LG München I, Urteil vom 07.05.2009 - 7 O 12064/07
Fundstelle
openJur 2012, 100692
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie im Zeitraum 6.6.1992-12.8.2008 pharmazeutische Zubereitungen, enthaltend Ramipril und Piretanid, hergestellt, angeboten, in den Verkehr gebracht oder gebraucht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen hat, die Piretanid in einer Dosis von 6 mg enthalten haben, unter Angabe

a. der Herstellungsmengen und –zeiten,

b. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen, der Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

c. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen, und Typenbezeichnungen sowie Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;

wobei der Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer und Empfänger von Angeboten statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit gegenüber der Klägerin verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf konkrete Anfrage darüber Auskunft zu geben, ob eine bestimmte Lieferung, ein bestimmter Abnehmer, ein bestimmtes Angebot oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I. bezeichneten und im Zeitraum 6.6.1992-12.8.2008 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

V. Das Urteil ist den Ziffern I. und III. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 25.000,- vorläufig vollstreckbar.

 

BESCHLUSS

Der Streitwert wird bis zum 22.1.2009 auf € 1.000.000,- und für die Zeit danach auf € 500.000,- festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob das von der Beklagten hergestellte und vertriebene Medikament „R. 5/6 mg Tabl.“ von einem ergänzenden Schutzzertifikat der Klägerin wortsinngemäß Gebrauch gemacht hat.

Die Klägerin ist Teil des forschenden Pharmakonzerns S.

Die Beklagte ist eine Generikaherstellerin. Sie stellt her, bietet an und vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland – nach ihrem Vortrag seit dem 1.3.2007 - das Arzneimittel „R. 5/6 mg Tabl.“ (= angegriffene Ausführungsform) zur Behandlung von essentieller Hypertonie. Die Tabletten, die in Packungsgrößen von 20, 50 und 100 Stück pro Packung abgegeben werden, enthalten als Wirkstoffe 5 mg Ramipril und 6 mg Piretanid (Anlagen K 8 und K 9). Es wird eine Tagesdosis einer halben bis einer Tablette, maximal 2 Tabletten, empfohlen (vgl. Anlage B 8, S. 1).

Die Klägerin war Inhaberin des europäischen Patents 0 215 *** B 1 betreffend eine pharmazeutische Zubereitung zur Behandlung des Bluthochdrucks (Anlage K 1; = Klagepatent). Die dem Klagepatent zugrunde liegende Erfindung wurde am 29.8.1986 unter Inanspruchnahme der deutschen Prioritätsanmeldung DE 3532*** vom 9.9.1985 angemeldet. Die Patentanmeldung wurde am 25.3.1987 offen gelegt. Die Veröffentlichung des Hinweises auf die Patenterteilung erfolgte am 6.5.1992. Der Schutz des Klagepatents ist am 29.8.2006 ausgelaufen (vgl. Registerauszug gem. Anlage K 2). Die Klägerin war weiter Inhaberin eines das Klagepatent ergänzenden Schutzzertifikats für die Wirkstoffzusammensetzung Ramipril und Piretanid mit der Nr. 194 75 ***.7-41, das am 2.6.1998 erteilt wurde und am 12.8.2008 ausgelaufen ist (Anlagen K 3 und K 4). Diesem Zertifikat liegt das von der Klägerin selbst vertriebene Bluthochdruck-Arzneimittel „A.“ mit der Zusammensetzung 5 mg Ramipril und 6 mg Piretanid zugrunde. Mit Schriftsatz vom 15.10.2007 (Anlage B 17) haben die Beklagte sowie die Fa. H. AG Nichtigkeitsklage gegen dieses Schutzzertifikat erhoben (Az. 3 Ni 49/07; Anlage B 17).

Anspruch 1 des Klagepatents, dessen Verfahrenssprache Deutsch war, hatte folgenden Wortlaut:

„Pharmazeutische Zubereitung, enthaltend

a. einen Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitor oder dessen physiologisch verträgliches Salz und

b. ein Schleifendiuretikum oder dessen physiologisch verträgliches Salz,

dadurch gekennzeichnet, dass sie das Schleifendiuretikum der Formel (II) oder (II’) in einer subdiuretischen Dosis enthält,

und dass sie einen Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitor der Formel (III) oder (IV) enthält

in welcher R Wasserstoff, Methtyl, Ethyl oder Benzyl bedeutet, oder

in welcher R4 Wasserstoff, (C1-C4)-Alkyl oder Benzyl bedeutet.

Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform habe das Schutzzertifikat verletzt, insbesondere werde in der dortigen Zubereitung auch das Schleifendiuretikum Piretanid in einer subdiuretischen Dosis im Sinne des Klagepatents verwendet.

Mit Schriftsatz vom 6.1.2009 (Bl. 108) hat die Klägerin den mit dem Klageantrag I.1 geltend gemachten Unterlassungsanspruch und den mit Klageantrag I.3 geltend gemachten Vernichtungsanspruch für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich der Erledigterklärung angeschlossen (Prot. S. 2). Im selben Schriftsatz präzisierte die Klägerin die weiter verfolgten Anträge dahingehend, dass nur Handlungen der Beklagten im Zeitraum 6.6.1992 bis 12.8.2008 erfasst werden.

Die Klägerin beantragt noch:

I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie im Zeitraum 6.6.1992-12.8.2008 pharmazeutische Zubereitungen, enthaltend Ramipril und Piretanid, hergestellt, angeboten, in den Verkehr gebracht oder gebraucht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen hat, die Piretanid in einer subdiuretischen Dosis von 6 mg enthalten haben, unter Angabe

a. der Herstellungsmengen und –zeiten,

b. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen, der Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

c. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen, und Typenbezeichnungen sowie Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. bezeichneten und im Zeitraum 6.6.1992-12.8.2008 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.

Die Beklagte beantragt,

I. die Klage abzuweisen.

II. hilfsweise, das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens gegen das ergänzende Schutzzertifikat auszusetzen.

III. weiter hilfsweise der Beklagten für den Fall der Verurteilung zur Rechnungslegung nach ihrer Wahl vorzubehalten, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer und Empfänger von Angeboten statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit gegenüber der Klägerin verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf konkrete Anfrage darüber Auskunft zu geben, ob eine bestimmte Lieferung, ein bestimmter Abnehmer, ein bestimmtes Angebot oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;

Die Beklagte stellt die Verletzung des Schutzzertifikats in Abrede. Das Schleifendiuretikum sei in der angegriffenen Ausführungsform nicht in einer subdiuretischen Menge enthalten. Vielmehr entfalte eine Dosierung von 6 mg Piretanid eine erhebliche diuretische Wirkung. Unter den Schutzanspruch falle aber nur eine Zubereitung, die Piretanid in einer Dosis enthalte, die keinerlei diuretische Wirkung entfalte.

Das Schutzzertifikat sei im Übrigen auch nicht rechtsbeständig, denn das Arzneimittel „A.“ der Klägerin, das ebenfalls 6 mg Piretanid enthalte, falle nicht unter den Schutz des Klagepatents. Ferner sei das Grundpatent nichtig, da nicht ausführbar. Schließlich sei das Grundpatent nichtig mangels erfinderischem Schritt im Hinblick auf die zum Prioritätszeitpunkt bereits auf dem Markt erhältlichen Medikamente sowie die Entgegenhaltung NIK 9 (EP 0 079 022).

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 22.1.2009 (Bl. 119/122) verwiesen.

Gründe

Die Klage hat in vollem Umfang Erfolg.

Die angegriffene Ausführungsform machte vom ergänzenden Schutzzertifikat der Klägerin wortsinngemäßen Gebrauch. Eine Aussetzung des Verfahrens wegen der anhängigen Nichtigkeitsklage gegen das Schutzzertifikat war nicht veranlasst.

A.

Das Klagepatent

I. Das Klagepatent schützte eine pharmazeutische Zubereitung zur Behandlung von Bluthochdruck. In der Beschreibung des Klagepatents wird ausgeführt, dass bei Patienten mit krankhaftem Bluthochdruck eine Senkung des Bluthochdrucks erreicht werden könne durch die Verabreichung von sog. ACE-Inhibitoren, d.h. Hemmstoffen der Angiotensin-Converting-Enzyme. Allerdings spreche ein bestimmter Prozentsatz der Bluthochdruckpatienten auf diese Stoffe nicht an.

Weiter sei bekannt, dass die antihypertensive Wirkung der ACE-Inhibitoren Enalapril oder Captopril durch den Zusatz diuretisch wirksamer Mengen eines Diuretikums vom Thiazid-Typ oder analoger Verbindungen verstärkt werde. Dabei ist ein Diuretikum ein Wirkstoff, der die Ausschwemmung von Wasser aus dem menschlichen Körper bewirkt. Das Klagepatent setzt sich – ohne dies ausdrücklich zu formulieren – vor diesem Hintergrund das Ziel, ein wirksames blutdrucksenkendes Mittel vorzusehen.

Dies soll durch den Patentanspruch 1 erreicht werden, der folgende Merkmale aufweist:

1. Pharmazeutische Zubereitung, enthaltend

1.1 einen Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitor oder dessen physiologisch verträgliches Salz und

1.2 ein Schleifendiuretikum oder dessen physiologisch verträgliches Salz,

2. Die pharmazeutische Zubereitung ist dadurch gekennzeichnet, dass

2.1 sie das Schleifendiuretikum der Formel (II) oder (II’) in einer subdiuretischen Dosis enthält,

2.2 und dass sie einen Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitor der Formel (III) oder (IV) enthält

in welcher R Wasserstoff, Methtyl, Ethyl oder Benzyl bedeutet, oder

in welcher R4 Wasserstoff, (C1-C4)-Alkyl oder Benzyl bedeutet.

Als eine bevorzugte Ausführungsform beschreibt das Klagepatent u.a. eine Zubereitung, die den ACE-Inhibitor Ramipril gemäß der Formel (III) und das Schleifendiuretikum Piretanid gemäß der Formel (II) enthält (Anlage K 1, S.3, Z. 33 ff., S. 2, Z. 39).

II. Der Schutzbereich eines Schutzzertifikats ist anhand des Grundpatents und über § 16 Abs. 2 PatG nach Maßgabe von § 14 PatG/Art. 69 Abs. 1 EPÜ zu bestimmen, wobei das Grundpatent so zu lesen ist, als ob darin nur der im Zertifikat bezeichnete Wirkstoff angegeben wäre (Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., 2003, Anh § 16a Rdn. 59). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Verordnung 1768/92. Dort ist klargestellt, dass sich der Schutz des Zertifikats „in den Grenzen des durch das Grundpatent gewährten Schutzes“ auf das Erzeugnis erstreckt, das von der Genehmigung für das Inverkehrbringen des entsprechenden Arzneimittels erfasst wird. Bei der Prüfung, ob eine Ausführungsform ein Schutzzertifikat verletzt, muss daher nicht nur überprüft werden, ob das angegriffene Erzeugnis in den Schutzbereich des Zertifikats fällt, sondern zusätzlich, ob sich das angegriffene Erzeugnis auch im Schutzbereich des Grundpatents hält (BGH GRUR 1998, 363, 366 – Idarubucin).

Der Schutzbereich eines europäischen Patents wird gem. Art. 69 Abs. 1 EPÜ durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt, zu deren Auslegung die Beschreibung - zur der auch die in der Beschreibung genannten Druckschriften des Stands der Technik gehören, soweit auf sie zur Ergänzung der Patentbeschreibung Bezug genommen wird (vgl. BGH GRUR 2007, 410, 414 - Kettenradanordnung; Mitt. 1999, 365, 367 - Sammelförderer) - und die Zeichnungen heranzuziehen sind. Dabei fordert es das gleichgewichtig neben dem Gesichtspunkt eines angemessenen Schutzes der erfinderischen Leistung stehende Gebot der Rechtssicherheit, dass der durch Auslegung zu ermittelnde Sinngehalt der Patentansprüche nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs bildet; diese hat sich an den Patentansprüchen auszurichten (BGH GRUR 2007, 1059, 1062 – Zerfallszeitmessgerät; 2002, 511, 512 – Kunststoffrohrteil; BGH GRUR 2002, 515 - Schneidmesser I; GRUR 1989, 205 - Schwermetalloxidationskatalysator; GRUR 1989, 903, 904 - Batteriekastenschnur; GRUR 1993, 886, 889 - Weichvorrichtung I).

Dabei gilt ferner der Grundsatz, dass die Merkmale eines Patentanspruchs nicht für sich stehen, sondern im Zusammenhang des gesamten Anspruchs zu verstehen sind und die Beschreibung zur Ermittlung dieses Sinnzusammenhangs heranzuziehen ist (BGH GRUR 2007, 410, 413 – Kettenradanordnung; 2002, 515 - Schneidmesser I; GRUR 2004, 845 - Drehzahlermittlung; GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube). Feststellungen zum Inhalt einzelner Merkmale dienen stets nur dazu, schrittweise den allein maßgeblichen Wortsinn des Patentanspruchs als einer Einheit zu ermitteln (BGH GRUR 2007, 311, 312 - Baumschneideabdeckung; GRUR 2004, 845 - Drehzahlermittlung).

Begriffe in den Patentansprüche sind dabei so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit (BGH GRUR 2204, 845, 846 - Drehzahlermittlung; GRUR 1988, 896 - Ionenanalyse; GRUR 2002, 515 - Schneidmesser I; GRUR 2000, 1005, 1006 - Bratgeschirr) unter Berücksichtigung der in der Patentschrift objektiv offenbarten Lösung versteht (BGH GRUR 2001, 232, 233 – Brieflocher). Bei ihrer Auslegung ist nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bestimmung der in der Patentschrift verwendeten Begriffe entscheidend, sondern das Verständnis des unbefangenen Fachmanns (BGH GRUR 1999, 909 – Spannschraube; GRUR 2002, 523, 525 Custodiol I; Mitt. 2002, 176, 178 – Gegensprechanlage). Weicht danach eine Begriffsbildung in der Patentschrift von der Fachsprache ab, so ist nicht diese, sondern der sich aus den Ansprüchen und der Beschreibung ergebende Begriffsinhalt maßgebend (BGH GRUR 2005, 754 – Knickschutz; GRUR 1999, 909, 911 - Spannschraube; BGH GRUR 1988, 896 - Ionenanalyse; BGH GRUR 1991, 447 - Autowaschvorrichtung; BGH GRUR 2002, 515 - Schneidmesser I). Hierbei ist zunächst auf den Offenbarungsgehalt der Schutzansprüche und ergänzend - im Sinne einer Auslegungshilfe – auf den Offenbarungsgehalt der Beschreibung, zurückzugreifen, soweit dieser Niederschlag in den Ansprüchen gefunden hat (BGH, GRUR 1999, 909, 911 – Spannschraube; GRUR 1984, 425, 426 – Bierklärmittel)

