OLG Köln, Beschluss vom 29.06.2005 - 16 Wx 76/05
Fundstelle
openJur 2011, 33341
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 T 465/04
Tenor

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 4.4.2005 (3 T 465/04) abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen am 24.11.2004 bis zum Erlass des Haftbeschlusses des Amtsge-richts Aachen am selben Tage sowie die Aufrechterhaltung der Haft ab dem 24.1.2005 rechtswidrig waren.

Das weitergehende Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten für die beiden Beschwerdeverfahren sind vom Be-troffenen zu 50 % zu erheben. Die außergerichtlichen Kosten des Erstbeschwerdeverfahrens und des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Antragsteller dem Betroffenen zu 50 % zu erstatten. Dem Betroffenen seinerseits werden die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers beider Beschwerdeinstanzen zu 50 % auferlegt.

Dem Betroffenen wird auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe für das Verfahren der weiteren Beschwerde bewilligt, soweit es sich gegen die Entscheidung des Landgerichts zu seiner Ingewahrsamnahme am 24.11.2004 und gegen die Fortdauer der Haft über den 24.1.2005 hinaus richtet. Der weitergehende Prozesskostenhilfeantrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Betroffene wurde am 24.11.2004 aus Belgien, wo er sich in den zurückliegenden Monaten aufgehalten hatte, nach vorheriger Ankündigung in das Bundesgebiet überstellt und bei seiner Ankunft in Aachen durch Vollzugsbeamte der Stadt vorläufig festgenommen. Durch Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom gleichen Tage wurde gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Darstellung in dem angegriffenen Beschluss verwiesen.

Das Landgericht hat auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen sowohl die vorläufige Ingewahrsamnahme als auch die Anordnung der Haft mit der angegriffenen Entscheidung - auf die wegen aller weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird - für rechtmäßig erachtet. Dagegen wendet sich der - inzwischen, nämlich am 19.5.2005, nach Nepal zurückgeführte - Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde. Zugleich beantragt er für die Durchführung des weiteren Beschwerdeverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

II.

Die gemäß §§ 3 Satz 2, 7 Abs. 1 FEVG, 106 Abs. 2 AufenthG, 27, 29 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache insoweit Erfolg, als sich der Betroffene gegen die vorläufige Freiheitsentziehung am 24.11.2004 sowie gegen die über den 24.1.2005 hinaus andauernde Inhaftierung wendet. Im Übrigen, nämlich hinsichtlich der bis zum 24.1.2005 wirkenden Haftanordnung des Amtsgerichts Aachen bleibt sie erfolglos.

1.

Der auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme gerichtete Antrag des Betroffenen ist zulässig. Insbesondere besteht im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG im Rahmen des § 13 Abs. 2 FEVG ein Rechtsschutzinteresse für die nachträgliche Feststellung einer bereits beendeten Ingewahrsamnahme durch die Ausländerbehörde (vgl. z.B. KG KGReport 2003, 174; Marschner/Volkart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Auflage, § 13 FEVG Rdn. 4; Senat, Beschluss vom 1.10.2004 - 16 Wx 195/04).

Der Antrag ist auch begründet, denn der Antragsteller war nicht befugt, den Betroffenen bis zur richterlichen Entscheidung über seinen Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft gem. § 57 AuslG vorläufig in Gewahrsam zu nehmen. Eine solche Befugnis kann sich zwar nach der Rechtsprechung des Senates (Beschluss vom 1.10.2004 - 16 Wx 195/04 = JMBl NRW 2005, 34) grundsätzlich aus § 24 OBG NW i.V.m. § 35 Abs.1 Nr.2 PolG NW ergeben. Im vorliegenden Fall bestand für den Antragssteller jedoch die Möglichkeit, bereits vor der Einreise des Betroffenen am 24.11.2005 eine richterliche Entscheidung über eine Haftanordnung herbeizuführen, denn er war bereits einen Tag zuvor, nämlich am 23.11.2004, über die anstehende Rücküberstellung informiert worden. Eine vorläufige behördliche Ingewahrsamnahme nach landesrechtlichen Gefahrenabwehrbestimmungen kommt aber nur in Betracht, wenn eine vorherige richterliche Entscheidung nicht zu erreichen ist ("Spontanfestnahme"). Ansonsten hat es bei dem Grundsatz zu verbleiben, dass eine Freiheitsentziehung eine vorherige richterliche Anordnung voraussetzt, die im vorliegenden Fall auch ohne weiteres hätte erlangt werden können (BVerfG NJW 2002, 3161).

2.

Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der anschließenden Haftanordnung ist dagegen nur teilweise begründet.

Es kann offen bleiben, ob im Zeitpunkt der Haftanordnung durch das Amtsgericht die Voraussetzungen des Haftgrundes des damals anwendbaren § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG (jetzt § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) vorgelegen haben. Zweifel daran bestehen deshalb, weil der Betroffene nach seinem - trotz ausdrücklichen Hinweises des Senates - unwidersprochen gebliebenen Vorbringen nicht darüber belehrt worden ist, dass ein ungemeldeter Wechsel seines Aufenthaltsortes die Grundlage für eine Inhaftierung bilden könne.

