OLG Hamm, Urteil vom 21.02.2014 - 26 U 28/13
Fundstelle
openJur 2014, 6656
  • Rkr:

Vor einer Laserbehandlung an der Netzhaut hat der Augenarzt die Indikationsvoraussetzungen sicher abzuklären. Hierzu dient insbesondere die Ultraschalluntersuchung. Unterlässt der Augenarzt die gebotene Abklärung, so kann das als grober Behandlungsfehler zu werten sein. In einem solchen Fall tritt für die Ursache einer Sehbehinderung eine Umkehr der Beweislast ein.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 23. Januar 2013 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten der Berufungsinstanz.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der am 16.09.1940 geborene Kläger hat von den Beklagten wegen vermeintlicher augenärztlicher Behandlungsfehler in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 20.000 € für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes und die Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche weiteren zukünftigen Schäden begehrt.

Nachdem der Kläger am 01.06.2009 beim Joggen feststellte, dass er auf seinem rechten Auge nicht mehr richtig sehen konnte, begab er sich am Folgetag in die Behandlung der Beklagten zu 1), die Urlaubsvertreterin des Beklagten zu 2) war. Sie stellte bei dem Kläger ein Netzhautloch (Foramen) und eine Glaskörperblutung fest, und nahm deshalb eine erste Laserkoagulation vor. Eine weitere Laserkoagulation führte sie am 10.06.2009 durch. Eine signifikante Besserung stellte sich jedoch nicht ein. Der Beklagte zu 2) nahm sodann am 17.06.2009 eine dritte Laserkoagulation vor. In der Folgezeit kam es zu einer Netzhautablösung, die in der Augenklinik durch eine Glaskörper-Operation am 03.07.2009 behandelt wurde. Eine Verbesserung der Sehkraft trat dadurch jedoch nicht mehr ein.

Der Kläger hat geltend gemacht, dass die Beklagten ihn behandlungsfehlerhaft nicht täglich kontrolliert und nicht sofort, spätestens jedoch am 10.6.2009, zur Operation in eine Augenklinik überwiesen hätten. Hierzu habe aufgrund der von Anfang an bestehenden Gefahr einer Netzhautablösung Veranlassung bestanden. Durch das Zuwarten sei die dauerhafte Einschränkung der Sehkraft auf dem rechten Auge um 90 % entstanden.

Das Landgericht hat die Beklagten nach sachverständiger Begutachtung durch Dr. L zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 15.000 € verurteilt und die Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche materiellen zukünftigen Schäden aus der Behandlung ausgesprochen.

Beiden Beklagten sei anzulasten, dass sie bei ihren Untersuchungen jeweils die gebotene Ultraschalluntersuchung unterlassen hätten. Insoweit liege jeweils ein einfacher Befunderhebungsfehler vor, der jedoch zu einer Beweislastumkehr führe. Es sei deshalb mangels Beweises des Gegenteils davon auszugehen, dass eine frühere Operation die später eingetretene Netzhautablösung in hohem Maß verhindert hätte.

Hinsichtlich beider Beklagten hat das Landgericht die Verpflichtung zum Ersatz weiterer materieller Schäden ausgesprochen. Ein Feststellungsausspruch hinsichtlich zukünftiger immaterieller Schäden sei dagegen ausgeschlossen, weil nach den Feststellungen des Sachverständigen ein Dauerschaden ohne die Möglichkeit weiterer Veränderungen eingetreten sei.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die weiterhin die Abweisung der Klage verfolgen.

Die Beklagten haben gemeint, dass ausweislich beigefügter Literaturstellen die Laserbehandlung ausreichend und leitliniengerecht gewesen sei . Sie machen geltend, dass eine Ultraschalluntersuchung nicht erforderlich gewesen sei, weil das Loch auch bei optischer Prüfung trotz der Blutschlieren erkannt worden sei. Die Beklagte zu 1) trägt dazu vor, dass nur zentral eine optische Behinderung durch Blutschlieren vorhanden gewesen sei, nicht dagegen in der Peripherie, in der sich das hufeisenförmige Loch befunden habe. Eine Ultraschalluntersuchung wäre dagegen nur angezeigt gewesen, wenn dadurch weitergehende Erkenntnisse zu erwarten gewesen wären. Die Beklagten machen geltend, dass die Behandlung ausweislich des Eintrages vom 15.06.2009 erfolgreich gewesen sei, weil die dokumentierte Umstellung des Foramens nur möglich sei, wenn die Netzhaut anliege. Sie machen geltend, dass mit der Befestigung der Netzhaut die Laserbehandlung abgeschlossen gewesen sei; die Blutung löse sich sodann allmählich auf und sei nicht Therapieziel der Laserbehandlung.

Auch die Kontrolldichte sei ausreichend gewesen. Die Beklagte zu 1) behauptet, dass Kontrollen erst nach ein bis zwei Wochen sinnvoll seien, um den Erfolg der Lasertherapie beurteilen zu können; die erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen seien dafür vorhanden gewesen, jedoch von dem Kläger nicht wahrgenommen worden.