III. Unter Anwendung dieser Grundsätze versteht der angesprochene Durchschnittsfachmann – nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Parteien ein Fachmann auf dem Gebiet der Pharmazie, der auch über galenische Kenntnisse auf dem Gebiet der Formulierung von Arzneimitteln verfügt (Prot. S. 2) - unter dem allein strittigen Merkmal 2.1 „subdiuretische Dosis eines Schleifendiuretikums“ eine Dosis, die jedenfalls keine volle diuretische Wirkung entfaltet, vorzugsweise eine Dosis, die weit unterhalb des ED50-Wertes liegt:

1. Im Stand der Technik war bekannt, dass die antihypertensitive Wirkung von ACE-Inhibitoren wie Enalapril oder Captopril durch den Zusatz diuretuisch wirksamer Mengen eines Diuretikums verstärkt werden kann (Klagepatent S. 2 Z. 7-8). Als überraschend wird dargestellt, dass ACE-Inhibitoren in Kombination mit Schleifendiuretika in niederer Dosierung blutdrucksenkend wirksam sind (Klagepatent S. 2 Z. 16-17). Gemeint damit ist die Kombination eines ACE-Inhibitors in einer niedrigeren Dosierung als bisher mit einem Schleifendiuretikum, wie sich aus der Beschreibung des Versuchs an der spontan hypertonen Ratte (Klagepatent S. 3 Z. 37-48) zeigt. Der Vorteil der erfindungsgemäßen Zubereitung ist somit eine Überlegenheit im Vergleich zu den Einzelkomponenten bei der Behandlung des Bluthochdrucks. Denn durch die Kombination beider Komponenten ist es möglich, den ACE-Inhibitor niedriger zu dosieren und damit eventuelle toxikologische Probleme zu verringern. Bei einer bevorzugten Ausführungsform wird das Schleifendiuretikum ebenfalls niedriger als bisher dosiert (Klagepatent S. 3 Z. 46-48). Dies ist zur Erreichung des erstrebten Ziels, der Verringerung der Dosis des ACE-Inhibitors, aber nicht zwingend notwendig (vgl. Klagepatent S. 4 Z. 29-31 „so genügt … schon eine Dosis“). Denn die erfindungsgemäße Wirkung tritt auch bei einer Kombination einer niedrigeren Dosis des ACE-Inhibitors mit einer herkömmlichen (hohen) Dosis eines Schleifendiuretikums ein (Klagepatent S. 5, Experiment gem. Beispiel 1).

2. Ausgehend von dieser technischen Lehre stellt Anspruch 1 eine pharmazeutische Zubereitung bereit, die einen Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitor (= ACE-Hemmer) oder dessen physiologisch verträgliches Salz und ein Schleifendiuretikum oder dessen physiologisch verträgliches Salz enthält, wobei das Schleifendiuretikum der Formel (II) oder (II’) in einer subdiuretischen Dosis enthalten ist.

a. Der Begriff „subdiuretischen Dosis“ war zum Prioritätszeitpunkt in der pharmazeutischen Fachsprache unstreitig nicht bekannt. Der angesprochene Fachmann wird daher die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele der Patentschrift heranziehen, um zu ermitteln, was das Patent unter „subdiuretisch“ versteht. Die Heranziehung der Vorgänge im Erteilungsverfahren, wie von der Beklagten gewünscht, ist hingegen unzulässig (vgl. BGH GRUR 2002, 511 – Kunststoffrohrteil; GRUR 1992, 40 – beheizbarer Atemluftschlauch).

b. In der Klagepatentschrift finden sich gerade in diesem streitentscheidenden Punkt widersprüchliche Ausführungen:

-Die erste Erwähnung des Begriffs „subdiuretisch“ findet sich auf Seite 3 Zeile 42 der Beschreibung. Dort wird ausgeführt, dass an der spontan hypertonen Ratte bereits die Kombination von Dosen eines ACE-Inhibitors wie Ramipril in einer Dosierung, die allein keine blutdrucksenkende Wirkung habe, mit einer Dosis eines Schleifendiuretikums wie Piretanid, die alleine keine diuretische Wirkung (subdiuretische Dosis) habe, zu einer Blutdrucksenkung führe.Durch den Klammerzusatz wird dem Fachmann im Wege einer Art Definition veranschaulicht, dass in Übereinstimmung mit dem üblichen Verständnis der beiden Wortbestandteile („sub“, „diuretisch“) eine „subdiuretische Dosis“ eines Diuretikums eine Dosis ist, die alleine keine diuretische Wirkung entfaltet.

-Im gewissen Gegensatz hierzu wird der Fachmann auf Seite 4 Zeilen 27-31 der Beschreibung darüber belehrt, dass die Dosen des ACE-Inhibitors und des Schleifendiuretikums in den erfindungsgemäßen Zubereitungen und Erzeugnissen vorzugsweise jeweils so zu wählen seien, dass der ACE-Inhibitor und/oder das Schleifendiuretikum für sich allein noch keine oder keine volle Wirkung zeige/zeigten. So genüge bei den Schleifendiuretika schon eine Dosis, die weit unterhalb des ED50-Wertes, etwa bei seiner diuretischen Schwellendosis liege.Bei der erfindungsgemäßen Anwendung bei Menschen bewegten sich die Dosen des Schleifendiuretikums im Bereich von 0,2 bis 25 mg/kg/Tag (Klagepatent S. 4 Z. 35-37).

Dem Fachmann wird hierdurch veranschaulicht, dass das Klagepatent unter dem Begriff einer subdiuretischen Dosis eines Schleifendiuretikums eine Dosierung versteht, die so gewählt ist, dass sie keine oder keine volle Wirkung entfaltet.

c. Diesen Widerspruch wird der Fachmann dahingehend auflösen, dass er die erste „Definition“ nur als mögliches Beispiel einer „subdiuretischen Dosis“ im Sinne der zweite „Definition“ versteht:

Vorliegend geht es um die Ermittlung des Wortsinns wobei die Bedeutung eines einzelnen Merkmals stets den Gesamtzusammenhang des Anspruchs in den Blick zu nehmen hat (BGH GRUR 2004, 845 – Drehzahlermittlung). Ferner ist nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung der Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung der in ihr offenbarten Lösung zu berücksichtigen (BGH GRUR 2001, 232, 233 – Brieflocher). Hiernach gilt folgendes:

Durch die Kombination der Wirkstoffe Ramipril und Piretanid, auf die sich das ergänzende Schutzzertifikat bezieht, wird eine blutdrucksenkende Wirkung erzielt, wobei der Vorteil gegenüber den vorbekannten Zubereitungen darin besteht, dass ACE-Inhibitoren (hier: Ramipril) bereits bei niedriger Dosis blutdrucksenkend wirksam sind, wenn sie mit Schleifendiuretika (hier: Piretanid der Formel II) kombiniert werden. Zum Stand der Technik zählten bereits blutdrucksenkende Mittel, deren blutdrucksenkende Wirkung durch die Kombination mit einem Diuretikum verstärkt wurde. Dabei wurde das Diuretikum zur Erzielung der verstärkenden Wirkung in diuretisch wirksamen Mengen verwendet. Die entscheidende Erkenntnis (Anlage K 1 S. 2, Z. 16 f.) bezieht sich daher nicht auf den Einsatz von Diuretika [bzw. von Piretanid], sondern auf die synergetische Wirkung (Anlage K 1 Sp. 3, Z. 36 ff.) bei der Kombination. Der „überraschende Effekt“ liegt darin, dass ACE-Inhibitoren „in niederer Dosierung blutdrucksenkend wirksam sind“. Aufgabe der Erfindung ist es demnach, eine Zubereitung für ein blutdrucksenkendes Mittel bereitzustellen, bei dem eine geringe Dosis des ACE-Hemmers ausreichend ist und damit die Nebenwirkungen der Einzelkomponenten, auch die des Schleifendiuretikums (Anlage K 1 S. 3 Z. 46-48), verringert werden.

Der Fachmann hat vor diesem Hintergrund keine Veranlassung, wie dies die Beklagte geltend macht, die Ausführungen auf Seite 3, Z. 39 ff. der Beschreibung als abschließende Definition zu verstehen. Denn insbesondere im Hinblick auf die Aufgabenstellung besteht für ihn kein Grund, den weiteren Inhalt der Beschreibung als unmaßgeblich oder gar falsch einzustufen. Aus der Beschreibung (S. 3, Z. 39 ff.) erschließt sich ihm, dass das Schleifendiuretikum wie Piretanid in einer so geringen Dosis, die allein keine diuretische Wirkung hat, eingesetzt werden kann. Dies wird auf S. 4, Z. 28 ff. insoweit gestützt, als eine Menge an Schleifendiuretikum als ausreichend angegeben wird, die für sich alleine noch keine Wirkung zeigen würde. Demgegenüber wird aber auch eine Dosis als geeignet bezeichnet, die alleine keine volle diuretische Wirkung zeigen würde, denn es genügt eine Dosis, die weit unterhalb des ED50-Wertes, also desjenigen Wertes, bei dem der Wirkstoff die Hälfte der maximalen Wirksamkeit entfalte, liegt (vgl. auch LG Düsseldorf, Urt. v. 15.5.2007, S. 10 oben und S. 11, 3. Abs. = Anlage B 1).

Das Beispiel 6 (Klagepatent S. 7) zeigt dem Fachmann darüber hinaus, dass eine Kombination von 0,5 mg Ramipril und 5 mg des Schleifendiuretikums Piretanid eine bevorzugte Ausführungsform der Erfindung ist. Bei der Einbeziehung des Ausführungsbeispiels bei der Ermittlung des Wortsinns des Patentanspruchs („subdiuretisch“) handelt es sich auch nicht um eine unzulässige Ausdehnung (vgl. BGH aaO – bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe; jeweils einschränkende Auslegung anhand eines Ausführungsbeispiels), sondern um die gebotene Berücksichtigung der Beschreibung zur Ermittlung des Wortsinns eines sich aus dem Wortlaut nicht erschließenden Begriffs.

Die Dosierungsangabe auf Seite 4 Zeilen 37 ff. der Beschreibung für ein unbenanntes Schleifendiuretikum von 0,2 bis 25 mg/kg/Tag für eine Anwendung beim Menschen, die bei einem durchschnittlichen Menschen mit z.B. 75 kg Gewicht eine Tagesdosis zwischen 15 und 1875 mg ergeben würde, wird der Fachmann aufgrund seiner Fachkenntnisse nicht unbesehen auf Piretanid anwenden, da er erkennen wird, dass sich die Beschreibung nicht auf ein konkretes Schleifendiuretikum bezieht und da er weiß, dass das Schleifendiuretikum Piretanid wesentlicher potenter ist als das Schleifendiuretikum Furosemid.

Der Fachmann wird stets bestrebt sein, die Patentschrift in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen (Busse/Keukenschrijver aaO § 14 Rdn. 43). In der Zusammenschau wird der Fachmann demnach erkennen, dass die „Definition“ des Begriffs „subdiuretisch“ auf Seite 3 Zeile 42 nicht das abschließende Verständnis des Patents von diesem Begriff offenbart. Denn andernfalls würde die bevorzugte Ausführungsform nicht unter den Patentanspruch fallen. Ferner wird der Fachmann in Erwägung ziehen, dass zur Erzielung der patentgemäßen Wirkung, der Möglichkeit der Reduzierung der Dosis des ACE-Inhibitors, die Zugabe eines Schleifendiuretikums in irgendeiner Dosis, also auch in einer diuretisch wirksamen Dosis, ausreichend ist. Denn die Beschreibung berichtet auf Seite 4 Zeilen 29-30 davon, dass beim Schleifendiuretikum bereits eine Dosis zur Erzielung der patentgemäßen Wirkung genügt, die weit unterhalb des ED50-Wertes liegt. Der Fachmann wird daher auf naheliegende Weise ohne komplizierte Erwägungen den Begriff „subdiuretische Dosis“ anhand der zweiten „Definition“ auf Seite 4 Zeilen 27-31 so verstehen, dass eine Dosis gemeint ist, die jedenfalls keine volle diuretische Wirkung entfaltet.

Zum selben Ergebnis kommt auch das von der Klägerin vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. U. (Anlage K 13), das sich zwar nicht ausdrücklich mit der Bedeutung der Beschreibung S. 3, Z. 39 ff. auseinandersetzt, aber unter Würdigung der Beschreibung S. 4, Z. 27 ff. zu der Beurteilung gelangt, dass unter „subdiuretisch“ eine Dosis zu verstehen ist, die meist unter seiner vollen diuretischen Potenz liegt (Anlage K 13, S. 3).

Das von der Beklagten vorgelegte Privatgutachten (Anlage B 11) von Prof. Dr. Dr. E., steht dem nicht entgegen, da darin vorrangig auf die „Definition“ S. 3, Z. 39 ff. abstellt wird, was, wie gezeigt, nicht sachgerecht ist.

B.

Patentverletzung

I. Das angegriffene Erzeugnis enthält unstreitig 6 mg Piretanid. Auch bei Verabreichung der Maximaldosis gem. Anlage B 8 von 2 Tabletten pro Tag liegt die Tagesdosis mit 12 mg unter der Dosis für die maximale diuretische Wirksamkeit, die jedenfalls jenseits von 18 mg/Tag liegt.

