OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.08.2003 - 7 B 1537/03
Fundstelle
openJur 2011, 25690
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 L 597/03
Tenor

Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers zu 1. gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. Februar 2002 zum Umbau und zur Erweiterung des Freibades auf dem Grundstück Gemarkung Q. P. , Flur 4, Flurstück 1221 (M. straße 17 in Q. P. ) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2003 wird hinsichtlich der von der Baugenehmigung umfassten "Breitwasserrutsche" angeordnet.

Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller zu 1. trägt ¼, der Antragsteller zu 2. ½, der Antragsgegner ¼ der Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz; außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 8.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

Der Senat hat das Rubrum vom Amts wegen berichtigt. Ausweislich des Beiladungsbeschlusses des Verwaltungsgerichts vom 12. Juni 2003 ist zutreffenderweise die Stadt Q. P. als Bauherrin und nicht ihr Bürgermeister zum Verfahren beigeladen worden. Soweit der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. Juli 2003 den Bürgermeister der Beigeladenen als Verfahrensbeteiligten kennzeichnet, handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit.

Die zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Baugenehmigung vom 11. Februar 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. Juni 2003 gerichteten Klage ist zulässig.

Die Antragsteller haben ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Die nach § 80 Abs. 5 VwGO mögliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer gegen eine Baugenehmigung gerichteten Klage setzt voraus, dass die Ausnutzung der Baugenehmigung mit überwiegenden Interessen des Klägers nicht vereinbar ist. Für diese Frage ist ohne Belang, ob die Baugenehmigung die Errichtung auch solcher Anlagen umfasst, die selbst - wie hier entsprechend der Regelung in § 65 Abs. 1 Nr. 29 BauO NRW vom Verwaltungsgericht für die "Breitwasserrutsche" angenommen - keiner Baugenehmigung bedürften. Die Baugenehmigung ist ein Verwaltungsakt, der mit Wirkung auch gegenüber den Antragstellern feststellt, dass das von der Baugenehmigung umfasste Vorhaben mit den geprüften Vorschriften des öffentlichen Baurechts übereinstimmt. Es ist ein berechtigtes Anliegen der Antragsteller, diese Feststellungswirkung abzuwehren. Ob die von der Baugenehmigung umfassten Anlagenteile auch ohne Baugenehmigung errichtet werden dürften,

vgl. zur sog. Salamitaktik: Boeddinghaus/Hahn/ Schulte, BauO NRW, § 65 Rdnr. 8,

ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.

Der Antrag ist auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Baugenehmigung vom 11. Februar 2002 die Antragsteller in nachbarschützenden Vorschriften des Baurechts insoweit verletzt, als sie die Erweiterung des Technikraums, die Aufteilung des vorhandenen Schwimmbeckens in einen Schwimmer- und einen Nichtschwimmerbereich sowie die Auskleidung des Beckens mit Edelstahl zulässt. Demgegenüber ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Errichtung der "Breitwasserrutsche" zwar nicht gegenüber dem Antragsteller zu 2., wohl aber gegenüber dem Antragsteller zu 1. unzumutbare Immissionen auslöst. Eine getrennte Prüfung der Regelungswirkungen der Baugenehmigung ist hier möglich.

Auf die Rutsche kann als einzelnes Element der Prüfung abgestellt werden, ob die Baugenehmigung zu den Antragstellern unzumutbaren Auswirkungen führt, obwohl ihre Errichtung von der einen Baugenehmigung mit erfasst wird, die sich auch auf die Unterteilung des Schwimmbeckens und seine Auskleidung mit Edelstahl sowie die Erweiterung des Technikraums bezieht. Zwar weisen die Antragsteller zutreffend darauf hin, dass ein zur Genehmigung gestelltes Bauvorhaben regelmäßig ein einheitliches Ganzes darstellt, sei es, dass die einzelnen Bestandteile des Vorhabens eine bautechnische Einheit bilden, sei es, dass sie unter Nutzungsgesichtspunkten eine enge funktionale Verbindung aufweisen, sei es, dass der eine Bestandteil ohne den anderen baurechtlich nicht zulässig ist oder sei es, dass die Einheitlichkeit des Vorhabens dem ausdrücklich geäußerten Willen des Bauherrn entspricht.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Dezember 1991 - 7 A 172/89 -, BRS 54 Nr. 180; Beschluss vom 4. September 2001 - 10 B 232/01 -, BauR 2002, 432.

Die Rutsche stellt mit den weiteren von der Baugenehmigung umfassten Maßnahmen jedoch keine bautechnische Einheit dar und weist auch keine enge funktionale Verbindung auf, sondern ergänzt das Angebot des bestehenden Freibades um ein selbständiges Element, dessen rechtliches Schicksal die übrigen genehmigten Maßnahmen unberührt lässt. Die Beigeladene geht auch nicht von einem notwendig einheitlichen Vorhaben aus.

Ob auch die Erweiterung des Technikraums, die veränderte Aufteilung des Schwimmbeckens unter gleichzeitiger Verkleinerung der Wasserfläche sowie die Edelstahlauskleidung des Schwimmbeckens jeweils gesonderter rechtlicher Prüfung zugänglich sind, bedarf keiner Entscheidung. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Maßnahmen nachbarschützende Rechte der Antragsteller verletzen könnten. Die Antragsteller meinen, durch die Genehmigung werde der Charakter des Freibades geändert und ein Spaßbad geschaffen. Sie wollen der Sache nach mit diesem Vortrag auf die Verpflichtung des Antragsgegners hinaus, die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit der Umbau- und Renovierungsarbeiten auf solche Vorschriften zu erstrecken, die für die erstmalige Errichtung eines Freibades gelten könnten (vgl. § 1 Abs. 1 der 18. BimSchV). Tatsächlich wird der Charakter des Freibades durch die genannten Maßnahmen jedoch nicht geändert. Es handelt sich um zur Erhaltung und zeitgemäßen Nutzung der Anlage notwendige Maßnahmen, die sich im Rahmen der Bandbreite der bisher zulässigen Nutzung halten, deshalb nicht den (nur) für die erstmalige Errichtung eines Freibades geltenden Vorschriften genügen müssen und daher zulässig sein dürften.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 63 Rdnr. 71 ff., § 75 Rdnr. 70; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 12. März 1998 - 4 C 10.97 -, BRS 60 Nr. 98.

Dass das 1942 errichtete Freibad nicht jedenfalls für einen namhaften Zeitraum genehmigungsfähig gewesen und damit materiellrechtlich legal ist, wird mit der Beschwerde nicht in Abrede gestellt.

Die Genehmigung der "Breitwasserrutsche" geht allerdings über das zur Erhaltung des Freibades Erforderliche hinaus. Insoweit steht den Antragsteller grundsätzlich nach Maßgabe des von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO umfassten Gebots der Rücksichtnahme ein Abwehranspruch gegenüber unzumutbaren Immissionen zu, die von dem mit Rutsche betriebenen Freibad ausgehen. Die Antragsteller berufen sich auf die 18. BImSchV, die eine normative Festlegung der Zumutbarkeitsschwelle im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG enthält,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. November 1994 - 7 B 73.94 -, BRS 56 Nr. 194,

die auch für das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot maßgeblich ist. Ob die 18. BImSchV auf die Genehmigung einzelner, ein bestehendes Freibad ergänzender Anlagenteile allerdings überhaupt anwendbar ist, bedarf für das vorliegende Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes keiner Entscheidung. Jedenfalls ergeben sich aus der 18. BImSchV gewichtige Anhaltspunkte für die Frage der Zumutbarkeit der durch die Rutsche verursachten Immissionen.

Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass durch die Nutzung des mit Rutsche betriebenen Freibads dem Antragsteller zu 1. (der ausweislich des mit Schriftsatz der Antragsteller vom 20. August 2003 überreichten Widerspruchsbescheides Eigentümer des Wohnhauses C. Weg 4 ist) unzumutbare Immissionen entstehen. Dies ergibt sich bereits aus der im Auftrag der Beigeladenen erstellten schalltechnischen Beurteilung des Dipl.-Ing. Ramm vom 14. August 2000, der für das Haus des Antragstellers zu 1. (Immissionsort 1 des Gutachtens) unter Berücksichtigung einer ganztägig betriebenen Rutsche sonn- und feiertags einen Beurteilungspegel von max. rund 67 dB (A) - gegenüber bislang 65 dB (A) -, werktags außerhalb der morgendlichen Ruhezeit max. 65 dB (A) - gegenüber bislang 62 dB (A) - errechnet hat (Seite 8f. des Gutachtens). Die Rutsche soll zudem zwischen Schwimmbecken und dem Wohnhaus des Antragstellers zu 1. in nur rund 11 m Entfernung vom Wohnhaus errichtet werden (vgl. zum maßgebenden Immissionsort: Nr. 1.2 der Anlage zur 18. BImSchV). Dass auch am Wohnhaus des Antragstellers zu 2. (C. Weg 2) angesichts des Abstandes zur Rutsche von rund 43 m noch unterscheidbare Veränderungen des Beurteilungspegels gegenüber dem ohne Rutsche betriebenen Freibad zu befürchten sind, ist demgegenüber mit der Beschwerde nicht dargelegt.

