SG Berlin, Urteil vom 12.09.2008 - S 82 AS 20480/08
Fundstelle
openJur 2012, 9323
  • Rkr:

1. Bei der Beschränkung der anzuerkennenden Unterkunftskosten nach einem nicht erforderlichen Umzug sind vereinbarte Steigerungen der früheren Unterkunftskosten (hier Staffelmietvereinbarung) zu berücksichtigen.2. § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 findet nach Ablauf von zwei Jahren nach einem nicht erforderlichen Umzug dann keine Anwendung, wenn lediglich eine maßvolle Kostensteigerung vorliegt und anzunehmen ist, dass sich auch die ursprüngliche Miete erhöht hätte.

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 01.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides 21.09.2007 verpflichtet, dem Kläger

- für den Zeitraum vom 01.07.2007 bis 30.06. 2008 monatlich um 5,00 EUR höhere Kosten der Unterkunft,

- für den Zeitraum vom 01.07.2008 bis 31.08.2008 monatlich um 10,00 EUR höhere Kosten der Unterkunft

- sowie ab dem 01.09.2008 die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu gewähren.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt höhere Kosten der Unterkunft.

Der Kläger bezieht seit dem 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Seit 1. März 2004 bewohnte er eine 2-Zimmer-Wohnung in der W..straße … zu einem monatlichen Mietzins von 260,00 € im September 2006, der sich aus 185 € Grundmiete sowie 75 € Betriebskostenvorauszahlung zusammensetzte. In der damaligen Wohnung des Klägers bestanden erhebliche Mängel, die der Vermieter jedoch auch auf Mängelbeseitigungsaufforderungen des Klägers sowie dessen Mietminderung nicht beseitigte. Der Vermieter hielt zudem bei Einzug des Klägers in die Wohnung gegebene Zusagen zur Mängelbeseitigung nicht ein. Die Wohnung verfügte über Kohleheizung, im Bad gab es kein Handwaschbecken. Bad und Küche war nicht beheizbar, was der Kläger jedoch beim Einzug in die Wohnung wusste. Ferner gab es Auseinandersetzungen mit den Mitmietern des Hauses, und mehrfach Wasserschäden im Keller.

Der Mietvertrag über die Wohnung des Klägers der W….straße enthielt folgende Vereinbarung zur Staffelmiete:

"Es wird eine Staffelmiete wie folgt vereinbart:Die Nettokaltmiete beträgt:ab 1.7. 2005 Euro 180,00ab 1.7. 2006 Euro 185,00ab 1.7. 2007 Euro 190,00ab 1.7. 2008 Euro 195,00.“Zum 1. September 2006 bezog der Kläger, ohne zuvor die Zustimmung zum Umzug beim Beklagten einzuholen, eine neue Wohnung in der M…straße mit einer Wohnungsgröße von 79,04 m², für welche eine monatliche Gesamtmiete von 398,00 € vereinbart war. Der Antrag des Klägers auf Übernahme der höheren Miete wurde vom Beklagten mit Bescheid vom 15. September 2006 abgelehnt. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Bescheid vom 5. Februar 2007 zurückgewiesen. Der Beklagte übernahm weiterhin nur die Miete in Höhe des zuvor für die Wohnung in der W…straße gewährten Betrages von 260,00 €.

Zum 1. Februar 2007 bezog der Kläger seine jetzige Wohnung in der D… Straße, für die er monatlich 304,08 € aufzuwenden hat. Eine Zustimmung zum Umzug holte er wiederum nicht ein. Zuzüglich benötigt er Brennstoffbeihilfen, da nur eine Kohleheizung vorhanden ist.

Den Antrag des Klägers auf Übernahme der höheren Mietkosten lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 1. März 2007 ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Bescheid vom 21. September 2007 zurückgewiesen. Der Beklagte übernahm und übernimmt weiterhin lediglich eine Miete in Höhe von 260,00 € und begründet dies damit, dass der Kläger ohne Zustimmung umgezogen sei und der Beklagte daher nur Miete in Höhe der in der W…straße geschuldeten Kosten zu übernehmen habe. Der Beklagte gewährte dem Kläger jedoch die für die Beheizung der neuen Wohnung erforderliche Brennstoffbeihilfe, welche auch in der Wohnung in der W…straße erforderlich gewesen war.

Der Kläger gibt an, dass die Miete des neuen Mieters in seiner früheren Wohnung in der W…straße derzeit etwa 315,00 EUR betrage. Er ist der Ansicht, dass der Auszug aus der Wohnung in der W…straße wegen unzumutbaren Wohnbedingungen erforderlich gewesen sei.

Mit der am 13. Oktober 2007 erhobenen Klage beantragte der Kläger,

den Beklagten zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 1. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2007 ab dem 1. Februar 2007 die tatsächlichen anfallenden Kosten der Unterkunft zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Leistungsakten des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Gründe

Die Klage ist zulässig, insbesondere konnte der Kläger die Klage auf die Überprüfung der ihm gewährten Kosten der Unterkunft und Heizung beschränken. Die Klage ist teilweise auch begründet. Der ablehnende Bescheid vom 1. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

1. Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die derzeitigen, seit 1. Februar 2007 anfallenden Mietkosten für die neue Wohnung der D… Straße sind auch angemessen. In Berlin ist – jedenfalls nach der Verwaltungspraxis – für einen 1-Personen-Haushalt eine Bruttowarmmiete von 360 EUR pro Monat angemessen. Die Kammer sieht keinen Anlass im Rahmen dieser Entscheidung an der Rechtmäßigkeit zumindest dieser Untergrenze zu zweifeln.

Jedoch gilt nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II: Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, werden die Leistungen weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht.

Hier war der allein zu berücksichtigende Umzug aus der W…straße nicht erforderlich. Dennoch hat der Beklagte bei der Bemessung der übernommenen Unterkunftskosten zum einen die frühere Staffelmietvereinbarung zu berücksichtigen und zum anderen im vorliegenden Einzelfall nach Ablauf von 2 Jahren, somit ab dem 1. September 2008, die tatsächlichen Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung wieder zu übernehmen. Im Einzelnen:

a. Der Umzug des Klägers war nicht erforderlich. Nach Ansicht der Kammer war zunächst der Auszug aus der Wohnung in der W…straße nicht notwendig. Zwar ist dem Kläger darin zuzustimmen, dass die Wohnverhältnisse belastend waren. Jedoch sind die vom Kläger beschriebenen Mietmängel und Unannehmlichkeiten der Wohnung nach Überzeugung der Kammer nicht derart gravierend, dass dies die Notwendigkeit eines Umzuges begründen könnte. Insoweit war der Kläger auf die zivilrechtliche Geltendmachung der Sachmängelrechte gegenüber dem Vermieter zu verweisen. Zwar kannte der Kläger – wie er selbst einräumt – einen Teil der Mängel bei Einzug und bestimmt § 536b BGB, dass die Kenntnis der Wohnungsmängel bei Einzug die Sachmängelhaftung des Vermieters ausschließt. Die Kammer ist der Ansicht, dass jedoch auch der Ausschluss der Sachmängelhaftung des Vermieters eine Erforderlichkeit des Umzuges nicht begründet, wenn die akzeptierten Mängel die Zumutbarkeit des Weiterwohnens – wie hier – nicht über Gebühr beeinträchtigen. Der Kläger hat das unbeheizte Bad ohne Waschbecken und die unbeheizte Küche bei Vertragsschluss in Kauf genommen. Deren Fehlen kann im vorliegenden Fall nicht Jahre später als Umzugsgrund angeführt werden. Auch die Unannehmlichkeiten im Wohnumfeld begründen nach Überzeugung der Kammer die Erforderlichkeit eines Umzuges nicht.

Nach Ansicht der Kammer ist ferner nicht darauf abzustellen, dass der Kläger aus der M…straße in eine kostengünstigere weitere Wohnung umzog. Zwar war die Kostensenkung insoweit erforderlich. Jedoch die durch den erneuten Umzug ergebende Mietkostensenkung hat der Kläger zuvor durch den nicht erforderlichen Auszug aus der Wohnung in der W…straße selbst verursacht. Die Berücksichtigung des Zweitumzuges würde dazu führen, dass Hilfebedürftige die Erforderlichkeit eines Umzuges durch zwischenzeitliche Anmietung unangemessenen Wohnraums selbst herbeiführen könnten.

b. Vorliegend haben sich die Kosten der Unterkunft durch den Umzug erhöht. Dabei ist wiederum nur der – insoweit geringere – Mietkostenanstieg im Vergleich der Wohnungsmiete in der W…straße mit der jetzigen Wohnung zu berücksichtigen.

c. Damit war der Beklagte gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II dem Grunde nach berechtigt, die angemessenen Kosten der Unterkunft nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen zu erbringen.