Zur genauen Bestimmung des Dosierungsbereiches des Schleifendiuretikums aufgrund des hier gewonnenen Auslegungsergebnisses wird der Fachmann auf sein allgemeines Fachwissen sowie die Beschreibung zurückgreifen. Nach dem unstreitigen Vortrag beider Parteien entfaltet z.B. das Schleifendiuretikum Piretanid bei alleiniger Anwendung beim Menschen bei einer Dosis von 6 mg/Tag eine gewisse diuretische Wirkung, wovon auch das von der Beklagten vorgelegte Privatgutachten (Anlage B 11) von Prof. Dr. Dr. E. ausgeht. Eine Dosis von z.B. 18 mg/Tag entfaltet eine größere diuretische Wirkung (vgl. Parteigutachten der Beklagte gem. Anlage B 11 S. 4 Abs. 3). Eine Dosierung von 6-12 mg Piretanid pro Tag wird der Fachmann daher als nicht voll-diuretisch wirksam und demnach als subdiuretisch im Sinne des Anspruchs 1 ansehen. Der Fachmann wird daher – auch im Hinblick auf das Beispiel 6 - zur Herstellung einer erfindungsgemäßen Zubereitung eine Dosierung wählen, die unter dem Maximalwert der vollen diuretischen Wirksamkeit liegt. Dies ist bei einem durchschnittlichen Menschen jedenfalls bei weniger als 18 mg Piretanid pro Tag der Fall.

Mithin ist diese Dosis als subdiuretische Dosis im Sinne des Klagepatents anzusehen. Die angegriffene Ausführungsform machte mithin von Anspruch 1 des Klagepatents unmittelbaren wortsinngemäßen Gebrauch. Ferner unterfiel die angegriffene Ausführungsform auch dem ergänzenden Schutzzertifikat, da sie dieselbe Wirkstoffzusammensetzung aufweist, wie das Medikament der Klägerin, das der Erteilung des Schutzzertifikats zugrund lag.

II. Der Klägerin stehen daher die geltend gemachten Ansprüche auf Auskunft und Schadensersatzfeststellung gem. §§ 16a Abs. 2, 139 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 PatG i.V.m. Art. 4, 5 der Verordnung Nr. 1768/92 des Rates vom 18.6.1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel bzw. gem. § 242 BGB zu.

III. Der Beklagten war jedoch ein Wirtschaftsprüfervorbehalt gem. ihrem Hilfsantrag einzuräumen:

1. Die Einräumung des Wirtschaftsprüfervorbehalts setzt eine Abwägung der beiderseitigen Interessen voraus (vgl. BGH, LM § 242 BGB Nr. 75 = GRUR 1981, 535 - Wirtschaftsprüfervorbehalt), wobei sich das schutzwürdige Interesse der auskunftspflichtigen Partei bereits aus einer zwischen den Parteien unmittelbar bestehen Wettbewerbssituation ergeben kann (vgl. Benkard, PatG, 10. Aufl., § 139 Rdn. 89 c; OLG Düsseldorf InstEG 3, 176, 179; Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., § 139 Rdn. 148-150).

2. Diese Voraussetzungen liegen auch hier vor. Die Parteien sind unmittelbare Wettbewerber. Die Klägerin hat sich zum Wirtschaftsprüfervorbehalt nicht geäußert, insbesondere hat sie keine Gründen dafür vorgetragen, warum ihr Interesse an einer direkten Auskunft überwiegt.

C.

Aussetzung

Eine Aussetzung des Verfahrens gem. § 148 ZPO bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens gegen das ergänzende Schutzzertifikat ist nicht veranlasst, da keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass diese Nichtigkeitsklage Erfolg haben wird.

I. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO kommt nur dann in Betracht, wenn das Klagepatent mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht rechtsbeständig ist. Diese hohe Wahrscheinlichkeit besteht nur dann, wenn das Klagepatent im Stand der Technik neuheitsschädlich vorweggenommen oder die Erfindungshöhe angesichts des vorliegenden Standes der Technik so fragwürdig geworden ist, dass sich ein vernünftiges Argument für die Zuerkennung der Erfindungshöhe nicht finden lässt. Bloße Zweifel des Verletzungsgerichts an der Erfindungshöhe können hingegen eine Aussetzung nicht rechtfertigen. Außerdem muss der dem Verletzungsgericht vorgelegte Stand der Technik dem Klagepatent näher stehen, als der im Patenterteilungsverfahren bereits berücksichtigte Stand der Technik (OLG Düsseldorf, NJOZ 2008, 2831, 2835 – Brandschutzvorrichtung; Mitt. 1997, 257 – Steinknacker;

Auch bei Vorliegen eines vorläufig vollstreckbaren erstinstanzlichen Urteils zu Gunsten des Patentinhabers kommt eine Aussetzung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz im Hinblick auf einen gegen das Klagepatent anhängigen Einspruch oder eine Nichtigkeitsklage nur dann in Betracht, wenn die Vernichtung des Klagepatents nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich ist (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2007, 259 Thermocycler). Für den hier vorliegenden Fall des Erlöschens des Schutzrechts vor Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz gilt dies ebenso, auch wenn das Klagebegehren nur noch auf Auskunft und Schadensersatz und nicht mehr auf Unterlassung gerichtet ist.

II. Die Beklagte stützt ihre Nichtigkeitsklage auf die nachfolgenden Nichtigkeitsgründe:

Das dem ergänzenden Schutzzertifikat zugrundeliegende Medikament der Klägerin falle nicht in den Schutzbereich des Grundpatents (1). Ferner sei das Grundpatent nichtig, da nicht ausführbar (2). Schließlich sei das Grundpatent nichtig mangels erfinderischem Schritt im Hinblick auf die Entgegenhaltung NIK 9 (EP 0 079 ***), die zum Prioritätszeitpunkt bereits auf dem Markt erhältlichen Medikamente (3) sowie (4) die erst im Termin vorgelegten Druckschrift US 4,217, *** (Anlage B 18). Schließlich sei die Erfindung aus dem Stand der Technik nahegelegt (5).

Keiner dieser Gründe rechtfertig eine Aussetzung:

1. Das Medikament der Klägerin fällt, ebenso wie die angegriffene Ausführungsform, unter das Grundpatent. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.

2. Das Patent ist auch ausführbar, da der Fachmann nach der oben gefundenen Auslegung die subdiuretische Dosis so wählen wird, dass die volle diuretische Wirkung nicht erreicht wird, d.h. dass noch eine Steigerung nachweisbar ist (vgl. Anlage K 12, S. 9).

3. Zur Erfindungshöhe gilt Folgendes:

Das Verletzungsgericht hat ein erteiltes Patent, dessen Erfindungshöhe von den dazu berufenen Stellen bejaht worden ist, grundsätzlich zu beachten; bloße Zweifel an der Erfindungshöhe können eine Aussetzung nicht rechtfertigen (OLG Düsseldorf NJOZ 2008, 2831, 2835 – Brandschutzvorrichtung).

Die von der Beklagten herangezogenen Medikamente, die bereits im Prioritätszeitpunkt bekannt waren, waren sicher auch dem fachkundigen Prüfer bekannt. Auch die Entgegenhaltung NIK 9 lag im Erteilungsverfahren bereits vor, was sich bereits aus der Erwähnung dieser Patentanmeldung auf Seite 2 Zeile 52 der Beschreibung ergibt.

Unabhängig hiervon offenbart die NIK 9 auf Seite 7 der Beschreibung dem Fachmann lediglich, dass eine Kombination des ACE-Hemmers mit anderen blutdrucksenkenden, gefäßerweiternden oder diuretisch wirksamen Verbindungen möglich sei und dass eine Herabsetzung der Dosis des ACE-Hemmers dann angebracht sei, wenn gleichzeitig ein Diuretikum verabreicht werde. Dies zielt ganz offensichtlich auf die Vermeidung einer Überdosierung des ACE-Hemmers ab.

Nicht offenbart wird hingegen die Erkenntnis des Klagepatents, dass durch die Zugabe eines Diuretikums aufgrund des einsetzenden Synergieeffekts die Dosis des ACE-Hemmers bewusst so weit abgesenkt werden kann, dass der ACE-Hemmer alleine keine blutdrucksenkende Wirkung mehr haben würde.

4. Die US 4,217,*** (Anlage B 18) hat bereits im Erteilungsverfahren als Stand der Technik vorgelegen; sie ist auf Seite 1 des Klagepatents als Entgegenhaltung zitiert. Auf die obigen Ausführungen zum Stand der Technik kann daher verwiesen werden.

5. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Beurteilung des Europäischen Patentsamtes, dass die Erfindung nicht aus dem Stadt der Technik nahegelegt war, sind nicht ersichtlich.

D.

Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91a, 91 Abs. 1 ZPO. Soweit die Klägerin den Unterlassungs- und Vernichtungsantrag im Termin – mit Zustimmung der Beklagten – für erledigt erklärt hat, waren die Kosten ebenfalls der Beklagten aufzuerlegen, denn der Klägerin haben diese Ansprüche im Zeitpunkt der Erledigung aus den oben genannten Gründen ebenfalls zugestanden.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 3, 5 ZPO; §§ 39 Abs. 1, 51 GKG.

Für die Zeit nach der Erledigterklärung war der Streitwert zu halbieren.

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