VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 19.02.2003 - 5 L 53/03
Fundstelle
openJur 2011, 25349
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Gründe

Der sinngemäß gestellte Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seines mit Schriftsatz vom eingelegten Widerspruchs gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Antragsgegners vom anzuordnen,

hat keinen Erfolg.

Dabei kann das Gericht dahingestellt sein lassen, ob der Antrag nicht bereits unzulässig ist, weil für den Antragsteller kein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis besteht. Am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis fehlt es u.a., wenn der Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung beigemessen werden soll, offensichtlich unzulässig ist. Dies wäre der Fall, wenn der Antragsteller nicht binnen der Widerspruchsfrist von 1 Monat, nachdem ihm die Baugenehmigung durch den Antragsgegner bekanntgegeben worden ist, Widerspruch beim Antragsgegner eingelegt hätte. In diesem Fall wäre die angefochtene Baugenehmigung bestandskräftig geworden. Sollte der auf den datierte schriftliche Widerspruch des Antragstellers nicht erst entsprechend dem Eingangsstempel des Bauaufsichtsamtes am sondern bereits am beim Antragsgegner eingegangen sein, wofür der in den in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegner enthaltene handschriftliche Datumsvermerk &...132;10.01." mit der Paraphe &...132;U. ." auf dem Widerspruch spricht, wäre dieser jedenfalls rechtzeitig erhoben worden. Einer abschließenden Klärung der Rechtzeitigkeit des Widerspruchseinlegung bedarf es in diesem auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Verfahren aber nicht.

Der Antrag ist jedenfalls in der Sache nicht begründet. Hat eine Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt - wie hier nach § 212 a Abs. 1 BauGB - keine aufschiebende Wirkung, so kann das Gericht der Hauptsache deren aufschiebende Wirkung gemäß §§ 80 a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anordnen.

In dem wegen der Eilbedürftigkeit nur summarischen Verfahren hat es dabei nicht unmittelbar die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts zu prüfen, sondern zu untersuchen, ob das Interesse an dessen sofortiger Vollziehung das Interesse des Dritten an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung überwiegt. Gegenstand dieser Abwägung ist das Interesse des Nachbarn an der Aussetzung der Vollziehung auf der einen Seite und das Interesse des begünstigten Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der ihm erteilten Baugenehmigung andererseits. Da sich beide Interessen im Grundsatz gleichwertig gegenüber stehen, orientiert sich die vorzunehmende Abwägung vornehmlich an den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache.

Hinsichtlich des gerichtlichen Prüfprogramms im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist zunächst zu beachten, dass im baurechtlichen Nachbarstreit keine Prüfung der objektiven Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung vorzunehmen, sondern allein zu fragen ist, ob der angefochtene Verwaltungsakt die Rechtsbehelfsführer in ihren eigenen subjektiven Rechten verletzt.

Vorliegend geht die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Sein Widerspruch gegen die Baugenehmigung wird voraussichtlich erfolglos bleiben. Es ist nicht wahrscheinlich, dass der Antragsteller durch die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt wird.

Die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verstößt weder gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts noch gegen solche des Bauplanungsrechts.

Ein Verstoß gegen nachbarschützende bauordnungsrechtliche Vorschriften liegt nicht vor. Die zum Grundstück des Antragstellers gemäß § 6 BauO NRW vorgeschriebene Abstandfläche wird durch das genehmigte Bauvorhaben offensichtlich eingehalten. Andere nachbarschützende Vorschriften bauordnungsrechtlicher Natur, mit denen das streitige Vorhaben unvereinbar sein könnte, sind nicht erkennbar.

Weiterhin ist auch nicht wahrscheinlich, dass die Baugenehmigung vom gegen dem Schutz des Antragstellers dienende Vorschriften des Bauplanungsrechts verstößt. Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens der Beigeladenen beurteilt sich nach § 34 BauGB, denn es soll innerhalb eines nicht beplanten, aber im Zusammenhang bebauten Ortsteiles errichtet werden. Es handelt sich entgegen der Auffassung des Antragstellers bei der Fläche Pferdemarkt nicht um sog. Außenbereich im Innenbereich mit der Folge, dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 BauGB zu richten hätte. Zwar kann eine Freifläche, um die herum ein Bebauungszusammenhang besteht, als Außenbereich zu qualifizieren sein mit der Folge, dass sie nicht nach § 34 BauGB bebaubar ist, wenn die Freifläche nicht mehr durch ihre Umgebung geprägt wird.

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 01. Dezember 1972 - IV C 6.71-, BVerwGE 41, 227 = DöV 1973, 347; BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 15.84 -, BVerwGE 75, 34 = DVBl. 1987, 478.

Diese Voraussetzungen liegen bei dem als öffentliche Verkehrsfläche genutzten Platz Pferdemarkt jedoch erkennbar nicht vor. Im Übrigen würde sich auch für den Fall, dass das genehmigte Bauvorhaben nach § 35 BauGB zu beurteilen wäre, nichts daran ändern, dass der Antragsteller allein die Verletzung des auch für Vorhaben im Außenbereich zu beachtenden Rücksichtnahmegebotes geltend machen könnte. Zum Rücksichtnahmegebot bei Bauvorhaben im Außenbereich BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1983 - 4 C 59/79 -, NVwZ 1983, 609 -.

Soweit es die Art der baulichen Nutzung betrifft, hat ein Nachbar einen über das Gebot der Rücksichtnahme hinausgehenden Schutzanspruch und kann die Einhaltung der Nutzungsart beanspruchen, wenn die Eigenart der näheren Umgebung gem. § 34 Abs. 2 BauGB einem der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiete entspricht, vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91, BRS 55 Nr. 110.

Der Antragsgegner ordnet das Baugrundstück als im Kerngebiet (§ 7 BauNVO) gelegen ein. Dies ist nach der nach Aktenlage und nach dem vom Berichterstatter im Rahmen des Ortstermins gewonnenen und der Kammer vermittelten Eindruck erkennbaren Nutzung der näheren Umgebung des Baugrundstücks plausibel und wird auch weder von dem Antragsteller noch von den Beigeladenen in Abrede gestellt. Im deshalb von der Kammer im Rahmen des vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren zugrunde gelegten Kerngebiet ist das mit dem angefochtenen Bescheid genehmigte Gebäude zur Nutzung als Gastronomiebetrieb allgemein zulässig (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO).

Ein Abwehrrecht steht dem Antragsteller auch nicht nach Maßgabe des im § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerten planungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme zu. Das Gebot der Rücksichtnahme soll angesichts der gegenseitigen Verflechtungen der baulichen Situation benachbarter Grundstücke einen angemessenen planungsrechtlichen Ausgleich schaffen, der einerseits dem Bauherrn ermöglicht, was von seiner Interessenlage her verständlich und unabweisbar ist und andererseits dem Nachbarn erspart, was an Belästigungen und Nachteilen für ihn unzumutbar ist. Die Beachtung des Rücksichtnahmegebots soll gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, aneinander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Die sich daraus ergebenden Anforderungen sind im Einzelfall festzustellen, wobei die konkreten Umstände zu würdigen, insbesondere die gegenläufigen Interessen des Bauherrn und des Nachbarn in Anwendung des Maßstabes der planungsrechtlichen Zumutbarkeit gegeneinander abzuwägen sind. Dabei kann desto mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt; umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, desto weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit dem Bauvorhaben verfolgten Interessen sind.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Januar 1983 - 4 C 59.79 -, BRS 40 Nr. 199 = BauR 1983, 449 = ZfBR 1983, 139, vom 28. Oktober 1993 - 4 C 5.93 -, DVBl 1994, 697 = BauR 1994, 354 = BRS 55 Nr. 168 = NVwZ 1994, 686 = ZfBR 1994, 142 = UPR 1994, 148 und vom 23. September 1999 - 4 C 6.98 -, NVwZ 2000, 1050 = DVBl 2000, 192 = ZfBR 2000, 128; OVG NRW, Beschluss vom 03. September 1999 - B 1283/99 -, NVwZ 1999, 1360.

In Anwendung dieser Grundsätze ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller durch das Vorhaben der Beigeladenen im dargestellten Sinne &...132;rücksichtslos" beeinträchtigt wird. An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass nicht Gegenstand der gerichtlichen Prüfung in baurechtlichen Nachbarstreitverfahren ist, ob das streitige Vorhaben in jeder Hinsicht planungsrechtlich zulässig ist. Das Gericht prüft in derartigen Verfahren nicht die objektive Rechtmäßigkeit der dem Bauherrn erteilten Baugenehmigung, sondern richtet seinen Blick ausschließlich auf mögliche subjektive Rechtsverletzungen des betroffenen Nachbarn. Dies beachtend kann die Kammer keinen Verstoß gegen das drittschützende Rücksichtnahmegebot feststellen. Hierbei kann die Kammer es dahingestellt sein lassen, ob der Antragsteller sich im Rahmen des Rücksichtnahmegebots überhaupt noch auf eine Wohnnutzung in seinem Haus berufen kann. Dies könnte er dann nicht, wenn die dem Antragsteller erteilte Baugenehmigung, die für die Räume des 3. Obergeschosses ausschließlich Wohnnutzung vorsah, wegen der teilweise erfolgten Nutzungsänderung, und zwar zur gewerblichen Nutzung oder wegen Aufgabe der Wohnnutzung (insgesamt) erloschen ist Jedenfalls geht die Kammer im Rahmen der hier erfolgenden summarischen Prüfung davon aus, dass bei einer Distanz von ca. 20 m zwischen dem Geschäfts-, Büro- und Wohngebäude des Antragstellers und der - nach der Baugenehmigung - nach Norden ausgerichteten Entlüftung des Bauvorhabens keine erheblichen Geruchsbelästigungen zu erwarten sind. Es drohen auch keine unzumutbaren Larmbelästigungen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass durch die hier im Streit befindliche Baugenehmigung vom allein die Nutzung der Innenräume als Gastronomiebetrieb genehmigt worden ist. Hinzu kommt, dass in der unmittelbaren Umgebung des Vorhabens kein Zu- und Abgangsverkehr von Besuchern der Gastronomie mit Fahrzeugen erfolgen wird, da sich die notwendigen Stellplätze in etwa 100 m Entfernung befinden und die Gastronomie damit nur fußläufig zu erreichen ist. Die im Hinblick auf Lärmimmissionen regelmäßig mit erhöhtem Störpotential verbundene Außengastronomie ist dagegen nicht Regelungsinhalt der angefochtenen Genehmigung, wie dem Hinweis unter Nr. 33 der Nebenbestimmungen zu entnehmen ist und wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen. Anhaltspunkte dafür, dass der genehmigte Gastronomiebetrieb, der wie das Haus des Antragstellers in einem Kerngebiet liegt, diesem gegenüber die zumutbaren Lärmimmissionen in rücksichtsloser Weise überschreitet, sind danach nicht erkennbar. So weit der Antragsteller nach Ausnutzung der Baugenehmigung zukünftig Überschreitungen der festgesetzten Höchstlärmpegel befürchtet, ist hiergegen allein Schutz im Wege des nachträglichen bauordnungsrechtlichen Einschreitens durch den Antragsgegner zu suchen. Auch hinsichtlich der im Bereich des Dachüberhanges des Vorhabens genehmigten Lichterkette, die nach Angaben der Beigeladenen das Gebäude zu seinem Umfeld abgrenzen soll, ist nicht erkennbar, dass sie zu erheblichen Beeinträchtigungen führen könnte, zumal die Leuchten zum Boden hin ausgerichtet sein dürften. Die vom Antragsteller im Übrigen vorgetragenen Einwände, soweit sie überhaupt die (objektive) Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung berühren können, gehen im Hinblick auf die fehlende Verletzung subjektiver Rechte ebenfalls fehl. So ist für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung, ob sich das streitige Vorhaben nach seiner optischen Wirkung gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Ebenso wenig kann sich der Antragsteller auf eine Beeinträchtigung des Ortsbildes i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB im Hinblick auf die ästhetische Wirkung des Vorhabens berufen; denn eine Beeinträchtigung des Ortsbildes ist ausschließlich nach städtebaulichen Gesichtspunkten zu beurteilen, Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 34 Rn. 25.

Rechtlich unerheblich sind weiterhin wegen fehlender Betroffenheit in subjektiven Rechten die Einwände des Antragstellers, durch das genehmigte Bauvorhaben werde der Verkehrsfluss erheblich beeinträchtigt, das Baugrundstück sei nicht rechtmäßig entwidmet worden und die öffentliche Ausschreibung bezüglich der Veräußerung des Erbbaurechts sei unter Verstoß gegen Ausschreibungsvorschriften der Europäischen Union erfolgt.

Letztlich kann auch dahin stehen, ob - wie der Antragsteller meint - die (unterbliebene) Aufstellung eines Bebauungsplans für das Baugrundstück hier im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich wäre, da auch insoweit keine rechtlich geschützten Interessen des Antragstellers berührt sind (§ 2 Abs. 3 BauGB).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen zu lassen, da diese als notwendig Beizuladende ohne ihr Zutun in das Verfahren einbezogen werden mussten und sich zudem durch das Stellen eines Antrages einem Kostenrisiko (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt haben.

Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG und entspricht in Baunachbarsachen der ständigen Rechtsprechung der Kammer in Verfahren der vorliegenden Art.

Zitate11
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte