OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 07.07.2011 - 1 U 260/10
Fundstelle
openJur 2012, 34847
  • Rkr:

1. Legt ein Flugpassagier zwecks Durchführung der Luftsicherheitskontrolle einen Gegenstand zwecks Durchleuchtung auf ein dafür vorgesehenes Transportbehältnis, kommt hierdurch kein öffentlich-rechtliches Verwahrverhältnis mit dem zur Durchführung der Kontrolle berufenen Verwaltungsträger zustande.2. Ob der Ablauf der Kontrolle den insoweit bestehenen Verkehrssicherheits- und Organisationspflichten genügt, kann von den Umständen des Einzelfalls abhängen (hier: bejaht).

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 06.10.2010 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1. Der Senat kann mit Einverständnis der Parteien gem. § 527 Abs. 4 ZPO durch den Einzelrichter entscheiden.

2. Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird gem. § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, weil die Revision nicht zugelassen wurde und ein Rechtsmittel gegen das Urteil deshalb bei einer Beschwer der Klägerin von nicht über 20.000 € unzweifelhaft nicht zulässig ist (vgl. §§ 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO, 544 ZPO).

3. Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts, welches die Klage abgewiesen hat, erweist sich im Ergebnis als rechtlich zutreffend. Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen einer nach ihrem Vorbringen im Rahmen der Fluggast-Sicherheitskontrolle (§ 5 Abs. 1 LuftSiG) am Flughafen O1 abhanden gekommenen Uhr nicht zu.

a) Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich nicht aus einem öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnis i.V.m. §§ 280, 283 BGB. Denn zwischen der Klägerin und der Beklagten oder den von dieser mit der Durchführung der Sicherheitskontrolle beauftragten - „beliehenen“ - Unternehmen (vgl. § 5 Abs. 5 LuftSiG) ist ein öffentlich-rechtliches Verwahrverhältnis nicht zustande gekommen.

Ein solches öffentlich-rechtliches Verwahrverhältnis entsteht, wenn ein Verwaltungsträger durch eine öffentlich-rechtliche Maßnahme - Verwaltungsakt und Inbesitznahme oder bloße Inbesitznahme - eine Sache in Besitz nimmt. Erforderlich hierzu ist, dass der Verwaltungsträger mit Besitzbegründungswillen handelt mit dem Zweck, den einzelnen aus dessen bisheriger Obhutsstellung verdrängen; der Verwaltungsträger muss eine tatsächliche Lage schaffen, die den einzelnen von der Sorge für die Sache ausschließt (vgl. im Einzelnen OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.06.2002, OLGR 2003, 39 [juris Rn. 18]; MünchKomm-BGB-Henssler, 5. Aufl. 2009, § 688 Rn. 60; Staudinger-Reuter, BGB, 2006, Vorbem. zu § 688 ff Rn. 48). Ob dies der Fall ist, bemisst sich nach der Verkehrsanschauung (vgl. zum Besitzbegründungswillen Staudinger-Bund, BGB, 2007, § 854 Rn. 5 f).

