OLG Stuttgart, Beschluss vom 29.06.2007 - 8 W 245/07
Fundstelle
openJur 2012, 66007
  • Rkr:

1. Der Tod des Betreuten im Regreßverfahren gem. § 1836e BGB führt nicht zur förmlichen Unterbrechung, sondern zur Fortsetzung des Verfahrens gegen die Rechtsnachfolger von Amts wegen. Die unbekannten Erben werden dabei durch den Nachlasspfleger gesetzlich vertreten. Beim Eintritt des Todes des Betreuten im Rechtsbeschwerdeverfahren ist eine Titelumschreibung auf die Erben ohne Vorbehalt möglich. Zur Beschränkung ihrer Haftung müssen sie eine Vollstreckungsabwehrklage nach §§ 781, 785, 767 ZPO erheben.

2. Rückforderungsansprüche des Trägers der Sozialhilfe sind gegenüber dem Regreßanspruch gem. § 1836e Abs. 1 Satz 1 BGB nicht vorrangig. Das haftende Aktivvermögen wird nicht bereits durch das Bestehen und die Titulierung eines Anspruchs geschmälert, sondern erst mit dessen Durchsetzung.

Tenor

1. Die sofortige weitere Beschwerde der unbekannten Erben, gesetzl. vertr. d.d. Nachlasspflegerin, gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 25. Mai 2007, Az. 2 T 114/07, wird

zurückgewiesen.

2. Die unbekannten Erben, gesetzl. vertr. d.d. Nachlasspflegerin, tragen die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Den unbekannten Erben, gesetzl. vertr. d.d. Nachlasspflegerin, wird Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren ohne Zahlungspflichten bewilligt.

Beschwerdewert: 323 EUR

Gründe

1. Mit Beschluss des Notariats Stuttgart vom 19. September 2006 wurde die Aufwandsentschädigung der Betreuerin für die Zeit vom 1. Juni 2005 bis 31. Mai 2006 in Höhe von 323 EUR festgesetzt und auf Grund der Mittellosigkeit der Betroffenen die Auszahlung aus der Staatskasse angeordnet. Ebenfalls mit Beschluss vom 19. September 2006 stellte das Notariat den Forderungsübergang auf die Staatskasse fest und setzte gleichzeitig den Regressanspruch der Staatskasse gegen die Betreute in Höhe von 323 EUR fest. Ihre sofortige Beschwerde hiergegen wurde durch Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 25. Mai 2007 zurückgewiesen und die weitere Beschwerde zugelassen.

Gegen die am 31. Mai 2007 der Betroffenen und ihrer Betreuerin zugestellte Entscheidung hat letztere zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Stuttgart (Rechtspflegerin) am 5. Juni 2007 im Interesse der Betreuten sofortige weitere Beschwerde eingelegt und diese mit Schreiben des selben Tages begründet.

Am 6. Juni 2007 ist die Betreute verstorben. Über ihren Nachlass wurde Nachlasspflegschaft zur Sicherung und Verwaltung des Nachlasses angeordnet und die Betreuerin am 13. Juni 2007 zur Nachlasspflegerin bestellt.

Das Landgericht hat die Akte dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

2. Die sofortige weitere Beschwerde ist gem. §§ 56g Abs. 5 Satz 2, 69e Abs. 1 Satz 1, 29, 22 Abs. 1 FGG statthaft und auch im übrigen zulässig.

a) Das Rechtsbeschwerdeverfahren (§ 27 Abs. 1 FGG) hat sich durch den Tod der Betreuten nicht erledigt.

Der Tod eines Beteiligten führt im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht zur Unterbrechung mit den gesetzlichen Folgen des § 249 ZPO. Er zieht auch rechtlich nicht notwendig den Stillstand des Verfahrens nach sich. Der Tod ist zwar häufig ein Tatbestand, der die Beendigung des Verfahrens zur Folge haben kann (Baronin von König/von Schuckmann in Jansen, FGG, Bd. 1, 3. Aufl. 2006, Rdnr. 35 bis 37 vor §§ 8-18, m. w. N.). Hiervon ist aber vorliegend nicht auszugehen, da der Tod der Betreuten nicht zu einem Fortfall des Verfahrensgegenstandes geführt hat (§ 1836e Abs. 1 Satz 3 BGB). Das Verfahren ist deshalb ohne förmliche Unterbrechung für und gegen die Rechtsnachfolger der verstorbenen Betreuten von Amts wegen fortzusetzen. Soweit die Erben nicht bekannt sind, werden sie durch die Nachlasspflegerin vertreten (§§ 1960, 1961 BGB; Thüringer OLG FamRZ 2006, 645), die nunmehr statt der Betreuten als gesetzliche Vertreterin der unbekannten Erben für diese das Rechtsbeschwerdeverfahren durchführt. Damit ist zugleich auch die Titelumschreibung auf die unbekannten Erben im vorliegenden Verfahren der weiteren Beschwerde möglich (Stöber in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 727 Rdnr. 18 und § 778 Rdnr. 6, je m. w. N.).

b) Nachdem im vorliegenden Verfahren der weiteren Beschwerde die Entscheidung der Vorinstanz lediglich auf Rechtsfehler (§ 27 Abs. 1 FGG) überprüft werden darf, kann der Tod der Betreuten nicht zu einer geänderten Prüfungsgrundlage gem. § 1836e Abs. 1 Satz 3 BGB führen, sondern die Rechtsprüfung ist nach wie vor an § 1836e Abs. 1 Satz 1 BGB durchzuführen.

Sofern die Erben die Beschränkung ihrer Haftung auf den Wert des im Zeitpunkt des Erbfalls vorhandenen Nachlasses (§ 1836e Abs. 1 Satz 3 BGB) geltend machen wollen, müssen sie eine Vollstreckungsabwehrklage nach §§ 781, 785, 767 ZPO erheben.

Da der Erbe für die Ansprüche aus § 1836e Abs. 1 Satz 1 BGB und § 92c Abs. 1, 2 BSHG (jetzt: § 102 Abs. 1, 2 SGB XII) kraft Gesetzes nur beschränkt haftet, bedarf es eines Vorbehalts im Vollstreckungstitel, wie in § 780 ZPO vorgesehen, nicht (BayObLG NJW-RR 2005, 1315).

Soweit das Thüringer Oberlandesgericht (Rpfleger 2006, 323) von einer entsprechenden Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 305, 780 ZPO ausgeht und deshalb zur Klarstellung die Aufnahme des Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung im Tenor des Festsetzungsbeschlusses für erforderlich erachtet, gibt diese Entscheidung keinen Anlass für eine Divergenzvorlage gem. § 28 Abs. 2 FGG. Denn im hier zu entscheidenden Fall geht es lediglich um eine Umschreibung des Titels auf die unbekannten Erben als Rechtsnachfolger, bei der kein Vorbehalt erforderlich ist (Stöber, a. a. O., § 780 Rdnr. 9 10, m. w. N.).

Im übrigen verweist auch das Thüringer Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 9. Januar 2006 darauf, dass die nach § 56g FGG festgesetzten Ansprüche gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4b JBeitrO nach den Bestimmungen der Justizbeitreibungsordnung beigetrieben werden und nach § 8 Abs. 2 Satz 1 JBeitrO für die Einwendungen einer beschränkten Erbenhaftung (§§ 781 ff ZPO) die Vorschriften der §§ 767, 769, 770 ZPO sinngemäß gelten, so dass die Einwendungen nach §§ 781 ff ZPO ggf. im Wege der Vollstreckungsgegenklage zu erheben sind.

c) Abgesehen von diesen durch den Tod der Betreuten veranlassten Erwägungen hält die angefochtene Entscheidung des Landgerichts der an § 1836e Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmenden rechtlichen Nachprüfung stand.

Der Regressanspruch in Höhe von 323 EUR gem. § 1836e Abs. 1 Satz 1 BGB setzt die in § 1836c BGB bestimmte Leistungsfähigkeit der Betreuten voraus. Diese ist unter Berücksichtigung des Schonbetrages von 2.600 EUR und des danach verbleibenden Vermögens von 1.526,32 EUR gegeben. Rückforderungsansprüche des Trägers der Sozialhilfe sind gegenüber diesem Regressanspruch nicht vorrangig und stehen ihm deshalb nicht entgegen.

Zu Recht hat das Landgericht sich mit dem Bayerischen Obersten Landesgericht (FGPrax 2004, 25) auf den Standpunkt gestellt, dass bei der Prüfung, ob der Betroffene mittellos ist, hinsichtlich des einzusetzenden Vermögens des Betroffenen nur das verfügbare Aktivvermögen zu berücksichtigen ist und Verbindlichkeiten selbst dann außer Betracht bleiben, wenn sie bereits tituliert sind. Dies gilt unabhängig davon, ob die Verbindlichkeit des Betroffenen durch öffentlich-rechtlichen Leistungsbescheid oder durch einen zivilrechtlichen Titel festgelegt und damit durchsetzbar ist. Solange ein dem Betroffenen zustehender Gegenstand nicht aus seinem Vermögen abgeflossen ist, muss er dem Aktivvermögen zugerechnet werden, auch wenn insoweit möglicherweise Vollstreckungsmaßnahmen Dritter drohen könnten.

Im Einzelnen wird verwiesen auf die Ausführungen in der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 8. Oktober 2003, auch soweit dieses die Erforderlichkeit einer Divergenzvorlage nach § 28 Abs. 2 FGG im Hinblick auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken (BtPrax 1999, 32) verneint, da diese noch zur Rechtslage vor dem 1. Januar 1999 ergangen ist.

Im übrigen besteht auch kein Vorrang des Rückforderungsanspruches des Sozialhilfeträgers, der noch nicht einmal durch Verwaltungsakt gem. §§ 44 ff SGB X gegenüber der Betreuten geltend gemacht worden ist, im Verhältnis zum Regressanspruch der Staatskasse. Beiden Ansprüchen kommt allenfalls der gleiche Rang zu, denn es handelt sich um eine Fürsorgeleistung des Staates, die gegenüber der Leistungsfähigkeit des Betroffenen subsidiär ist (vgl. insoweit BayObLG NJW-RR 2005, 1315 zur Frage des Vorrangs des Kostenersatzanspruchs des Sozialhilfeträgers nach § 92c BSHG bzw. § 102 SGB XII gegenüber dem Regressanspruch der Staatskasse: auch hier wird von einem gleichen Rang ausgegangen).

Damit kann dem Regressanspruch der Staatskasse nicht der Rückforderungsanspruch des Sozialhilfeträgers entgegengehalten werden. Zu befriedigen ist die Forderung, die als erste durchgesetzt wird. Das haftende Aktivvermögen wird nicht bereits durch das Bestehen und die Titulierung eines Anspruches geschmälert, sondern erst mit dessen Durchsetzung.

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Stuttgart hält deshalb der rechtlichen Nachprüfung stand und die sofortige weitere Beschwerde der Nachlasspflegerin war als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KostO. Die Gebührenfreiheit gem. § 131 Abs. 3 KostO greift nicht ein, weil die Nachlasspflegerin das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr im Interesse der Betreuten durchführt, sondern für die Erben.

Ein Anlass zur Erstattung außergerichtlicher Kosten gem. § 13a Abs. 1 FGG besteht nicht, weil solche nicht angefallen sind. Im übrigen liegen die Voraussetzungen des § 13a Abs. 2 FGG nicht vor.

Die Festsetzung des Geschäftswertes folgt aus §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 1 KostO.

3. Auf ihren Antrag war den unbekannten Erben, gesetzlich vertreten durch die Nachlasspflegerin, Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren gem. §§ 14 FGG, 114 ff ZPO ohne Zahlungspflichten zu bewilligen.

Auch wenn die sofortige weitere Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat, handelt es sich doch um eine streitige Rechtsfrage, deretwegen das Rechtsmittel durch die Vorinstanz zugelassen wurde. Prozesskostenhilfe darf nicht versagt werden, wenn entscheidungserhebliche schwierige Rechtsfragen bislang nicht hinreichend geklärt sind (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl. 2007, § 114 Rdnr. 5 m. w. N.).

Die erforderliche Bedürftigkeit ist anzunehmen. Denn dem Aktivvermögen des Nachlasses (BGH NJW 1964, 1418) steht nicht nur der streitgegenständliche Regressanspruch der Staatskasse und der Rückforderungsanspruch des Sozialhilfeträgers entgegen, sondern ebenfalls die Beerdigungskosten für die Betreute als Nachlassverbindlichkeit (OLG Zweibrücken Rpfleger 2004, 488), auch wenn andererseits nach dem Tod der Betreuten das Schonvermögen nicht mehr berücksichtigt werden kann (OLG Köln FamRZ 1998, 1617).