BSG, Urteil vom 17.09.2008 - B 6 KA 51/07 R
Fundstelle
openJur 2011, 96278
  • Rkr:

Der eingeschränkte Behandlungsauftrag im vertragsärztlichen Notfalldienst schließt die Abrechnung der Erhebung einer Fremdanamnese über einen kommunikationsgestörten Patienten nach Nr 19 EBM-Ä aF aus.

Tatbestand

Streitig ist die sachlich-rechnerische Richtigstellung des Ansatzes der Nr 19 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä - in der bis zum 31.3.2005 geltenden Fassung <aF>) im vertragsärztlichen Notfalldienst.

Der Kläger, ein in Frankfurt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Facharzt für Allgemeinmedizin, nimmt schwerpunktmäßig in verschiedenen Dienstbezirken am vertragsärztlichen Notfalldienst teil. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) setzte die von ihm in 95 (Quartal II/2003) bzw 60 Fällen (Quartal III/2003) auf Notfalldienstscheinen angesetzten Leistungen nach Nr 19 EBM-Ä aF im Rahmen sachlich-rechnerischer Richtigstellung der Quartalsabrechnungen unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 5.2.2003 - B 6 KA 11/02 R - ab, in der die Berechnungsfähigkeit von Fremdanamnesen im Notarztwagendienst verneint worden war (Bescheide vom 12.1.2004 bzw vom 24.3.2004).

Der Kläger machte mit seinen Widersprüchen geltend, die Erhebung einer Fremdanamnese sei eine im Notfalldienst häufig erbrachte Leistung. Um eine Diagnose stellen zu können, müssten oftmals Angehörige oder das Pflegepersonal befragt werden; dies gelte ganz besonders im Rahmen der Entscheidung, ob eine Krankenhauseinweisung erforderlich sei. Denn anders als im vorwiegend auf den Transport ausgelegten Rettungsdienst seien im Notfalldienst stets alle erdenklichen Möglichkeiten einer ambulanten Versorgung der Patienten zu prüfen. In den Vorbemerkungen zu Abschnitt B II. EBM-Ä aF seien ausdrücklich nur die Leistungen nach Nr 12, 14-16 und 20 EBM-Ä aF als im Rahmen des ärztlichen Notfalldienstes nicht berechnungsfähig benannt; daraus folge, dass dies für Fremdanamnesen nach Nr 19 EBM-Ä aF nicht gelte.

Widerspruch, Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 27.9.2004, Urteile des Sozialgerichts <SG> Frankfurt am Main vom 28.6.2006 und des Hessischen Landessozialgerichts <LSG> vom 26.9.2007 - in juris dokumentiert). Im Urteil des LSG ist unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG ausgeführt, die Interpretation der Leistungsbeschreibung der Nr 19 EBM-Ä aF ergebe, dass mit dieser Leistungsposition der Mehraufwand abgegolten werde, der dem Arzt bei einer kontinuierlichen Begleitung und Betreuung eines Patienten mit regelmäßig dauerhafter erheblicher Kommunikationsstörung entstehe. Das komme dadurch zum Ausdruck, dass die Leistung nur einmal im Behandlungsfall abrechenbar sei. Da bei einer Fremdanamneseerhebung im Rahmen des Notfalldienstes eine kontinuierliche Begleitung und Betreuung des Patienten typischerweise nicht stattfinde, sei die Abrechnung der Nr 19 EBM-Ä aF im Notfalldienst dem Grunde nach ausgeschlossen. Dies gelte unabhängig davon, ob im Einzelfall bei diesem Dienst quantitativ oder qualitativ vergleichbare ärztliche Tätigkeiten erbracht würden. Eine systematische Interpretation sowie eine Gesamtschau der in einem inneren Zusammenhang stehenden Gebührenregelungen - vor allem der Nr 840, 846 und 847 EBM-Ä aF - bestätigten dieses Ergebnis. Zu berücksichtigen sei auch, dass die im Notfalldienst erfolgende Erhebung von Daten bei Dritten durch die Notfallordinationsgebühr gemäß Nr 1 EBM-Ä aF mit 220 Punkten abgegolten werde. Ergänzend hat das LSG darauf hingewiesen, dass der ärztliche Notfalldienst mit dem Notarztwagendienst in den hier maßgeblichen Gesichtspunkten vergleichbar sei. Im ärztlichen Notfalldienst habe ebenfalls keine umfassende Datenerhebung über die kommunikationsgestörte Person zu erfolgen, weil dieser Dienst nur Überbrückungsfunktion habe und nicht die volle ärztliche Versorgung zu erbringen sei. Mithin stehe dem Kläger unabhängig von der Frage, ob in dem von ihm abgerechneten Fällen die Kommunikationsstörung überhaupt auf psychischen, hirnorganischen oder krankheitsbedingten Veränderungen beruht habe, ein Honorar nach Nr 19 EBM-Ä aF im Notfalldienst nicht zu.

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 87 iVm § 76 SGB V (medizinischer Standard im ärztlichen Notdienst) sowie der Vorgaben in Nr 19 EBM-Ä aF. Die vom LSG verlangte umfassende Datenerhebung sei nach der Leistungslegende dieser Gebührenordnungsposition nicht erforderlich; diese enthalte keinen Zeitbezug, sodass eine Fremdanamnese auch innerhalb weniger Minuten erfolgen könne. Jede ärztliche Tätigkeit erfordere zwingend eine vorausgehende Anamnese, die so gründlich wie möglich sein müsse. Wenn sich der Erkrankte nicht selbst äußern könne, sei stets eine Fremdanamnese vorzunehmen, denn ohne eine solche erfolge die ärztliche Intervention im Widerspruch zu ärztlichen Standards "ins Blaue hinein". Die Reduzierung des Notfalldienstes auf eine Überbrückungsfunktion, welche die umfassende Erhebung einer Fremdanamnese ausschließe, sei nicht statthaft, da gemäß § 76 Abs 4 SGB V auch der im Notfalldienst behandelte Patient eine den medizinischen Standards entsprechende Behandlung beanspruchen könne. Dem Arzt im Notfalldienst sei es nicht erlaubt, eine gleichsam minderwertige ärztliche Versorgung zu erbringen oder die erforderliche Behandlung aufzuschieben. Dieser Dienst habe längst die Funktion einer "Vertretung der niedergelassenen Ärzte zur Unzeit" erhalten, zumal es zum Sicherstellungsauftrag der KÄV gehöre, für einen effektiven und dem medizinischen Standard entsprechenden Notfalldienst Sorge zu tragen.

Nach Ansicht des Klägers hat das LSG mit seiner ausdehnenden Auslegung gegen die vom BSG - im Urteil vom 7.2.2007, B 6 KA 32/05 R - erst jüngst bekräftigten Grundsätze zur Auslegung des EBM-Ä verstoßen. Der Wortlaut der Nr 19 EBM-Ä aF verlange keine dauerhafte Begleitung des Patienten. Wenn in der Präambel des Abschnitts B II. EBM-Ä aF gerade die Gebührenordnungspositionen von der Abrechnung im Notfalldienst ausgeschlossen würden, die eine kontinuierliche Betreuung des Patienten durch den Hausarzt erforderten, so ergebe sich im Umkehrschluss, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KÄBV) den Ärzten im Notfalldienst die keine kontinuierliche Betreuung erfordernde Nr 19 EBM-Ä aF zugestanden habe. Dem im Rahmen dieses Dienstes gerufenen Arzt sei der Notfallpatient in der Regel unbekannt; er müsse sich deshalb bei bestehenden erheblichen Kommunikationsstörungen mit Hilfe der Befragung von Angehörigen oder von Pflegepersonal ein Bild machen.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 26.9.2007 und des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 28.6.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 12.1.2004 und vom 24.3.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.9.2004 zu verurteilen, die vom Kläger angesetzten Leistungen nach Nr 19 EBM-Ä zu vergüten, soweit die danach erforderlichen Ursachen der Kommunikationsstörung vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend weist sie darauf hin, dass die streitigen Absetzungen auch darauf beruhten, dass der Kläger Nr 19 EBM-Ä aF häufig bei Kindern und ausländischen Patienten abgerechnet habe, obwohl in solchen Fällen der Leistungsinhalt dieser Gebührenposition nicht erfüllt sei. Es sei unzutreffend, dass ausnahmslos jede ärztliche Tätigkeit eine Anamnese voraussetze, da insbesondere in dringenden Fällen des Rettungsdienstes erforderlichenfalls Behandlungsmaßnahmen vorgenommen werden müssten, ohne zuvor mit dem Patienten oder Dritten gesprochen zu haben. Die fehlende Abrechenbarkeit von Nr 19 EBM-Ä aF im Notfalldienst zwinge nicht zum Unterlassen jeglicher Anamnese, sondern schließe nur eine umfassende Anamnese/Fremdanamnese in diesem Rahmen aus, weil sie das Maß des Notwendigen überschreite. Der Sicherstellungsauftrag der KÄV werde hierdurch nicht berührt.

Gründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die von der Beklagten vorgenommenen sachlich-rechnerischen Richtigstellungen sind rechtmäßig. Eine Fremdanamnese iS von Nr 19 EBM-Ä aF ist weder im Notarztwagendienst - was der Senat bereits im Urteil vom 5.2.2003 (SozR 4-2500 § 75 Nr 1 RdNr 6 ff) eingehend dargelegt hat - noch im ärztlichen Notfalldienst abrechenbar.

Die KÄV ist zu sachlich-rechnerischen Richtigstellungen von Honorarforderungen befugt, soweit ein Vertragsarzt bei seiner Quartalsabrechnung Gebührennummern ansetzt, deren Tatbestand durch seine Leistungen nicht erfüllt ist oder die er aus anderen Gründen nicht in Ansatz bringen darf (zB Fachfremdheit der Leistung oder Leistungsausschluss). Rechtsgrundlage dafür sind § 45 Abs 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte und § 34 Abs 4 Satz 2 Ersatzkassenvertrag-Ärzte in den seit 1.4.1997 geltenden Fassungen. Nach diesen - für die hier betroffenen Abrechnungen der Quartale II/2003 und III/2003 maßgeblichen und im Wesentlichen gleichlautenden - Vorschriften hat die KÄV von Amts wegen oder auf Antrag einer Krankenkasse die Befugnis, die von den Vertragsärzten eingereichten Abrechnungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und nötigenfalls richtig zu stellen (vgl BSGE 89, 90, 93 f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 6 und stRspr, zB BSG SozR 4-5520 § 32 Nr 2 RdNr 10; für Zeiträume ab 1.1.2004 vgl nunmehr § 106a Abs 2 Satz 1 SGB V idF des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190) .

Hiernach war die Beklagte berechtigt, die vom Kläger im Rahmen seiner Teilnahme am vertragsärztlichen Notfalldienst für die Quartale II/2003 und III/2003 vorgenommenen Ansätze der Nr 19 EBM-Ä aF sachlich-rechnerisch richtig zu stellen. Anamneseerhebungen im Rahmen und unter den Bedingungen des Notfalldienstes erfüllen die Leistungslegende dieser Gebührenordnungsnummer nicht.

Für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich. Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Bewertungsausschusses selbst ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM-Ä als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Nur soweit der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es seiner Klarstellung dient, ist Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt ebenfalls nur bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen in Betracht und kann nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden (zum Vorstehenden vgl BSG SozR 4-5533 Nr 40 Nr 2 RdNr 13 sowie BSG, Urteil vom 7.2.2007 - B 6 KA 32/05 R, GesR 2007, 326 - jeweils mwN) .

Bei Anwendung dieser Maßstäbe ergibt sich, dass die Abrechnung von Fremdanamnesen nach Nr 19 EBM-Ä aF im Rahmen des vertragsärztlichen Notfalldienstes ebenso wie im Notarztwagendienst ausgeschlossen ist. Dieser Ausschluss ist allerdings nicht unmittelbar im Wortlaut dieser Gebührenordnungsposition oder in den Abrechnungsbestimmungen in der Präambel zu Abschnitt B II. des EBM-Ä aF enthalten. Letztere erfassen lediglich die Leistungen nach Nr 12, 14 bis 16 und 20 EBM-Ä aF, nicht aber die hier streitbefangenen Leistungen nach Nr 19 EBM-Ä aF. Der Ausschluss ergibt sich jedoch bei einer Auslegung des Leistungstatbestandes unter Berücksichtigung des Umstands, dass auch der vertragsärztliche Notfalldienst gegenüber dem umfassenden vertragsärztlichen Behandlungsauftrag nur eine eingeschränkte ärztliche Aufgabenstellung umfasst.

Der Wortlaut der Nr 19 EBM-Ä aF ist nicht eindeutig (aA Schleswig-Holsteinisches LSG MedR 2007, 203, 205). Es gibt verschiedene Deutungen dessen, was unter einer "Fremdanamnese" bzw "Anamnese" zu verstehen ist. Einerseits kann damit die sog "aktuelle Anamnese" gemeint sein, dh die Erhebung der Krankengeschichte hinsichtlich Art, Beginn und Verlauf der aktuellen Beschwerden des Patienten (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl 2007, Stichwort "Anamnese" - also im Sinne einer "Exploration", wie dies zB in Nr 821 EBM-Ä aF oder in Nr 804, 805 GOÄ bezeichnet ist; in diesem Sinne - als "eher punktuelles denn als quartalsbezogen kontinuierliches Geschehen" - auch Schleswig-Holsteinisches LSG, aaO, S 205). Unter Anamnese kann aber auch in erster Linie - entsprechend dem griechischen Wortstamm - die Erinnerung an die früheren Krankheiten als Vorgeschichte einer aktuellen Krankheit verstanden werden (vgl Roche Lexikon Medizin, 4. Aufl 1998, sowie Duden, Das Wörterbuch medizinischer Fachbegriffe, 8. Aufl 2007 - jeweils Stichwort "Anamnese"; in diesem Sinne auch Köhler/Hess, Kölner Kommentar zum EBM, Stand 1.6.2004, Nr 19 Anm 1: "Die Fremdanamnese umfasst die Erhebung der lebensgeschichtlichen und sozialen Daten ..."). Dementsprechend führt auch Pschyrembel (aaO) als weitere Ausprägungen neben der aktuellen noch die frühere, die spezielle, allgemeine, soziale, biographische und familiäre Anamnese auf.

Welche dieser unterschiedlichen Arten von Anamnese in Nr 19 EBM-Ä aF geregelt werden, lässt sich allein aus dem Wortlaut des in der Leistungslegende verwendeten Begriffs "Fremdanamnese" nicht sicher erschließen. Der Senat hat deshalb aus einer in dieser Situation statthaften systematischen Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände gefolgert, dass eine "Fremdanamnese" nach Nr 19 EBM-Ä aF nicht nur die Exploration aktueller Beschwerden, sondern darüber hinausgehend eine umfassende Erhebung der lebensgeschichtlichen und sozialen Daten des Kranken erfordert. Er hat dies dem Umstand entnommen, dass die Leistungsbewertung mit 500 Punkten - welche die reine Ordinationsgebühr nach Nr 1 EBM-Ä aF für ärztliche Notfallbehandlungen von 220 Punkten um mehr als das Zweifache übersteigt - den Mehraufwand abgelten soll, der dem Arzt entsteht, wenn er einen regelmäßig dauerhaft kommunikationsgestörten Patienten kontinuierlich begleitet und betreut (BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 1 RdNr 9). Entgegen der Ansicht des Klägers werden deshalb gegebenenfalls im Rahmen einer fachgerechten Behandlung erforderliche punktuelle Befragungen von Angehörigen oder Pflegepersonal zur Abklärung der aktuellen Krankheitssituation eines kommunikationsgestörten Patienten von der im systematischen Zusammenhang zu interpretierenden Leistungsbeschreibung der Nr 19 EBM-Ä aF nicht erfasst.

Es kann dahinstehen, ob dies bei der im Rahmen privatärztlicher Abrechnung anwendbaren, ebenfalls eine Fremdanamnese abgeltenden Nr 4 der Anlage zur Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) anders zu beurteilen ist (zum Missbrauchspotential dieser Leistungsposition gerade bei Unfallpatienten vgl Hess/Klakow-Franck/Hübner, Kommentar zur GOÄ, Stand 1.4.2007, Nr 4 GOÄ RdNr 1; hingegen fordern Wezel/Liebold, Kommentar zu EBM und GOÄ, Stand 1.7.2008, in der Anmerkung zu Nr 4 GOÄ gleichfalls eine umfangreichere, grundsätzlichere Befragung oder Unterweisung einer Bezugsperson). Denn die Leistung nach Nr 4 GOÄ ist lediglich mit 220 Punkten bewertet und entspricht somit in der Punktzahl der ohnehin im vertragsärztlichen Notfalldienst zum Ansatz kommenden Ordinationsgebühr, für die es im Bereich der privatärztlichen Abrechnung keine Entsprechung gibt. Demgegenüber wird jedenfalls aufgrund der deutlich höheren Bewertung der Nr 19 EBM-Ä aF offenbar, dass damit nur eine umfassende, die Erhebung aktueller Befunde übersteigende Anamnese im Rahmen der Betreuung eines kommunikationsgestörten Patienten abgegolten werden soll.

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Fremdanamnese in dem umfassenden Sinne, wie Nr 19 EBM-Ä aF sie voraussetzt, im Rahmen des vertragsärztlichen Notfalldienstes aufgrund des hier eingeschränkten Versorgungsauftrags nicht abrechenbar ist. Diese Einschränkung ergibt sich unmittelbar aus dem Wesen des Notfalldienstes als Notdienst zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung "zu den sprechstundenfreien Zeiten" (§ 75 Abs 1 Satz 2 SGB V). Die Behandlungsberechtigung im Rahmen des Systems der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung, die insbesondere auch Nichtvertragsärzten gegenüber Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung nur für die Dauer der besonderen Situation eines Notfalles zukommt (§ 76 Abs 1 Satz 2 SGB V, vgl BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 4 RdNr 20), ist in diesem Sinne nicht umfassend, sondern begrenzt. Zwar schuldet der behandelnde Arzt eines Notfallpatienten auch in dieser Situation die zu ihrer fachgerechten Bewältigung erforderliche Sorgfalt und Qualität (vgl § 76 Abs 4 SGB V; zur Notwendigkeit der Berücksichtigung naheliegender differentialdiagnostischer Möglichkeiten s BGH MedR 2008, 556, 557). Ungeachtet dessen sind aber die von einem Arzt im Notfalldienst zu erbringende Behandlungsausrichtung und der Behandlungsumfang geringer als in der allgemeinen vertragsärztlichen Versorgung. Dieser ist beschränkt auf alle erforderlichen Maßnahmen bis zum erneuten Einsetzen der Regelversorgung in den üblichen Sprechstundenzeiten (so bereits BSGE 44, 252, 257 = SozR 2200 § 368n Nr 12 S 35: "Sofortmaßnahmen iS einer vorläufigen Versorgung"; ebenso zB Satz 2 der Präambel der ab 1.4.2008 geltenden Bereitschaftsdienstordnung der KÄV Bayerns: "Er umfasst die ambulante vertragsärztliche Versorgung der Patienten, soweit sie sich auf deren unaufschiebbare Untersuchungen, Behandlungen und Beratungen bis zu den nächsten regulären Sprechzeiten bezieht." Zum Ausschluss der Abrechnung auch der Nr 10, 11 und 17 EBM-Ä aF im Notfalldienst s BayLSG, Urteil vom 30.1.2002 - L 12 KA 120/01 - juris). Damit berechtigt der Notfalldienst den Arzt von vornherein nicht zur Erbringung von Leistungen, die typischerweise im Rahmen einer kontinuierlichen Patientenbetreuung anfallen. Die Erhebung einer Fremdanamnese im Sinne von Nr 19 EBM-Ä aF stellt - wie bereits gezeigt - eine solche Leistung dar. Sie kann daher weder im Notarztwagendienst noch in der umgrenzten Behandlungssituation des vertragsärztlichen Notfalldienstes abgerechnet werden, sondern ist der Regelversorgung vorbehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Danach hat der Rechtsmittelführer die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.