OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.05.2013 - 13 E 1164/12
Fundstelle
openJur 2013, 28185
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 31. Oktober 2012 teilweise geändert.

Der Klägerin wird für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt I. aus E. zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet, soweit die Klägerin sich gegen die Defizitfeststellungen im Bescheid der Beklagten vom 26. März 2012 wendet. Im Übrigen - soweit die Klägerin die Erteilung einer Approbation als Zahnärztin begehrt - wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die in der Anlage 1 zum GKG unter Nr. 5502 bestimmte, von der Klägerin zu tragende Gebühr wird auf die Hälfte ermäßigt; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

I. Hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 Satz 1 ZPO bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst und nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits auch, dass Prozesskostenhilfe versagt werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsschutzbegehrens darf dabei nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vor zu verlagern und diese an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Schwierige, bislang nicht ausreichend geklärte Rechts- und Tatsachenfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren geklärt werden.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. August 2001 ‑ 2 BvR 569/01 -, DVBl. 2001, 1748, vom 30. Oktober 1991 - 1 BvR 1386/91 -, NJW 1992, 889 und vom 13. Juli 2005 - 1 BvR 175/05 -; OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 2012 - 18 E 1132/11 -.

Ausgehend hiervon sind hinreichende Erfolgsaussichten lediglich insoweit zu bejahen, wie die Klägerin sich mit der Anfechtungsklage gegen die Defizitfeststellungen im angefochtenen Bescheid wendet (2.). Soweit sie die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer zahnärztlichen Approbation begehrt, fehlt es hingegen an der für die Bewilligung erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage (1.).

1. Der Klägerin, welche in T. (ehm. Sowjetunion) ein Studium der Stomatologie absolviert und dieses im Jahr 1987 durch Diplom mit dem Titel "Arzt für Stomatologie" abgeschlossen hat, steht der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Approbation als Zahnärztin nach § 2 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 ZHG in der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen Fassung des Art. 33 des Gesetzes zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2515) nicht zu, weil es an der Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes fehlt. Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 Satz 2 ZHG ist der Ausbildungsstand als gleichwertig anzusehen, wenn die Ausbildung des Antragstellers keine wesentlichen Unterschiede gegenüber der Ausbildung aufweist, die in diesem Gesetz und in der Rechtsverordnung nach § 3 Abs. 1 ZHG geregelt ist. Wesentliche Unterschiede liegen u.a. vor, wenn die Ausbildung des Antragstellers sich auf Fächer bezieht, die sich wesentlich von der deutschen Ausbildung unterscheiden (§ 2 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 ZHG). Dies ist anzunehmen, wenn die Kenntnis des Faches eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung des Berufs ist (a), die Ausbildung des Antragstellers gegenüber der deutschen Ausbildung bedeutende Abweichungen hinsichtlich Dauer oder Inhalt aufweist (b) und der wesentliche Unterschied nicht durch Kenntnisse ausgeglichen wird, die der Antragsteller im Rahmen seiner ärztlichen Praxis erworben hat (c), § 2 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 Sätze 4 und 5 ZHG.

Ausgehend hiervon weist die Ausbildung der Klägerin im Vergleich zur deutschen Ausbildung einen wesentlichen Unterschied hinsichtlich des Faches Zahnersatzkunde auf.

a) Kenntnisse des Faches Zahnersatzkunde stellen eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung der Zahnheilkunde dar.

Ob Kenntnisse wesentliche Voraussetzung für die Ausübung des Berufs sind bestimmt sich danach, ob und in welchem Umfang diesbezügliche Kenntnisse nach § 2 Abs. 2 Satz 2 ZHG i.V.m. der Approbationsordnung für Zahnärzte und Art. 34 der RL 2005/36/EG in Verbindung mit Anhang V.3.5.3.1 für die Ausübung der zahnärztlichen Tätigkeit als unerlässlich erachtet werden. Nach Art. 34 RL 2005/36/EG i. V. m. Anhang V. 3. 5.3.1. C. der RL gehört die zahnärztliche Prothetik zum Ausbildungsprogramm für Zahnärzte. Über diese europarechtlichen Mindestvorgaben hinausgehend folgt aus den Regelungen in der Approbationsordnung für Zahnärzte, dass die Zahnersatzkunde einen nicht nur unerheblichen Stellenwert während des zahnmedizinischen Studiums einnimmt. So hat der Studierende im vorklinischen Teil des Studiums regelmäßig und mit Erfolg während eines Semesters an einem Phantomkurs der Zahnersatzkunde und während der vorlesungsfreien Zeit an einem weiteren Phantomkurs der Zahnersatzkunde teilzunehmen (§ 26 Abs. 4 b) ZÄPrO). In der zahnärztlichen Vorprüfung hat er im Fach Zahnersatzkunde mindestens vier Phantomarbeiten möglichst verschiedener Art auszuführen sowie in einer mündlichen Prüfung gründliche Kenntnisse der Werkstoffe und der Herstellungsmethoden des Zahnersatzes unter Berücksichtigung der Anatomie und Physiologie der Mundhöhle nachzuweisen (§ 28 Abs. 5 ZÄPrO). Während des klinischen Teils des Studiums hat er Vorlesungen und praktische Kurse der Zahnersatzkunde zu belegen (§ 36 Abs. 1 a) und c) ZÄPrO). Gemäß § 50 ZÄPrO wird die Prüfung in der Zahnersatzkunde von einem Prüfer und in der Regel an zehn Tagen abgehalten. Der Kandidat hat seine theoretischen Kenntnisse über die Planung und Ausführung von Behandlungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Zahnersatzkunde nachzuweisen und sowohl herausnehmbaren wie festsitzenden Zahnersatz anzufertigen und einzugliedern.

