OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2003 - I-18 U 29/03
Fundstelle
openJur 2011, 26355
  • Rkr:
Tenor

für R e c h t erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20. Dezember 2002 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Kleve - 8 0 64/02 -abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.191,15 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetz seit dem 22.03.2001 zu zahlen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem und nach ihrer Behauptung auf sie übergegangenen Recht auf Schadensersatz wegen des Verlustes von Transportgut in Anspruch.

Die Klägerin behauptet, im Jahre 2000 führender Transportversicherer der Firma G. aus Gelsenkirchen gewesen zu sein. Diese Firma hat unstreitig die Beklagte am 14. Juli 2000 mit der Beförderung von 1.951 Textilien von Gelsenkirchen nach Hamburg beauftragt, wobei die Parteien darüber streiten, ob dieser Auftrag zu festen Kosten erteilt worden ist. Die Beklagte wiederum beauftragte den streitverkündeten Frachtführer mit dem Transport der Ware von Gelsenkirchen nach Hamburg. Dieser stellte den mit dem Transportgut beladenen Kastenwagen am Freitag, den 14. Juli 2000 gegen 22.30 Uhr auf einem Parkplatz in Hamburg am Ladenbeker Furtweg gegenüber der Hausnummer 33 in der Nähe seiner Wohnung ab. In etwa 10 Meter Entfernung zu diesem Parkplatz befindet sich ein Wohnhaus. Die Gegend um den Parkplatz ist mit lockerer Wohnbebauung bebaut. Bevor der Frachtführer die Fahrerkabine verschloss, entfernte er daraus die Radioabdeckung und den Telefonhörer. Als er am Montag, den 17. Juli 2000 gegen 8.30 Uhr zu dem Fahrzeug kam, stellte er fest, dass die Seitentür des Kastenwagens geöffnet worden war und 270 Textilien gestohlen worden waren. Hebelspuren wurden im Bereich der Seitentür nicht festgestellt.

Die Klägerin behauptet, der Schaden aus der Entwendung der Textilien habe 12.304,50 DM betragen. Die handelsrechtliche Grundhaftung für Frachtführer hat die Beklagte erstattet. Mit der vorliegenden Klage wird der Restschaden mit der Begründung geltend gemacht, dass die Beklagte sich nicht auf die Haftungsbeschränkungen nach den Vorschriften des HGB oder der ADSp berufen könne, weil der Diebstahl leichtfertig verursacht worden sei. Eventuell sei der Unterfrachtführer an dem Diebstahl beteiligt gewesen, was naheliege, weil sich keine Hebelspuren an der aufgebrochenen Tür befunden hätten. Davon abgesehen, stelle aber auch das Abstellen des beladenen Transportwagens über das Wochenende vom 14. Juli 2000 ein leichtfertiges Verhalten dar. Schließlich werde das leichtfertige Verschulden vermutet, weil die Beklagte nähere Einzelheiten zu dem Diebstahl des Transportgutes nicht gemacht habe.

Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin und macht insbesondere geltend, dass das Verhalten des Unterfrachtführers in Deutschland üblich sei und deshalb kein leichtfertiges Verschulden darstellen könne.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Vortrag der Parteien keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Leichtfertigkeit im Sinne des § 435 HGB n.F. ergebe. Allein das Abstellen des Transportfahrzeuges in einem Wohngebiet in Hamburg erfülle den Tatbestand der Leichtfertigkeit nicht, weil von einer hohen Diebstahlswahrscheinlichkeit nicht ausgegangen werden könne. Auch die Tatsache, dass keine Hebelspuren an der geöffneten Seitentür festgestellt worden seien, lasse nicht zwingend darauf schließen, dass der Fahrer an dem Diebstahl beteiligt gewesen sei. Schließlich folge auch kein vermutetes Verschulden aus der sogenannten sekundären Darlegungslast, weil der Sachverhalt insoweit unstreitig sei.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Kleve vom 20.12.2002 - 8 O 64/02 - die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.191,15 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über den Basiszins nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetzes vom 09.06.1998 seit dem 22.03.2001 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht ein Anspruch auf weitergehenden Schadensersatz gemäß §§ 425 Abs. 1, 429 Abs. 1, 435 HGB in Höhe 4.191,15 EUR gegen die Beklagte zu.

Die Klägerin ist zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches ihrer Versicherungsnehmerin berechtigt. In der Übergabe der notwendigen Unterlagen für die Geltendmachung eines Regressschadensersatzanspruches an einen Versicherer ist die konkludente Abtretung der durch diese Unterlagen konkretisierten Forderung zu sehen (BGH, NJW 1997, 729-730). Mit der Klageschrift hat die Klägerin die den Transporten zugrunde liegenden internen Geschäftspapiere der Firma G. Bekleidungswerke GmbH & Co KG vorgelegt, so dass ohne weiteres darauf geschlossen werden kann, dass ihr diese Unterlagen von ihrer Versicherungsnehmerin zur Verfügung gestellt worden sind. Diese Unterlagen betreffen den im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Schadensersatzanspruch, wodurch den Anforderungen des Bundesgerichtshofes in dem oben genannten Urteil Rechnung getragen wird.

Aus den von der Klägerin zu den Akten gereichten Bestätigungen der Mitversicherer folgt gleichzeitig, dass sie als führender Versicherer zur Führung des Regressprozesses ermächtigt ist.

Zwischen den Parteien ist ein Speditionsvertrag zustande gekommen, aufgrund dessen die Klägerin gemäß § 459 HGB wie ein Frachtführer haftet, da der Transport zu festen Kosten vereinbart worden ist. Die Fixkostenvereinbarung ist gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen, da die Beklagte nach dem substantiierenden Vortrag im Schriftsatz vom 08.11.2002 ihr Bestreiten nicht aufrecht erhalten hat und im Berufungsverfahren diesen Punkt nicht mehr thematisiert hat.

Ebenfalls als unstreitig ist der Verlust von 270 Kleidungsstücken im Obhutszeitraum des Unterfrachtführers der Beklagten anzusehen. Das einfache erstmalige Bestreiten des Schadenseintritts in der Berufungsinstanz ist angesichts der eigenen Schadensmeldung vom 25.07.2000 (Bl. 22 GA) unsubstantiiert und deshalb ebenfalls gemäß § 138 Abs. 3 ZPO unbeachtlich.

Zu Unrecht hat das Landgericht den Vorwurf des leichtfertigen Verschuldens an dem Diebstahl der 270 Textilien seitens des ausführenden Unterfrachtführers verneint.

Die bewusste Leichtfertigkeit im Sinne dieser Norm hat die grobe Fahrlässigkeit als Grenze für die Beschränkung der Haftung des Frachtführers abgelöst (BGH, NJW-RR 1999, 254, 255). Der Begriff der Leichtfertigkeit orientiert sich nach der Begründung zum Transportrechtsreformgesetz (vgl. BT-Drucksache 13/8445, S. 72) an denen der groben Fahrlässigkeit (Koller, Transportrecht, 4. Aufl., 2000, HGB § 435 adn. 6). Deshalb handelt leichtfertig, wer grundlegende und auf der Hand liegende Sorgfaltspflichten verletzt und naheliegende Überlegungen zur Sicherung des Transportgutes nicht anstellt. Das objektive Merkmal der Leichtfertigkeit setzt damit eine besonders schwere Nachlässigkeit voraus, das heißt der Handelnde muss sich in besonders krasser Weise über das Sicherheitsinteresse in Bezug auf die ihm anvertrauten Güter hinweggesetzt haben (Fremuth/Thume, Transportrecht, § 435 adn. 13, 14; OLG Hamburg, TranspR 2002, 238). Es liegt also dann vor, wenn der Frachtführer grundlegende, auf der Hand liegende Sorgfaltspflichten, die sich jedem aufdrängen müssen, nicht beachtet. Die jeweiligen Sorgfaltsanforderungen sind, wie nach der bisherigen Rechtsprechung zu dem alten Transportrecht, objektiv am Maßstab eines ordentlichen Frachtführers zu messen. Welche Sicherheitsvorkehrungen des Frachtführers zur Erfüllung dieser vertraglich Verpflichtung erforderlich sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Es kommt entscheidend darauf an, ob die getroffenen Maßnahmen den nach Ort und Zeit erforderlichen Sorgfaltsanforderungen genügen. Je größer die mit der Güterbeförderung verbundenen Gefahren sind, desto höhere Anforderungen sind an die zu ergreifenden Sicherheitsmaßnahmen zu stellen (vgl. mit einem umfassenden Überblick über die Stimmen in Rechtsprechung und Literatur Neumann, TranspR 2002, 413, 415).

Gemessen an diesen Maßstäben hat der Unterfrachtführer leichtfertig im Sinne des § 435 HGB gehandelt.

Es stellt einen groben Sorgfaltsverstoß dar, dass der Unterfrachtführer das Transportfahrzeug mit den rund 2000 Textilien unbeaufsichtigt über das Wochenende auf einem öffentlichen Parkplatz in Hamburg abgestellt hat.

Nach gefestigter Rechtsprechung ist das unbewachte Abstellen von Transportfahrzeugen in diebstahlgefährdeten Ländern (OLG Karlsruhe, NJW-RR 2003, 907; BGH, NJW-RR 1997, 1392, je mit weit. Nachw. aus der Rechtsprechung) als leichtfertig anzusehen, weil das Transportgut in einem Lastwagen naturgemäß weniger geschützt ist, als bei der Lagerung in einem Lagerhaus, welches den fracht- und speditionsrechtlichen Anforderungen entspricht. Denn es ist allgemein bekannt, dass Fahrzeuge ohne große Mühen von professionellen Dieben geöffnet werden können, so dass auch geschlossene Kastenwagen keinen wirksamen Diebstahlsschutz darstellen, wenn ein potentieller Dieb relativ gefahrlos die Möglichkeit besitzt, sich mit dem Fahrzeug befassen zu können.

Der Vorwurf des leichtfertigen Handelns wurde bei dem unbeaufsichtigten Abstellen des Transportfahrzeuges deshalb erhoben, weil allgemein eine erhöhte Diebstahlsgefahr in jenen Ländern bekannt war und der Frachtführer deshalb damit rechnen musste, dass auch sein Transportfahrzeug mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Objekt eines solchen Diebstahl werden könnte, wenn es unbewacht abgestellt wird. Erforderlich für den Vorwurf der Leichtfertigkeit ist deshalb, dass der Frachtführer mit einer erhöhten Diebstahlsgefahr nach allgemeinem Kenntnisstand rechnen musste (vgl. OLG Oldenburg NJW-RR 1996, 359, 360; OLG Hamburg, Transportrecht 2003, 242, 243).

Entgegen der Auffassung der Beklagten muss eine erhöhte Diebstahlsgefahr auch bei dem unbeaufsichtigten Abstellen eines Lastkraftwagens in einer deutschen Großstadt über das Wochenende angenommen werden. Denn gerade an einem solchen Standort besteht die Gefahr, dass sich Diebe mitten in der Nacht unbemerkt an dem Fahrzeug zu schaffen machen. Das Risiko des Entdecktwerdens ist dabei relativ gering. Da in den letzten Jahren eine Steigerung der Kriminalitätsrate in deutschen Großstädten und insbesondere in Hamburg zu verzeichnen gewesen ist, musste deshalb ein verständiger und auf die Sicherung seines Transportgutes bedachter Frachtführer mit einem erhöhten Diebstahlsrisiko rechnen. Dem widerspricht auch der unbestritten gebliebene Vortrag der Beklagten nicht, dass der Frachtführer auch früher häufiger den beladenen Transportwagen über das Wochenende dort abgestellt hat, um die Ware montags früh ausliefern zu können. Denn gerade dieses Verhalten konnte Dieben die Möglichkeit eröffnen, das Fahrzeug auszukundschaften und den Diebstahl gut vorzubereiten, weil eine gewisse Regelmäßigkeit beobachtet werden konnte.

Schließlich spricht auch der Gesamtwert der Sendung und die leichte und gefahrlose Absetzbarkeit der Ware für die Annahme der Leichtfertigkeit. Denn nach der Darstellung der Klägerin hatten die entwendeten 270 Textilien einen Wert von 12.304 DM, was einem durchschnittlichem Wert jedes Textilstücks von rund 45 DM (= 23,01 EUR) entspricht. Ausweislich des Lieferscheins hatte die Sendung einen Gesamtwarenwert von rund 40.000 EUR. Dies ist nicht als geringfügig anzusehen und bot für potentielle Diebe durchaus einen starken Anreiz zum Diebstahl.

Dem Fahrer des Lastkraftwagens war die Gefährlichkeit seines Handelns auch bewusst, weil er aus Furcht vor Diebstahl das Radiobedienteil und das Handy aus dem Wagen entfernte. Er wollte damit keine Begehrlichkeiten wecken und musste deshalb von der Gefahr eines Diebstahls ausgehen. Deshalb musste ihm auch bewusst sein, dass die sich in dem Wagen befindlichen Kleidungsstücke von nicht unerheblichem Wert, die zudem leicht abzusetzen gewesen sind, sich in erheblicher Gefahr befanden. So wie niemand seinen mit Urlaubsgepäck beladenen Wagen über das Wochenende unbeobachtet im öffentlichen Verkehrsraum parkt, weil er sich der erhöhten Diebstahlsgefahr bewusst ist, so muss jedem Frachtführer ohne weiteres klar sein, dass das ihm anvertraute Gut einer erheblichen Diebstahlsgefahr ausgesetzt ist, wenn es über ein Wochenende unbeaufsichtigt im allgemein zugänglichen Verkehrsraum abgestellt wird und keine weiteren Sicherungen für das Transportgut eingesetzt sind.

Die Höhe des Schadens hat die Klägerin durch die Vorlage des Lieferscheins in Verbindung mit der Schadensmeldung der Empfängerin vom 17.07.2000 nach den Regeln des Anscheinsbeweises nachgewiesen.

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 24.10.2002 - I ZR 104/00, TranspR 2003, 156 - 159 = MDR 2003, 649 - 650 = NJW-RR 2003, 754 - 756), der sich der Senat anschließt, steht der Inhalt und Wert der von der Beklagten übernommenen Transportgüter nach den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins fest.

Bei kaufmännischen Absendern ist prima facie anzunehmen, dass die im Lieferschein und der dazu korrespondierenden Rechnung aufgeführten Waren in dem zum Transport übergebenen Behältnis auch enthalten waren. Dem Spediteur oder Frachtführer obliegt es, dieser Vermutung substantielle Einwände entgegenzusetzen. Dieser Anschein ergibt sich daraus, dass es sich bei Versender und Empfänger um Gewerbetreibende handelt und in diesem Bereich eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass an gewerblich bestellende Kunden exakt die bestellte Ware geliefert und versandt wird. Zusammen mit der Schadensmeldung der Firma S. vom 17.07.200 ergibt sich daraus der von der Klägerin geltend gemachte Schaden.

Der Zinsanspruch gründet sich auf §§ 352, 353 HGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 4.191,15 EUR; dies ist zugleich der Wert der Beschwer der Klägerin. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Dr. W.

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