KG, Beschluss vom 29.06.2005 - 5 Ws 164/05
Fundstelle
openJur 2012, 2214
  • Rkr:

<dt/><dd><p>1. Ordnet das Gericht anstelle des als Beistand des Nebenklägers beigeordneten Rechtsanwalts für einen Tag der Hauptverhandlung einen anderen Rechtsanwalt bei, so ist letzterer als dessen Vertreter tätig.</p></dd></dl><dl class="RspDL"><dt/><dd><p>2. Für den vertretungsweise tätigen Rechtsanwalt entsteht die Terminsgebühr nach VV RVG 4114 ff., aber keine Grundgebühr nach VV RVG 4100.</p></dd>

Tenor

Die Beschwerde der Rechtsanwältin S... S..., ... Berlin, ..., gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 22. Februar 2005 wird verworfen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Gegen R... W... erhob die Staatsanwaltschaft unter dem 22. Juli 2004 Anklage wegen Vergewaltigung der Zeugin Ra... Wi... Am 13. September 2004 zeigte Rechtsanwältin H... unter Einreichung einer Vollmacht die Vertretung der Zeugin an und erklärte, die Zeugin schließe sich der öffentlichen Klage als Nebenklägerin an. Mit Beschluss vom 15. September 2004 stellte die mit der Sache befasste Strafkammer nach §§ 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, 396 Abs. 2 Satz 1 StPO die Wirksamkeit des Anschlusses fest und bestellte gemäß § 397 a Abs. 1 Satz 1 StPO Rechtsanwältin H... zum Beistand der Nebenklägerin.

Vor Beginn der zweitägigen Hauptverhandlung teilte Rechtsanwältin H... der Strafkammer mit, sie sei am 1. Verhandlungstag am Erscheinen verhindert. An diesem Tag werde Rechtsanwältin S... im Einvernehmen mit der Nebenklägerin deren Vertretung übernehmen. Zu Beginn der Hauptverhandlung am 11. Oktober 2004 bestellte die Strafkammer für die Dauer der Abwesenheit von Rechtsanwältin H... der Nebenklägerin Rechtsanwältin S... mit der Maßgabe zum Beistand, dass die Gebühr nur einmal entstehe. Am zweiten Verhandlungstag, dem 19. Oktober 2004, an dem Rechtsanwältin H... teilnahm, wurde der Angeklagte rechtskräftig verurteilt.

Mit Beschluss vom 19. November 2004 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts die Vergütung für Rechtsanwältin H... unter Zuerkennung der Grundgebühr (VV RVG Nr. 4100) von 132 Euro, der Verfahrensgebühr (VV Nr. 4112) von 124 Euro, der Terminsgebühr (VV Nr. 4114) von 216 Euro sowie einer Auslagenpauschale von 15 Euro und von Kopierkosten auf 604,70 Euro festgesetzt.

Rechtsanwältin S..., um deren Vergütung es jetzt noch geht, hat die Festsetzung der Grundgebühr (VV Nr. 4100) von 132 Euro, der Terminsgebühr (VV Nr. 4114) von 216 Euro, einer zusätzlichen Terminsgebühr (VV Nr. 4116) von 108 Euro sowie der Auslagenpauschale von 20 Euro beantragt und unter Einbeziehung der Umsatzsteuer eine Vergütung von 552,16 Euro beansprucht. Mit Beschluss vom 26. November 2004 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts die Vergütung auf lediglich 381,64 Euro festgesetzt. Dieser Betrag setzt sich aus den Terminsgebühren (VV Nr. 4114, 4116) von 216 Euro und 108 Euro, einer Postpauschale von 5 Euro sowie der Umsatzsteuer von 52,64 Euro zusammen. Die Zuerkennung der Grundgebühr (VV Nr. 4100) hat die Rechtspflegerin mit der Begründung abgelehnt, die Beiordnung der Beschwerdeführerin sei mit der Maßgabe erfolgt, dass die Gebühr nur einmal entstehe, und die Grundgebühr sei bereits für Rechtsanwältin H... festgesetzt worden. Deshalb sei bei der Beschwerdeführerin auch die Postpauschale nicht erstattungsfähig. Da Rechtsanwältin H... anstelle der ihr nach VV Nr. 7002 zustehenden 20 Euro nur 15 Euro beansprucht habe, könne aber der Differenzbetrag der Beschwerdeführerin zugesprochen werden.

Die Erinnerung der Rechtsanwältin S... hat die Strafkammer mit dem Beschluss vom 22. Februar 2005 verworfen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Beschwerdeführerin sei nicht die Vertretung der Nebenklägerin als solche, sondern nur die Wahrnehmung einer Einzeltätigkeit übertragen worden, so dass ihr lediglich eine Gebühr nach VV Nr. 4301 Ziff. 4 in Höhe von 168 Euro zustehe. Auf die Grundgebühr habe sie keinen Anspruch.

Die Strafkammer, die diese Entscheidung in der Besetzung mit drei Richtern getroffen hat, hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG die Beschwerde zugelassen. Die hiernach zulässige Beschwerde der Rechtsanwältin hat keinen Erfolg.

1. Nicht zu folgen ist allerdings der Auffassung der Strafkammer, die Gebühren der Beschwerdeführerin seien nicht nach Abschnitt 1 (Gebühren des Verteidigers), sondern nach Abschnitt 3 (Einzeltätigkeiten) des Teils 4 (Strafsachen) des Vergütungsverzeichnisses Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG festzusetzen.

Nach der amtlichen Vorbemerkung 4.3 Abs. 1 zu Teil 4 Abschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses entstehen Gebühren nach diesem Abschnitt für einzelne Tätigkeiten, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Verteidigung oder Vertretung übertragen worden ist. Damit stellt Abschnitt 3 dem Vollverteidiger, dessen Gebühren sich nach den VV Nr. 4100 ff bestimmen, den Anwalt gegenüber, dem nur eine oder mehrere Einzelaufgaben aus dem Arbeitsbereich des Verteidigers übertragen worden sind (vgl. Madert in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG 2004, VV 4300 - 4304 Rdn. 1). Auf die Vergütung des Beistands des Nebenklägers findet diese Regelung nach der Vorbemerkung 4 Abs. 1 zu Teil 4 des Vergütungsverzeichnisses entsprechende Anwendung (vgl. Gebauer/Schneider, RVG 2. Aufl., VV Vorb. 4.3 Rdnrn. 1, 2 und 7).

Hiernach wird eine Einordnung der Beistandsleistung der Beschwerdeführerin in den Gebührenrahmen der VV Nr. 4300 ff der Art ihrer Tätigkeit nicht gerecht. Die Beschwerdeführerin wurde der Nebenklägerin für den Hauptverhandlungstermin am 11. Oktober 2004 ohne inhaltliche Beschränkungen beigeordnet. In der Verhandlung nahm sie in Vertretung von Rechtsanwältin H... für die Nebenklägerin umfassend alle Beistandsrechte und -pflichten wahr. Die zeitliche Begrenzung ihrer Beistandstätigkeit auf den ersten Tag der Hauptverhandlung kann demgegenüber jedenfalls bei der hier gegebenen Sachlage nicht dazu führen, eine Beauftragung mit einer Einzeltätigkeit nach VV Nr. 4301 anzunehmen. Die Beschwerdeführerin ist für diesen Verhandlungstag nicht zusätzlich neben Rechtsanwältin H..., sondern an deren Stelle beigeordnet worden. Ihre Tätigkeit bildete einen Teil der umfassenden anwaltlichen Beistandsleistung, auf die die Nebenklägerin nach § 397 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO einen Anspruch hatte. In diesen Zusammenhang muss ihre Tätigkeit auch gebührenrechtlich eingeordnet werden. Angesichts dessen ist ihre Vergütung nach Abschnitt 1 des Teils 4 des Vergütungsverzeichnisses festzusetzen.

2. Zutreffend vertritt die Beschwerdeführerin auch die Auffassung, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers und dementsprechend die Beiordnung eines Beistands nach § 397 a StPO nicht mit der Maßgabe erfolgen kann, dass der Gebührenanspruch nur zum Teil entsteht. Welche Gebühren ein beigeordneter Rechtsanwalt als Vergütung aus der Staatskasse beanspruchen kann, bestimmt sich nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes und entzieht sich einer Beschränkung durch das beiordnende Gericht (vgl. OLG Frankfurt NJW 1980, 1703). Ob der Rechtsanwalt auf die ihm gesetzlich zustehende Vergütung teilweise verzichten kann, bedarf hier keiner Erörterung, da die Beschwerdeführerin eine Verzichtserklärung nicht abgegeben hat.

3. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Befugnis des Gerichts, im Falle einer zeitweiligen Verhinderung des bestellten Beistands als dessen Vertreter dem Nebenkläger einen anderen Rechtsanwalt auch mit gebührenrechtlichen Folgen nur für den Verhinderungszeitraum beizuordnen.

Für die Pflichtverteidigung ist allgemein anerkannt, dass sich der bestellte Verteidiger bei vorübergehender Verhinderung mit Genehmigung des Gerichts durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen kann (vgl. OLG Frankfurt aaO.; OLG Hamm, Beschluss vom 3. Oktober 1983 - 1 Ws 144/83 - juris; Laufhütte in KK, StPO 5. Aufl., § 142 Rdn. 10; Julius in HK, StPO 3. Aufl., § 142 Rdn. 12; Wohlers in SK-StPO, § 141 Rdn. 17). Dass der dem Nebenkläger beigeordnete Rechtsanwalt bei einer Verhinderung einen Vertreter beauftragt und dieser mit Genehmigung des Gerichts für ihn auftritt, ist erst recht unproblematisch, weil - anders als bei der Pflichtverteidigung, bei der der gewählte Verteidiger vor der Bestellung nach § 141 Abs. 1 StPO das Wahlmandat niederlegen muss - der Auftrag, den der Nebenkläger dem Rechtsanwalt erteilt hat, nach dessen Beiordnung fortbesteht, so dass er auch Untervollmacht erteilen kann (vgl. Beschluss des Senats vom 13. Juni 2005 - 5 Ws 253/05 -).

Ist es aber rechtlich zulässig, dass sich der dem Verteidiger bestellte Beistand bei vorübergehender Verhinderung mit Genehmigung des Gerichts vertreten lässt, so muss dem Gericht auch die Möglichkeit offen stehen, den Vertreter - nur - für den Zeitraum der Abwesenheit des Beistands dem Nebenkläger beizuordnen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 142 Rdn. 15; Pfeiffer, StPO 5. Aufl., § 142 Rdn. 3). Für den Vertreter hat diese Verfahrensweise den Vorteil, dass der Gebührenanspruch für seine Tätigkeit unmittelbar in seiner Person entsteht. Dieser Anspruch kann aber nicht höher sein, als er wäre, wenn der Rechtsanwalt ohne Beiordnung als Vertreter des Beistands aufgetreten wäre. Mithin stehen ihm nur die Gebühren zu, die der Beistand geltend machen könnte, wenn er die Tätigkeit selbst ausgeübt hätte.

Rechtsanwältin H... hätte für eine Teilnahme am ersten Hauptverhandlungstag lediglich die Terminsgebühr (VV Nr. 4114) von 216 Euro und die zusätzliche Terminsgebühr (VV Nr. 4116) von 108 Euro beanspruchen können. Die Grundgebühr VV Nr. 4100 hat sie nicht hierfür erhalten, sondern sie war bereits für die erstmalige Einarbeitung in die Sache entstanden. Der Beschwerdeführerin stehen mithin lediglich die beiden Terminsgebühren zuzüglich des von Rechtsanwältin H... nicht geltend gemachten Teils der Postpauschale zu. Dem kann sie nicht entgegenhalten, dass auch sie sich in das Verfahren einarbeiten und ein Gespräch mit der Nebenklägerin führen musste. Die Grundgebühr kann sie gleichwohl nicht beanspruchen, da sie den Hauptverhandlungstermin lediglich in Vertretung von Rechtsanwältin H... vorgenommen hat und für die von ihr ausgeübte Tätigkeit keine zweite Grundgebühr entstanden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.