VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10.01.2014 - VGH B 35/12
Fundstelle
openJur 2018, 8497
  • Rkr:
Tenor

Der von dem Richter G. mit dienstlicher Äußerung vom 29. November 2013 angezeigte Sachverhalt begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit.

Gründe

Das Zwischenverfahren, in welchem der Verfassungsgerichtshof entsprechend § 13a Abs. 3 VerfGHG ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung des betroffenen Mitglieds entscheidet, betrifft die dienstliche Äußerung des Richters G. vom 29. November 2013.

I.

1. Die Beschwerdeführerin wendet sich im Ausgangsverfahren mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen das vom Landtag Rheinland-Pfalz beschlossene Gesetz vom 23. November 2011 (GVBl. S. 385), mit dem dieser dem 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag zugestimmt hat. Der Staatsvertrag beinhaltet insbesondere eine Neuregelung der Rundfunkfinanzierung, wonach Unternehmen Rundfunkbeiträge zahlen müssen, deren Höhe von der Zahl der Betriebsstätten, der dort beschäftigten Mitarbeiter sowie der gewerblich genutzten Kraftfahrzeuge abhängt. Neben Auskunftspflichten der Beitragsschuldner sowie Datenerhebungsrechten der Landesrundfunkanstalten ist ein einmaliger Datenabgleich mit den Meldebehörden angeordnet. Die Beschwerdeführerin sieht sich durch diese Ausgestaltung der Beitragspflicht, die ihr auferlegten Anzeige-, Auskunfts- und Nachweispflichten, die vorgesehene Datenverarbeitung sowie die angeordnete Fortgeltung von Lastschriften und Einzugsermächtigungen in ihrer durch die Landesverfassung gewährleisteten Eigentums-, Gewerbe-, Informations- und allgemeinen Handlungsfreiheit sowie in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.

2. Der Richter G. hat unter dem 29. November 2013 die folgende dienstliche Äußerung abgegeben:

"[Z]u dem oben bezeichneten Verfahren weise ich vorsorglich auf folgende Umstände hin:

Für das beklagte Land hat sich Prof. Dr. D. als Verfahrensbevollmächtigter bestellt. Prof. Dr. D. gehört seit dem 01.10.2003 als Universitätsprofessor (Universität ...) und Richter am Oberlandesgericht im 2. Hauptamt mit (rechnerisch) 1/10 seiner Arbeitskraft dem 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz an. In diesem Senat habe ich seit meinem Amtsantritt als Präsident des Oberlandesgerichts (22. November 2011) den Vorsitz inne; neben Prof. Dr. D. gehören dem Senat ständig vier weitere Richter am Oberlandesgericht an.

Der Senat ist zuständig für Berufungen in allgemeinen Zivilsachen (Turnussachen), Beschwerden nach § 17 a Abs. 4 GVG, Beschwerden nach §§ 174 Abs. 3, 181 GVG, Beschwerden gegen Entscheidungen über Gesuche auf Ablehnung von Richtern und Sachverständigen, Beschwerden wegen Ablehnung von Rechtshilfeersuchen (§ 159 GVG), Beschwerden in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die Bestimmung des zuständigen Gerichts sowie für Berufungen und Beschwerden in Streitigkeiten aus Veröffentlichungen durch Presse, Film, Funk und Fernsehen einschließlich der Ansprüche auf Veröffentlichung einer Gegendarstellung (Presse- und Mediensachen).

Nach der senatsinternen Geschäftsverteilung ist Herr Prof. Dr. D. ausschließlich für die Berufungen und Beschwerden aus dem Presse- und Medienrecht - neben den vier weiteren Berichterstattern und Beisitzern des Senats - als Berichterstatter und Beisitzer für Verfahren mit zwei (von 10) Endziffern bestimmt. Im Jahr 2011 (ab 22.11.2011) und im Jahr 2012 hat er an keinen Entscheidungen des Senats mitgewirkt und auch an keinen Senatssitzungen und/oder Beratungen teilgenommen; im Jahr 2012 hatte der Senat insgesamt 152 Verfahren (Eingänge) zu bearbeiten. Im Jahr 2013 war Prof. Dr. D. Berichterstatter in zwei Pressesachen und hat in diesen Verfahren an zwei Senatsberatungen und einer mündlichen Verhandlung teilgenommen. Mit zwei weiteren Pressesachen ist er als - kraft Gesetzes allein zuständiger - originärer Einzelrichter (§ 568 Satz 1 ZPO) befasst worden. Im Jahr 2013 (bis einschl. 31.10.2013) hatte der Senat insgesamt 129 Verfahren (Eingänge) zu bearbeiten.

Der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin, dass ich mich aufgrund der vorstehenden Umstände nicht an einer Mitwirkung an dem Verfahren gehindert sehe. "

3. Der Beschwerdeführerin und den Äußerungsberechtigten (§§ 25 Abs. 1, 48 Abs. 1 VerfGHG) wurde die dienstliche Äußerung übersandt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Beschwerdeführerin und der Landtag haben mitgeteilt, es bestünden ihrerseits keine Bedenken gegen die Mitwirkung des Richters G.. Die Landesregierung hat keine Stellungnahme abgegeben.

II.

1. Bei der dienstlichen Äußerung des Richters G. handelt es sich um eine Erklärung im Sinne des § 13a Abs. 4 VerfGHG. Diese Bestimmung setzt nicht voraus, dass der Richter sich selbst für befangen hält. Es reicht vielmehr aus, dass er - wie vorliegend - Umstände anzeigt, die Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit zu treffen (vgl. zu § 19 Abs. 3 BVerfGG BVerfGE 102, 192 [194]; 108, 122 [126]; 109, 130 [131]).

2. Der von dem Richter G. mit dienstlicher Äußerung vom 29. November 2013 angezeigte Sachverhalt begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit. Es ist kein hinreichender Grund ersichtlich, der geeignet wäre, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters G. auszulösen.

a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters des Verfassungsgerichtshofs setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Maßgeblich ist nicht, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 101, 46 [50 f.]; 102, 192 [194 f.]; 108, 122 [126]; 109, 130 [132]). Denn bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es darum, bereits den "bösen Schein" einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden (vgl. BVerfGE 108, 122 [129]). Die Anwendung der §§ 13 und 13a VerfGHG garantiert den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV - vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 2. Dezember 2003 - VGH B 13/03 -, AS 31, 85 [97]). Für die Entscheidung über die Selbstablehnung nach § 13a Abs. 4 VerfGHG gilt danach der gleiche Maßstab wie bei der Ablehnung durch Verfahrensbeteiligte nach § 13a Abs. 1 VerfGHG (vgl. entsprechend F. Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 19 Rn. 11).

Eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 13a VerfGHG kann allerdings nicht aus den in § 13 Abs. 2 und 3 VerfGHG aufgeführten Gründen hergeleitet werden, die einen Ausschluss von der Ausübung des Richteramts ausdrücklich nicht rechtfertigen. Was die in § 13 Abs. 2 VerfGHG aufgeführten Tatbestände anbelangt, nämlich ein Interesse des Richters am Ausgang des Verfahrens "aufgrund seines Familienstands, seines Berufs, seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlichen allgemeinen Gesichtspunkt", ergibt sich dies bereits aus der ausdrücklichen Regelung in § 13a Abs. 1 Halbsatz 2 VerfGHG. Es wäre aber auch darüber hinaus ein Wertungswiderspruch, könnte auf die in § 13 Abs. 2 und 3 VerfGHG genannten Ausschlussgründe ohne Weiteres eine Besorgnis der Befangenheit gestützt werden. Es muss vielmehr etwas Zusätzliches hinzukommen, das über diese Ausschlussgründe hinausgeht, damit eine Besorgnis der Befangenheit als begründet erscheinen kann (vgl. BVerfGE 82, 30 [38]; 101, 46 [51]; 102, 192 [195]; 108, 122 [126]).

b) Hieran gemessen vermag die Tatsache, dass der Verfahrensbevollmächtigte der in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren nach §§ 25 Abs. 1, 48 Abs. 1 VerfGHG äußerungsberechtigten Landesregierung als Richter im 2. Hauptamt mit (rechnerisch) 1/10 seiner Arbeitskraft demselben Senat des Oberlandesgerichts Koblenz angehört wie der Richter G. in seinem Hauptamt als Präsident des Oberlandesgerichts Koblenz, eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu stützen.

In der Rechtsprechung ist insoweit zu Recht anerkannt, dass ohne Hinzutreten weiterer Umstände die bloße Zugehörigkeit des Richters zu dem gleichen Gericht wie ein Verfahrensbeteiligter in der Regel lediglich eine Kollegialität begründet und daher allein die Unvoreingenommenheit des Richters nicht infrage stellt (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18. Januar 2001 - 2 M 4/01 -, BeckRS 2001, 30473076; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Februar 1997 - 12 K 3081/95 -, NWVBl. 1997, 436 [437]; VG Freiburg, Beschluss vom 10. Februar 2011 - 6 K 100/11 -, NVwZ-RR 2011, 544; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 54 Rn. 54 m.w.N.). Dies gewährleistet im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV, dass der nach dem Gesetz an sich zuständige Richter nicht ohne triftigen Grund in einem Einzelfall von der Mitwirkung an der Entscheidung ausgeschlossen wird (BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 BvR 336/04 -, NJW 2004, 3550 [3551]).

Es kommt im konkreten Fall auch nichts "Zusätzliches" hinzu, was geeignet wäre, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Landesregierung als Richter im 2. Hauptamt nicht nur demselben Gericht, sondern auch demselben Spruchkörper (4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz) angehört wie der Richter G., keine andere Betrachtung. Zwar soll die Zugehörigkeit zu demselben Spruchkörper nach einer verbreiteten Ansicht grundsätzlich eine engere dienstliche oder persönliche Bindung zwischen Richterkollegen und damit in der Regel auch eine Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 8. Dezember 1966 - 5 W 77/66 -, MDR 1967, 407; OLG Hamm, Beschluss vom 29. Juni 1977 - 1 W 43/77 -, MDR 1978, 583; VG Freiburg, Beschluss vom 5. November 1983 - 7 K 1902/93 -, VBlBW 1994, 37; E. Schneider, DRiZ 1978, 42 [44]; Czybulka, a.a.O.; offen gelassen von OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18. Januar 2001 - 2 M 4/01 -, BeckRS 2001, 30473076; OLG Schleswig, Beschluss vom 1. Dezember 1987 - 1 W 63 und 88/87 -, MDR 1988, 236 f.). Entscheidender Faktor sei dabei nicht unmittelbar die Zugehörigkeit zum Spruchkörper, sondern die beiderseitige Aufgabe einer offenen und vertrauensvollen Zusammenarbeit in der Zukunft, die von der Entscheidung im konkreten Verfahren beeinflusst werden könne (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18. Januar 2001 - 2 M 4/01 -, BeckRS 2001, 30473076; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Februar 1997 - 12 K 3081/95 -, NWVBl. 1997, 436 [437]; OLG Schleswig, Beschluss vom 1. Dezember 1987 - 1 W 63 und 88/87 -, MDR 1988, 236 f.). Zweifel an der erforderlichen Objektivität aufgrund des besonders engen beruflichen Verhältnisses lägen in diesen Fällen auf der Hand (Czybulka, a.a.O.).

Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob dieser Ansicht zu folgen ist. Jedenfalls dann, wenn die Zusammenarbeit im Spruchkörper nicht regelmäßig, sondern nur sporadisch erfolgt, kann von einer engeren dienstlichen oder persönlichen Bindung keine Rede sein. Für den Fall, dass der Richterkollege in dem Spruchkörper nur "hin und wieder" oder lediglich vertretungsweise mitwirkt, geht der berufliche Kontakt über die bloße - allein eine Befangenheit nicht begründende - Kollegialität nicht hinaus (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 10. Februar 2011 - 6 K 100/11 -, NVwZ-RR 2011, 544; OLG Schleswig, Beschluss vom 1. Dezember 1987 - 1 W 63 und 88/87 -, MDR 1988, 236 [237]). Im Hinblick auf einen Richter im 2. Hauptamt, der wie der Verfahrensbevollmächtigte der Landesregierung in den Jahren 2011 und 2012 an keiner Entscheidung des Senats mitgewirkt, an keinen Beratungen des Senats teilgenommen und bei dem sich die Mitwirkung auch im Jahr 2013 auf zwei Verfahren beschränkt hat (bei insgesamt 129 neuen Verfahren im Jahr 2013), wird ein verständiger, vernünftig abwägender Verfahrensbeteiligter deshalb nicht zu der Ansicht gelangen, der Richter stehe von vornherein zu den Berufsrichtern eines Senats in einem solchen Näheverhältnis, dass diese - unbewusst - seinem Vortrag mehr Gehör schenken als dem der anderen Beteiligten des Verfahrens (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 10. Februar 2011 - 6 K 100/11 -, NVwZ-RR 2011, 544 und VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Februar 1997 - 12 K 3081/95 -, NWVBl. 1997, 436 [437] jeweils zu ehrenamtlichen Richtern).

Hinzu kommt, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Landesregierung in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht Beteiligter ist, sondern lediglich für einen - darüber hinaus lediglich Äußerungsberechtigten (§§ 25 Abs. 1, 48 Abs. 1 VerfGHG) - auftritt. In diesem Fall trifft die Rechtskraft der Entscheidung nicht ihn, was unmittelbar gegen die Annahme einer Parteilichkeit spricht (vgl. BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 BvR 336/04 -, NJW 2004, 3550 [3551]). Es kommt allein darauf an, ob ein Beteiligter Anlass zu der Sorge haben kann, der Richter werde sein dienstliches oder persönliches Verhältnis zu dem Verfahrensbevollmächtigten nicht hinreichend von dem konkreten Rechtsstreit trennen können (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. Mai 1986 - 12 W 21/86 -, NJW-RR 1987, 126 [127]). Ohne Hinzutreten besonderer Umstände ist dabei davon auszugehen, dass der Richter zwischen einer eigenen Rechtsverfolgung und dem Handeln als Verfahrensbevollmächtigtem zu unterscheiden weiß (BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 24. April 1996 - 2 BvR 1639/94 -, NJW 1996, 2022; Zähle, AöR 137 [2012], 173 [191]). Anhaltspunkte, die eine gegenteilige Annahme nahe legen könnten, bestehen vorliegend, wie oben dargelegt, nicht.