SG Düsseldorf, Urteil vom 23.10.2003 - S 27 RA 99/02
Fundstelle
openJur 2011, 27007
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 31.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2002 verurteilt, dem Kläger Witwerrente nach § 46 SGB VI zu gewähren.2. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung von Hinterbliebenenrente in Form der Witwerrente nach § 46 SGB VI (Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung).

Der am 00.00.0000 geborene H lebte über 20 Jahre in einer Lebensgemeinschaft mit dem Kläger. H war bis zu seinem Tode am 00.00.0000 siehe: beglaubigte Abschrift aus dem Sterbebuch Nr. 0000 vom 00.00.0000 Mitglied der Beklagten als gesetzlich Rentenversicherter.

Am 00.00.0000 - dem Tage des Inkrafttretens des LPartG (Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft &...150; Lebenspartnerschaftsgesetz) - als Art. 1 des LPartDisBG (Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften) vom 16.02.2001 - begründete der Kläger mit Herrn H eine Lebenspartnerschaft im Sinne dieses Gesetzes (siehe: Lebenspartnerschaftsurkunde Nr. 0/00 der Bezirksregierung E vom 00.00.0000).

Nach dem Tode des Versicherten stellte der Kläger am 00.00.0000 bei der Beklagten einen Antrag auf Hinterbliebenenrente/Witwerrente. Auf den Inhalt des von ihm dazu ausgefüllten Antragsvordrucks R 500 wird verwiesen.

Mit Bescheid vom 29.10.2001 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen unter Berufung auf ein Urteil des BSG (Bundessozialgericht) vom 04.03.1982 aus, dass bei eheähnlichen Gemeinschaften keine gültige Ehe bestanden habe und der Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft damit nach dem Tod des Versicherten kein Witwer sei und keinen Anspruch auf Witwerrente habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Bescheidinhalt Bezug genommen.

Der Kläger erhob hiergegen mit Telefax vom 00.00.0000 Widerspruch, den er mit Schriftsatz vom 12.12.2001, auf dessen Inhalt wegen der näheren Einzelheiten verwiesen wird, näher begründete.

Die Beklagte wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 zurück. Zur Begründung führt sie aus, dass bei eheähnlichen Lebensgemeinschaften keine gültige Ehe im Sinne des § 46 SGB VI bestehe. Die durch das LPartG eingeführte Eingetragene Lebenspartnerschaft werde weder dem direkten Schutz der Ehe im Sinne des Art. 6 GG (Grundgesetz) unterstellt, noch der Ehe gleich gestellt. Als Ehe könne nach Auffassung des BVerfG (Bundesverfassungsgericht) nur die rechtliche Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau angesehen werden, nicht die Verbindung zwischen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern. Im Hinblick auf den unveränderten Wortlaut des § 46 SGB VI lasse sich aus einer derartigen Eingetragenen Lebenspartnerschaft deshalb ein Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente nicht herleiten. Eine ausdrückliche gesetzliche Normierung enthalte das LPartG nicht, einer solchen hätte es aber bedurft. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides Bezug genommen.

Der Widerspruchsbescheid wurde am 14.03.2002 von der Beklagten abgesandt.

Mit seiner bei Gericht am 00.00.0000 eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren auf Zahlung einer Witwerrente weiter. Er ist der Auffassung, die Eingetragene Lebenspartnerschaft nach dem LPartG sei der Ehe im Sinne des § 46 SGB VI gleichzustellen. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm seien damit erfüllt. Zumindest sei § 46 SGB VI aber analog anzuwenden. Andernfalls sei davon auszugehen, dass diese Vorschrift verfassungswidrig sei. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf den den Beteiligten bekannten Inhalt der Klageschrift vom 00.00.0000 sowie des nachgereichten Schriftsatzes vom 00.00.0000 verwiesen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.10.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2003 zu verurteilen, ihm Witwerrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den Widerspruchsbescheid und sieht sich als Teil der gesetzesausführenden Verwaltung nicht in der Lage, zu beurteilen, ob die Gesetzesnorm verfassungskonform sei oder nicht (Klageerwiderung vom 00.00.0000).

Gründe

Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nicht.

Die Klage ist auch begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte die Gewährung einer Witwerrente abgelehnt. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und daher aufzuheben. Der Kläger hat Anspruch auf Hinterbliebenenrente.

Streitig ist allein die Frage, ob der Kläger als Hinterbliebener des bei der Beklagten Versicherten als Witwer im Sinne des § 46 SGB VI anzusehen ist. Die Kammer ist der Auffassung, dass dies unter Würdigung aller Umstände der Fall ist und dem Kläger daher eine Hinterbliebenenrente nach Maßgabe der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen zusteht.

Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass traditionell mit den Begriffen Witwe bzw. Witwer nur Personen bezeichnet wurden, deren Ehegatten gestorben sind (Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Jubiläumsausgabe 1991, S. 1441 Spalte 2). Dieses eingeschränkte Wortverständnis ist allerdings nach Erlass des LPartG nicht mehr ausreichend. Die Hinterbliebenenrente nach § 46 SGB VI dient dem Ausgleich eines gegen den Verstorbenen gerichteten Unterhaltsanspruchs (vgl. Köbel in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 3, Rentenversicherungsrecht, § 28 Rn. 1 bis 7 m.w.N.; Schulin ebendort, § 39 Rn. 201 m.w.N.). Insoweit stellt das LPartG in § 5 Lebenspartner Ehegatten gleich. Sind aber Lebenspartner - ebenso wie Ehegatten - einander zum Unterhalt verpflichtet, ist kein sachgerechter Grund ersichtlich, die Folgeregelungen im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, welche Ansprüche gerade wegen der Unterhaltsersatzfunktion gewähren, nicht auch entsprechend auszugestalten.

Der Wortlaut kann jedenfalls nach Auffassung der Kammer kein Hindernis sein. Wie das BVerfG bereits in anderem Zusammenhang entschieden hat (Beschluss - 1 BvR 818/81 - vom 30.11.1982) bindet das Gesetz weder die Verwaltung noch den Richter an eine Auslegung des Witwenbegriffs, der mit den Vorschriften über den familienrechtlichen Status deckungsgleich ist. Vielmehr lässt die Vorschrift eine verfassungskonforme Auslegung gerade zu. Diese ist auch hier geboten. Denn dem Gesetzgeber ist es durch den in Art. 3 Abs. 1 GG verankerten Gleichheitsgrundsatz in seiner Ausprägung als Verbot ungerechtfertigter Verschiedenbehandlung mehrerer Personengruppen verwehrt, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.

Nur durch eine nicht allein am Wortlaut, sondern eine teleologisch an der Verfassung orientierten Auslegung lässt sich ein Gleichheitsverstoß vermeiden. Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet die Gerichte, "nach Gesetz und Recht" zu entscheiden. Eine bestimmte Auslegungsmethode schreibt die Verfassung nicht vor. Sogar eine Rechtsfortbildung "praeter legem" ist nicht ausgeschlossen. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob dem subjektiven Willen des Gesetzgeber die mit dem Gesetz nicht zu vereinbarende Auslegung eher entsprochen hätte. Entscheidendes Kriterium ist vielmehr, dass die Auslegung des Gerichts "sachgerecht" ist. Insoweit besteht das Gebot, eine Normvariante anzuwenden, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht (vgl. zum Ganzen: Urteil des BSG - B 13 RJ 47/01 R - vom 14.11.2002 m.w.N.).

Das Gericht beachtet hierbei durchaus die Grenzen verfassungskonformer Auslegung, die sich aus einer Zusammenschau von Wortlaut ("Witwe" bzw. "Witwer") und verfolgtem Zweck (Unterhaltsersatz) der Regelung ergeben. Beides wird durch die gefundene Auslegung des erkennenden Gerichtes weder verfehlt noch verfälscht. Im Gegenteil vermeidet nur eine solche Auslegung der Vorschrift einen Wertungswiderspruch und ist deshalb allein sachgerecht. Die Rechtslage hat sich nämlich durch das Lebenspartnerschaftsgesetz grundlegend geändert.

Dieses Gesetz begründet auch für eingetragene Lebenspartnerschaften Unterhaltsverpflichtungen (§ 5 LPartG), eine Pflicht zur gemeinsamen Lebensgestaltung und gegenseitigen Verantwortung (§ 2 LPartG) sowie ein Erbrecht des überlebenden Lebenspartners (§ 10 LPartG) und stellt Anforderung an eine Aufhebung der Lebenspartnerschaft (§ 15 LPartG). Dadurch wird die Rechtstellung derjenigen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, die ihre Lebenspartnerschaft eintragen lassen, stark an die verheirateter Ehegatten angenähert.

Das LPartG selbst ist gültiges Recht, was das BVerfG inzwischen verbindlich festgestellt hat (Urteil - 1 BvF 1/01 und 1 BvF 2/01 - vom 17.07.2002).

Auch die von der Beklagten im Widerspruchsbescheid herangezogene Entscheidung des BSG führt zu keinem anderen Ergebnis, da diese - ebenso wie zahlreiche weitere vor Erlass des LPartG ergangene gleichlautende Entscheidungen - sich auf einen anderen Sachverhalt bezog und das LPartG noch nicht berücksichtigen konnte. In der genannten Entscheidung ging es - im hier zu interessierenden Zusammenhang - allein um die Frage der Gleichstellung einer nichtehelichen - also einer ohne rechtlich Bindung eingegangenen - Lebensgemeinschaft mit der Ehe. Eine solche nichteheliche Lebensgemeinschaft unterscheidet sich von der Eingetragenen Lebenspartnerschaft gerade dadurch, dass hier grundsätzlich wechselseitige Unterhaltsansprüche nicht bestehen.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass - wie der Kläger zutreffend anmerkt - die gefundene Auslegung allein den an die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der Europäischen Union gestellten Anforderungen im Lichte des Europäischen Rechtes gerecht wird. Die Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 303/16 vom 02.12.2000) verbietet eine Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung. Die noch in der Entscheidung des EuGH (Europäischer Gerichtshof) vom 17.02.1998 in der Rs. (Rechtssache) C-249/96 (Grant) vertretene Auffassung, es gebe keine Verpflichtung, die Situation einer Person, die eine feste Beziehung mit einem Partner des gleichen Geschlechts unterhalte, der Situation einer Person, die verheiratet sei, gleichzustellen, ist jedenfalls nach Erlass des LPartG für die Bundesrepublik Deutschland und im Lichte dieser Richtlinie überholt. Die Pflicht zur richtlinienkonformen bzw. gemeinschaftskonformen Auslegung (vgl. Urteile des EuGH vom 31.11.1990 - Rs. C-106/89 (Marleasing) - (Rn. 8) und vom 17.09.1997 - Rs. C-54/96 (Dorsch Consult) (Rn. 43); Bergmann, Grundstrukturen der Europäischen Gemeinschaft und Grundzüge des gemeinschaftlichen Sozialrechts, SGb 1998, S. 449 (454); Lüdtke in Hk-SGG (Handkommentar Sozialgerichtsgesetz), 1.Aufl. 2003, § 1 Rn. 12 m.w.N.) gebietet dem Gericht - und entgegegen der Ansicht der Beklagten auch diese (EuGH a.a.O.) - den Klägers mit Ehegatten gleich zu behandeln.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG (Sozialgerichtsgesetz).