Soweit der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber erhebliche Kenntnisse - auch praktischer Art - fordert, ist dies mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG aus Gründen des Patientenschutzes nicht zu beanstanden. Anders als die Klägerin meint, kann sie sich nicht darauf berufen, Phantomkurse der Zahnersatzkunde seien unwesentlich, weil Zahntechniker mit der Herstellung von Zahnersatz betraut seien. Der Zahnarzt muss diesbezüglich eigene Kenntnisse schon deshalb aufweisen, um die Qualität des gefertigten Zahnersatzes sachkundig beurteilen zu können.

b) Gegenüber der deutschen Ausbildung weist die Ausbildung der Klägerin in diesem Fach wesentliche Abweichungen hinsichtlich der Dauer und des Inhalts auf.

Soweit nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Senats für die Feststellung der Gleichwertigkeit ausländischer zahnärztlicher Ausbildungen auf den Fächerkatalog nach dem Beispielstudienplan 2 der Studienreformkommission Zahnmedizin abgestellt werden kann,

vgl. Senatsbeschluss vom 14. Juli 2010 - 13 B 595/10 -, juris, Rn. 16, sowie Senatsurteil vom 11. Mai 2000 - 13 A 2563/97 -, juris, Rn. 8,

schließt dies die alternative Heranziehung des Ausbildungskatalogs einer beispielhaft ausgewählten Universität im Bundesgebiet zwecks Quantifizierung des Umfangs der gelehrten Fächer nicht aus.

Vgl. auch RdErl. des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter 232 - 0402.1/0430.2 vom 20.Juli 2012, MBl. NRW S. 592, A 2.9.1.2.

Dies gilt insbesondere dann, wenn er sich im Vergleich zum Beispielstudienplan 2 im Rahmen der Gleichwertigkeitsprüfung als günstiger erweisen sollte, da auch die Ausbildungskataloge der Universitäten in ihrer Gesamtheit den qualitativen und quantitativen Anforderungen der zahnärztlichen Ausbildung genügen müssen.

Im vorliegenden Prozesskostenhilfeverfahren bedarf es keiner Klärung, worauf die von der Klägerin aufgezeigten und vom Fächerkatalog des Beispielstudienplans 2 erheblich abweichenden Stundenzahlen basieren. Auch ausgehend von einem Vergleich mit den von der Klägerin angeführten Universitäten Köln, Düsseldorf, Bonn und Halle, weist die Ausbildung der Klägerin im Fach Zahnersatzkunde in T. im Vergleich zur Ausbildung im Bundesgebiet einen wesentlichen Unterschied auf. So entfallen ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Gegenüberstellung (Anlage B 1 zum Schriftsatz vom 14. Februar 2013) auf den Phantomkurs der Zahnersatzkunde I/II (vorklinischer Teil) in Köln 518, in Düsseldorf 560, in Bonn 518 und in Halle 518 Stunden. Hinzukommen im klinischen Teil der Ausbildung (Kurse der Zahnersatzkunde I/II) in Köln und Düsseldorf 560, in Bonn 546 und in Halle 532 Stunden. Ausweislich des Gutachtens des Prof. Dr. S. (Seite 5), der auf den Beispielstundenplan 2 zurückgegriffen hat, sind Lehrveranstaltungen im Umfang von 1.599 Stunden zu absolvieren. Hinzu kämen Prüfungszeiten für die zahnärztliche Vorprüfung im Umfang von 56 Stunden (7 Tage) und die Zahnärztliche Prüfung im Umfang von 80 Stunden (10 Tage). Zwar sind der Klägerin im Fach Orthopädische Stomatologie und Materialkunde Kenntnisse der Zahnersatzkunde vermittelt worden, dies aber allenfalls im Umfang von insgesamt 584 Stunden. Dass auch praktische Kenntnisse vermittelt wurden, ist nicht ersichtlich.