Für den zur Beurteilung stehenden Sachverhalt ist diese Voraussetzung zu verneinen; dabei sind dem Senat die Gegebenheiten bei Fluggastkontrollen am Flughafen O1 - auch bei besonders starkem Fluggastaufkommen zu den Spitzenzeiten am Morgen - aus eigener Anschauung geläufig und damit als offenkundig i.S.d. § 291 ZPO anzusehen. Durch das Einlegen von Gegenständen in ein Behältnis, welches zwecks Kontrolle auf einem Förderband durch ein Durchleuchtungsgerät läuft, verliert der Passagier nicht den Besitz an den in das Behältnis eingelegten Gegenständen. Denn nach der Verkehrsanschauung haben die vor Ort tätigen Luftsicherheitsassistenten, welche für den beliehenen Unternehmer die Aufgaben des Luftsicherheitsgesetzes tatsächlich erfüllen, weder für sich selbst noch für den beliehenen Unternehmer noch für die Beklagte in irgendeiner Form einen Besitzbegründungswillen. Zwar ist dem beliehenen Unternehmer die rechtliche Befugnis eingeräumt, die vom Passagier mitgeführten Gegenstände gemäß dem Luftsicherheitsgesetz zu kontrollieren. Die Einräumung einer solchen Befugnis reicht aber nicht für die Annahme aus, es werde bei der Kontrolle Besitz begründet. Das Luftsicherheitsgesetz gewährt lediglich für einen sehr kurzen Zeitraum ein Verfügungsrecht, soweit dies zur Durchführung der Kontrolle erforderlich ist. Dies reicht aber für eine Besitzbegründung nicht aus. Denn dadurch, dass der Passagier die zu kontrollierenden Gegenstände in ein Behältnis zwecks Durchführung der Kontrolle ablegt, wird die ihm zukommende, nach außen erkennbare tatsächliche Sachherrschaft nicht entzogen; er wird nicht aus seiner Obhutsstellung verdrängt. Vielmehr wird die Ausübung des uneingeschränkten Besitzrechts allenfalls in vorübergehender Weise beeinträchtigt, nämlich für Kontrollzwecke gleichsam überlagert; eine solche, vorübergehende Verhinderung der Ausübung der tatsächlichen Gewalt hat aber gemäß § 856 Abs. 2 BGB keine Beendigung des Besitzes zur Folge. Dabei ist in tatsächlicher Hinsicht zugrunde zu legen, dass die tatsächliche Sachherrschaft des Passagiers nur für einen äußerst kurzen Zeitraum in Frage gestellt ist, nämlich für die Zeit, in welcher das Behältnis das Durchleuchtungsgerät durchläuft, und für allenfalls wenige Sekunden danach, bis der den Bildschirm des Durchleuchtungsgeräts beobachtende Luftsicherheitsassistent zu erkennen gibt, dass zu einer genaueren physischen Nachkontrolle der durchleuchteten Gegenstände keine Veranlassung besteht. Solange das vom Passagier bestückte Behältnis auf dem Förderband sich noch vor dem Durchleuchtungsgerät befindet, verbleibt die tatsächliche Sachherrschaft im Sinne jederzeitiger Zugriffsmöglichkeit bei ihm, und diese dauert fort, sobald die technische Durchführung der Kontrolle abgeschlossen ist; er wird gerade nicht aus der Wahrung der Obhut für die von ihm abgelegten Gegenstände verdrängt (a.A. LG Frankfurt am Main, Urt. v. 01.04.2008, NJW 2008, 2273, 2274; nicht rechtskräftig geworden).

Allenfalls wäre daran zu denken, ob ein Passagier aus seiner Obhutsstellung verdrängt wird, wenn ein Gegenstand nach der Durchleuchtung von einem Luftsicherheitsassistenten nochmals genauer in Augenschein genommen wird. Dies ist aber hier nicht entscheidungserheblich und außerdem auch zweifelhaft, da diese Kontrolle durchgeführt wird, während der Passagier daneben steht, und die Kontrolle erst entscheiden soll, ob etwas zu beanstanden ist.

Zwar mag es für den Passagier erschwert sein, auf die von ihm abgelegten Gegenstände genauso gut aufzupassen, wie wenn er sie unmittelbar bei sich trägt. Dies begründet aber angesichts der beschriebenen Umstände der Kontrolle noch nicht eine Beendigung seiner tatsächlichen Sachherrschaft und deren Ersetzung durch diejenige des oder der Luftsicherheitsassistenten. Die Annahme des Landgerichts Frankfurt am Main (a.a.O.), allein die Luftsicherheitsassistenten seien noch in der Lage, auf die Gegenstände Acht zu geben, ist jedenfalls für den Regelfall tatsächlich nicht zutreffend und trägt dem genannten Erfordernis eines Verdrängens des Passagiers aus seiner Obhutsstellung nicht in der gebotenen Weise Rechnung. Der Passagier hat es auch bei starkem Andrang zu den Kontrollen, welche im Interesse der Sicherheit des Luftverkehrs, aber auch zu seiner eigenen Sicherheit als am Luftverkehr Teilnehmender durchgeführt werden, bei gehöriger Aufmerksamkeit in der Hand, den Vorgang der Durchleuchtung der von ihm abgelegten Gegenstände und das Durchschreiten der zur elektronischen Körperkontrolle aufgestellten „Schleuse“ zeitlich parallel zu gestalten.

