OLG Hamm, Beschluss vom 17.05.2011 - I-28 U 60/10
Fundstelle
openJur 2012, 80010
  • Rkr:

Übernimmt die mit Prozesskostenhilfe prozessierende Partei in einem gerichtlichen Vergleich die Gerichtskosten, kann sie den Prozessvergleich später nicht wegen Irrtums anfechten, wenn sie dem Prozessgegner Gerichtskosten zu erstatten hat, die dieser verauslagt hat.

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Fortsetzung des Berufungsverfahrens wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Klägerin hat Minderung des Kaufpreises für ein gebrauchtes Wohnmobil verlangt. Die Klage hatte in erster Instanz in Höhe von 2.199,91 € Erfolg. Zur Abwehr der von der Beklagten eingelegten und von ihrer Streithelferin begründeten Berufung hat der Senat der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt. Im Senatstermin vom 28. Oktober 2010 schlossen die Parteien sowie die Streithelferin der Beklagten einen Prozessvergleich, wonach sich die Parteien darüber einig waren, dass keine wechselseitigen Ansprüche bestehen. Die Beklagte und ihre Streithelferin verzichteten auf Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten. Die Kosten des Vergleichs trugen jede Partei und die Streithelferin der Beklagten selbst. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits sollte vereinbarungsgemäß die Klägerin tragen (Nr. 3c der Vergleichsvereinbarung).

Wegen der Gerichtskosten nahm die Oberjustizkasse die Beklagte durch Rechnung vom 17. November 2010 als Zweitschuldnerin in Anspruch. Die Beklagte entrichtete die Gerichtskosten und stellte deshalb am 10. Dezember 2010 einen Kostenfestsetzungsantrag gegen die Klägerin. Mit Verfügung vom 20. Dezember 2010 gab der Rechtspfleger den Kostenfestsetzungsantrag den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Kenntnis. Diese beantragten mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2010 urlaubsbedingt eine Stellungnahmefrist bis zum 11. Januar 2011 (Bl. 553 d.A.). Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2011 bat die Sachbearbeiterin krankheitsbedingt um eine weitere Fristverlängerung bis zum 18. Januar 2011 (Bl. 555 d.A.). Am 18. Januar 2011 stellten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin einen auf Erstattung außergerichtlicher Kosten gerichteten Kostenausgleichungsantrag, den sie später zurücknahmen.

Durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. Februar 2011 setzte der Rechtspfleger gegen die Klägerin unter anderem 3.545,16 € Gerichtskosten fest, im Wesentlichen Sachverständigenkosten. Der Beschluss wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. Februar 2011 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 31. März 2011, bei Gericht eingegangen am 1. April 2011, beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin das Verfahren fortzusetzen und führten zur Begründung aus, dass die Klägerin und ihre Prozessbevollmächtigten nicht erkannt hätten, für Gerichtskosten einzustehen zu müssen. Aufgrund einer "starken persönlichen Krise, bei der es darum gegangen sei, "inwieweit das Kind bei den Eltern verbleiben" könne, sei es ihren Prozessbevollmächtigten erst Mitte März gelungen, Kontakt aufzunehmen.

II.

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Fortsetzung des Berufungsverfahrens ist mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abzulehnen (§ 114 Satz 1 ZPO).

Beruft sich ein Beteiligter nach Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs mit einem Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens auf eine im Wege der Irrtumsanfechtung rückwirkend herbeigeführte Nichtigkeit des Prozessvergleichs, hat das bisher mit der Sache befasste Gericht hierüber zu befinden. Wenn es die Nichtigkeit als gegeben ansieht, hat es in dem dann anhängig gebliebenen Rechtsstreit über die Berechtigung der ursprünglich geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1980 - VIII ZR 274/79, BGHZ 79, 71, 79 f.). Ist der Vergleich hingegen wirksam, ist die Fortsetzung des Verfahrens hingegen zu versagen (BGH, Beschluss vom 18. September 1996 - VIII ZB 28/96, NJW 1996, 3345, unter 2 a bb). Die weiteren Kosten treffen in diesem Fall denjenigen, der die Unwirksamkeit des Vergleichs geltend gemacht hat (Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 794 Rn. 15a).

Die mit Schriftsatz vom 31. März 2011 erklärte Anfechtung des Prozessvergleichs vom 28. Oktober 2010 hat nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB zur rückwirkenden Nichtigkeit des Vergleichs geführt. Weder liegt ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum vor (1.) noch hat die Klägerin die Anfechtung unverzüglich erklärt (2.).

1. Gemäß § 119 Abs. 1 BGB kann derjenige, der bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war (Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (Erklärungsirrtum), die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falls nicht abgegeben haben würde. Im vorliegenden Fall kommt allein ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung in Betracht.

a) Bei einem Inhaltsirrtum entspricht zwar der äußere Tatbestand dem Willen des Erklärenden, dieser irrt sich jedoch über die Bedeutung oder die Tragweite seiner Erklärung. Nicht als Inhaltsirrtum anfechtbar sind Erklärungen, die auf einem im Stadium der Willensbildung unterlaufenden Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum) beruhen (BGH, Beschluss vom 5. Juni 2008 - V ZB 150/07, BGHZ 177, 62, Rn. 15). Ebenso wenig lässt sich im Grundsatz ein Anfechtungsrecht aus einer Fehlvorstellung über die Rechtsfolgen herleiten, die sich nicht aus dem Inhalt der Erklärung ergeben, sondern kraft Gesetzes eintreten (Rechtsfolgenirrtum; BGH, aaO). Ein Rechtsfolgenirrtum berechtigt als Inhaltsirrtum nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Rechtswirkungen erzeugt. Der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher und mittelbarer Rechtswirkungen oder Nebenfolgen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, ist demgegenüber als bloßer Motivirrtum unbeachtlich (BGH, aaO, Rn. 19; BGH, Beschluss vom 5. Juli 2006 - IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210, Rn. 19; BGH, Urteil vom 10. Juli 2002 - VIII ZR 199/01, NJW 2002, 3100, unter II 1 f; Erman/Palm, BGB, 12. Aufl., § 119 Rn. 37; MünchKomm-BGB/Kramer, 5. Aufl., § 119 Rn. 86; Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Aufl., § 119 Rn. 15 f.). Danach ist zwischen den unmittelbar erklärten und den nur mittelbaren Rechtsfolgen einer Willenserklärung zu unterscheiden (Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., § 36 Rn. 73 ff.).

Einen beachtlichen Irrtum hat die ältere Rechtsprechung z.B. bei der Anfechtung eines Prozessvergleichs bejaht, bei dem anwaltliche Vertreter einer Vertragspartei die gesetzliche Folge des § 158c Abs. 4 VVG a.F. übersehen hatte (OLG Zweibrücken, VersR 1977, 806 = juris Rn. 39 ff.). Dagegen spricht, wie oben ausgeführt, allerdings, dass ein Irrtum unbeachtlich ist, wenn er sich auf Rechtsfolgen bezieht, die nicht selbst Inhalt der rechtsgeschäftlichen Erklärung sind, sondern kraft Gesetzes eintreten. Aus diesem Grund hat die Rechtsprechung in anderen Fällen die Irrtumsanfechtung eines Prozessvergleichs abgelehnt (OLG Hamm, VersR 1998, 1440 = juris, Rn. 29 ff., unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 - IX ZR 252/93, NJW 1995, 1484 = juris, Rn. 14).

b) Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall ein unbeachtlicher Motivirrtum anzunehmen.

aa) Nach dem Inhalt des Prozessvergleichs hat sich die Klägerin, auch wenn sie mit Prozesskostenhilfe prozessierte, verpflichtet, Gerichtskosten zu tragen. Das bezieht sich auch auf von der Beklagten verauslagte Gerichtskosten. Unbeschadet der Kostenbefreiung nach § 122 Abs. 1 Nr. 1a ZPO bleibt somit gemäß § 123 ZPO die Verpflichtung bestehen, die dem obsiegenden Gegner entstandenen Kosten zu erstatten, zu denen auch etwaige von diesem verauslagte Gerichtskosten gehören. Die Klägerin ist diese Kosten im Vergleichsvertrag übernommen (unter Nr. 3c). Sie ist somit Übernahmeschuldnerin im Sinne von § 29 Nr. 2 GKG. Zwar darf gemäß § 31 Abs. 3 GKG die Haftung eines anderen Kostenschuldners nicht geltend gemacht werden, wenn diesem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Dies gilt nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Bestimmung jedoch nur für den Entscheidungsschuldner (§ 29 Nr. 1 GKG), nicht für den Übernahmeschuldner (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - III ZB 11/03, NJW 2004, 366; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29. Oktober 2009 - 6 WF 105/09, BeckRS 2009, 29762; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 2. Februar 2010 - 4 W 2/10, MDR 2010, 595; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 18. März 2011 - 18 W 42/11, BeckRS 2011, 06687; Musielak/Fischer, ZPO, 8. Aufl., § 123 Rn. 4). Dies beruht auf einer bewusst getroffenen Entscheidung des Gesetzgebers (BT-Drs. 15/1971, Seite 153), die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerfG, NJW 2000, 3271). Die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten können diese Rechtsfolge vermeiden, wenn sie sich ausdrücklich nur über die Hauptsache, nicht aber über die Kosten des Rechtsstreits vergleichen (Zöller/Geimer, aaO, § 123 Rn. 6; N. Schneider, NJW-Spezial 2010, 219).

bb) Die Erwartung der Klägerin bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten, entgegen der Rechtslage sämtliche Kostenfolgen von der Klägerin ablenken zu können, obwohl Gerichtskosten im Vergleichsvertrag übernommen worden sind, ist ein unbeachtlicher Motivirrtum, denn eine Vermeidung der Kostenfolge war nicht Inhalt des Vergleichs selbst, sondern nur mittelbare Rechtswirkung. Die Klägerin hat die Gerichtskosten im Gegenteil unter Nr. 3c des Vergleichsvertrags übernommen. Daher ist letztlich das eingetreten, was die Klägerin erklärt hat. Ihr Motiv war zwar, dass sich diese Rechtsfolge mit Rücksicht auf § 122 Abs. 1 Nr. 1a ZPO nicht verwirklicht. Dem stand freilich die Regelung des § 123 ZPO entgegen. Diese Rechtswirkung ergibt sich jedoch unabhängig vom Willen der Irrenden aus dem Gesetz.

2. Die Klägerin hat den geschlossenen Vergleichsvertrag auch deshalb nicht wirksam angefochten, weil sie die Anfechtung nicht unverzüglich erklärt hat (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Erklärung muss ohne schuldhaftes Zögern vorgenommen werden, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die Anfechtung ist innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist abzugeben (BGH, Urteil vom 24. Januar 2008 - VII ZR 17/07, NJW 2008, 985, Rn. 18).

Für die Kenntnis kommt es auf die Person des Vertretenen an. Dieser muss sich allerdings nach § 166 Abs. 1 BGB die Kenntnis des Vertreters zurechnen lassen, wenn der Vertreter - wie hier - auch zur Anfechtung ermächtigt ist (BGH, Urteil vom 17. Februar 1965 - IV ZR 74/64, juris, Rn. 30 ff.; BVerwG, NJW 2010, 3048, Rn. 21; Palandt/Ellenberger, aaO, § 121 Rn. 2; MünchKomm-BGB/Schramm, aaO, § 166 Rn. 7; Erman/Palm, aaO, § 121 Rn. 2 und § 166 Rn. 4).

Nach § 143 Abs. 1 BGB muss die Anfechtung dem Anfechtungsgegner gegenüber erklärt werden. Bei einem Vertrag ist Anfechtungsgegner nach § 143 Abs. 2 BGB der andere Teil. Wirksam wird die Anfechtung nach § 130 Abs. 1 BGB mit dem Zugang der Anfechtungserklärung (Palandt/Ellenberger, aaO, § 121 Rn. 4). Wirksam wurde die Anfechtung daher frühestens mit Zugang des Schriftsatzes vom 31. März 2011 bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten und denen der Streithelferin.

Unbeschadet dessen war die Anfechtungserklärung allerdings bereits bei Eingang des Schriftsatzes vom 31. März 2011 bei Gericht nicht mehr unverzüglich. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hatten - was dieser zuzurechnen ist - mit Zugang des Kostenfestsetzungsantrags der Beklagten vom 10. Dezember 2010 Kenntnis von ihrem Irrtum. Es war mit Rücksicht auf die Gesetzeslage und höchstrichterliche Rechtsprechung deutlich, dass der Kostenfestsetzungsantrag vom 10. Dezember 2010, dem die Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der Sache auch nicht entgegengetreten sind, Erfolg haben würde.

Die erst am 31. März 2011 erklärte Anfechtung ist damit nach den Umständen des Falls nicht unverzüglich vorgenommen worden. Denn es ist nicht ersichtlich, weshalb der anwaltlich vertretenen Klägerin nicht eine frühere Anfechtung innerhalb weniger Tage nach Bekanntwerden des Irrtums möglich und zumutbar gewesen sein sollte. Von einer "starken persönlichen Krise" war anfangs nicht die Rede, sondern von Urlaub der anwaltlichen Sachbearbeiterin. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht, wenn man auf die Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 10. Februar 2011 am 16. Februar 2011 abstellt. Die mehrwöchige Verzögerung der Anfechtung ist durch eine "starke persönliche Krise" der Klägerin nicht zu entschuldigen, weil die Klägerin die Anfechtung ihren Prozessbevollmächtigten überlassen hat.