22Der Höhe nach ist der Ablehnungsbescheid jedoch fehlerhaft. Nach Ansicht der Kammer ist der vormalige Staffelmietvertrag des Klägers zu berücksichtigen. Nach Sinn uns Zweck der Regelung sollen die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen begrenzt werden, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch die kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit zwar höheren, aber gerade noch angemessenen Kosten ziehen (BT-Drucks 16/1410, S 23). Motiv der gesetzlichen (Neu-) Justierung der Angemessenheitsgrenze in derartigen Fallkonstellationen ist es, Kostensteigerungen durch Umzüge entgegenzuwirken (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rdnr. 47a). Die höheren Kosten aufgrund des Staffelmietvertrages stellen jedoch die Aufwendungen dar, die ohne einen gesetzlich sanktionierten, weil nicht erforderlichen Umzug angefallen wären.

Daher war – entsprechend dem vormaligen Mietvertrag – die Steigerung der Kaltmiete um 5 EUR ab dem 1. Juli 2007 und um 10 EUR ab dem 1. Juli 2008 zu berücksichtigen. Insoweit war die Übernahme der Kosten der Unterkunft in den weiteren Bewilligungsbescheiden zu gering bemessen.

24d. Die Kammer ist zudem der Überzeugung, dass § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II zeitlich einschränkend auszulegen ist. Danach ist die Beschränkung auf die früheren Aufwendungen für die Unterkunft nach Ablauf von zwei Jahren nicht weiter anzuwenden, wenn lediglich eine maßvolle Kostensteigerung vorliegt und wenn anzunehmen ist, dass sich auch die ursprüngliche Miete erhöht haben wird.

Nach der allgemeinen Entwicklung auf dem Mietmarkt ist – auch inflationsbedingt – mit dauerhaft steigenden Mietpreisen zu rechnen. Dies berücksichtigt auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, wonach die (jeweils) tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen sind, soweit sie angemessen sind. Eine zeitlich unbegrenzte Anwendung des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II würde die Kostenübernahmepflicht des Beklagten jedoch von der allgemeinen Mietentwicklung abkoppeln und zu einer Dauersanktionierung des Umziehenden führen. Dies würde Sinn und Zweck der Regelung, unberechtigten Kostensteigerungen entgegenzuwirken, ab dem Zeitpunkt nicht mehr entsprechen, in welchem die allgemeinen Kostensteigerungen zu einer Erhöhung der früheren Miete auf das jetzige Maß führen. In den von § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II erfassten Fallkonstellationen kann jedoch – wegen des Auszuges aus der früheren Wohnung – nur mit besonderer Mühe und Aufklärung ermittelt werden, ob und zu welchem Zeitpunkt die frühere Wohnung aufgrund von Kostensteigerungen das Niveau der jetzigen Miethöhe erreicht haben wird. Auch im hiesigen Fall ließe sich nach Überzeugung der Kammer nicht mehr ermitteln, welche Mieterhöhungsmöglichkeiten der Vermieter hätte nutzen können und genutzt hätte. Die Kammer hält es daher für angemessen, unter den genannten Voraussetzungen § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II nach Ablauf von zwei Jahren nicht weiter anzuwenden. Hier liegt lediglich eine maßvolle Kostensteigerung vor (270 EUR Bruttokaltmiete auf 305,08 EUR Bruttokaltmiete) und ist aufgrund der Staffelmiete belegt, dass sich die besonders günstige Wohnungsmiete der früheren Wohnung des Klägers auch im Falle eines unterlassenen Auszuges erhöht hätte. Ferner ist anzunehmen, dass weitere Mieterhöhungen nach Auslaufen der Staffelmietvereinbarung aufgrund Mieterhöhungsverlangens eingetreten wären bzw. eintreten würden. Der Auszug des Klägers aus der Wohnung in der W….straße liegt am 1. September 2008 schließlich zwei Jahre zurück.

Daher war der Beklagte zu verpflichten, der derzeitigen Leistungsbewilligung ab dem 1. September 2008 die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zugrunde zu legen.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt das weit überwiegende Obsiegen des Klägers.

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