b) Eine Haftung der Beklagten ergibt sich jedenfalls für den hier zur Beurteilung stehenden Sachverhalt auch nicht aus einer Verletzung von ihr oder den von ihr Beliehenen obliegenden - öffentlich-rechtlichen - Verkehrssicherungs- und/oder Organisationspflichten (§ 839 BGB/Art. 34 GG). Der Fluggast ist im Rahmen der Luftsicherheitskontrolle gem. § 5 Abs. 1 LuftSiG gehalten, Wertgegenstände aus der Hand zu geben und zwecks Durchleuchtung in ein Behältnis zu legen. Derartiges würde er im täglichen Leben ansonsten gerade nicht tun, sondern solche Gegenstände in besonderer Weise gegen den Zugriff Dritter schützen, etwa indem er sie in seinen Taschen oder an seinem Körper birgt. Dem Kontrollvorgang hat er sich aber im Allgemeininteresse der Flugsicherheit zu unterwerfen. Aufgrund dessen hat der für die Durchführung der Fluggastkontrollen verantwortliche Verwaltungsträger in einer Weise für die Gestaltung des Ablaufs der Kontrolle Sorge zu tragen, die ein Abhandenkommen von (Wert-)Gegenständen möglichst ausschließt. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, wie verhindert werden kann, dass während des Kontrollvorgangs oder bei der Wiederentgegennahme der durchleuchteten Gegenstände am Ende des durch das Durchleuchtungsgerät laufenden Förderbandes ein anderer Fluggast auf für ihn fremde Gegenstände zugreift, wenn mehrere der Transportbehälter hintereinander am Ende des Förderbandes ankommen.

Nach Einschätzung des Senats genügt das hier praktizierte Verfahren diesen Anforderungen. Dabei ist einerseits in Rechnung zu stellen, dass es sich um ein „Massenverfahren“ handelt, welches im Interesse der Luftsicherheit unumgänglich ist. Andererseits kann jeder Passagier es für den Regelfall in seinem Interesse selbst steuern, dass der Vorgang der Durchleuchtung der von ihm abgelegten Gegenstände und das Durchschreiten der elektronischen „Schleuse“ zur Körperkontrolle zeitlich parallel läuft, er also das Behältnis mit den von ihm abgelegten Gegenständen möglichst im Auge behält.

Inwiefern möglicherweise der derzeit praktizierte Ablauf der Kontrolle im Einzelfall problematisch sein könnte, wenn es sich als geboten erweist, nach Durchschreiten der elektronischen Schleuse den Passagier nochmals eingehend mit dem elektronischen Handgerät zu kontrollieren, und es dadurch zu - je nach Art und Intensität der Kontrolle teilweise deutlichen - Verzögerungen bei der Entgegennahme der am Förderband wartenden, vom Passagier nicht oder schlecht zu beobachtenden Gegenständen kommt, braucht nicht entschieden zu werden. Denn auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin mitgeteilt, sie könne sich nach dem inzwischen erfolgten Zeitablauf nicht mehr an Einzelheiten und daran erinnern, ob es zu solchen Verzögerungen beim Durchlaufen der „Schleuse“ zur Körperkontrolle gekommen sei.

4. Angesichts dessen kann die vom Landgericht zur Grundlage seiner Entscheidung gemachte Frage, ob die Klägerin bewiesen hat, welches Uhrenmodell ihr abhanden gekommen sein, und welchen Wert eine solche Uhr habe, dahingestellt bleiben.

5. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen, da ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§ 97 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

6. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte