BVerfG, Beschluss vom 26.04.1999 - 1 BvR 467/99
Fundstelle
openJur 2011, 24734
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung

angenommen.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Länge

eines beim Landgericht anhängigen aktienrechtlichen

Spruchstellenverfahrens über die angemessene Abfindung von

Aktionären, die infolge Eingliederung ihrer Aktiengesellschaft

in eine andere Aktiengesellschaft aus jener ausgeschieden sind. Die

Beschwerdeführer, neben anderen Beteiligten Antragsteller des

Ausgangsverfahrens, sehen in der inzwischen siebenjährigen

Verfahrensdauer eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit

Art. 20 Abs. 3 GG.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung

anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2

BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine

grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung und auch keine

hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Sie ist allerdings zulässig. Grundrechte

können auch durch Unterlassen gerichtlicher Tätigkeit

verletzt werden. Eine dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde ist

zulässig, solange das Unterlassen andauert (vgl. BVerfGE 10,

302 <306>; 16, 119 <121>; BVerfG, 1. Kammer des Ersten

Senats, NJW 1997, S. 2811 <2812>). Das ist hier der Fall. In

dem von den Beschwerdeführern angegriffenen Verfahren des

Landgerichts liegt nach dem derzeitigen Stand der Akten weder das

in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten vor noch ist

konkret absehbar, wann das Gericht zu einer verfahrensbeendenden

Entscheidung kommen wird. Die Frist zur Einlegung der

Verfassungsbeschwerde steht der Zulässigkeit nicht entgegen,

weil § 93 BVerfGG Fristen für ein Vorgehen gegen eine

Unterlassung nicht vorsieht (vgl. BVerfGE 16, 119 <121>;

BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, a.a.O.).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch

unbegründet. Das Landgericht hat durch die Gestaltung des

Ausgangsverfahrens Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3

GG nicht verletzt.

a) Nach der Rechtsprechung des

Bundesverfassungsgerichts gewährleistet das

Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3

GG) für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im

materiellen Sinne, zu denen auch das vorliegende aktienrechtliche

Spruchstellenverfahren gehört, einen wirkungsvollen

Rechtsschutz. Dieser verlangt die grundsätzlich umfassende

tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands

sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter.

Darüber hinaus fordert das Rechtsstaatsprinzip auch im

Interesse der Rechtssicherheit, daß strittige

Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden

(vgl. BVerfGE 85, 337 <345>; 88, 118 <124>; BVerfG, 1.

Kammer des Ersten Senats, a.a.O.).

Der Verfassung lassen sich allerdings keine festen

Grundsätze dafür entnehmen, ab wann von einer

überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und deshalb

nicht mehr hinnehmbaren Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist

vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE

55, 349 <369>; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, a.a.O.).

Dabei ist insbesondere der Bedeutung des Rechtsstreits für den

Betroffenen Rechnung zu tragen. Bei der Beurteilung der

Angemessenheit der Dauer des gerichtlichen Verfahrens ist aber auch

von Belang, ob Ursachen für etwaige Verzögerungen in

sachlichen Erfordernissen des konkreten Verfahrens oder in anderen

- außerhalb dieses Verfahrens liegenden - Umständen

begründet sind (vgl. BVerfG, Vorprüfungsausschuß,

EuGRZ 1982, S. 75).

b) Ausgehend hiervon erscheint die Dauer des

landgerichtlichen Verfahrens von nunmehr sieben Jahren - auch unter

Berücksichtigung seiner insbesondere wirtschaftlichen

Bedeutung für die Beschwerdeführer und die anderen

Antragsteller - derzeit verfassungsrechtlich noch hinnehmbar.

Die zeitliche Gestaltung eines Verfahrens obliegt im

Rahmen der in den einschlägigen Prozeßordnungen für

die Verfahrensführung getroffenen Bestimmungen in erster Linie

dem mit der Sache befaßten Gericht. Es ist nicht Aufgabe des

Bundesverfassungsgerichts, hinsichtlich jeder einzelnen

Maßnahme zur Durchführung des Verfahrens

nachzuprüfen, ob und inwieweit sie möglicherweise

früher hätte ergehen können. Dies verbietet sich

schon im Hinblick darauf, daß ein Gericht jeweils mit einer

Vielzahl von Verfahren gleichzeitig befaßt ist und sich

hieraus zwangsläufig für das einzelne Verfahren

Verzögerungen ergeben, deren Ursachen nicht in diesem

Verfahren selbst liegen (vgl. BVerfG,

Vorprüfungsausschuß, a.a.O., S. 75 f.).

Für das hier zu beurteilende

Spruchstellenverfahren lassen sich keine von Verfassungs wegen zu

beanstandenden Verzögerungen durch ein Verhalten, insbesondere

eine Untätigkeit, des Landgerichts feststellen. Die

Hauptursache für die in der Tat lange Verfahrensdauer ist

ausweislich der Verfahrensakten, die die Kammer beigezogen hat,

nicht in einer verzögerlichen Verfahrensbehandlung durch das

Gericht zu sehen, sondern in anderen - innerhalb und

außerhalb des Verfahrens liegenden - Umständen. Dies

gilt für die Zeit bis zur Beauftragung des

Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens im

September/November 1996, aber auch für den Zeitraum

danach.

Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar,

daß das Landgericht durch die Art, wie es das bei ihm

anhängige Verfahren betrieben hat, die Fertigung des genannten

Gutachtens wesentlich verzögert haben könnte. Das Gericht

ging bereits zu Beginn der Beweiserhebung davon aus, daß die

Gutachtenerstellung zwei Jahre oder länger dauern könnte.

Es hat insoweit gegenüber dem Beschwerdeführer zu 1 auf

seine einschlägigen Erfahrungen verwiesen. Daß es in der

Folge darauf verzichtet hat, dem Sachverständigen für die

Fertigstellung des Gutachtens Fristen zu setzen und

erforderlichenfalls Zwangsmittel anzudrohen, ist vor diesem

Hintergrund noch nicht als ermessensfehlerhaft und

verfassungsrechtlich bedenklich anzusehen.

Bei der Gutachterbestellung war es für das

Landgericht im Hinblick auf die Schwierigkeit der Materie und den

Umfang des zu erwartenden Gutachtens ersichtlich nicht

möglich, einen realistischen Erstellungszeitpunkt zu

prognostizieren und dem Sachverständigen eine exakte Frist zu

setzen. Das Gericht hat den Gutachter dementsprechend bei der

Aktenübersendung zur Gutachtenerstellung im November 1996 auch

nur gebeten mitzuteilen, wann voraussichtlich mit dem Eingang des

Gutachtens gerechnet werden könne. Der Sachverständige

hat daraufhin Anfang Dezember 1996 geantwortet, daß er sich

kurzfristig einarbeiten werde und mit den Beteiligten einen

möglichst arbeitsökonomischen Weg absprechen wolle. Erst

danach könnten Aussagen über den Fertigstellungszeitpunkt

gemacht werden. Das Landgericht hat dem Gutachter ferner bereits im

Beweisbeschluß umfangreiche Vorgaben zur Gutachtenerstellung

gemacht und diese im Januar 1997 hinsichtlich eines einzelnen

Punktes besonders erläutert. Mitte Januar 1997 hat ein

Gespräch des Vorsitzenden Richters mit dem

Sachverständigen stattgefunden, in dem offensichtlich die

weitere Vorgehensweise des Gutachters vereinbart worden ist. Das

Gericht hat auch im weiteren Verlauf des Jahres 1997 Kontakt zum

Gutachter gehalten. Aus einem Schreiben des Sachverständigen

vom September 1997 konnte es entnehmen, daß noch weitere

Unterlagen von den Antragsgegnerinnen zur Gutachtenerstellung

angefordert worden sind.

Auf eine Anfrage des Landgerichts vom Juli 1998 hat

der Sachverständige dann Anfang August 1998 mitgeteilt,

daß das Gutachten voraussichtlich Ende Oktober/Anfang

November 1998 vorliegen werde. Dieser Termin konnte nach einem

Schreiben des Sachverständigen von Mitte November 1998 deshalb

nicht eingehalten werden, weil dieser noch weitere Informationen

von den Antragsgegnerinnen benötigte. Diese Informationen

lagen dem Gutachter ausweislich seiner auf eine Sachstandsanfrage

des Landgerichts von Ende Februar 1999 erfolgten Antwort Anfang

März 1999 wegen interner Schwierigkeiten bei der

Antragsgegnerin zu 2 noch nicht vor; sie waren danach aber für

die zweite Märzwoche 1999 in Aussicht gestellt worden. Der

Sachverständige hat dabei ferner angekündigt, sich nach

dem Erhalt der Unterlagen umgehend zu melden, um einen Abgabetermin

zu vereinbaren.

Dieser Verfahrensablauf zeigt nicht nur die

großen Schwierigkeiten, mit denen Sachverständiger und

Landgericht im Zusammenhang mit der Erstellung des in Aussicht

genommenen Gutachtens konfrontiert waren. Er macht auch deutlich,

daß das Gericht den Gang des Verfahrens und dessen

Förderung nicht aus den Augen verloren, sondern im

regelmäßigen Kontakt mit dem Sachverständigen

versucht hat, auf den möglichst baldigen Abschluß des

Gutachtens hinzuwirken. Daß dabei Zwangsmittel wie

Fristsetzung und Androhung von Zwangsgeldern bisher nicht zur

Anwendung gekommen sind, ist schon deshalb nicht zu beanstanden,

weil Anhaltspunkte dafür, daß der Sachverständige

aus von ihm zu vertretenden Gründen die Fertigstellung des

Gutachtens verzögert haben könnte, nicht hervorgetreten

sind. Das Landgericht ist im November 1998 und Anfang März

1999 vom Sachverständigen über die Hinderungsgründe

für die Abgabe des Gutachtens unterrichtet worden. Danach

liegen diese Gründe offensichtlich in der Sphäre der

Antragsgegnerin zu 2. Daß der Sachverständige sie von

sich aus hätte aus dem Wege räumen können, ist nicht

erkennbar.

Daß sich derzeit Anhaltspunkte für eine

verfassungsrechtlich bedenkliche Verfahrensgestaltung nicht

ergeben, ändert nichts daran, daß das Landgericht auch

von Verfassungs wegen gehalten ist, dem Verfahren beschleunigten

Fortgang zu geben. Inzwischen ist die von ihm als

Regelerfahrungswert angenommene zweijährige Dauer der

Gutachtenerstellung verstrichen. Das Gericht wird deshalb nunmehr

nach Eingang der vom Sachverständigen noch benötigten

Informationen bei diesem auf eine zügige Fertigstellung und

Abgabe des Gutachtens hinzuwirken und erforderlichenfalls auch

Maßnahmen entsprechend § 411 ZPO zu ergreifen haben.

Auch nach Vorlage des Gutachtens obliegt es dem Landgericht

angesichts der bisherigen Verfahrensdauer, den bei ihm

anhängigen Rechtsstreit durch eine zeitlich straffe

Verfahrensgestaltung, etwa durch die möglichst umgehende

Anberaumung eines Verhandlungstermins, zügig zu fördern

und möglichst schnell zu einem Abschluß zu bringen.

Von einer weiteren Begründung wird

gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.