Die Beklagten bestreiten die Kausalität ihrer Behandlung für die Beeinträchtigungen und behaupten, dass die Schäden durch eine erst später entstandene Netzhautablösung entstanden seien. Das ergebe sich aus der Dokumentation der Augenklinik C.

Die Beklagten beantragen,

das am 23.01.2013 verkündete Urteil des Landgerichts Paderborn 4 O 342/10 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Jedenfalls aufgrund der ersten fehlgeschlagenen dieser Operation sei eine Überweisung in eine Augenklinik ausweislich der Leitlinien indiziert gewesen. Überdies sei eine Ultraschalluntersuchung zur Feststellung des genauen Zustandes der Augen und zur Festlegung der weiteren Vorgehensweise erforderlich gewesen. Das Unterlassen habe zur Netzhautablösung und Erblindung des rechten Auges ausgeführt. Es handele sich auch um Folgen des von den Beklagten behandelten Foramens bei 11 Uhr.

Der Senat hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. L. Wegen des Ergebnisses wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 21.02.2014 verwiesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, insbesondere des genauen Wortlautes der erstinstanzlich gestellten Anträge, wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das Landgericht der Klage jedenfalls im erkannten Umfang stattgegeben, weil beiden Beklagten Behandlungsfehler anzulasten sind, die gemäß den §§ 611, 280, 249 ff., 253 Abs.2 BGB jedenfalls zur Haftung auf ein Schmerzensgeld in der ausgeurteilten Höhe und zur Feststellung der Ersatzpflicht in dem erkannten Umfang führen.

Der Senat stützt sich insoweit auf die erstinstanzliche Begutachtung durch den augenärztlichen Sachverständigen Dr. L und der überzeugenden Ausführungen bei seiner Anhörung vor dem Senat.

Dazu im Einzelnen:

1.

Die Beklagte zu 1) haftet unter zweierlei Gesichtspunkten:

a.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass sie jedenfalls ab dem 10.06.2009 die Laserbehandlung fortgesetzt hat, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorgelegen haben.

Der Senat folgt dem Sachverständigen entsprechend seinen Ausführungen im schriftlichen Gutachten und bei seiner mündlichen Anhörung durch den Senat darin, dass eine Laserbehandlung anstelle operativen Vorgehens nur dann indiziert war, wenn sichergestellt war, dass die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung gegeben waren. Dazu war neben der Möglichkeit der sicheren und dichten Umstellung des Netzhautforamens mit Laserherden insbesondere auch erforderlich, dass die Sichtverhältnisse so gut waren, dass festgestellt werden konnte, dass die restliche Netzhaut sicher anlag. Diese Voraussetzung war vorliegend nicht gegeben. Ausweislich der Krankenunterlagen war die Sicht auf den zentralen Glaskörper während der gesamten Behandlung nicht hinreichend gegeben, weil sich in Blickrichtung Blutauflagerungen befanden, die die Beurteilung der Netzhaut in diesem Bereich verhinderten. Es bestand deshalb die Gefahr, dass sich Flüssigkeit aus dem Foramen im peripheren Bereich der Schwerkraft folgend zum Zentrum hin bewegte und dort in dem für gutes Sehen besonders wichtigen Bereich zunächst unbemerkt zu einer Netzhautablösung führte.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Leitlinien, die die Laserkoagulation nur für die soeben beschriebenen unproblematischen Fälle zulassen, nicht aber für die vorliegende problematische Situation. Insoweit gilt ohne weiteres der augenärztliche Standard, auch wenn Kontraindikationen bisher nicht in Leitlinien explizit kodifiziert worden sind.

Mangels Beurteilbarkeit der Situation war bei dem von der Beklagten zu 1) gewählten Vorgehen dann auf der Basis der Feststellungen des Sachverständigen jedenfalls nach dem ersten erfolglosen Versuch die zweite Laserbehandlung am 10.06.2009 nicht indiziert. Es hätte stattdessen die Vorstellung bei einem Augenchirurgen erfolgen müssen.

b.

Der Beklagten zu 1) ist darüber hinaus als Befunderhebungsfehler anzulasten, dass die tatsächliche Situation der Netzhaut insbesondere im zentralen Bereich nicht bereits zu Beginn der Behandlung und fortlaufend bis zu sicheren Erkenntnis über den Zustand durch die dafür geeigneten Ultraschalluntersuchungen befundet worden ist.

Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass durch derartige Untersuchungen auch die Situation hinter der vorhandenen Blutung beurteilt werden konnte. Diese Beurteilung war erforderlich, um sachgerecht zu entscheiden können, ob eine Laserbehandlung anstelle des operativen Vorgehens überhaupt in Betracht kam, und weiterhin, ob eine durchgeführte Laserkoagulation Erfolg gehabt hatte.

Die Beklagte zu 1) kann nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass im Klinikum C ebenfalls ein Ultraschall nicht gefertigt worden ist. Denn zu jenem Zeitpunkt war bereits durch den Beklagten zu 2) zutreffend eine narbige Netzhautablösung festgestellt worden, so dass die Indikation zur Operation bestanden hat, ohne dass zwingend zuvor eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt werden musste.

c.