c) Die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen lassen nicht in hinreichend substantiierter Weise erkennen, dass die Defizite ganz oder teilweise durch Kenntnisse ausgeglichen werden, die die Klägerin im Rahmen ihrer zahnärztlichen Berufspraxis im Heimatland oder im Bundesgebiet erworben hat (§ 2 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 5 ZHG). Dabei können auch Kenntnisse berücksichtigt werden, die die Klägerin während ihrer Tätigkeit mit einer zahnärztlichen Berufserlaubnis im Bundesgebiet erworben hat. Die Berufserlaubnis stellt das Vorliegen der vom Gesetz geforderten zahnärztlichen Berufspraxis nicht in Frage. Soweit der Gesetzgeber eine abweichende Vorstellung gehabt haben sollte,

vgl. BT-Drs. 17/1297, S. 20 zu § 2 Abs. 2a Satz 4 ZHG a.F.,

hat dies im Gesetzeswortlaut keine Entsprechung gefunden. Auch Gründe des Patientenschutzes rechtfertigen es nicht, diese Zeiten zahnärztlicher Tätigkeit unberücksichtigt zu lassen, wenn sie einen fachlichen Bezug zu den nicht abgedeckten Sachgebieten aufweisen und deshalb geeignet sind, festgestellte Defizite zu beseitigen.

So auch RdErl. des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, a.a.O., A 2.9.1.2.

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen lässt sich allerdings auf der Grundlage der bislang von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nicht feststellen.

2. Prozesskostenhilfe ist indes zu bewilligen, soweit die Klägerin sich hilfsweise gegen den Inhalt des Bescheides der Beklagten vom 26. März 2012 wendet.

a) Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 8 ZHG in der seit dem 1. April 2012 geltenden Fassung ist dem Antragsteller über die Feststellung der wesentlichen Unterschiede spätestens vier Monate, nachdem der zuständigen Behörde alle erforderlichen Unterlagen vorliegen, ein rechtsmittelfähiger Bescheid zu erteilen. Entsprechendes galt gemäß § 2a Satz 7 ZHG a.F. für den in Satz 1 benannten Personenkreis, zu dem die Klägerin als deutsche Staatsangehörige gehört. Der Feststellungsbescheid ist grundsätzlich isoliert anfechtbar. Die Ausführungen zum Vorliegen wesentlicher Unterschiede sind nicht lediglich ein - nicht selbstständig anfechtbares - Begründungselement der Ablehnung der Approbation.

b) Dass die Anfechtung des Bescheides Gegenstand des Klageverfahrens ist, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 14. Februar 2013 ausdrücklich klargestellt. Ob die Anfechtung stets als Minus in der auf Erteilung der Approbation gerichteten Verpflichtungsklage enthalten ist und der Bescheid hinsichtlich der bescheinigten Defizite immer auch auf seine vollständige inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen ist, kann deshalb dahinstehen.

c) Für die Anfechtung eines Feststellungsbescheides besteht im Fall der Erforderlichkeit einer Defizitprüfung nach § 2a Satz 1 Nr. 1, Sätze 5 und 7 ZHG a.F., § 2 Abs. 2 Satz 7 ZHG ohne Weiteres ein Rechtsschutzbedürfnis, weil der Umfang der festgestellten Defizite den Umfang der Defizitprüfung bestimmt.

Dafür, dass ein Rechtsschutzbedürfnis auch im Falle einer hier nach § 2 Abs. 3 Satz 3 ZHG erforderlichen Kenntnisprüfung zu bejahen ist, dürfte sprechen, dass der Feststellungsbescheid in Bestandskraft erwächst. Der Gesetzeswortlaut dürfte es zudem nicht ausschließen, festgestellte Defizite auch nach Ablehnung der Approbation durch Kenntnisse auszugleichen, die der Antragsteller im Rahmen seiner beruflichen Praxis nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 Satz 5 ZHG erworben hat. Auch insoweit dürfte dem Umfang der aufgezeigten Defizite Bedeutung beigemessen werden können.

d) Hinsichtlich der materiellen Rechtmäßigkeit dürfte zweifelhaft sein, ob der Feststellungsbescheid hinreichend bestimmt ist. Ausweislich des Tenors des Bescheides hat die Klägerin eine Defizitprüfung - nach aktueller Rechtslage dürfte eine Kenntnisprüfung erforderlich sein - in den Fächern Kieferorthopädie, Werkstoffkunde, Zahn-, Mund - und Kieferkrankheiten, zahnärztliche Prothetik, Embryologie und Röntgenologie abzulegen. Ausweislich der Begründung des Bescheides werden aber auch Defizite in den präklinischen Fächern Anatomie, Physiologie und Physiologische Chemie festgestellt.

e) Ob die Klägerin sämtliche im Feststellungsbescheid ausgewiesenen Defizite aufweist, ist offen. Als unzutreffend dürfte sich jedenfalls die Annahme des Gutachters Dr. S. erweisen, in T. seien keine kieferorthopädischen Kenntnisse vermittelt worden, denn die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 4. Januar 2013 eine Bescheinigung der Staatlichen Medizinischen Akademie T. über die Inhalte des Faches Kinderstomatologie vorgelegt. Daraus geht hervor, dass wesentliche Teile der Ausbildung die Orthodontie (Kieferorthopädie) betrafen.

II. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen auch im Übrigen vor. Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO).

Die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten beruht auf § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 und 3 ZPO.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.