1. Arzt und Anstaltsträger einer stationär untergebrachten psychisch kranken Person haben die Pflicht, zu verhindern, daß der Patient die Absicht zur Selbstschädigung nicht verwirklichen kann. Die Sicherheit des Patienten ist bei der stationären Behandlung oberstes Gebot.
2. Eine Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung ist nicht veranlaßt, wenn eine endogene Depression, bei der es zu Ausfällen mit schlimmen Konsequenzen kommen kann, nicht anzunehmen, die akute Gefährdung (Suizidgefahr) nicht erkennbar ist. Eine solche, die Menschenwürde angreifende Zwangsmaßnahme kann gegebenenfalls als Behandlungsfehler angesehen werden. Bemerkung: Das Urteil ist rechtskräftig.
Die Berufung der Kläger gegen das am 29. Januar 1991 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 5 O 248/90 - wird zurückgewiesen. Die Kosten der Berufung tragen die Kläger. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die nach §§ 511, 511 a ZPO statthafte
Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden
(§§ 516, 518, 519 ZPO) und damit zulässig. Sie ist sachlich jedoch
nicht gerechtfertigt.
Das Landgericht hat als
Anspruchsgrundlage für den geltendgemachten Schadensersatz mit
Recht allein § 844 Abs. 1 BGB in Erwägung gezogen, weil mangels
Unterbringungsanordnung nach den Vorschriften des PsychKG NW
Amtshaftung gemäß § 839 BGB, Artikel 34 GG nicht in Betracht kommt.
Der Senat vermag indessen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine
schadensursächliche Pflichtverletzung von Bediensteten des
Beklagten nicht festzustellen. Das geht zu Lasten der Kläger, weil
sie die anspruchsbegründenen Umstände zu beweisen haben.
Im hier gegebenen Fall einer
stationären Unterbringung und Behandlung einer psychisch kranken
Person haben Arzt und Anstaltsträger die Pflicht, alle nach den
Umständen erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen und Anordnungen zu
treffen, um einen erkannten oder jedenfalls erkennbaren Willen des
Patienten zur Selbstbeschädigung nicht zur Verwirklichung
gelangen zu lassen. Nach ständiger gesicherter Rechtsprechung muß
die Sicherheit des Patienten bei der stationären Behandlung
oberstes Gebot sein (vgl. z. B. BGH AHRS Kza 3060/2; 3060/3; OLG
Frankfurt AHRS Kza 3060/5; BayObLG AHRS Kza 3060/8; OLG Düsseldorf
AHRS Kza 3060/12). Ist es nach Lage des Falles erforderlich, den
psychisch kranken Patienten vor einer Flucht aus der Anstalt zu
bewahren, weil außerhalb des Einflußbereiches des Klinikpersonals
mit einer Selbstbeschädigung zu rechnen ist, muß die Unterbringung
hinreichend sicher sein, um so befürchtende Schäden zu
verhindern.
Nach dem Gutachten des Sachverständigen
Prof. Dr. P. sowie den Aussagen der Zeugen Dr. W. und G. ist eine
Verletzung der dargelegten Pflichten zum Nachteil der Tochter der
Kläger nicht anzunehmen.
Es gereicht dem Beklagten nicht zum
Vorwurf, daß A. Unterbringung in eine geschlossene Abteilung nicht
angeordnet worden ist. Da A. mit der ihr vorgeschlagenen
Unterbringung nicht einverstanden war, hätte eine solche Maßnahme
die Einleitung des Verfahrens nach §§ 17 ff PsychKG NW erfordert.
Die dafür nach § 11 PsychKG notwendigen Voraussetzungen, nämlich
eine nach dem krankhaften Verhalten des Patienten nicht anders
abwendbare gegenwärtige Gefahr, daß er Selbstmord begeht oder sich
erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, waren zum damaligen
Zeitpunkt nicht objektivierbar. Nach A. Krankenheitsbild war nicht
zu befürchten, daß "ein schadensstifendes Ereignis unmittelbar
bevorstand oder sein Eintritt wegen seiner Unberechenbarkeit zwar
unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu
erwarten war" (vgl. Wortlaut des § 11 Abs. 2 PsychKG).
Solche Gründe sind nicht feststellbar.