Die Beklagte zu 1) haftet vom Umfang für die bei dem Kläger eingetretenen und gegebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Insoweit greift zu Gunsten des Klägers eine Beweislastumkehr ein.

Zum einen ist es sehr nahe liegend, dass die Behandlungsfehler der Beklagten jedenfalls in ihrer Gesamtheit den Vorwurf grober Fehlerhaftigkeit begründen. Ein grober Behandlungsfehler liegt dann vor, wenn eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen wird und dieser Fehler aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. etwa BGH NJW 2001, S.2795 [2796]).

Der Sachverständige hat vorliegend insbesondere zur Ultraschalluntersuchung dargelegt, dass es sich um eine relativ schnelles und nichtinvasives Verfahren handelt, dass entscheidende Erkenntnisse über den Zustand der Netzhaut erbringt. Er hat darüber hinaus erläutert, dass die Notwendigkeit von Ultraschalluntersuchungen bei Uneinsehbarkeit der Netzhaut und Glaskörperblutungen universitärer gelehrt wird und in jedem Lehrbuch beschrieben ist. Angesichts des Umstandes, dass vorliegend im Verlauf der Behandlung der Beklagten zu 1) zum 10.06.2009 eine Verschlechterung der Blutungssituation eingetreten war, erscheint es dem Senat auf der Basis der sachverständigen Ausführungen nicht nachvollziehbar, dass ab diesem Zeitpunkt weiterhin die Laserbehandlung fortgeführt und eine Überweisung zum Chirurgen unterlassen wurde.

Zum anderen ist eine Beweislastumkehr aber auch bei einem einfachen Befunderhebungsfehler gerechtfertigt, wenn die unterlassene Befunderhebung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einem reaktionspflichtigen Befund geführt hätte und sich die Verkennung des Befundes oder das Verhalten des Arztes auf der Basis dieses Ergebnisses als grob fehlerhaft darstellen würde (vgl. etwa BGH NJW 1996, S.1589).

Diese Voraussetzung ist von dem Sachverständigen für die Zeit ab dem 10.06.2009 zutreffend bejaht worden. Jedenfalls zum Zeitpunkt der zweiten Laserbehandlung hat nach seiner Darlegung die überwiegende Wahrscheinlichkeit bestanden, dass bei der Durchführung einer Ultraschalluntersuchung eine Netzhautablösung erkannt worden wäre. Ihre Verkennung oder die Nichtüberweisung des Klägers in die Augenchirurgie würde sich wegen des extrem hohen Erblindungsrisikos dann als grob fehlerhaft, weil aus augenfachärztlicher Sicht nicht mehr verständlich, darstellen.

Eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite wäre nur ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. etwa BGH-Urteil vom 16.11.2004 - VI ZR 328/03 -, Juris unter Rz.12).

Das ist jedoch nicht der Fall. Die später festgestellte Netzhautablösung entwickelt sich nach den Ausführungen des Sachverständigen in der Regel in einem Zeitraum von etwa 3-6 Wochen, in den die Behandlung vorliegend fällt. Es erscheint angesichts der Ungenauigkeit von Uhrzeit-Bereichsangaben auch feststehend, dass es sich bei dem im Krankenhaus C festgestellten Foramen im Bereich 10:00 Uhr um dasselbe handelt, das von der Beklagten zu 1) auf 11:00 Uhr festgestellt worden ist. Das von den Beklagten zu 2) auf 6:00 Uhr dokumentierte Loch steht dem nicht entgegen, weil ein solches Foramen sich später nicht mehr gefunden hat, so dass eine Fehldokumentation nicht ausgeschlossen ist.

Es lässt sich auch nicht feststellen, dass die Folgen auch dann eingetreten wären, wenn am 10.06.2009 eine Überweisung in die Augenklinik erfolgt wäre. Der Sachverständige hat dazu ausgeführt, dass der Kläger eine Chance auf vollständige Wiederherstellung der Sehfähigkeit gehabt hätte. Diese Entwicklung ist deshalb zumindest nicht gänzlich unwahrscheinlich.

2.

Aus denselben Erwägungen haftet auch der Beklagte zu 2) in vollem Umfang. Auf die obigen Ausführungen wird verweisen. Die Situation zurzeit seiner Behandlung entsprach derjenigen bei der Behandlung durch die Beklagte zu 1), wobei lediglich darauf hinzuweisen ist, dass mittlerweile sogar zwei erfolglose Laserkoagulationen stattgefunden hatten. Er durfte auch nicht darauf vertrauen, dass die von ihm am 17.06.2009 durchgeführte Behandlung durch periphere Laserung lege artis gewesen ist. Zwar ist davon auszugehen, dass die Laserbehandlung als solches in dem betroffenen peripheren Bereich erfolgreich war. Der Beklagte zu 2) hatte jedoch optisch nicht die Möglichkeit, das Zentrum zu begutachten, so dass ihm der erforderliche Ausschluss einer zentralen Netzhautablösung nicht möglich gewesen ist.

Eine Haftung der Beklagten ist damit jedenfalls im erkannten Umfang gegeben. Die Entscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Die dagegen gerichtete Berufung hat keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 713, 543 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.

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