Darauf kommt es aber nicht an, weil jedenfalls der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG vorlag. In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, ob die besonderen Haftgründe des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4 AufenthG für ihren jeweiligen Bereich eine abschließende Regelung aufstellen und ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG ausgeschlossen ist. Der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 3.2.2005 - VOB/B ZB 48/04) hat diese Frage offengelassen und die zugrunde liegende Sache an das vorlegende OLG Düsseldorf zurückverwiesen; in der Literatur wird sie unterschiedlich beurteilt. Der Senat hält beide Vorschriften für nebeneinander anwendbar. Für die gegenteilige Auffassung ergeben sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik der Vorschrift ausreichende Anhaltspunkte. Der aufzählende Charakter der verschiedenen Haftgründe und die Verwendung des Wortes "oder" am Ende von § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG machen vielmehr deutlich, dass es sich um nebeneinander zu prüfende Haftgründe handelt. Das entspricht auch der gesetzgeberischen Intention, die - davon ist auch der BGH in der zitierten Entscheidung ausgegangen - auf eine Erleichterung der Anordnung von Abschiebehaft gerichtet ist.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf in der auf die Zurückverweisung durch den BGH entschiedenen Sache (OLG Düsseldorf vom 15.4.2005 bei: Melchior, Abschiebungshaft, Anhang) steht dem nicht entgegen. Das OLG Düsseldorf hat ebenfalls die Nr. 5 der Vorschrift neben deren Nr. 2 für anwendbar gehalten und lediglich vor dem Hintergrund einer noch laufenden Ausreisefrist ausgeführt, dass der Verdacht, dass der Ausländer sich der Ausreisepflicht entziehen wolle, in dieser Situation regelmäßig nicht zu begründen sei. Im Gegensatz dazu war der Betroffene im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Haftanordnung vollziehbar ausreisepflichtig, wie das Landgericht in der angegriffenen Entscheidung mit zutreffender Begründung festgestellt hat. Dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG zum Zeitpunkt der Haftanordnung vorlagen, kann angesichts des voraufgegangenen Verhaltens des Betroffenen, nämlich dem Absetzen nach Belgien und Frankreich, nicht zweifelhaft sein.

Das Rechtsmittel des Betroffenen hat allerdings insoweit Erfolg, als er sich gegen seine über den 24.1.2005 hinausgehende Inhaftierung wendet.

Die Bemühungen der Behörde um die Beschaffung von Ausweispapieren zur Vorbereitung der Abschiebung waren für sich genommen allerdings ausreichend. Das hat bereits das Landgericht mit ausführlicher und zutreffender Begründung festgestellt; der Senat nimmt darauf zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug. Daran ändert auch das weitere Vorbringen des Betroffenen im Rahmen der sofortigen weiteren Beschwerde nichts. Dass die Passersatzpapierbeschaffung sich im wesentlichen aufgrund der missverständlichen Angaben des Betroffenen schwierig und zeitraubend gestaltete, steht nach der Sachlage fest. Insbesondere kann der Behörde nicht vorgeworfen werden, dass sie sich nicht in Norwegen um die Aushändigung des Originalpasses bemüht habe. Dass das zu einer schnelleren Bearbeitung der Angelegenheit geführt hätte, ist nicht ersichtlich; im Gegenteil: nach der Stellungnahme der ZAAB Braunschweig vom 24.5.2005 ist der Pass trotz seit Februar laufender Bemühungen bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht übersandt worden.

Allerdings war am 24.1.2005 eine Abschiebung des Betroffenen im Rahmen der bundesweit durchgeführten Sammelabschiebung für papierlose Nepalesen möglich. Dass es zu diesem Zeitpunkt möglicherweise zu erwarten stand, dass die Passersatzpapiere innerhalb kurzer Zeit vorliegen würden, stand der Abschiebung auf diesem Wege entgegen der Auffassung des Landgerichts Aachen und des Amtsgerichts Hannover (im Haftverlängerungsbeschluss vom 23.2.2005) nicht entgegen, da die Sammelabschiebung eine gegenüber der beabsichtigten Verfahrensweise vorzeitige Haftentlassung ermöglichte und die Behörde gehalten war, davon im Interesse des Betroffenen Gebrauch zu machen. Dass dieser Art der Abschiebung rechtliche Hindernisse nicht entgegenstanden, ergibt sich im Übrigen aus der Stellungnahme der ZAAB Braunschweig vom 24.5.2005 selbst; danach war für den 18.4.2005 und damit vor der Passersatzpapierausstellung eine Rückführung im Rahmen einer Sammelabschiebung geplant, die dann nur aufgrund tatsächlicher Umstände nicht durchgeführt werden konnte.

3.

Soweit der Betroffene mit seinem Begehren durchgedrungen ist, also jeweils wegen eines Teils seiner Begehren im Erst- und im Rechtsbeschwerdeverfahren, hat der Antragsteller dem Betroffenen dessen Kosten zu erstatten, wobei es offen bleiben kann, ob die Kostenlast aus einer entsprechenden Anwendung des § 16 FEVG (so OLG Hamm FPrax 2005, 49) oder aus § 13 Abs. 1 S. 1 FGG (so OLG Düsseldorf FPrax 2004, 141) folgt. Die Kostenentscheidung im Übrigen beruht auf den §§ 14, 15 FEVG i. V. m. § 13 Abs. 1 S. 2 FGG.

4.

Der Prozesskostenhilfe-Antrag kann nur in dem sich aus Vorstehendem ergebenden Umfang , nämlich nach einem Geschäftswert von 3.000 EUR (4.000 EUR zzgl. 2.000 EUR : 2) Erfolg haben.