Eine Steigerung der Geräuschimmissionen des vorhandenen Freibades durch zusätzliche, den Geräuschpegel erhöhende Anlagen, ist dem Antragsteller zu 1. nicht zumutbar. Die zu erwartenden Geräuschpegel liegen deutlich über den gemäß § 2 der 18. BImSchV hier jedenfalls als Anhaltspunkt zu berücksichtigenden Immissionsrichtwerten für allgemeine Wohngebiete. Die gegenteiligen Feststellungen des von der Beigeladenen beauftragten Gutachters gehen von unzutreffenden Ausgangspunkten aus.

Der Gutachter nimmt an, maßgebend seien die in der 18. BImSchV für Mischgebiete bestimmten Immissionsrichtwerte, denn das Freibad befinde sich neben einer Wohnbebauung. Daher sei von einer Gemengelage auszugehen und eine Beurteilung wie für ein Mischgebiet vorzunehmen (Seite 7 des Gutachtens). Diese Interpretation ist mit § 2 Abs. 6 der 18. BImSchV nicht zu vereinbaren. Danach kommt es grundsätzlich auf den Gebietscharakter im Einwirkungsbereich der Sportanlage an. Nach den vom Antragsgegner nicht substantiiert in Abrede gestellten Angaben der Antragsteller, denen im Hauptsacheverfahren ggf. nachzugehen sein wird, stellt sich die Umgebung als ein allgemeines Wohngebiet dar. Der Gutachter meint ferner, es könne für vor Inkrafttreten der 18. BImSchV vorhandene Sportstätten eine Überschreitung der jeweiligen Immissionsrichtwerte von 5 dB (A) in Ansatz gebracht werden (Seite 8 oben, 9 oben des Gutachtens). Die Altanlagen privilegierende Regelung des § 5 Abs. 4 der 18. BImSchV rechtfertigt jedoch keine generelle Erhöhung der Richtwerte bei der Beurteilung von Altanlagen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 1999 - 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314; OVG NRW, Urteil vom 28. Mai 1993 - 21 A 1532/90 -, UPR 1994, 75; Urteil vom 7. Dezember 2000 - 7a D 60/99.NE -,

Der Gutachter meint schließlich, für die Nutzung des Freibades an Sonn- und Feiertagen werde (bei in den Ruhezeiten gesperrter Rutsche) jedenfalls der Grenzwert für seltene Ereignisse eingehalten, auf die abzustellen sei. Ob jedoch von einem seltenen Ereignis im Sinne des § 5 Abs. 5 der 18. BImSchV - also einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte durch ein besonderes Ereignis (so die in § 5 Abs. 5 der 18. BImSchV in Bezug genommene Nr. 1.5 des Anhangs zur 18. BImSchV) - auch dann gesprochen werden kann, wenn die Überschreitung des Immissionsrichtwertes an jedem Sonn- und Feiertag mit einer hinreichend hohen Besucherzahl eintreten kann, ist durchaus fraglich.

Angesichts der ohnehin schon bestehenden (allerdings vorgegebenen) Lärmbelastung ist dem Antragsteller zu 1. eine weitere Steigerung des Lärmpegels durch die Errichtung weiterer Freibadanlagen auch nicht vorübergehend bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zumutbar und war die aufschiebende Wirkung der Klage daher hinsichtlich der "Breitwasserrutsche" anzuordnen. Vorsorglich merkt der Senat an, dass ein etwaig ungeachtet der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers zu 1. auf Grundlage des § 65 Abs. 1 Nr. 29 BauO NRW in Betracht gezogener Betrieb der Rutsche zumindest materiellrechtlich problematisch sein dürfte (vgl. § 65 Abs. 4 BauO NRW). Da sich für das im Eigentum des Antragstellers zu 2. stehende Wohngebäude weder aus dem Beschwerdevorbringen noch aus dem Inhalt der Akten hinreichende Erkenntnisse dafür ergeben, auch dort würden die Lärmimmissionen durch den Betrieb der Rutsche merkbar gesteigert, musste der auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gerichtete Antrag erfolglos bleiben.

Ob der Antrag "bzw. vergleichbaren vorläufigen Rechtsschutz" zu gewähren, zulässig ist, kann dahinstehen. Der Antrag ist - wie sich aus dem Wort "bzw." ergibt - als Alternativantrag für den Fall gedacht, dass Rechtschutz über die begehrte Anordung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht erreicht werden kann. Der Antrag knüpft jedoch auch für diesen Fall an die durch die Baugenehmigung vom 11. Februar 2002 geregelten Vorgänge an. Weshalb sich aber hinsichtlich dieser Vorgänge ein nicht bereits im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geprüfter, weitergehender Abwehranspruch der Antragsteller ergeben sollte, geht aus der Beschwerde, auf deren Prüfung die Entscheidung des Sents gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht hervor.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 Satz 1, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO, § 100 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.