im Gegensatz zur allgemeinen Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB ist für die Prüfung der Zulässigkeit der Befreiung nach § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB die Frage, ob das Vorhaben gegen die Grundzüge der Planung verstößt, nicht Prüfungsgegenstand. Denn der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Tatsache, dass Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber und ähnliche Anlagen von der herrschenden Rechtsprechung als Anlagen für soziale Zwecke mit wohnähnlichem Charakter angesehen werden, die grundsätzlich im Gewerbegebiet unzulässig sind, und für die auch eine Befreiung wegen des Widerspruchs zu den Grundzügen der Planung nicht erteilt werden konnte, mit der Vorschrift des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB einen befristen Privilegierungstatbestand für derartige Unterkünfte in Gewerbegebieten schaffen wollen, die im Einzelfall einer sozialen Einrichtung mit wohnähnlicher Nutzung gegenüber offen sind.

Vgl. BT-Drs. 18/2752, S. 12; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2015 - 8 S 492/15 -, Juris; VG Ansbach, Urteil vom 25. Juni 2016 - AN 9 K 15.01348 -, Juris, und Battis / Mitschang / Reidt, NVwZ 2014, 1609 (1612), Scheidler, NVwZ 2015, 1406 (1408).

Zugleich ist - wie weiter von § 246 Abs. 10 BauGB vorausgesetzt - die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar.

Für die Prüfung der Vereinbarkeit der Abweichung mit öffentlichen Belangen, wie sie von § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB ebenso gefordert wird wie von § 31 Abs. 2 BauGB, sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur allgemeinen Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB keine generellen Maßstäbe zu bilden. Denn es ist nicht generell zu beantworten, welche Umstände als öffentliche Belange einer Befreiung entgegenstehen. Der Schluss, eine Befreiung sei mit den öffentlichen (bodenrechtlichen) Belangen nicht vereinbar, liegt umso näher, je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht einer Planung eingreift. Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung nur durch Planung zu bewältigende Spannungen hineinträgt oder erhöht, so dass es bei unterstellter Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 BauGB nicht zugelassen werden dürfte. Es kommt also - auch für die hypothetische Prüfung am Maßstab des § 34 Abs. 1 BauGB - darauf an, ob durch das Bauvorhaben städtebauliche Spannungen hervorgerufen werden, die vorhandene bauliche Situation verschlechtert wird, das Bauvorhaben mithin "Unruhe stiftet". Bei der Anwendung des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB ist - insoweit abweichend - zu berücksichtigen, dass die mögliche Unruhe, die durch die Genehmigung der wohnähnlichen Nutzung eines Gebäudes als Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft für Asylbegehrende in ein Gewerbegebiet getragen wird, das aufgrund seines durch die Bestimmungen der Baunutzungsverordnung geprägten Gebietstypus wohnähnliche Nutzungsformen nicht verträgt, nicht relevant für die Frage der Vereinbarkeit der Befreiung mit den öffentlichen Belangen sein kann. Denn insoweit hat der Gesetzgeber für den Tatbestand des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB eine abschließende Regelung zugunsten der Möglichkeit, Befreiungen für solche Nutzungsformen zu erteilen, getroffen.

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2015 - 8 S 492/15 -, Juris.

Nach diesen Vorgaben sind öffentliche Belange im Sinne des § 246 Abs. 10 BauGB vorliegend nicht betroffen. Im Besonderen ist nicht ersichtlich, dass bisher in dem Gewerbegebiet ausgeübte Nutzungen aufgrund der Befreiung nicht mehr im gleichen Umfang wie bisher ausgeübt und also Nutzungen auf Nachbargrundstücken von dem Vorhaben selbst oder von dessen zu erwartenden Folgewirkungen nennenswert tatsächlich konkret beeinträchtigt werden könnten. Bei der Prüfung, ob eine Befreiung nach § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB erteilt werden kann, haben die Baurechtsbehörden nach der Vorstellung des Gesetzgebers jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die beantragte Flüchtlingsunterkunft mit den jeweils zulässigen Gewerbebetrieben verträglich ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn von der wohnähnlichen Nutzung keine unzumutbaren Beeinträchtigungen für zulässige gewerbliche Nutzungen im Gewerbegebiet ausgehen.