Der Sachverständige Prof. P. hat nach Auswertung der Krankenakten
und unter Berücksichtigung der Aussagen der Zeugen Dr. W. und G.,
die seinerzeit mit A. Behandlung befaßt waren, überzeugend
dargelegt, daß die Patientin unter einer Belastungsreaktion bei
neurotischer Depression litt, was von den Ärzten zutreffend
diagnostiziert worden war. Eine endogene Depression, bei der es zu
Ausfällen mit schlimmen Konsequenzen kommen könne, sei nicht
anzunehmen gewesen. Bei der Patientin habe sich vielmehr seit
Jahren eine krisenhafte Entwicklung gezeigt, die pubertäre Züge
gehabt habe. Auf diese Depression sei sowohl medikamentös als auch
mittels anderer therapeutischer Maßnahmen (Gespräche,
Beschäftigungstherapie) richtig reagiert worden. Die seit 1982
geäußerten Suizidgedanken seien erkannt und ernstgenommen worden.
Eine Unterbringung in eine geschlossene Abteilung sei nicht
veranlaßt gewesen. Eine solche, die Menschenwürde A. mißachtende
(Zwangs-)Maßnahme wäre hier sogar als Kunstfehler zu bezeichnen
gewesen. Es sei richtig gewesen, daß die Behandler auf die
Suizidäußerungen eingegangen und sich mit der Ernsthaftigkeit
intensiv auseinandergesetzt hätten. Die offenbar gegebene akute
Gefährdung (Suizidgefahr) sei am Morgen des 07.09.1989 indessen
nicht erkennbar gewesen. Die geäußerten Schlafstörungen und
Angstanfälle seien mehr oder weniger ausgeprägt durchgehend, also
auch schon während des stationären Aufenthalts im August 1989
vorhanden gewesen. Auf die Unruhe und Ängstlichkeit der Patientin
sei durch ein Gespräch und die Ankündigung einer Óberprüfung der
Medikation angemessen reagiert worden. Im übrigen habe man die
während der Nacht aufgetretene Unruhe und Ängstlichkeit zutreffend
zunächst mit der dafür vorgesehenen Bedarfsmedikation bekämpfen
wollen. Schließ-lich sei darauf hinzuweisen, daß es keine
wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse darüber gäbe, warum sich
jemand plötzlich umbringe, seine jahrelangen Erwägungen und
Gedanken gerade zu diesem bestimmten Zeitpunkt in die Tat umsetze.
Einzelne Äu-ßerungen dritter Personen oder des Behandlers seien
kaum geeignet, eine Selbsttötung auszulösen.
Danach kann von der Notwendigkeit einer
Unterbringung in eine geschlossene Abteilung nicht ausgegangen
werden. Der Sachverständige hat sich mit den Vorwürfen der Kläger
umfassend und überzeugend auseinandergesetzt und insgesamt die
Frage, ob das Behandlungsteam unter Berücksichtigung aller Umstände
die Selbsttötung hätte verhindern können, verneint. Die akute
Selbstgefährdung sei nicht erkennbar gewesen.
Der Behandlungsseite kann auch nicht
vorgeworfen werden, daß sie keine ständige Óberwachung, etwa
mittels ununterbrochener Begleitung der Patientin durch
Klinikpersonal, angeordnet hat. A. sollte und wollte nach Einnahme
der Bedarfsmedikation zunächst zur Beschäftigungstherapie gehen, um
anschließend gegen 11.00 Uhr den vorgesehenen Gesprächstermin mit
dem Abteilungsarzt wahrzunehmen, wie ihr vorgeschlagen worden war.
Damit war sie zufrieden, weitergehende Óberwachungsmaßnahmen,
insbesondere eine Unterbringung, hatte sie abgelehnt. Es hat kein
Grund für die Annahme bestanden, sie werde sich gleichwohl diesem
Ablauf mit Selbstschädigungsabsicht entziehen. Daß sie dies doch
getan hat, war bei den gegebenen Umständen nicht voraussehbar,
jedenfalls kann das Nichterkennen dem Zeugen G. nicht als
schuldhafter Behandlungsfehler angelastet werden.
Schließlich kann nicht davon
ausgegangen werden, daß der tragische Ablauf der Geschehnisse hätte
verhindert werden können, wenn das Klinikpersonal sofort nach dem
Verbleib der Patientin geforscht hätte. Der Todeszeitpunkt lag kurz
nach 9.00 Uhr. A. muß sich also auf kürzestem Wege zu den
Bahngleisen begeben haben. Bei diesem engen zeitlichen
Zusammenhang spricht nichts dafür, daß A. rechtzeitig gefunden
worden wäre.
Die prozessualen Nebenentscheidungen
beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Wert der Beschwer: unter 60.000,--
DM.
Streitwert des Berufungsverfahrens:
8.150,18 DM.