VG Arnsberg, Beschluss vom 17.04.2003 - 8 L 647/03
Fundstelle
openJur 2011, 25979
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 1.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 07. Februar 2003 gegen die Abschiebungsandrohung des Antragsgegners vom 05. Februar 2003 anzuordnen,

hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig. Ein nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellter Antrag ist nur statthaft, wenn ein gegenüber einem Antragsteller noch nicht bestandskräftiger Verwaltungsakt vorliegt, der entweder kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3, Satz 2 VwGO), oder kraft Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) sofort vollziehbar ist. Ein solcher Verwaltungsakt als notwendiger Anknüpfungspunkt für ein Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO liegt hier jedoch nicht vor.

Die Kammer sieht auch keine Veranlassung, den ausdrücklich nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrag in einen Antrag auf Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 123 VwGO auszulegen, weil auch ein dahingehender Antrag erfolglos bleiben müsste; denn es fehlt an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).

Vielmehr sind die rechtlichen Voraussetzungen für die am 29. April 2003 vorgesehene Abschiebung der Antragstellerin gemäß § 49 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) gegeben. Die Antragstellerin ist vollziehbar ausreisepflichtig. Ihre Ausreisepflicht folgt aus § 42 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AuslG. Darüber hinaus ist der Antragstellerin durch Verfügung des Antragsgegners vom 25. April 2001 die Abschiebung angedroht worden. Die ihr in der Folgezeit erteilten Duldungen lassen ihre Ausreisepflicht unberührt (vgl. § 56 Abs. 1 AuslG). Die Abschiebung ist der Antragstellerin zudem gemäß § 56 Abs. 6 Satz 1 AuslG mindestens einen Monat vorher mit Schreiben vom 01. August 2002 und 23. Januar 2003 angekündigt worden.

Gründe, die die Abschiebung der Antragstellerin trotz Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht rechtswidrig erscheinen lassen könnten, liegen nicht vor. Ein solcher folgt weder aus § 55 Abs. 2 noch aus § 55 Abs. 3 AuslG, weil schon deren jeweilige Tatbestandvoraussetzungen nicht vorliegen.

Die Abschiebung der Antragstellerin ist zunächst nicht deshalb (rechtlich) unmöglich im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG, weil sie sich mit Erfolg auf einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach dem IMK-Beschluss vom 10. Mai 2001 berufen kann. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschlüsse vom 30. August 1995 - 18 B 660/94 -, vom 26. März 1998 - 18 B 2195/96 - und vom 20. April 1999 - 18 B 1338/97 -), der die Kammer folgt, die Erteilung einer Duldung für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens aus gesetzessystematischen Gründen grundsätzlich ausgeschlossen, wenn - wie hier - ein vorläufiges Bleiberecht nicht eingetreten ist. Denn der Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis vom 20. Juni 2001, den der Antragsgegner - soweit ersichtlich - bisher nicht beschieden hat, hat ein Fiktionsrecht nach § 69 AuslG nicht ausgelöst. Etwas anderes gilt jedoch zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG), wenn - wie hier - nur mit Hilfe einer einstweiligen Anordnung sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung ihrem Sinn und Zweck nach dem begünstigten Personenkreis zugute kommt. Die Antragstellerin hat jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis auf der Grundlage der Anordnung nach § 32 AuslG zur Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen an Arbeitnehmer aus der Republik Bosnien und Herzegowina und der Bundesrepublik Jugoslawien nicht glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin, die selbst die Voraussetzungen des Erlasses des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. Juni 2001 - I B 3/44.386 - B 2/I 14 - Kosovo - nicht erfüllt, kann ebenso wenig als Familienangehörige in die Altfallregelung einbezogen werden (vgl. I. 1. der Regelung), weil auch ihr Ehemann - der Antragsteller in dem Verfahren 8 L 185/03 - nicht glaubhaft gemacht hat, dass er die für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis erforderlichen Voraussetzungen des IMK-Beschlusses vom 10. Mai 2001 erfüllt. Zur Begründung wird insoweit auf die Ausführungen der Kammer in ihrem Beschluss vom heutigen Tage in dem Parallelverfahren 8 L 185/03 Bezug genommen.

Soweit die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner mit Schreiben vom 06. März 2002 - auch - die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG beansprucht, lässt die Kammer offen, inwieweit auch bei Berufung auf einen Aufenthaltsbefugnisanspruch nach dieser Vorschriften der Grundsatz gilt, dass vorläufiger Rechtsschutz nicht über ein Verfahren nach § 123 VwGO erlangt werden kann.

Vgl. hierzu auch: OVG NRW, Beschluss vom 26. November 2001 - 18 B 242/01 -.

Der Antragstellerin kann im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG - über den der Antragsgegner, soweit ersichtlich, bisher ebenfalls nicht entschieden hat - jedenfalls deshalb kein Abschiebungsschutz gewährt werden, weil sie die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach dieser Vorschrift nicht glaubhaft gemacht hat. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 2 AuslG kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil sich die Antragstellerin nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Ebenso wenig kommen als Anspruchsgrundlage § 30 Abs. 3 oder § 30 Abs. 4 AuslG in Betracht. Denn es fehlt unter den hier gegebenen Umständen schon an der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzung des Duldungsgrundes.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann zunächst nicht angenommen werden, dass mit Blick auf die von ihr - unter Vorlage entsprechender ärztlicher Bescheinigungen - geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen für diese ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG besteht. Zwar ist nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn ihm dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann auch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 07. September 1999 - 1 C 6/99 -, NVwZ 2000, 204 (205); Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 8/99 -, NVwZ 2000, 206 (207); Urteil vom 29. Juli 1999 - 9 C 2.99 -; Urteil vom 27. April 1998 - 9 C 13/97 -; NVwZ 1998, 973, Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58/96 -, NVwZ 1998, 524 (525).

Die Schwelle des Abschiebungsschutzes nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ist aber erst dann überschritten, wenn der Betreffende im Heimatland überhaupt keine zureichende Behandlung einer lebensbedrohlichen Krankheit erhält oder wenn die ihm zugängliche Therapie so schlecht ist, dass er bei einer Ausreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit großen gesundheitlichen Schaden nehmen würde. Erforderlich ist die konkrete erhebliche Gefahr, dass sich die Krankheit des Ausländers alsbald nach seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern wird.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Oktober 2000 - 18 B 1520/00 - .

Es muss eine Notlage von existentiellem Gewicht gegeben sein.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. September 2001 - 13 A 2988/01.A -.

Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Antragstellerin nicht erfüllt. Dabei geht die Kammer von dem Krankheitsbild aus, das in der ärztlichen Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Antragsgegners vom 10. April 2003 wie folgt umschrieben ist:

"Leicht bis mäßig gradiges depressives Syndrom, welches möglicherweise auf eine posttraumatische Belastungsstörung zurückgeführt werden muss. Es kann aber eine Zweck- und Tendenzreaktion absolut nicht ausgeschlossen werden."

Das angerufene Gericht stellt auf dieses Gutachten ab, weil es sich dabei um die aktuellste ärztliche Stellungnahme zum Gesundheitszustand der Antragstellerin handelt und auf die zuvor abgegebenen ärztlichen Stellungnahmen eingeht.

Zur medizinischen Versorgung im Kosovo ist zunächst festzustellen, dass diese von einheimischen Ärzten wiederübernommen worden ist und die Krankenhäuser nach Instandsetzung durch die KFOR-Truppen wieder arbeiten. Wenn auch die Möglichkeit, im Kosovo komplizierte Behandlungen oder schwierige operative Eingriffe vorzunehmen, immer noch begrenzt sind, so sind doch die medizinische Grundversorgung und die Versorgung in akuten Notfällen grundsätzlich gewährleistet.

Vgl. dazu: Auswärtiges Amt (AA) ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo) vom 27. November 2002; Deutsches Verbindungsbüro Kosovo, Pristina, Auskunft an das VG Frankfurt am Main vom 13. Februar 2002; Komitee Cap Anamur, Auskunft an das VG Wiesbaden vom 12. Februar 2002.

Auch Depressionen sind behandelbar und Antidepressiva verfügbar.

Vgl. Bundesamt: Medizinische Versorgung im Kosovo und Serbien- Montenegro vom August 2002.

Ebenso sind generalisierte Angststörungen im Kosovo behandelbar. Gleiches gilt für posttraumatische Stresssymptome infolge von Kriegserlebnissen. Die Behandlung ist für Patienten kostenfrei. Die Therapie erfolgt regelmäßig medikamentös. Die notwendige medikamentöse Versorgung der Patienten ist gleichfalls kostenfrei.

Vgl. Deutsches Verbindungsbüro Kosovo, Pristina, Auskunft an das VG Frankfurt am Main vom 06. Februar 2002 und Auskunft an das VG Wiesbaden vom 12. September 2002.

Vor dem Hintergrund dieser medizinischen Versorgungssituation ist - auch bei Berücksichtigung des Krankheitsbildes der Antragstellerin - nicht erkennbar, dass sie bei einer Rückkehr in ihre Heimat mit großer Wahrscheinlichkeit eine unerträgliche Krankheitsentwicklung oder gar den Tod zu erwarten hätte, zumal der Antragsgegner beabsichtigt, der Antragstellerin die ihr derzeit verordneten Psychopharmaka mitzugeben.

Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen ist eine Notlage im soeben beschriebenen Sinne im Falle der Antragstellerin jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil mit § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG keine örtlich bezogenen Aufenthaltsgarantien verbunden sind und es der Antragstellerin aus diesem Grunde zumutbar ist, gegebenenfalls in den Teil Jugoslawiens, der außerhalb des Kosovo liegt, Zuflucht zu suchen und sich dort in medizinische Behandlung zu begeben. Auf der Grundlage der sich aus aktuellen Auskünften,

vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) vom 16. Oktober 2002; AA, Auskünfte an das VG Oldenburg vom 21. Februar 2002, VG Frankfurt Main vom 28. August 2002; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Belgrad, Auskünfte an das VG Frankfurt / Oder vom 02. Oktober 2002 und das VG Osnabrück vom 25. November 2002,

ergebenden Erkenntnisse über die medizinischen Behandlungsmöglichkeit in dem - außerhalb des Kosovo liegenden - Gebiet Jugoslawiens sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Antragstellerin dort eine ausreichende Therapie der von ihr geltend gemachten Erkrankung nicht erlangen könnte. In dem betreffenden Teil Jugoslawiens sind insbesondere auch psychische Erkrankungen behandelbar und zur Therapie erforderliche Medikamente, vor allem auch Antidepressiva, erhältlich.

Vgl. etwa AA, Auskunft an das VG Frankfurt am Main vom 28. August 2002.

Darüber hinaus liegt ein Duldungsgrund auch nicht im Hinblick auf die von der Antragstellerin wegen ihrer Erkrankung behaupteten Reiseunfähigkeit vor. Nach Einschätzung des Amtsarztes ist die Reisetauglichkeit der Antragstellerin vielmehr unter der Voraussetzung, dass sie während des Fluges begleitet wird, gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner nicht bereit wäre, diese Vorkehrungen bei einer Abschiebung der Antragstellerin zu treffen, liegen nicht vor.

Die Abschiebung der Antragstellerin ist schließlich auch nicht deshalb - rechtlich - unmöglich, weil der Antragsgegner bisher nicht darüber entschieden hat, ob die Abschiebung der Antragstellerin auf der Grundlage eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG auszusetzen ist. Dem Antrag der Antragstellerin vom 03. Februar 2003 auf Feststellung von Abschiebungshindernissen kommt weder eine Fiktionswirkung nach § 69 AuslG zu, noch ist ihr deshalb der Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 55 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes zu gestatten.

Liegen somit die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 für eine Duldung nicht vor, ist ein Duldungsgrund nach § 55 Abs. 3 AuslG ebenfalls nicht gegeben. Weder dringende humanitäre oder persönliche Gründe noch erhebliche Interessen erfordern die weitergehende Anwesenheit der Antragstellerin im Bundesgebiet. Dementsprechende Gründe resultieren - nach den vorstehenden Ausführungen - insbesondere nicht aus der von der Antragstellerin geltend gemachten Erkrankung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG).

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