Vgl. BT-Drs. 18/2752 S. 8 und 12.

Dass es im streitgegenständlichen mit Bebauungsplan festgesetzten Gewerbegebiet durch die Zulassung der Asylbewerberunterkunft zu unzumutbaren Beeinträchtigungen infolge Lärmimmissionen oder zu einer gesundheitlichen Gefährdung der künftigen Bewohner der Einrichtung kommen könnte, ist nicht erkennbar. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass Gewerbegebiete nach § 8 BauNVO ohnehin nur der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben dienen. Zudem müssen sämtliche Nutzungen im Gewerbegebiet, die nach der TA Lärm für ein Gewerbegebiet geltenden Immissionsrichtwerte von 65 dB(A) am Tag und 50 dB(A) in der Nacht nach Nr. 6.1 Satz 1 Buchstabe b) TA Lärm einhalten. Ausgehend davon bestehen nach der Stellungnahme des Landrates des Kreises X. als Immissionsschutzbehörde aus Sicht des vorbeugenden Immissionsschutzes gegen das Vorhaben keine Bedenken, soweit bei der Errichtung der Asylunterkunft die Anforderungen der DIN 4109 (Schallschutz im Hochbau) Anwendung finden, was durch eine Auflage in der Baugenehmigung sichergestellt wird. Zudem finden sich - wie auf dem Grundstück der Antragstellerin - in dem Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 18 mehrere Betriebsleiterwohnungen, die ebenfalls nach § 8 Abs. 3 BauNVO im Gewerbegebiet ausnahmsweise zulässig sind. Insoweit kann nicht davon gesprochen werden, dass eine Wohnnutzung bzw. eine der Wohnnutzung angenäherte Nutzung im konkret betroffenen Gewerbegebiet fremd ist und es mit der bauaufsichtlich genehmigten Zulassung der Asylbewerberunterkunft zu einem erstmaligen Eindringen einer bislang nicht vorhandenen Nutzungsart in das betroffene Gewerbegebiet kommt. Auch bei der ausnahmsweisen Zulassung von Betriebsleiterwohnungen müssen die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse und die Sicherheit der Bewohner im Gewerbegebiet gewährleistet sein.

Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 21. April 2016 - Au 5 K 15.1897 -, Juris; Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Auflage (2014), § 8 Rdnr. 14.11)

Die Würdigung nachbarlicher Interessen fordert, dass festgestellt wird, ob nachbarliche Interessen der Erteilung einer Befreiung entgegenstehen. Dazu sind die Interessen des Bauherrn an der Befreiung und die Interessen des Nachbarn an der Einhaltung der Festsetzung nach den Maßstäben des Rücksichtnahmegebots gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zwar davon auszugehen, dass nachbarschützende Festsetzungen - insbesondere solche über die Art der baulichen Nutzung - im Interessengeflecht eines Bebauungsplans in der Regel eine derart zentrale Bedeutung haben, dass ihre Durchbrechung das Bedürfnis nach einer Änderung des Bebauungsplans hervorruft. Etwas anders gilt jedoch dann, wenn die Nachbarn weder von dem Vorhaben selbst noch von dessen zu erwartenden Folgewirkungen nennenswert beeinträchtigt werden können.

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2015 - 8 S 492/15 -, Juris.

Nach diesen Vorgaben stehen die nachbarlichen Interessen der Antragstellerin der Verwirklichung des Vorhabens der Beigeladenen nicht entgegen.

Soweit sie befürchtet, dass die Bewohner der Asylbewerberunterkunft den an ihr Grundstück angrenzenden "Trampelpfad" auf dem Gehölzstreifen Gemarkung Y1. ? Flur 11 ? Flurstück 0000 als "Abkürzung" zur Straße "F. F1. " nutzen, wird dem durch Errichtung einer Zaunanlage Rechnung getragen. Die Zaunanlage ist Gegenstand der Baugenehmigung und ausweislich eines Vermerks vom 20. Juli 2016 in den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin gerade auf Grund der Einwände der Eigentümer der Nachbargrundstücke vorgesehen worden. Im Einzelnen ist in dem Vermerk festgehalten, dass, "[d]a eine Einfriedung auf der rechten Grundstücksseite durch die Bahn gefordert wird, [...] eine Einfriedung auf einer einseitigen der Flurstücke 0000 und 0000 wie im beigefügten Plan dargestellt zu empfehlen [wäre]. Konfliktsituationen könnten dadurch entschärft werden. Ein unbefugtes Betreten der Nachbargrundstücke kann damit weitgehend ausgeschlossen werden und eventuelle Sachbeschädigungen, Ablagerung von Müll und Verletzungsgefahren, z.B. auf dem RWE- oder Bahngelände vermieden werden."

Die weitergehende Befürchtung der Antragstellerin, dass sich die (weiblichen) Mitglieder durch die Anwesenheit der Asylbewerber in dem Gewerbegebiet und im Besonderen im Umfeld des Fitnessstudios der Antragstellerin gefährdet und belästigt fühlen, dies zum Weggang von Kundinnen und im Ergebnis zu Umsatzeinbußen und einer Existenzbedrohung führe, vermögen dem Vorhaben in gleicher Weise nicht entgegen zu stehen.

Der Kammer erscheint es zunächst fernliegend, wenn die Antragstellerin annimmt, die in der Unterkunft unterzubringenden Flüchtlinge würden sich ständig im Bereich des Gewerbegebiets aufhalten, da das Vorhaben sowohl in fußläufiger Nähe des Bahnhofs als auch des Ortszentrums von Y1. liegt. Unabhängig davon trägt die Antragstellerin mit diesen Befürchtungen keine baurechtlich relevante unzumutbare Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten ihres Grundstücks substantiiert vor. Insoweit fehlt es an dem erforderlichen Grundstücksbezug. Von einer baulichen Anlage ausgehende Störungen und Belästigungen sind nur insoweit auf ihre Nachbarverträglichkeit zu prüfen, als sie typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung auftreten und von bodenrechtlicher Relevanz sind. Anderweitige (befürchtete) Belästigungen sind nicht Gegenstand baurechtlicher Betrachtung. Insbesondere ist das Baurecht im Allgemeinen nicht in der Lage, soziale Konflikte zu lösen, die wegen der Unterbringung von Asylbewerbern besorgt werden. Befürchteten Belästigungen kann nicht mit Mitteln des Baurechts, sondern nur im jeweiligen Einzelfall mit denen des Polizei- und Ordnungsrechts oder des zivilen Nachbarrechts begegnet werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. September 2014 - 2 B 1048/14 -, Juris, m. w. N.

Ausgehend von diesen Grundsätzen wird die Antragstellerin durch das Vorhaben auch nicht in unzumutbarer Weise in der Ausübung ihres Gewerbebetriebes eingeschränkt. Eine unzumutbare Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten ihres Grundstückes geht von dem Vorhaben nicht aus. Ob das Grundstück der Antragstellerin eine Wertminderung erfahren wird, ist unerheblich. Die nach Maßgabe des Rücksichtnahmegebots geforderte Interessenabwägung hat sich am Kriterium der Unzumutbarkeit auszurichten. Entscheidend ist dabei, wie vorstehend ausgeführt, ob die zugelassene Nutzung zu einer - unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen - unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des anderen Grundstücks führt. Da sich jede - auch eine legale - Nachbarbebauung auf den Wert der umliegenden Grundstücke auswirken kann, kommt einer Wertminderung allenfalls eine Indizwirkung für die Interessenabwägung zu. Ein Abwehranspruch kann jedoch nur gegeben sein, wenn die Wertminderung die Folge einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. September 2014 - 2 B 1048/14-, Juris, m. w. N.

Dafür besteht hier indes aus den vorstehend ausgeführten Gründen kein Anhalt. Nur ergänzend sei deshalb darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen vom 20. November 2014 und Art. 6 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 der Schaffung von Flüchtlings- und Asylbewerberunterkünften ein besonders Gewicht beigemessen hat. Die Gesetze enthalten Neuregelungen zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Flüchtlingsunterkünften mit dem Ziel, die Schaffung von menschenwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge und Asylbewerber baurechtlich zu erleichtern, was insbesondere auch bei der Abwägung und Bewertung nachbarlicher Interessen im Zusammenhang mit der Anwendung des Gebots der Rücksichtnahme von Bedeutung ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Dezember 2015 - 10 B 1099/15 -.

Die Erteilung der Befreiung durch die Antragsgegnerin dürfte auch nicht im Verhältnis zur Klägerin in ermessensfehlerhafter Weise erfolgt sein. Zwar ist aus dem Befreiungsbescheid vom 8. August 2016 nicht ohne weiteres erkennbar, dass die Antragstellerin das ihr - aus § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB - zustehende Ermessen erkannt hat. Jedoch dürfte das Ermessen der Baugenehmigungsbehörde hinsichtlich der Erteilung der Befreiung auf Null reduziert sein. Bereits regelmäßig und allgemein verbleibt für die Ausübung des Befreiungsermessens wenig Spielraum, wenn die engen Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erfüllt sind. Dies gilt auch für das der Baurechtsbehörde in § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB eröffnete Ermessen, auch wenn der Tatbestand mit dem Verzicht auf die Prüfung der Berührung der Planungsgrundzüge hier nicht genauso eng wie in § 31 Abs. 2 BauGB gefasst ist. Denn die neu geschaffene, zeitlich befristete Ermächtigungsgrundlage des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB zielt gerade auf die weitgehende Erteilung von Befreiungen. Da derzeit nicht ersichtlich ist, dass nachbarliche Interessen konkret beeinträchtigt sein könnten, städtebauliche Belange nicht berührt sind und also damit einerseits relevante öffentliche Belange oder nachbarliche Interessen nicht negativ betroffen sind, andererseits ein hohes öffentliches Interesse an der Schaffung zusätzlicher Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbegehrende besteht, ist wohl von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen.

Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 8. Januar 2016 - 1 CS 15.2687 -, Juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss 11. März 2015 - 8 S 492/15 -, Juris.

Auch auf eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme nach § 15 BauNVO kann sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg berufen. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlichen Belangen unter Würdigung der nachbarlichen Interessen der Klägerin im Sinne von § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB verwiesen werden.

Schließlich kann offen bleiben, ob die Auffassung der Antragstellerin, es gebe für die genehmigte Unterkunft keinen konkreten Bedarf, zutrifft. Auch als Nachbarin des Vorhabengrundstücks hat sie keinen Anspruch darauf, dass die Baugenehmigung erst dann erteilt beziehungsweise ausgenutzt wird, wenn die sonst im Stadtgebiet vorgehaltenen Plätze für die Flüchtlingsunterbringung ganz oder überwiegend besetzt sind. Vielmehr ist es der Antragsgegnerin unbenommen, für den Fall eines erneuten Anstiegs der Zahl der auf ihr Stadtgebiet zu verteilenden Flüchtlinge Vorsorge zu treffen und eine Baugenehmigung für eine Unterkunft zu beantragen beziehungsweise zu erteilen, um bisher als Unterkünfte genutzte Gebäude zu anderen Zwecken zu nutzen oder um Mietverträge mit privaten Vermietern zu beenden. Besondere Bedingungen oder Einschränkungen im Sinne einer (strengen) Bedarfsprüfung enthält § 246 Abs. 10 BauGB nicht, insbesondere nicht als insoweit auch nachbarschützende Voraussetzung.

Vgl. zu § 246 Abs. 9 BauGB OVG NRW, Beschluss vom 7. Juli 2016 - 10 B 842/16 -; zu § 246 Abs. 12 BauGB OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2016 - 10 B 757/16 -; und zu § 246 Abs. 14 BauGB OVG Hamburg, Beschluss vom 9. Mai 2016 - 2 Bs 38/16 -, Juris.

Unabhängig davon geht die Kammer von einem Bedarf für die Unterkunft aus. Ein solcher wird in der im Baugenehmigungsverfahren eingeholten Stellungnahme des Fachbereichs 5 (Soziales & Beratung) der Antragsgegnerin nachvollziehbar dargelegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Sie ist an den Ziffern 1.5 Satz 1 und 9.7.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 sowie den Ziffern 7 Buchstabe b) und 12 Buchstabe a) des Streitwertkatalogs der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (BauR 2003, 1883) orientiert.