LG Düsseldorf, Beschluss vom 04.09.2017 - 25 T 481/17
Fundstelle
openJur 2019, 11700
  • Rkr:
Tenor

Unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 16. Juni 2017 den Betroffenen ab dem 30.06.2017 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die dem Betroffenen zur Rechtsverfolgung notwendig entstandenen Kosten sämtlicher Instanzen werden dem Antragsteller auferlegt.

Der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000,00 €.

Gründe

I.

Der Betroffene wurde am 15.06.2017 in Düsseldorf von Polizeibeamten angetroffen und kontrolliert. Er konnte keinerlei Ausweisdokumente vorweisen und wurde daraufhin vorläufig festgenommen.

Nachdem seine Identität durch eine Überprüfung der Fingerabdrücke festgestellt werden konnte, stellte sich heraus, dass der Betroffene erstmalig am 20.11.2015 in Sachsen (ZAB Chemnitz) registriert worden war. Am 20.12.2015 wurde er dort mit „Fortzug nach unbekannt“ verzeichnet. Ein wirksamer Asylantrag wurde nicht gestellt (Bl. 27 Ausländerakte).

Am 22.06.2016, 26.06.2016, 30.06.2016, 28.06.2016 sowie am 02.06.2017 wurde der Betroffene jeweils durch Polizeibeamte in Düsseldorf angetroffen und teilweise wegen Besitzes von Betäubungsmitteln vorläufig festgenommen. Über Ausweispapiere verfügte er auch bei diesen Gelegenheiten nicht.

Er wurde jeweils aufgefordert, sich nach Chemnitz zu begeben und bei der Zentralen Ausländerbehörde vorstellig zu werden. Dem kam der Betroffene nicht nach und es wurde auch in der Folgezeit kein rechtswirksamer Asylantrag gestellt.

Mit Ordnungsverfügung vom 16.06.2017 (Bl. 28 ff. Ausländerakte), die dem Betroffenen am gleichen Tage übersetzt und ausgehändigt worden ist (Bl. 48 Ausländerakte), hielt der Antragsteller fest, dass der Betroffene verpflichtet ist, das Bundesgebiet unverzüglich zu verlassen. Er drohte die Abschiebung nach Marokko an, welche auf der Grundlage des § 59 Abs. 5 AufenthG aus der Haft heraus erfolgen solle. Sollte die Abschiebung nicht unmittelbar aus der Haft heraus erfolgen können, wurde die Abschiebung nach Marokko angedroht, sollte der Betroffene nicht innerhalb von sieben Tagen nach Haftentlassung das Bundesgebiet verlassen haben.

Auf Antrag des Antragstellers vom 16.06.2017 ordnete das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 16.06.2017 (152 A XIV (B) 68/17) an, dass der Betroffene bis längstens zum 15.09.2017 in Abschiebungshaft zu nehmen ist.

Mit Schreiben vom 19.06.2017  (Bl. 61 ff. Ausländerakte) teilte der Antragsteller dem Betroffenen mit, dass er beabsichtige, folgende Ordnungsverfügungen zu erlassen,

- Ausweisung,

- Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung,

- Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung,

- Befristung der Sperrwirkung der Abschiebung.

Mit Ordnungsverfügung vom 27.06.2017 (Bl. 75 ff. Ausländerakte) wies der Antragsteller den Betroffenen aus dem Bundesgebiet aus und befristete die Wirkung der Ausweisung auf 3 Jahre ab dem Tag der Abschiebung. Die sofortige Vollziehung der Ausweisungsverfügung wurde angeordnet. Die Wirkung der Abschiebung wurde auf 2 Jahre, gerechnet von dem Tag der Abschiebung an, befristet. Die Ordnungsverfügung wurde am 28.06.2017 an den Betroffenen zugestellt (Bl. 88 Ausländerakte).

Am 19.06.2017 stellte der Betroffene einen Asylantrag (Bl. 68 Ausländerakte).

Durch Bescheid vom 12. Juli 2017 (Gesch.-Z.: 7148548 – 252; Bl. 102 ff. Ausländerakte) erging folgende Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge:

Der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wird als offensichtlich unbegründet abgelehnt.

Der Antrag auf Asylanerkennung wird als offensichtlich unbegründet abgelehnt.

Der Antrag auf subsidiären Schutz wird als offensichtlich unbegründet abgelehnt.

Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes liegen nicht vor.

Der Antragsteller (hier: Betroffene) wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist  nicht einhalten, wird er in das Königreich Marokko abgeschoben. […]

Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wird auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.

Unter dem 28.06.2017, bei Gericht eingegangen an gleichen Tage, hat der Betroffene durch seine jetzige Verfahrensbevollmächtigte Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 16.06.2017 betreffend die Anordnung von Abschiebungshaft eingelegt und für den Fall der Haftentlassung beantragt festzustellen, dass der Haftbeschluss ihn in seinen Rechten verletzt hat.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 04.08.2017 nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.

Unter dem 15.08.2017 teilte der Antragsteller mit, dass nach Mitteilung in der ZAB Köln das Passersatzbeschaffungsverfahren zu spät eingeleitet worden sei. Der Betroffene wurde deshalb am 15.08.2017 aus der Abschiebungshaft entlassen.

Die Kammer hat die Ausländerakte beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den angefochtenen Beschluss sowie den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Betroffenen ist zum überwiegenden Teil begründet.

Sie führt zu der Feststellung, dass der weitere Vollzug der Abschiebungshaft aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Düsseldorf vom 16.06.2017 den Betroffenen ab dem 30.06.2017 in seinen Rechten verletzt hat.

1.

Die Beschwerde des Betroffenen ist nach § 106 Abs. 2 S. 1 AufenthG i. V. m. §§ 58 ff. FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist nicht dadurch unzulässig geworden, dass sich die Hauptsache mit der Entlassung des Betroffenen aus der Haft erledigt hat. Denn angesichts des Eingriffs in ein besonders bedeutsames Grundrecht durch die Freiheitsentziehung bleibt die Beschwerde wegen des als schutzwürdig anzuerkennenden Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahme zulässig, § 62 FamFG (vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. März 2010 – V ZB 184/09).

2.

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht die Abschiebungshaft angeordnet.

a)

Es lag ein zulässiger Haftantrag in Gestalt des Schreibens des Antragstellers vom 16.06.2017 vor.

Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328; vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12; vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130, jeweils mwN).

Der Antrag wurde durch die - nach § 71 Abs. 1 AufenthG sachlich und gemäß §§ 12 Abs. 2, 4 Abs. 1 OBG NRW örtlich - zuständige Behörde gestellt (§ 417 Abs. 1 FamFG). Er lässt durch die Angabe der Haftgründe hinreichend deutlich erkennen, dass die Anordnung von Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Ziffer 1 und 5 AufenthG angestrebt wird.

Der Antrag legt Voraussetzungen, Durchführbarkeit und Dauer der beabsichtigten Abschiebung nach Marokko im konkreten Fall hinreichend dar.

b)

Der Betroffene ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, da er ohne den nach § 3 Abs. 1 AufenthG erforderlichen gültigen Pass oder Passersatz und ohne den gemäß § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet einreiste. Die Einreise erfolgte gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1, 2 AufenthG unerlaubt. Gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1  Nr. 1 AufenthG ist die Ausreisepflicht vollziehbar, wenn   – wie vorliegend – der Ausländer unerlaubt eingereist ist.

c)

Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Die Abschiebung wurde dem Betroffenen durch Ordnungsverfügung des Antragstellers vom 16.06.2017 (Bl. 28 ff. Ausländerakte)  angedroht und der Betroffene aufgefordert, sollte die Abschiebung nicht aus der Haft heraus erfolgen, innerhalb von sieben Tagen nach Haftentlassung aus dem Bundesgebiet auszureisen. Der Bescheid wurde dem Betroffenen am 16.06.2017 zugestellt  (Bl. 48 Ausländerakte).

d)

Die Abschiebung wäre auch innerhalb der angeordneten Zeit möglich gewesen.

Insofern hat der Antragsteller in der Antragsschrift vom 16.06.2017 vorgetragen:

Nach einem Treffen einer Expertengruppe aus Vertretern des Bundesministeriums des Inneren, der Länder (Ministerium für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen und sächsisches Staatsministerium,  des Auswärtigen Amtes sowie des marokkanischen Innen-  und Außenministeriums) am 13.10.2016 in Berlin konnten  konkrete Verbesserungen im Bereich der Passersatzpapierbeschaffung erzielt werden.

Auf dieser Grundlage wurde ein Verfahren für die Passersatzpapierbeschaffung und Rückführung nach Marokko festgelegt und für Nordrhein-Westfalen angepasst. Die Identifizierungen der Personen sollen durch die marokkanischen Behörden innerhalb einer Frist von 45 Tagen abgeschlossen sein.

Die Passersatzpapierbeschaffung für marokkanische Staatsangehörige wird in Nordrhein-Westfalen von der Zentralen Ausländerbehörde Köln durchgeführt. Es besteht ein Rückübernahmeprotokoll zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Marokko.

Das Verfahren gestaltet sich wie folgt:

Die Ausländerbehörde übersendet den ausgefüllten Passersatzpapierantrag mit  zwei Fingerabdruckbögen jeweils im Original, vier Fotos und eventuell vorliegenden Identitätsnachweisen an die Zentrale Ausländerbehörde Köln.

Die Zentrale Ausländerbehörde Köln prüft den Antrag auf Vollständigkeit, Plausibilität und zusätzlich auf das Vorliegen digitaler Fingerabdrücke und leitet beim marokkanischen Generalkonsulat in Düsseldorf das Verfahren zur Identifizierung und Ausstellung eines Passersatzpapiers ein. Sollte sich der Betroffene weigern, einen Passersatzantrag auszufüllen, ist dieser von der Ausländerbehörde nach Aktenlage auszufüllen.

Die Überprüfungen finden ausschließlich im Heimatland anhand der eingereichten Fingerabdrücke statt.

In Haftfällen stellt die Zentrale Ausländerbehörde Köln die Einleitung des Passersatzverfahrens unter Beachtung des Beschleunigungsgebotes sicher, indem der Betroffene unverzüglich zur Antragsaufnahme, Abgabe von Fingerabdrücken, Fertigung von Lichtbildern etc. in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige bzw. Justizvollzugsanstalt aufgesucht wird. Auch in diesen Fällen prüft die Zentrale Ausländerbehörde Köln das Vorliegen digitaler Fingerabdrücke. Gleichzeitig wird der Betroffene über seine Mitwirkungspflichten belehrt und aufgefordert sich Identitätsnachweise, die eine schnellere Identifizierung zulassen, zu beschaffen. Es wird sichergestellt, dass alle diese Verfahrensschritte eingeleitet werden und der Passersatzpapierantrag beim marokkanischen Generalkonsulat in Düsseldorf und das Übergabeverfahren gemäß dem neuen beschleunigten Verfahren unverzüglich eingereicht bzw. eingeleitet wird.

Parallel zum Verfahren mit dem marokkanischen Generalkonsulat prüft die Zentrale Ausländerbehörde Köln in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei, ob für den Betroffenen digitale Fingerabdrücke einliegen. Ist dies der Fall, werden die Fingerabdruckdaten der betreffenden Person über die Bundespolizei dem Verbindungsbeamten der Bundespolizei in Marokko zugeleitet. Dieser übermittelt den Datensatz in digitalisierter Form auf einem Datenträger mittels Verbalnote an das marokkanische Außenministerium und parallel an das marokkanische Innenministerium. Ab diesem Zeitpunkt läuft die mit Marokko vereinbarte Überprüfungsfrist von 45 Tagen. Marokko teilt die Überprüfungsergebnisse (Identifizierung) per Verbalnote dem Verbindungsbeamten der Bundespolizei und zugleich dem marokkanischen Generalkonsulat Düsseldorf mit. Durch beide Stellen wird die Zentrale Ausländerbehörde Köln über die eventuelle Identifizierung informiert und die Zusage zur Ausstellung des Passersatzes erteilt.

Bei erteilter Passersatzpapierzusage stellt das marokkanische Generalkonsulat Düsseldorf daraufhin ein Passersatzpapier mit einer Gültigkeit von einem Monat, ohne Angabe des Reisetages und der Flugnummer aus. Es wird jedoch hierfür eine Vorlaufzeit von drei Wochen benötigt.

Nach Bestätigung der Identität des Betroffenen bucht die Zentralstelle für Flugabschiebungen der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld einen Abschiebeflug in Absprache mit der Bundespolizei, wobei sicherheitsrelevante Dinge, wie z.B. Tagesanzahl der Abschüblinge insgesamt, sowie Dinge, die in der Person des Ausländers liegen - und sich durchaus erst nach Erlass des richterlichen Beschlusses ergeben können - zu berücksichtigen sind.

Darüber hinaus hat die Zentralstelle für Flugabschiebungen Bielefeld je nach Fluggesellschaft zu berücksichtigen, wie viele Abschüblinge maximal je Flugzeug an Bord sein dürfen. Sollte der Abschübling gesundheitliche Probleme geltend machen, ist er gegebenenfalls vorher einem Arzt vorzustellen, der die Flug- und Reisefähigkeit feststellen wird. Sofern eine ärztliche Begleitung erforderlich sein sollte, ist dies entsprechend bei der Flugbuchung zu berücksichtigen.

Bis ein Abschiebungsflug gebucht werden kann, ist somit ein vom Einzelfall abhängiger Zeitbedarf von wenigen Tagen bis hin zu drei Wochen einzuplanen.

Diese Ausführungen lassen hinreichend deutlich erkennen, dass und aus welchen Gründen die Abschiebung binnen des angeordneten Zeitraums von drei Monaten hätte durchgeführt werden können.

e)

Die erforderliche Befristung des Wiedereinreiseverbotes ist durch Ordnungsverfügung des Antragstellers vom 27.06.2017 (Bl. 75 ff. Ausländerakte) und Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.07.2017 (Bl. 102 ff. Ausländerakte) erfolgt.

Seit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache D. vom 19. September 2013 (Rs. C-297/12, ECLI:EU:C:2013:569) darf eine Ausweisung nur noch angeordnet werden, wenn gleichzeitig über die Befristung des Einreiseverbots entschieden wird (BVerwG, InfAuslR 2013, 141 Rn. 11 f.; BVerwGE 143, 277 Rn. 30). Die Abschiebung eines Betroffenen darf seit dem Urteil des Gerichtshofs nur erfolgen, wenn dem Betroffenen zuvor die Entscheidung über die Befristung des Einreiseverbots bekannt gemacht wird, und zwar so frühzeitig, dass er noch in Deutschland Rechtsschutz dagegen organisieren kann (VGH Mannheim, ESVGH 63, 159, 161; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. März 2014 - OVG 12 S 113.13;  VGH Kassel, InfAuslR 2015, 53, 55).

Der Betroffene darf deshalb auf Grund der Ordnungsverfügung der beteiligten Behörde vom 16.06.2017 in sein Heimatland Marokko  nur abgeschoben werden, wenn das Einreiseverbot, das die Abschiebung auslösen würde, vorher nach Maßgabe des hier anzuwendenden § 11 Abs. 2 bis 7 AufenthG befristet wird. Die Befristung ist ihm auch in einem zeitlichen Abstand vor der Abschiebung bekannt zu geben, die ihm erlaubt, ihre gerichtliche Überprüfung noch im Inland in die Wege zu leiten.

