BGH, Urteil vom 07.03.2012 - IV ZR 277/10
Fundstelle
openJur 2012, 53619
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 19. November 2010 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Oberhausen vom 31. März 2010 wird verworfen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerin, eine Betriebskrankenkasse, begehrt von der Beklagten, die unter anderem ein Altenzentrum in O. betreibt, die Bekanntgabe ihres Betriebshaftpflichtversicherers. Grund sind Aufwendungen der Klägerin für eine stationäre Behandlung einer in dem Altenzentrum wohnenden Versicherten infolge eines Sturzes auf dem Flur des Heimes am 4. September 2008 und dabei erlittener Verletzungen.

Unter Hinweis auf ein möglicherweise bestehendes Teilungsabkommen bat die Klägerin um Mitteilung, bei welchem Betriebshaftpflicht-1 versicherer die Beklagte versichert sei, und um Angabe der Versicherungsnummer. Die Beklagte lehnte dies ab und teilte insoweit lediglich mit, dass ein Teilungsabkommen im vorliegenden Fall nicht bestehe.

Das Amtsgericht hat der Auskunftsklage stattgegeben und den Streitwert auf 900 € festgesetzt. Es hat das Urteil nach § 709 ZPO gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt. Das Landgericht hat die Klage auf Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Auskunftsanspruch weiter.

Gründe

Die Revision hat Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat die Berufung ohne nähere Begründung für zulässig erachtet. In der Sache hat es ausgeführt, dass eine gesetzliche Sondervorschrift für den geltend gemachten Auskunftsanspruch nicht ersichtlich sei und ein solcher auch nicht gemäß § 242 BGB bestehe.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Berufung der Beklagten ist unzulässig und deshalb gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu verwerfen. 3 1. Die Zulässigkeit der Berufung ist als Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren ohne Bindung an die Feststellungen des Berufungsgerichts auch noch im Revisionsverfahren zu prüfen (BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - III ZR 338/09, NJW 2011, 926 Rn. 7 m.w.N.).

2. Sie ist hier weder nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 noch nach § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gegeben.

a) Die für eine Zulässigkeit gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO notwendige Beschwer der Beklagten von mehr als 600 € ist nicht erreicht, weil sich die Beschwer bei einer Verurteilung zur Auskunft grundsätzlich nur nach dem für die Erteilung der Auskunft erforderlichen Aufwand richtet (grundlegend BGH, Beschluss vom 24. November 1994 - GSZ 1/94, BGHZ 128, 85, 87 f.; ferner Beschluss vom 10. August 2005 - XII ZB 63/05, BGHZ 164, 63, 65 f.; Senatsbeschlüsse vom 10. März 2010 - IV ZR 255/08, FamRZ 2010, 891 Rn. 6; vom 1. Oktober 2008 - IV ZB 27/07, ZEV 2009, 38 Rn. 4; vom 30. April 2008 - IV ZR 287/07, FamRZ 2008, 1346 Rn. 5 f.; vom 20. Februar 2008 - IV ZB 14/07, NJW-RR 2008, 889 Rn. 13 f.). Dieser Aufwand ist hier minimal, da nur die Benennung des Betriebshaftpflichtversicherers gefordert wird.

Eine darüber hinausgehende Beschwer der Beklagten ist mit der von ihr geltend gemachten "Belastung" ihres Versicherungsvertrages nicht nachvollziehbar dargelegt. Zum einen ist nicht ersichtlich, was den Vertrag wirtschaftlich belasten soll. Zum anderen besteht nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten kein Teilungsabkommen ihres Haftpflichtversicherers mit der Klägerin, so dass die Erteilung der Auskunft weder eine Regulierung noch eine Belastung des Vertrages nach sich ziehen kann. 7 b) Das Amtsgericht hat die Berufung auch nicht nach § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen. Sind - wie hier - Anträge auf Zulassung der Berufung von den Parteien nicht gestellt, so ist eine ausdrückliche Entscheidung durch das erstinstanzliche Gericht nicht nötig. Schweigen bedeutet dann Nichtzulassung (BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 aaO Rn. 15 m.w.N.).

c) In der Zulassung der Revision ist nicht zugleich die nachträgliche Zulassung der Berufung durch das Berufungsgericht zu sehen.

Allerdings muss das Berufungsgericht eine vom erstinstanzlichen Gericht nicht getroffene Entscheidung über die Zulassung der Berufung nachholen, wenn dieses für eine Zulassungsentscheidung keine Veranlassung gesehen hat, da es wegen eines auf mehr als 600 € festgesetzten Streitwerts auch von einer entsprechenden Beschwer der unterlegenen Partei ausgegangen ist, während das Berufungsgericht diesen Wert für nicht erreicht hält. Daher ist eine stillschweigende Zulassung der Berufung bei Zulassung der Revision in Betracht zu ziehen, weil die gesetzlichen Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO und für die Zulassung der Berufung gemäß § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO identisch sind (BGH aaO Rn. 13 m.w.N.).

Indes war das Berufungsgericht hier zur Nachholung der Zulassungsentscheidung nicht befugt. Dafür müsste feststehen, dass das hierfür primär zuständige erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen hat, über die Zulassung zu entscheiden, weil es von einer ausreichenden Beschwer nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ausgegangen ist. Eine solche Feststellung kann nicht getroffen werden. 11 Zwar hat das Amtsgericht den Streitwert auf mehr als 600 € festgesetzt. Der Streitwert einer Auskunftsklage und die Beschwer des zur Auskunft verurteilten Beklagten fallen jedoch in aller Regel so erheblich auseinander, dass allein deshalb für die Annahme, der erstinstanzliche Richter habe aufgrund seiner Streitwertfestsetzung keinen Anlass gesehen, über die Zulassung der Berufung zu entscheiden, nicht ohne Weiteres Raum ist (BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 aaO; Beschluss vom 26. Oktober 2011 - XII ZB 465/11, NJW 2011, 3790 Rn. 11).

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Amtsgericht von einer Rechtsmittelfähigkeit seiner Entscheidung ausgegangen ist, ergeben sich auch nicht aus der Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit. Das Amtsgericht hat eine Sicherheitsleistung nach § 709 Satz 1 ZPO angeordnet. Der Fall liegt damit anders als diejenigen Fälle, in denen das Urteil nach § 708 ZPO ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt und eine Abwendungsbefugnis gemäß § 711 ZPO ausgesprochen worden ist. In diesen Fällen deutet die Abwendungsbefugnis darauf hin, dass die Anwendbarkeit des § 713 ZPO verneint, mithin die Rechtsmittelfähigkeit der Entscheidung bejaht worden ist (BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 aaO Rn. 18; Beschluss vom 21. April 2010 - XII ZB 128/09, NJW-RR 2010, 934 Rn. 20).

Mit der Anwendung des § 709 ZPO sind dagegen inzident ein Fall des § 708 ZPO und damit auch die Voraussetzungen des § 711 ZPO verneint worden. Dann ist § 713 ZPO von vornherein nicht anwendbar, ohne dass es hierfür auf die Rechtsmittelfähigkeit der Entscheidung ankommt. Aus der fehlerhaften Anordnung einer Sicherheitsleistung und ihrer Höhe nach § 709 ZPO lassen sich deshalb hinreichend sichere 15 Schlüsse zur Beurteilung der Rechtsmittelfähigkeit durch das Amtsgericht nicht ziehen.

Wendt Felsch Dr. Karczewski Lehmann Dr. Brockmöller Vorinstanzen:

AG Oberhausen, Entscheidung vom 31.03.2010 - 31 C 2985/09 -

LG Duisburg, Entscheidung vom 19.11.2010 - 7 S 86/10 -