Diese ausländerrechtlichen Vorgaben führen aber nicht dazu, dass Haft zur Sicherung der Abschiebung stets erst angeordnet werden dürfte, nachdem die Wirkungen der Ausweisung (Einreise- und Aufenthaltsverbot, Titelerteilungsverbot, §  11 Abs. 1 AufenthG) gemäß § 11 Abs. 2 bis 7 AufenthG befristet worden sind. Die Anordnung von Sicherungshaft ist vielmehr vorher möglich, wenn sichergestellt ist, dass diese Befristung rechtzeitig vor der Abschiebung erfolgt.

f)

Es lagen auch die von dem Antragsteller angeführten Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 5 AufenthG vor.

aa)

Der Betroffene ist unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist, da er weder einen gültigen Pass noch einen Aufenthaltstitel besitzt (§ 14 Abs. 1 Nr. 1, 2 AufenthG).

Nach § 14 Abs. 1 AufenthG ist die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet nicht nur dann unerlaubt, wenn er wegen eines Einreiseverbots nicht einreisen darf (Nummer 3 der Vorschrift), sondern auch dann, wenn er den erforderlichen Pass oder Passersatz (Nummer 1 der Vorschrift) oder das erforderliche Visum (Nummer 2 der Vorschrift) nicht besitzt, was bei sich führen bedeutet (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. Juli 2013 - V ZB 224/12).

So lag es hier. Der Betroffene führte bei sämtlichen durchgeführten polizeilichen Kontrollen keine Ausweispapiere bei sich.

Soweit in dem angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG benannt worden ist, handelt es sich ersichtlich um ein Schreibversehen, was sich aus der nachfolgenden Begründung ergibt, die ausdrücklich auf das Fehlen eines Ausweispapiers sowie Aufenthaltstitels abstellt.

bb)

Gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG kann Sicherungshaft angeordnet werden, wenn im Einzelfall Gründe vorliegen, die auf den in § 2 Abs. 14 AufenthG festgelegten Anhaltspunkten beruhen und deshalb der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung durch Flucht entziehen will.

Nach  § 2 Abs. 14  AufenthG können konkrete Anhaltspunkte sein:

1.   der Ausländer hat sich bereits in der Vergangenheit einem behördlichen Zugriff entzogen, indem er seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht nicht nur vorübergehend gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,

2.   der Ausländer täuscht über seine Identität, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,

3.     der Ausländer hat gesetzliche Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität verweigert oder unterlassen und aus den Umständen des Einzelfalls kann geschlossen werden, dass er einer Abschiebung aktiv entgegenwirken will,

4.     der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96 aufgewandt, die für ihn nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass darauf geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,

5.    der Ausländer hat ausdrücklich erklärt, dass er sich der Abschiebung entziehen will

oder

6.     der Ausländer hat, um sich der bevorstehenden Abschiebung zu entziehen, sonstige konkrete Vorbereitungshandlungen von vergleichbarem Gewicht vorgenommen, die nicht durch Anwendung unmittelbaren Zwangs überwunden werden können.

Im vorliegenden Fall sind konkrete Anhaltspunkte gemäß § 2 Abs. 14 AufenthG  vorgetragen.

Es liegen sonstige konkrete Vorbereitungshandlungen im Sinne des § 2 Abs. 14 Nr. 6 AufenthG vor. Der Betroffene hat sich der Ausreisepflicht durch Untertauchen entzogen, indem er sich seit Ende 2015 im Bundesgebiet aufgehalten hat, ohne bei einer Ausländerbehörde vorstellig zu werden. Mehreren Aufforderungen durch die Polizeibehörden anlässlich von Kontrollen, sich bei den Behörden in Chemnitz zu melden, ignorierte der Betroffene. Einen wirksamen Asylantrag hat er nie gestellt. Dieses eigenmächtige Verhalten des Betroffenen lässt allein den Schluss zu, dass er auch weiterhin beabsichtigte, sich ohne Aufenthaltsberechtigung widerrechtlich im Bundesgebiet aufzuhalten und seiner vollziehbaren Ausreisepflicht nicht nachzukommen. Erst nach Anordnung der Abschiebehaft kam es zu einer Asylantragstellung.

g)

Der Zweck der Haft konnte nicht durch mildere Mittel erreicht werden (§ 62 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Insbesondere aufgrund der fehlenden Ausweisdokumente und des beharrlichen Untertauchens des Betroffenen sowie der mangelnden Mitwirkung war mit Widerstand gegen die Abschiebung zu rechnen. Dem konnte nur durch eine freiheitsentziehende Maßnahme wirksam begegnet werden.

h)

Das erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft hat vorgelegen (Bl. 26 Ausländerakte).

Dies ist in dem Haftantrag auch ausgeführt worden (Bl. 4 Absatz 2 des Haftantrags vom 16.06.2017).

i)

Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass Abschiebungshindernisse vorliegen könnten.

Solche werden von dem Betroffenen auch nicht vorgetragen.

j)

Das Amtsgericht hat daher mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht die Abschiebungshaft angeordnet.

3.

Der am 19.06.2017 gestellte Asylantrag steht der Fortdauer der Abschiebungshaft nicht entgegen (§ 14 Abs. 3 Nr. 4 und 5 AsylG).

4.

Der weitere Vollzug der Abschiebungshaft verletzt den Betroffenen jedoch ab dem 30.06.2017 in seinen Rechten.

Denn das Verfahren ist nicht mit der gebotenen größtmöglichen Beschleunigung betrieben worden.

Nach Erlass des Abschiebehaftbeschlusses am Freitag den 16.06.2017 hat der Antragsteller bereits am Montag den 19.06.2017 die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) in Köln ersucht, im Wege der Amtshilfe die Abschiebung durchzuführen (Bl. 59 Ausländerakte). Diese bestätigte mit E-Mail vom gleichen Tage den Eingang des Vollzugshilfeersuchens (Bl. 66 Ausländerakte).

Dass die Zentrale Ausländerbehörde daraufhin weiter tätig geworden ist, lässt sich der Akte jedoch nicht entnehmen. Vielmehr teilte diese auf Anfrage des Antragstellers unter dem 15.08.2017 mit, dass das erforderliche Passersatzverfahren zu spät eingeleitet worden ist. Auf weitere Nachfrage des Antragstellers wurde seitens der Zentralen Ausländerbehörde mitgeteilt, dass das Passersatzverfahren erst am 14.08.2017 eingeleitet worden ist (Bl. 130 Ausländerakte).

Bei dieser Sachlage ist festzustellen, dass das Verfahren gerade nicht mit der gebotenen größtmöglichen Beschleunigung betrieben worden ist.

Nach Eingang des Amtshilfeersuchens bei der Zentralen Ausländerbehörde am 19.06.2017 hätte diese nach Ansicht der Kammer jedenfalls binnen einer Frist von 10 Tagen die in dem Antrag näher geschilderten und erforderlichen weiteren Schritte zur Einleitung des Passersatzverfahrens einleiten müssen. Binnen dieser Frist hätte eine Überprüfung des Antrags auf Vollständigkeit, Plausibilität und zusätzlich auf das Vorliegen digitaler Fingerabdrücke durchgeführt und das in dem Haftantrag im Einzelnen näher dargelegte weitere Verfahren zur Identifizierung und Ausstellung eines Passersatzpapiers bei den marokkanischen Behörden eingeleitet werden können.

Da dies nicht geschehen ist, verletzt der weitere Vollzug der Abschiebungshaft den Betroffenen ab den 30.06.2017 in seinen Rechten.

Dies war auf Antrag des Betroffenen entsprechend festzustellen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die vollständige Auferlegung der Kosten auf den Antragsteller trägt dem Umstand Rechnung, dass die Beschwerde zum ganz überwiegenden Teil Erfolg hat.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben. Sie ist binnen einer Frist von 1 Monat nach der Zustellung des Beschlusses bei dem Bundesgerichtshof durch Einreichung einer Beschwerdeschrift einzulegen. Die Rechtsbeschwerde muss die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den sich die Rechtsbeschwerde richtet und die Erklärung, dass Rechtsbeschwerde eingelegt werde, enthalten. Die Rechtsbeschwerde muss von einem am Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.

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